Es ist nicht einfach, nach etwa zwei Wochen
Abwesenheit vom aktuellen Geschehen das Nachrichtenmosaik zur Ukraine
wieder aufzunehmen. Ich versuche es dennoch und werde zuerst eine Art
Rückblick vornehmen und mich auf Hintergründe konzentrieren. Dabei darf
ebenso wie bisher keine Vollständigkeit von mir erwartet werden. Ich
kann weiterhin nur Mosaiksteine bieten, die helfen, ein Bild von den
Ereignissen und deren Hintergründen zusammenzufügen. Und wie bei den
Folgen zuvor gebe ich in der Regel nicht wieder, was ausführlich vom
medialen und politischen Mainstream an antirussischer Meinungsmache und
Kriegshetze zu lesen, zu hören und zu sehen ist. Das können jede und
jeder, die und der will, an den entsprechenden Stellen selber zur Genüge
lesen, hören und sehen.
An den Grundlinien des Konfliktes in der Ukraine und um sie herum sowie an dem Krieg der Kiewer Machthaber in der Ostukraine hat sich – leider – nichts geändert. Nur in Moskau scheint langsam die Zurückhaltung aufgegeben zu werden angesichts des unverminderten westlichen und Kiewer Kurses der Konfrontation gegenüber Russland bis hin zu Vorwürfen einer „Invasion“ bzw. Aggression durch russische Truppen.
An den Grundlinien des Konfliktes in der Ukraine und um sie herum sowie an dem Krieg der Kiewer Machthaber in der Ostukraine hat sich – leider – nichts geändert. Nur in Moskau scheint langsam die Zurückhaltung aufgegeben zu werden angesichts des unverminderten westlichen und Kiewer Kurses der Konfrontation gegenüber Russland bis hin zu Vorwürfen einer „Invasion“ bzw. Aggression durch russische Truppen.
Weggelassene Bilder und das eigentliche Ziel
• Die Schweizer Weltwoche vom 14.8.14 fragte unter der Ankündigung „Showdown in der Ukraine“ auf der Titelseite auf Seite 22: „Sind wir denn im falschen Film?“.
Die Wochenzeitung, die garantiert nicht zu den vermeintlichen
„Putin-Verstehern“ gehört, wies u.a. darauf hin, dass westliche Medien
Fotos von Poroschenko im Kampfanzug nicht veröffentlichten. Auch nicht
jene, auf denen zu sehen ist, wie der ukrainischen Präsident mit einem
schweren MG eines Schützenpanzerwagens rumschiesst, bis das Magazin alle
ist. Die Weltwoche zeigte eines davon und schrieb dazu: "Man reibt
sich die Augen, und man wundert sich, ob man noch im richtigen Film
sitzt. Sind denn die Rollen nicht klar verteilt: Kriegstreiber ist
Kremlchef Putin, Kriegsopfer ist die Ukraine. Daher sieht man die
Bilder, die Poroschenko beim Kriegsspiel zeigen, in westlichen Medien
nicht. Sie würden nicht ins Narrativ passen.“ Weiter war zu lesen, dass Moskau zwar die Aufständischen unterstütze, angeblich auch mit Waffen.
„Aber Angriffe auf die Zivilbevölkerung und die Vertreibung von
Hunderttausenden aus ihren Wohnungen kann man Putin nicht vorwerfen. Die
knapp 21000 Soldaten, die Russland an der Grenze zusammengezogen hat,
würde jeder Staat aufbieten, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft ein
heisser Konflikt ausgetragen wird. Für eine Invasion reicht dieses
Aufgebot indes nicht.“
Weltwoche-Autor Wolfgang Koydl findet die selten gestellte Frage interessanter, „wie aus der schlechtausgebildeten und -bewaffneten ukrainischen Tölpeltruppe so schnell eine schlagkräftige Profi-Armee werden konnte“. Die Antwort sei ganz einfach: „Die Amerikaner lassen ihre neuen Freunde nicht im Stich.“ Die New York Times habe zuvor angedeutet, dass Kiew vom US-Kriegsministerium Pentagon taktische Daten über die Positionen der Aufständischen erhalten könne. „Eine enge Zusammenarbeit der Geheimdienste Washingtons und Kiews ist spätestens seit der Kiew-Reise von CIA-Chef John Brennan im April ein offenes Geheimnis. Auch diese Visite hatte, so wie der ebenfalls von den USA angeordnete Kurztrip Rasmussens, nur ein Ziel: Moskau in die Schranken zu weisen.“ Koydl machte auf ein im Westen weitgehend verschwiegenes Beispiel für die traditionsreiche US-amerikanische „handfeste militärische Unterstützung für Moskaus Gegner“ aufmerksam: „Auf dem Höhepunkt des russisch-georgischen Krieges flog die amerikanische Luftwaffe im August 2008 im Irak stationierte georgische Truppen nach Tiflis, damit sie rascher nach Südossetien und Abchasien an die Front verlegt werden konnten.“ In Moskau sei dieser Affront „bis heute nicht vergessen“.
Koydl erinnerte auch an die militärischen Aspekte des EU-Assoziierungsabkommens: „Das kann sich nur gegen Russland richten.“ Poroschenko brauche zudem den Krieg dringender als Putin, um die katastrophale Lage der Ukraine zu vertuschen. Und: Eine militärische Niederlage der Aufständischen in der Ostukraine diene den Interessen des Westens, „weil dieser eigentlich weiss, dass Sanktionen Russland nicht in die Knie zwingen werden“. „USA streben Machtwechsel in Moskau an“, so eine Zwischenüberschrift des Beitrages. In Russland sei klar, dass es dem Westen „gar nicht mehr in erster Linie um die Ukraine geht“. Stattdessen sei Washingtons „unverhülltes“ Ziel der Reigmechange in Moskau. „Als Minimalziel soll Putin so weit geschwächt werden, dass er unfähig ist, aussenpolitisch zu agieren – ein zweiter Boris Jelzin also, nur diesmal nüchtern und nicht ständig betrunken.“ Auch Russlands führende Stellung auf dem Welt-Gas-Markt habe die „Fracking-Nation Amerika“ im Visier, stellte Koydl fest. Die EU-Staaten könnten „mittlerweile noch nicht einmal mehr zwischen der Ukraine und Russland vermitteln.“ Denn: „Sie sind Partei, weil sie sich von Anfang an auf die Seite der Ukraine geschlagen haben.“ Vorschläge und Pläne aus Berlin, Paris oder Brüssel für eine friedliche und politische Lösung des Ukraine-Konfliktes durch Verhandlungen seien nicht zu vernehmen gewesen. Dagegen seien die letzten Kompromissangebote aus Moskau gekommen, „ein Minderheitenstatut, grössere Autonomie für die einzelnen Regionen – alles vernünftig, alles logisch“. Doch das habe der Westen nicht einmal abgelehnt, sondern einfach ignoriert.
Anmerkung von mir: Das war vor etwa zwei Wochen zu lesen.
• Warum riskiert Washington einen Krieg mit Russland? Das fragten die Journalistin Katrina vanden Heuvel und der Politikwissenschaftler Stephen F. Cohen in der August-Ausgabe der US-amerikanischen Zeitschrift The Nation. Es sei nicht nur ein neuer „Kalter Krieg“ im Gange, sondern der Krieg in der Ostukraine drohe sich zu einem zwischen der US-geführten NATO und Russland auszuweiten. Der Abschuss des malaysischen Verkehrsflugzeuges mit der Flugnummer MH17 über der Ostukraine am 17. Juli 2014 hätte eigentlich für die „US-gestützte Regierung in Kiew“ Grund sein müssen, im Gedenken an die 298 Opfer einen Waffenstillstand auszurufen und Friedensgespräche zu beginnen. Doch stattdessen habe Kiew, unterstützt von Washington, seine Angriffe auf die von den Aufständischen gehaltenen Gebiete intensiviert, um sie von „prorussischen 'Terroristen'“ zu „befreien“.
Vanden Heuvel und Cohen schrieben: „Fakt ist, dass Kiew seit Monaten Washingtons militärischer Stellvertreter gegen Russland und dessen ‚Landsleute‘ in der östlichen Ukraine war.“ Seit Beginn der politischen Krise in der Ukraine seien US-Außenminister Jon Kerry, CIA-Direktor John Brennan und US-Vizepräsident Joseph Biden in Kiew gewesen, gefolgt von hochrangigen Pentagon-Beamten, US-Militärausrüstung und Finanzhilfe. Ein hochrangiger Beamter des US-Kriegsministeriums habe den US-Senat offiziell informiert, dass Berater aus den USA in das ukrainische Kriegsministerium „eingebettet“ wurden. Kiew würde den Krieg gegen seine eigenen Bürger in der Ostukraine ohne die politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung durch die Obama-Administration nicht führen können, so die beiden Autoren. Die Ukraine sei bankrott, ihre industrielle Infrastruktur beschädigt und das Land in einem politischen Durcheinander, sich ultranationalistischer Milizen bedienend und Männer bis 60 Jahren einberufend. Das alles werde von den irreführenden Behauptungen aus Washington und der Mainstreammedien begleitet, dass die Ursache für die Krise der Ukraine die „Aggression“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei. „In Wirklichkeit war dessen Rolle größtenteils eine Reaktion.“ Die Autoren erinnerten daran, dass die EU, unterstützt vom Weißen Haus, im November 2013 die Krise auslösten, indem sie Putins Angebot eines gemeinsamen Finanzplanes von EU, Russland und der USA ablehnten und stattdessen den gewählten Präsidenten der Ukraine Wiktor Janukowitsch vor die unnötige und provokative Wahl einer „Partnerschaft mit Europa oder mit Russland" stellten. Das war verbunden mit harten finanziellen Bedingungen und militärischen und Sicherheits-Verpflichtungen. „Nicht überraschend“ habe sich Janukowitsch für das „wesentlich günstigere finanzielle Angebot von Putin“ entschieden. Die Straßenproteste gegen Janukowitschs Entscheidung seien so gewalttätig geworden, dass europäische Außenminister einen von Putin stillschweigend unterstützten Kompromiss vermittelten. Doch dieser sie durch die Gewalt auf den Straßen hinweggefegt worden, Janukowitsch floh und eine neue Regierung wurde gebildet. „Das Weiße Haus unterstützte eilig den Staatstreich.“ Putins Reaktion sei absehbar gewesen, stellten vanden Heuvel und Cohen in The Nation fest, „wenn in Washington irgendein professioneller Nachrichtendienst existierte“ (vielleicht meinten die Auoren mit "intelligence" auch einfach nur Intelligenz ...). Die jahrzehntelange NATO-Erweiterung an die russische Grenze und der 2008 noch abgelehnte US-Vorschlag, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, hätten ihn überzeugt, dass die neue US-gestützte Regierung in Kiew alles in der Ukraine in Besitz nehme, einschließlich der „historischen russischen Provinz Krim mit der wichtigsten Marinebasis“, worauf im März „Putin die Krim annektierte“. Ebenso vorhersehbar gewesen seien die Kreml-Reaktionen auf die Entwicklungen in Folge der Kiewer Antwort auf die ostukrainische Rebellion gegen den Staatsstreich vom Februar, die innerhalb von Wochen zu einem Bürgerkrieg mit bedrohlichem internationalen Auswirkungen führte.
Die beiden Autoren erinnerten daran, dass Putin und der russische Außenminister Sergej Lawrow seit April wiederholt einen Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen Kiew und den Aufständischen forderten. Kiew habe dagegen, von der Obama-Regierung unterstützt, eine für Verhandlungen ausreichend lange Feuerpause verweigert und stattdessen den Krieg gegen die eigenen Bürger intensiviert. Das Weiße Haus habe laut der New York Times eine weitere Eskalation erwogen, mit mehr schlimmen Folgen. Aus historischen, nationalen und geopolitischen Gründen sei es unwahrscheinlich, so vanden Heuvel und Cohen, dass Putin oder jede andere erdenkliche Kreml-Chef zulasse, dass die Ostukraine an Kiew falle, damit nach Moskauer Vorstellungen an Washington und die NATO. Eine mögliche Unterstützung für die Aufständischen in der Ostukraine durch schwere Waffen aus Russland könnte für Putin die einzige Alternative zu einer direkten militärischen Intervention sein, da Moskaus diplomatische Angebote abgelehnt werden. Letzteres könne auf den Einsatz russischer Kampfflugzeuge zum Schutz der Ostukraine vor Kiews Boden- und Luftangriffen sein, oder auch nicht, so die Autoren. Sie warnen davor, dass ein voller Krieg in Gang komme, wenn sich die Falken auf beiden Seiten durchsetzen. Für informierte Beobachter sei der Weg klar: Eine sofortige Waffenruhe durch Kiew müsse Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine einleiten, deren allgemeine Konturen allen Beteiligten an dieser verhängnisvollen Krise bekannt sein müssten.
• Stephen Cohen warnte mit einem weiteren, am 12.8.14 auf der Website der Zeitschrift The Nation veröffentlichten Beitrag davor, dass die US-amerikanischen Trugschlüsse in einen Krieg mit Russland führen könnten. Es handele sich um die „schlimmste und potenziell gefährlichste amerikanisch-russische Konfrontation in vielen Jahrzehnten, wahrscheinlich seit der Kuba-Krise von 1962“. Der ukrainische Bürgerkrieg, ausgelöst durch den „rechtswidrigen Regierungswechsel in Kiew im Februar“, wachse aus in einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland. „Das scheinbar Undenkbare wird vorstellbar: Ein tatsächlicher Krieg zwischen der NATO, geführt von der USA, und dem postsowjetischen Russland.“ Der gegenwärtige neue „Kalte Krieg“ sei potenziell gefährlicher als sein Vorgänger, so Cohen. Der US-Politikwissenschaftler machte auf mehrere Gründe dafür aufmerksam: Das neue „Epizentrum“ sei nicht mehr wie Berlin weit von Moskau entfernt, sondern in unmittelbarer Nähe Russlands, was mögliche Fehleinschätzungen, Pannen und Provokationen noch gefährlicher mache. Noch gravierender sei das Risiko eines möglichen Atomwaffeneinsatzes. Moskauer Militärstrategen hätten darauf aufmerksam gemacht, dass Russland seine taktischen Atomwaffen einsetzen könne, wenn es sich von einer überlegenen konventionellen NATO-Streitmacht bedroht sehe. „Die anhaltende US-NATO-Einkreisung Russlands mit Basen, ebenso durch die land-und seegestützte Raketenabwehr, erhöht nur diese Möglichkeit.“ Außerdem fehlten anders als beim ersten „Kalten Krieg“ gegenseitige Regeln der Zurückhaltung, wie sie durch die Kuba-Krise 1962 entwickelt worden seien. Cohen warnte vor den „Ressentiments, Vorurteilen und Fehlinformationen sowohl in Washington und Moskau“, die solche gegenseitigen Beschränkungen erschwerten. Dazu gehöre die Dämonisierung Putins in einer Weise wie nicht mehr seit Stalins Tod. Zudem gebe es anders als beim Vorgänger bei diesem „Kalten Krieg“ keine wirksame Opposition in den USA – „nicht in der Regierung, dem Kongress, den etablierten Medien, den Universitäten, den Think Tanks oder in der Gesellschaft“. Heute seien die Befürworter einer Entspannung anders als in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts keine „erhebliche Minderheit mit Verbündeten in hohen Positionen, auch im Kongress und im State Department“. Das gehe soweit, dass selbst er als „nützlicher Idiot“ und „Freund Putins“ und noch heftiger angegriffen und diffamiert werde. Diese neuen „Kalten Krieger“ verstünden nicht, „dass die aktuelle US-Politik katastrophale Folgen für die internationale und amerikanische Sicherheit haben kann“. „Die Gefahren und Kosten des anderen längeren kalten Krieges werden unsere Kinder und Enkelkinder plagen.“ Diese rücksichtslose Politik, samt der „unerbittlichen Dämonisierung von Putin“ habe Washington bereits „einen wichtigen Partner im Kreml in lebenswichtigen Bereichen der US-Sicherheit gekostet – von Iran, Syrien und Afghanistan bis zu den Bemühungen, die Verbreitung von Atomwaffen und den internationalen Terrorismus zu bekämpfen“.
Der neue „Kalte Krieg“ beruhe „fast ausschließlich auf trügerischen Meinungen“, stellte Cohen in seinem Beitrag fest und stellte dem die Fakten gegenüber. Dazu gehöre der Trugschluss, dass Washington Russland nur helfen und unterstützen wolle, ein demokratisches und starkes Mitglied des westlichen Systems der internationalen Sicherheit zu werden, was Moskau und besonders Putin aber ablehnten. Dagegen sei Fakt, dass seit den 1990er Jahren „jeder amerikanische Präsident und Kongress das post-sowjetische Russland als besiegte Nation mit minderwertigen legitimen Rechte im In- und Ausland behandelt“ habe. Dieser „triumphierende, winner-take-all-Ansatz“ habe u.a. zur Ausdehnung der NATO und in Russlands traditionelle Bereiche der nationalen Sicherheit eingegriffen. Dazu habe frühzeitig die Ukraine gehört. Ein einflussreicher Kolumnist der Washington Post habe im Jahr 2004 erklärt: "Der Westen will den mit dem Fall der Berliner Mauer begonnenen Job beenden und setzt Europas Marsch nach Osten fort. ... Der große Preis ist die Ukraine." Der nächste Trugschluss sei, dass die Ukraine als Nation und ein „ukrainisches Volk“ existierten, die dem jahrhundertelangen russischen Einfluss entkommen wollten und sich nach dem Westen sehnten. Dem stellte Cohen entgegen: „Wie jeder informierte Mensch weiß, ist die Ukraine ein lange geteiltes Land, durch ethnische, sprachliche, religiöse, kulturelle, wirtschaftliche und politische Unterschiede geteilt – insbesondere seine westlichen und östlichen Regionen, aber nicht nur.“ Die Ukraine sei 2013 bei Beginn der Krise nicht ein einziges Volk oder eine einheitliche Nation gewesen. Einige dieser Trennlinien seit Jahrhunderten seien seit 1991 durch die korrupte Elite vertieft worden. Als weiteren Trugschluss benannte der Autor die Behauptung, die EU habe im November 2013, unterstützt von Washington, Janukowitsch eine Assoziation mit Europas Demokratie und Wohlstand angeboten. Janukowitsch sei bereit dafür gewesen, aber Putin habe ihn eingeschüchtert und bestochen, was zu den Maidan-Protesten und allen weiteren Folgen geführt habe. Dem widersprach Cohen damit, dass der EU-Vorschlag eine „rücksichtslose Provokation“ gewesen sei, die den demokratisch gewählten Präsidenten eines tief gespaltenen Landes zwang, zwischen Russland und der EU zu wählen. Das gelte auch dafür, dass die EU Putins Gegenvorschlag für einen russisch-europäisch-amerikanischen Plan für die Rettung der Ukraine vorm Finanzkollaps ablehnte. Das EU-Angebot sei allein nicht wirtschaftlich umsetzbar. Nur geringe Finanzhilfe anbietend, fordere es von der Ukraine harte Sparmaßnahmen und starke Einschnitte in die langjährigen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland. Ebenso wenig sei es „gutartig“, denn es binde die Ukraine an Europas Militär- und Sicherheits-Politik, „was im Endeffekt die Allianz, die NATO meint, ohne diese zu nennen“. „Kurz gesagt, es war nicht Putins angebliche ‚Aggression‘, die heutige Krise auslöste, sondern eine Art Aggression mit Samthandschuhen durch Brüssel und Washington, um die gesamte Ukraine in den Westen, einschließlich (im Kleingedruckten) in die NATO, zu bringen.“
Cohen wandte sich auch gegen den Trugschluss, dass der sich ausweitende Bürgerkrieg durch Putins aggressive Reaktion auf die friedlichen Maidan-Proteste gegen Janukowitschs Nein ausgelöst wurde. Fakt sei dagegen, dass im Februar 2014 die radikalisierten Maidan-Proteste stark von extrem nationalistischen und semi-faschistischen Straßenkampftruppen beeinflusst und gewalttätiger wurden. Diese hätte die Hoffnung auf eine friedliche Lösung, vermittelt durch europäische Außenminister, hinweggefegt. „Europa und Washington haben ihre eigene diplomatische Übereinkunft nicht verteidigt.“ Janukowitsch sei nach Russland geflohen, Minderheitsparteien, auf dem Maidan präsent und westlich orientiert, darunter die „Svoboda“, bildeten eine neue Regierung und erklärten die Verfassung für ungültig. Washington und Brüssel begrüßten den Staatsstreich und unterstützten was danach kam. „Alles was folgte, von Russlands Annexion der Krim und der Ausbreitung der Rebellion im Südosten der Ukraine bis zum Bürgerkrieg und Kiews ‚Anti-Terror-Operation‘ wurde von dem Februar-Putsch ausgelöst. Putins Aktionen waren meist reagierend.“ Der nächste Trugschluss sei, dass für einen Ausweg aus der Krise Putin seine „Aggression“ beenden und seine „Agenten“ aus der südöstlichen Ukraine zurückrufen müsse. Fakt sei stattdessen, dass die Ursachen der Krise in den inneren Spaltungen der Ukraine liegen, nicht in erster Linie in Putins Aktionen. Die „anti-terroristische“ Militärkampagne Kiews gegen seine eigenen Bürger habe die Krise seit Mai zuallererst eskalieren lassen. Putin beeinflusse und unterstütze ohne Zweifel die Aufständischen. Angesichts des Drucks auf ihn in Moskau werde er das wahrscheinlich auch weiterhin tun, vielleicht sogar mehr, „aber er hat keine Kontrolle über sie“, so Cohen. „Wenn Kiews Angriff endet, kann Putin wahrscheinlich die Rebellen zwingen, zu verhandeln. Aber nur die Obama-Regierung kann Kiew zum Stopp zwingen, und sie hat das nicht getan.“
20 Jahre US-Politik hätten zu dieser „schicksalhaften amerikanisch-russischen Konfrontation“ geführt, stellte Cohen fest. Es gebe in der Politik und in der Geschichte immer Alternativen. Eine sei die des ausgeweiteten Krieges, in den russische und Militärkräfte der NATO einbezogen werden, eine andere die der in zwei Staaten geteilten Ukraine. Die beste wäre aber eine weiterhin einheitliche Ukraine auf Grundlage von Verhandlungen zwischen Vertretern aller Regionen, einschließlich des rebellischen Südostens, und unter Schirmherrschaft Washingtons, Moskaus und der EU, wie sie von Russland seit Monaten vorgeschlagen wurden. „Aber solche Verhandlungen können selbst nicht beginnen bis Kiew militärischer Angriff auf den Osten der Ukraine endet. Russland, Deutschland und Frankreich haben wiederholt zu einem Waffenstillstand aufgerufen, aber die ‚Anti-Terror-Operation‘ kann am Ende nur dort enden, wo sie begann – in Kiew und Washington.“ Cohen schrieb auch von der Hoffnung, dass am Ende eine Minderheit, die derzeit als „Ketzer“ angesehen werde, doch etwas bewirken und zu etwas Neuem führen könne:
Im Zusammenhang mit den Beiträgen in The Nation sei noch einmal auf jenen von John J. Mearsheimer zum Thema in der US-Zeitschrift Foreign Affairs, Ausgabe Sepember/Oktober 2014, hingewiesen, auf den bereits der Blogger Mopperkopp am 26.8.14 auf freitag.de aufmerksam machte. Die Zeitschrift Internationale Politik und Gesellschaft der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung hat ihn inzwischen auf ihrer Website in einer deutschen Übersetzung veröffentlicht. Auf solche Stimmen aus den USA und andere ähnliche aufmerksam zu machen erscheint anhaltend notwendig, gerade angesichts der nicht veränderten westlichen Politik in der Ukraine und gegenüber Russland, samt aller begleitenden medialen und politischen Meinungsmache, die leider weiter wirkt.
Weltwoche-Autor Wolfgang Koydl findet die selten gestellte Frage interessanter, „wie aus der schlechtausgebildeten und -bewaffneten ukrainischen Tölpeltruppe so schnell eine schlagkräftige Profi-Armee werden konnte“. Die Antwort sei ganz einfach: „Die Amerikaner lassen ihre neuen Freunde nicht im Stich.“ Die New York Times habe zuvor angedeutet, dass Kiew vom US-Kriegsministerium Pentagon taktische Daten über die Positionen der Aufständischen erhalten könne. „Eine enge Zusammenarbeit der Geheimdienste Washingtons und Kiews ist spätestens seit der Kiew-Reise von CIA-Chef John Brennan im April ein offenes Geheimnis. Auch diese Visite hatte, so wie der ebenfalls von den USA angeordnete Kurztrip Rasmussens, nur ein Ziel: Moskau in die Schranken zu weisen.“ Koydl machte auf ein im Westen weitgehend verschwiegenes Beispiel für die traditionsreiche US-amerikanische „handfeste militärische Unterstützung für Moskaus Gegner“ aufmerksam: „Auf dem Höhepunkt des russisch-georgischen Krieges flog die amerikanische Luftwaffe im August 2008 im Irak stationierte georgische Truppen nach Tiflis, damit sie rascher nach Südossetien und Abchasien an die Front verlegt werden konnten.“ In Moskau sei dieser Affront „bis heute nicht vergessen“.
Koydl erinnerte auch an die militärischen Aspekte des EU-Assoziierungsabkommens: „Das kann sich nur gegen Russland richten.“ Poroschenko brauche zudem den Krieg dringender als Putin, um die katastrophale Lage der Ukraine zu vertuschen. Und: Eine militärische Niederlage der Aufständischen in der Ostukraine diene den Interessen des Westens, „weil dieser eigentlich weiss, dass Sanktionen Russland nicht in die Knie zwingen werden“. „USA streben Machtwechsel in Moskau an“, so eine Zwischenüberschrift des Beitrages. In Russland sei klar, dass es dem Westen „gar nicht mehr in erster Linie um die Ukraine geht“. Stattdessen sei Washingtons „unverhülltes“ Ziel der Reigmechange in Moskau. „Als Minimalziel soll Putin so weit geschwächt werden, dass er unfähig ist, aussenpolitisch zu agieren – ein zweiter Boris Jelzin also, nur diesmal nüchtern und nicht ständig betrunken.“ Auch Russlands führende Stellung auf dem Welt-Gas-Markt habe die „Fracking-Nation Amerika“ im Visier, stellte Koydl fest. Die EU-Staaten könnten „mittlerweile noch nicht einmal mehr zwischen der Ukraine und Russland vermitteln.“ Denn: „Sie sind Partei, weil sie sich von Anfang an auf die Seite der Ukraine geschlagen haben.“ Vorschläge und Pläne aus Berlin, Paris oder Brüssel für eine friedliche und politische Lösung des Ukraine-Konfliktes durch Verhandlungen seien nicht zu vernehmen gewesen. Dagegen seien die letzten Kompromissangebote aus Moskau gekommen, „ein Minderheitenstatut, grössere Autonomie für die einzelnen Regionen – alles vernünftig, alles logisch“. Doch das habe der Westen nicht einmal abgelehnt, sondern einfach ignoriert.
Anmerkung von mir: Das war vor etwa zwei Wochen zu lesen.
USA riskieren Krieg mit Russland
• Warum riskiert Washington einen Krieg mit Russland? Das fragten die Journalistin Katrina vanden Heuvel und der Politikwissenschaftler Stephen F. Cohen in der August-Ausgabe der US-amerikanischen Zeitschrift The Nation. Es sei nicht nur ein neuer „Kalter Krieg“ im Gange, sondern der Krieg in der Ostukraine drohe sich zu einem zwischen der US-geführten NATO und Russland auszuweiten. Der Abschuss des malaysischen Verkehrsflugzeuges mit der Flugnummer MH17 über der Ostukraine am 17. Juli 2014 hätte eigentlich für die „US-gestützte Regierung in Kiew“ Grund sein müssen, im Gedenken an die 298 Opfer einen Waffenstillstand auszurufen und Friedensgespräche zu beginnen. Doch stattdessen habe Kiew, unterstützt von Washington, seine Angriffe auf die von den Aufständischen gehaltenen Gebiete intensiviert, um sie von „prorussischen 'Terroristen'“ zu „befreien“.
Vanden Heuvel und Cohen schrieben: „Fakt ist, dass Kiew seit Monaten Washingtons militärischer Stellvertreter gegen Russland und dessen ‚Landsleute‘ in der östlichen Ukraine war.“ Seit Beginn der politischen Krise in der Ukraine seien US-Außenminister Jon Kerry, CIA-Direktor John Brennan und US-Vizepräsident Joseph Biden in Kiew gewesen, gefolgt von hochrangigen Pentagon-Beamten, US-Militärausrüstung und Finanzhilfe. Ein hochrangiger Beamter des US-Kriegsministeriums habe den US-Senat offiziell informiert, dass Berater aus den USA in das ukrainische Kriegsministerium „eingebettet“ wurden. Kiew würde den Krieg gegen seine eigenen Bürger in der Ostukraine ohne die politische, wirtschaftliche und militärische Unterstützung durch die Obama-Administration nicht führen können, so die beiden Autoren. Die Ukraine sei bankrott, ihre industrielle Infrastruktur beschädigt und das Land in einem politischen Durcheinander, sich ultranationalistischer Milizen bedienend und Männer bis 60 Jahren einberufend. Das alles werde von den irreführenden Behauptungen aus Washington und der Mainstreammedien begleitet, dass die Ursache für die Krise der Ukraine die „Aggression“ des russischen Präsidenten Wladimir Putin sei. „In Wirklichkeit war dessen Rolle größtenteils eine Reaktion.“ Die Autoren erinnerten daran, dass die EU, unterstützt vom Weißen Haus, im November 2013 die Krise auslösten, indem sie Putins Angebot eines gemeinsamen Finanzplanes von EU, Russland und der USA ablehnten und stattdessen den gewählten Präsidenten der Ukraine Wiktor Janukowitsch vor die unnötige und provokative Wahl einer „Partnerschaft mit Europa oder mit Russland" stellten. Das war verbunden mit harten finanziellen Bedingungen und militärischen und Sicherheits-Verpflichtungen. „Nicht überraschend“ habe sich Janukowitsch für das „wesentlich günstigere finanzielle Angebot von Putin“ entschieden. Die Straßenproteste gegen Janukowitschs Entscheidung seien so gewalttätig geworden, dass europäische Außenminister einen von Putin stillschweigend unterstützten Kompromiss vermittelten. Doch dieser sie durch die Gewalt auf den Straßen hinweggefegt worden, Janukowitsch floh und eine neue Regierung wurde gebildet. „Das Weiße Haus unterstützte eilig den Staatstreich.“ Putins Reaktion sei absehbar gewesen, stellten vanden Heuvel und Cohen in The Nation fest, „wenn in Washington irgendein professioneller Nachrichtendienst existierte“ (vielleicht meinten die Auoren mit "intelligence" auch einfach nur Intelligenz ...). Die jahrzehntelange NATO-Erweiterung an die russische Grenze und der 2008 noch abgelehnte US-Vorschlag, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, hätten ihn überzeugt, dass die neue US-gestützte Regierung in Kiew alles in der Ukraine in Besitz nehme, einschließlich der „historischen russischen Provinz Krim mit der wichtigsten Marinebasis“, worauf im März „Putin die Krim annektierte“. Ebenso vorhersehbar gewesen seien die Kreml-Reaktionen auf die Entwicklungen in Folge der Kiewer Antwort auf die ostukrainische Rebellion gegen den Staatsstreich vom Februar, die innerhalb von Wochen zu einem Bürgerkrieg mit bedrohlichem internationalen Auswirkungen führte.
Die beiden Autoren erinnerten daran, dass Putin und der russische Außenminister Sergej Lawrow seit April wiederholt einen Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen Kiew und den Aufständischen forderten. Kiew habe dagegen, von der Obama-Regierung unterstützt, eine für Verhandlungen ausreichend lange Feuerpause verweigert und stattdessen den Krieg gegen die eigenen Bürger intensiviert. Das Weiße Haus habe laut der New York Times eine weitere Eskalation erwogen, mit mehr schlimmen Folgen. Aus historischen, nationalen und geopolitischen Gründen sei es unwahrscheinlich, so vanden Heuvel und Cohen, dass Putin oder jede andere erdenkliche Kreml-Chef zulasse, dass die Ostukraine an Kiew falle, damit nach Moskauer Vorstellungen an Washington und die NATO. Eine mögliche Unterstützung für die Aufständischen in der Ostukraine durch schwere Waffen aus Russland könnte für Putin die einzige Alternative zu einer direkten militärischen Intervention sein, da Moskaus diplomatische Angebote abgelehnt werden. Letzteres könne auf den Einsatz russischer Kampfflugzeuge zum Schutz der Ostukraine vor Kiews Boden- und Luftangriffen sein, oder auch nicht, so die Autoren. Sie warnen davor, dass ein voller Krieg in Gang komme, wenn sich die Falken auf beiden Seiten durchsetzen. Für informierte Beobachter sei der Weg klar: Eine sofortige Waffenruhe durch Kiew müsse Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine einleiten, deren allgemeine Konturen allen Beteiligten an dieser verhängnisvollen Krise bekannt sein müssten.
Den Krieg muss beenden, wer ihn begann
• Stephen Cohen warnte mit einem weiteren, am 12.8.14 auf der Website der Zeitschrift The Nation veröffentlichten Beitrag davor, dass die US-amerikanischen Trugschlüsse in einen Krieg mit Russland führen könnten. Es handele sich um die „schlimmste und potenziell gefährlichste amerikanisch-russische Konfrontation in vielen Jahrzehnten, wahrscheinlich seit der Kuba-Krise von 1962“. Der ukrainische Bürgerkrieg, ausgelöst durch den „rechtswidrigen Regierungswechsel in Kiew im Februar“, wachse aus in einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland. „Das scheinbar Undenkbare wird vorstellbar: Ein tatsächlicher Krieg zwischen der NATO, geführt von der USA, und dem postsowjetischen Russland.“ Der gegenwärtige neue „Kalte Krieg“ sei potenziell gefährlicher als sein Vorgänger, so Cohen. Der US-Politikwissenschaftler machte auf mehrere Gründe dafür aufmerksam: Das neue „Epizentrum“ sei nicht mehr wie Berlin weit von Moskau entfernt, sondern in unmittelbarer Nähe Russlands, was mögliche Fehleinschätzungen, Pannen und Provokationen noch gefährlicher mache. Noch gravierender sei das Risiko eines möglichen Atomwaffeneinsatzes. Moskauer Militärstrategen hätten darauf aufmerksam gemacht, dass Russland seine taktischen Atomwaffen einsetzen könne, wenn es sich von einer überlegenen konventionellen NATO-Streitmacht bedroht sehe. „Die anhaltende US-NATO-Einkreisung Russlands mit Basen, ebenso durch die land-und seegestützte Raketenabwehr, erhöht nur diese Möglichkeit.“ Außerdem fehlten anders als beim ersten „Kalten Krieg“ gegenseitige Regeln der Zurückhaltung, wie sie durch die Kuba-Krise 1962 entwickelt worden seien. Cohen warnte vor den „Ressentiments, Vorurteilen und Fehlinformationen sowohl in Washington und Moskau“, die solche gegenseitigen Beschränkungen erschwerten. Dazu gehöre die Dämonisierung Putins in einer Weise wie nicht mehr seit Stalins Tod. Zudem gebe es anders als beim Vorgänger bei diesem „Kalten Krieg“ keine wirksame Opposition in den USA – „nicht in der Regierung, dem Kongress, den etablierten Medien, den Universitäten, den Think Tanks oder in der Gesellschaft“. Heute seien die Befürworter einer Entspannung anders als in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts keine „erhebliche Minderheit mit Verbündeten in hohen Positionen, auch im Kongress und im State Department“. Das gehe soweit, dass selbst er als „nützlicher Idiot“ und „Freund Putins“ und noch heftiger angegriffen und diffamiert werde. Diese neuen „Kalten Krieger“ verstünden nicht, „dass die aktuelle US-Politik katastrophale Folgen für die internationale und amerikanische Sicherheit haben kann“. „Die Gefahren und Kosten des anderen längeren kalten Krieges werden unsere Kinder und Enkelkinder plagen.“ Diese rücksichtslose Politik, samt der „unerbittlichen Dämonisierung von Putin“ habe Washington bereits „einen wichtigen Partner im Kreml in lebenswichtigen Bereichen der US-Sicherheit gekostet – von Iran, Syrien und Afghanistan bis zu den Bemühungen, die Verbreitung von Atomwaffen und den internationalen Terrorismus zu bekämpfen“.
Der neue „Kalte Krieg“ beruhe „fast ausschließlich auf trügerischen Meinungen“, stellte Cohen in seinem Beitrag fest und stellte dem die Fakten gegenüber. Dazu gehöre der Trugschluss, dass Washington Russland nur helfen und unterstützen wolle, ein demokratisches und starkes Mitglied des westlichen Systems der internationalen Sicherheit zu werden, was Moskau und besonders Putin aber ablehnten. Dagegen sei Fakt, dass seit den 1990er Jahren „jeder amerikanische Präsident und Kongress das post-sowjetische Russland als besiegte Nation mit minderwertigen legitimen Rechte im In- und Ausland behandelt“ habe. Dieser „triumphierende, winner-take-all-Ansatz“ habe u.a. zur Ausdehnung der NATO und in Russlands traditionelle Bereiche der nationalen Sicherheit eingegriffen. Dazu habe frühzeitig die Ukraine gehört. Ein einflussreicher Kolumnist der Washington Post habe im Jahr 2004 erklärt: "Der Westen will den mit dem Fall der Berliner Mauer begonnenen Job beenden und setzt Europas Marsch nach Osten fort. ... Der große Preis ist die Ukraine." Der nächste Trugschluss sei, dass die Ukraine als Nation und ein „ukrainisches Volk“ existierten, die dem jahrhundertelangen russischen Einfluss entkommen wollten und sich nach dem Westen sehnten. Dem stellte Cohen entgegen: „Wie jeder informierte Mensch weiß, ist die Ukraine ein lange geteiltes Land, durch ethnische, sprachliche, religiöse, kulturelle, wirtschaftliche und politische Unterschiede geteilt – insbesondere seine westlichen und östlichen Regionen, aber nicht nur.“ Die Ukraine sei 2013 bei Beginn der Krise nicht ein einziges Volk oder eine einheitliche Nation gewesen. Einige dieser Trennlinien seit Jahrhunderten seien seit 1991 durch die korrupte Elite vertieft worden. Als weiteren Trugschluss benannte der Autor die Behauptung, die EU habe im November 2013, unterstützt von Washington, Janukowitsch eine Assoziation mit Europas Demokratie und Wohlstand angeboten. Janukowitsch sei bereit dafür gewesen, aber Putin habe ihn eingeschüchtert und bestochen, was zu den Maidan-Protesten und allen weiteren Folgen geführt habe. Dem widersprach Cohen damit, dass der EU-Vorschlag eine „rücksichtslose Provokation“ gewesen sei, die den demokratisch gewählten Präsidenten eines tief gespaltenen Landes zwang, zwischen Russland und der EU zu wählen. Das gelte auch dafür, dass die EU Putins Gegenvorschlag für einen russisch-europäisch-amerikanischen Plan für die Rettung der Ukraine vorm Finanzkollaps ablehnte. Das EU-Angebot sei allein nicht wirtschaftlich umsetzbar. Nur geringe Finanzhilfe anbietend, fordere es von der Ukraine harte Sparmaßnahmen und starke Einschnitte in die langjährigen Wirtschaftsbeziehungen mit Russland. Ebenso wenig sei es „gutartig“, denn es binde die Ukraine an Europas Militär- und Sicherheits-Politik, „was im Endeffekt die Allianz, die NATO meint, ohne diese zu nennen“. „Kurz gesagt, es war nicht Putins angebliche ‚Aggression‘, die heutige Krise auslöste, sondern eine Art Aggression mit Samthandschuhen durch Brüssel und Washington, um die gesamte Ukraine in den Westen, einschließlich (im Kleingedruckten) in die NATO, zu bringen.“
Cohen wandte sich auch gegen den Trugschluss, dass der sich ausweitende Bürgerkrieg durch Putins aggressive Reaktion auf die friedlichen Maidan-Proteste gegen Janukowitschs Nein ausgelöst wurde. Fakt sei dagegen, dass im Februar 2014 die radikalisierten Maidan-Proteste stark von extrem nationalistischen und semi-faschistischen Straßenkampftruppen beeinflusst und gewalttätiger wurden. Diese hätte die Hoffnung auf eine friedliche Lösung, vermittelt durch europäische Außenminister, hinweggefegt. „Europa und Washington haben ihre eigene diplomatische Übereinkunft nicht verteidigt.“ Janukowitsch sei nach Russland geflohen, Minderheitsparteien, auf dem Maidan präsent und westlich orientiert, darunter die „Svoboda“, bildeten eine neue Regierung und erklärten die Verfassung für ungültig. Washington und Brüssel begrüßten den Staatsstreich und unterstützten was danach kam. „Alles was folgte, von Russlands Annexion der Krim und der Ausbreitung der Rebellion im Südosten der Ukraine bis zum Bürgerkrieg und Kiews ‚Anti-Terror-Operation‘ wurde von dem Februar-Putsch ausgelöst. Putins Aktionen waren meist reagierend.“ Der nächste Trugschluss sei, dass für einen Ausweg aus der Krise Putin seine „Aggression“ beenden und seine „Agenten“ aus der südöstlichen Ukraine zurückrufen müsse. Fakt sei stattdessen, dass die Ursachen der Krise in den inneren Spaltungen der Ukraine liegen, nicht in erster Linie in Putins Aktionen. Die „anti-terroristische“ Militärkampagne Kiews gegen seine eigenen Bürger habe die Krise seit Mai zuallererst eskalieren lassen. Putin beeinflusse und unterstütze ohne Zweifel die Aufständischen. Angesichts des Drucks auf ihn in Moskau werde er das wahrscheinlich auch weiterhin tun, vielleicht sogar mehr, „aber er hat keine Kontrolle über sie“, so Cohen. „Wenn Kiews Angriff endet, kann Putin wahrscheinlich die Rebellen zwingen, zu verhandeln. Aber nur die Obama-Regierung kann Kiew zum Stopp zwingen, und sie hat das nicht getan.“
20 Jahre US-Politik hätten zu dieser „schicksalhaften amerikanisch-russischen Konfrontation“ geführt, stellte Cohen fest. Es gebe in der Politik und in der Geschichte immer Alternativen. Eine sei die des ausgeweiteten Krieges, in den russische und Militärkräfte der NATO einbezogen werden, eine andere die der in zwei Staaten geteilten Ukraine. Die beste wäre aber eine weiterhin einheitliche Ukraine auf Grundlage von Verhandlungen zwischen Vertretern aller Regionen, einschließlich des rebellischen Südostens, und unter Schirmherrschaft Washingtons, Moskaus und der EU, wie sie von Russland seit Monaten vorgeschlagen wurden. „Aber solche Verhandlungen können selbst nicht beginnen bis Kiew militärischer Angriff auf den Osten der Ukraine endet. Russland, Deutschland und Frankreich haben wiederholt zu einem Waffenstillstand aufgerufen, aber die ‚Anti-Terror-Operation‘ kann am Ende nur dort enden, wo sie begann – in Kiew und Washington.“ Cohen schrieb auch von der Hoffnung, dass am Ende eine Minderheit, die derzeit als „Ketzer“ angesehen werde, doch etwas bewirken und zu etwas Neuem führen könne:
Im Zusammenhang mit den Beiträgen in The Nation sei noch einmal auf jenen von John J. Mearsheimer zum Thema in der US-Zeitschrift Foreign Affairs, Ausgabe Sepember/Oktober 2014, hingewiesen, auf den bereits der Blogger Mopperkopp am 26.8.14 auf freitag.de aufmerksam machte. Die Zeitschrift Internationale Politik und Gesellschaft der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung hat ihn inzwischen auf ihrer Website in einer deutschen Übersetzung veröffentlicht. Auf solche Stimmen aus den USA und andere ähnliche aufmerksam zu machen erscheint anhaltend notwendig, gerade angesichts der nicht veränderten westlichen Politik in der Ukraine und gegenüber Russland, samt aller begleitenden medialen und politischen Meinungsmache, die leider weiter wirkt.
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