„Wir erleben einen Auswurf an russophober Galle, Verwünschungen an die Adresse Rußlands, die Gehirne werden mit Haß gefüllt.“
So beschreibt Wladimir Miljutenko die ukrainische
Medienberichterstattung seit Ende Februar 2014. Er spart dabei nicht mit
Kritik an den russischen Medien, ebenso an den westlichen: „Der
Journalist hat aufgehört, ein objektiver Begleiter der Ereignisse zu
sein, er hat sich gleichsam in einen glühenden Propagandisten verwandelt
– und dies auf beiden Seiten der Konfliktparteien wie auch im Westen.
Die Diskussion verläuft ohne Gesprächspartner, ohne alternative
Meinungen, aufgebaut werden Feindbilder, abgezielt wird auf die
niedrigsten Instinkte der Massen.“ Es sei nicht einfach, „die
Feinheiten der Information und der Propaganda zu verstehen, um die Keime
der Wahrheit von den bemoosten Stereotypen des ‚Kalten Krieges‘ zu
trennen.“
Miljutenko ist gebürtiger Ukrainer und lebt und arbeitet als Publizist in Moskau. Er selbst bezeichnet sich als „Sohn der Ukraine und zugleich Bürger Rußlands“. Er schreibt u.a. für die deutsche Zeitschrift Wostok. In deren aktueller Frühjahrs-Ausgabe (Heft 1/2014) erschien Miljutenkos Text „Absurdes Theater. Die Ukraine aus Sicht eines Moskauer Ukrainers“. Seine Eindrücke vom Geschehen in dem Land, in dem er geboren wurde und aufwuchs, fasst Miljutenko in dem Aufschrei zusammen: „Ukraine, du bist verrückt geworden!“ „Auf deinem Maidan tragen die Menschen Masken und schwarze Jacken mit NS-Hakenkreuzen und dem Bandera-Dreizack, du hast den berauschenden Duft der Freiheit vergiftet.“ Die Forderungen nach Wandel seien ebenso legitim gewesen wie die Unzufriedenheit mit der korrupten Macht. Aber Solidarität und Freundschaft seien getauscht worden „gegen das Gift des Hasses, des Dissens, der nationalen Zwietracht, der Verleugnung der eigenen Geschichte und der Feindseligkeit gegenüber dem Nachbarn“, bedauert der Publizist. „Der reinigende Durchbruch hat … eine braune Farbe angenommen.“ Die „neue Elite“ der Ukraine habe „Bewußtseinstrübungen“. Diese zeigten sich u.a. in dem Aufruf von Dimitro Jarosch als Mitglied des neuen Sicherheitsrates, die Gaspipelines durch die Ukraine zu sprengen. In welchem Land gebe es so etwas, fragt Miljutenko. Das bezieht er auch auf die Vorstellung, „von Rußland nichts als verbrannte Erde zurückzulassen“, die Julia Timoschenko via Telefon von sich gab.
Der Publizist erinnert in seinem Text auch daran, dass die ukrainische Regierung auf die Folgen des Assoziierungsabkommens mit der EU für die Wirtschaft und die Menschen des Landes hingewiesen wurde. Zwar sei daraufhin das für die Ukraine unvorteilhafte Abkommen vorerst nicht unterzeichnet worden. Doch „die Herzen und Köpfe deiner Bürger“, schreibt Miljutenko an seine „liebe Heimat“, seien „schon so magnetisiert“ gewesen, dass sie nur noch „alles und zwar sofort“ wollten. Aber „der Traum von der europäischen Integration wurde ersetzt durch den Haß gegenüber denjenigen, die das dem Volk gegebene Wort nicht hielten.“ Der auslösende Funke für die Krise sei von der EU gekommen, die auf ihrer Version beharrte, „statt eine Lösung im trilateralen Format – Ukraine, Rußland, EU – zu suchen“.
Die fünf Milliarden Dollar aus den USA, die seit mehr als 20 Jahren in die Ukraine flossen, seien „Silberlinge“ gewesen, meint Miljutenko. Sie seien in die „heutigen Verführer“ des Landes investiert worden: „in Camps in Polen, dem Baltikum und in der Westukraine, wo Grünschnäbel ausgebildet wurden, um nationalistische Werte und Ideen mit Feuer und Schwert, Waffen und Ketten, Erpressungen und Drohungen durchzusetzen“. Sie seien „in die Ausbildung von Hundertschaften von Kämpfern, in den Informationskrieg gegen Rußland und in die wirtschaftliche Ausplünderung der noch vor historisch kurzer Zeit blühenden Ukraine“ gesteckt worden. Der Publizist beschreibt die aktuelle desolate wirtschaftliche und soziale Lage des Landes. Er erinnert auch an den Fakt, dass jährlich mehr als drei Millionen Ukrainer in Rußland arbeiten, „um ihren Familien das Überleben zu sichern“. Sie transferierten rund 30 Milliarden Dollar jährlich in ihre Heimat. „Vergleicht dies mit den Milliarden, die die EU Kiew nun versprochen hat“, fordert Miljutenko. Für ihn ist klar: „Die Herren aus Übersee führen ihren finsteren Plan aus – Kiew gegen Moskau aufzuhetzen.“ Dazu bedienten sie sich der Nachfolger von Stepan Bandera und anderer ukrainischer Nationalisten, ungeachtet von deren Verbrechen und Greueltaten im 20. Jahrhundert wie in Chatyn (Belorussland) und in Babi Jar. Dabei ignorierten sie auch, dass die profaschistischen Erben Banderas wie die in der Partei „Swoboda“ und im „Rechten Sektor“ u.a. die Taten der SS-Division „Galizien“ und der ukrainischen Kollaborateure im 2. Weltkrieg verherrlichten. Nun sitzen Vertreter der radikalen Nationalisten in wichtigen Ämtern der Sicherheitsbehörden des Landes, so Miljutenko. Auf ihre Initiative sei das Gesetz über das Verbot von Nazi-Propaganda in der Ukraine aufgehoben worden. Nur das antirussische Sprachengesetz hätten sie nicht durchsetzen können. In der Rada, dem Parlament der Ukraine, haben die „Swoboda“-Abgeordneten „alles getan, daß in der Regierung kein einziger Vertreter der östlichen und südöstlichen Gebiete sitzt“, erinnert der Publizist.
Doch all die Worte und Taten der ukrainischen Neofaschisten „im nationalistischen Gewand“ würden in London, Washington, Berlin und Brüssel nicht bemerkt, stellt Miljutenko fest. Dabei habe selbst das Europaparlament 2012 „Swoboda“ als fremdenfeindlich, antisemitisch und rassistisch verurteilt. Der Publizist aus Moskau schreibt angesichts der „Politiker aus dem Westen, die auf dem Maidan wie auf ihren Lehen spazierten“: „Selbst in einem Albtraum käme es mir nie in den Sinn, daß der russische Außenminister in der Masse irgendwelcher Demonstranten – sagen wir der nationalistischen Kräfte in Paris oder der Tea Party in den USA – herumspaziert, alle mit Tulaer Prjaniki (Lebkuchen) bewirtet und dazu aufruft, sich der legitimen Regierung zu widersetzen.“
In seinem Text beschreibt er, wie die „selbsternannte Macht in Kiew“ mit ihren Gegnern umgeht. Das erinnert an das, was der Regierung unter Janukowitsch vorgeworfen und unterstellt wurde. Zugleich: „Die radikalen Nationalisten mögen es nicht, wenn man sie und ihre Taten beim Namen nennt.“ Sie hätten u.a. Blogger aufgefordert, Begriffe wie Machtergreifung, Terroristen, Nazis, Nationalisten und ähnliche nicht zu verwenden. Stattdessen solle immer vom „Volk der Ukraine“ geschrieben werden. „Die Braunen wollen weiß und flauschig erscheinen“, so Miljutenko. Aus seiner Sicht, aber auch der vieler Menschen in Rußland, sei der Kiewer Maidan nicht nur ein „Symbol des Erhebens gegen die Macht“, sondern auch „für die Unnachgiebigkeit kriegführender Seiten, für Pogrome und endlose Konfrontation“. All das sei auch „Teil der bunten Revolutionen“ zuvor und des „arabischen Frühlings“.
Der Publizist weist auf etwas Interessantes hin: „Doch die heutigen Ereignisse begannen mit dem Kosovo.“ Die russische Führung habe damals die westlichen Partner gebeten, den kosovarischen Separatismus nicht zu unterstützen, „die Büchse der Pandora nicht zu öffnen“. Doch darauf sei nicht gehört worden. Zu den Folgen gehört für den Publizisten neben den Konflikten in Südossetien und Abchasien die Abtrennung der Krim. Und: „Der Krimer Antimaidan inspiriert die Russen und die Russischsprachigen in Charkiw, Donezk, Lugansk, Dnjepropetrowsk und Odessa.“ Die neuen Machthaber in Kiew würden die Forderungen aus dem Osten und Südosten des Landes nicht hören wollen und dem Westen erklären, daß diese ungesetzlich sind. „Legal ist nur, was auf Geheiß des ‚großen‘ Maidan getan wird, unabhängig davon, ob die Menschen an der Peripherie dem zustimmen oder nicht.“
Miljutenko widerspricht der Behauptung, in Kiew habe es im Februar dieses Jahres eine Revolution gegeben. Er verweist darauf, dass Theoretiker und Juristen sich bei der Antwort einig sind, was eine Revolution ist: „eine Veränderung des Systems, eine gewaltsame Veränderung der gegebenen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Bedingungen“. Doch während es in der Ukraine auf zentralen Plätzen von Kiew und großer Städte gab, hätten drumherum Menschen in Cafés und Restaurants gesessen. Die übergroße Mehrheit habe zu Hause höchstens die Fernsehnachrichten verfolgt und diskutiert sowie mit der einen oder anderen Seite sympathisiert. „Verdrehen wir nicht die Wahrheit“, schreibt der Publizist, „der Maidan erhob sich gegen eine, wenngleich schlechte, aber doch demokratische Macht.“
Auf zwei Aspekte macht der Autor aufmerksam: Zum einen verbiete die US-Gesetzgebung finanzielle Hilfe für ein Land, in dem eine demokratisch gewählte Regierung durch einen Putsch gestürzt wurde. „In Washington wurde allerdings entschieden, daß es keinen Umsturz gegeben hat“, so Miljutenko. Zum anderen müsse der heutige ukrainische Staat juristisch als neuer Staat betrachte werden, wenn es eine Revolution gegeben hätte. „Aber mit diesem hat Moskau keinerlei Verpflichtungen unterzeichnet.“ In Kiew habe es dagegen einen Staatsstreich gegeben. Ein solcher liege vor, „wenn eine Gruppe von Menschen unter Verletzung aller Normen und Bestimmungen der Verfassung und mit gewaltsamen Mitteln an die Macht kommt und den in landesweiten Wahlen gewählten Präsidenten – egal ob man ihn liebt oder haßt – stürzt“. Die neuen Machthaber in Kiew hätten nicht nur universelle Regeln und Gesetze für bedeutungslos erachtet. „Für sie waren die Punkte des Übereinkommens zur Lösung des Konflikts, unter dem die Unterschrift Janukowitschs, der Oppositionsführer sowie der Außenminister der Bundesrepublik, Frankreichs und Polens prangten, leere Worte.“ Während die darin enthaltenen Forderungen an die Maidan-Kräfte bis hin zur Entwaffnung von diesen ignoriert wurden, habe Janukowitsch seinen Part erfüllt.
Im Unterschied dazu seien bei der Rückkehr der Krim zu Rußland alle Formalitäten eingehalten worden, stellt der Publizist fest. Doch die Reaktionen des Westens darauf belegten dessen doppelte Standards und Doppelmoral: „In Kiew, wo ein Staatsstreich stattgefunden hat, ist alles erlaubt, auf der Halbinsel Krim, wo das Volk die Macht in seine Hände genommen hat, um die illegitime Macht in Kiew abzuwehren, ist alles verboten.“ Miljutenko zeichnet die Geschichte der Vorgänge um die Halbinsel nach, seit dem diese von Nikita Chrustschow 1954 entgegen der Verfassung der UdSSR und der russischen und ukrainischen Sowjetrepubliken an die Ukraine übergeben wurde. Interessanter Fakt dabei: „Als Stadt unterstand Sewastopol immer direkt dem Unionsstaat und Moskau, sie ist nie an Kiew übergeben worden. Die Stadt wurde faktisch eigenmächtig ‚ukrainisiert‘.“
Obwohl es auf dem Maidan auch gegen die Herrschaft der Oligarchen ging, erhielten diese von den neuen Machthabern Gouverneursposten. Darauf macht der Autor ebenfalls aufmerksam wie auch auf die Tatsache, dass diese Schwerreichen eigene Privatarmeen und Sicherheitsdienste unterhalten. In Dnjepropetrowsk wurde Igor Kolomoiski Gouverneur, laut Miljutenko 3,6 Milliarden Dollar reich, mit ukrainischem und israelischem Pass und Wohnsitz in der Schweiz. In Donezk wurde Sergej Taruta ins Amt eingesetzt, mit einem Vermögen von 597 Millionen Dollar. „Dem Milliardär Wadim Nowinski, auf dessen Konten 1,5 Milliarden Dollar liegen, versprachen sie die Krim.“ Doch aus letzterem wurde nichts. Bei der Rückkehr der Krim zu Rußland wurde von Kritikern immer wieder auf das sogenannte Budapester Memorandum von 1994 hingewiesen. Damit soll durch Rußland, die USA und Großbritannien die Souveränität der Ukraine nach Abzug der ehemals sowjetischen Atomwaffen garantiert worden sein. Doch laut Miljutenko wurde dieses Memorandum nie ratifiziert und erreichte nicht den Status eines international gültigen Rechtsdokuments. Daher sei es für die russische Führung auch nicht bindend gewesen, als es um die Krim ging. Auf die westliche Empörung darüber antwortet der Publizist: Es habe eine solche beim Zerfall der Sowjetunion, Jugoslawiens und der Tschechoslowakei nicht gegeben. Der Westen habe dagegen nicht nur die Trennung des Kosovo von Serbien unterstützt, sondern auch die des Südsudans vom Sudan, Eritreas von Äthiopien und Osttimors von Indonesien.
Miljutenko warnt: „Die radikalen Nationalisten fordern die Identität des großen slawischen Bruders heraus.“ Sie seien noch nicht allmächtig, „aber die Kämpfer mit der Pistole in der Hand beginnen, die Regeln der aufzustellen und der Macht ihre Forderungen zu diktieren. Sie füllten das Vakuum der staatlichen Macht.“ Diese Gesetzlosigkeit in der Ukraine führe zu Sorgen in Rußland: „Was in der Ukraine geschieht, besorgt die Völker der Russischen Föderation, denn das Explosionspotential des vor kurzem noch befreundeten Landes übersteigt das von Jugoslawien bei weitem.“ Der Preis dafür drohe höher zu sein als der für die Kuba-Krise und die Berliner Krise in den 1960er Jahren, befürchtet der Publizist aus Moskau. Rußland werde die von den westlichen Unterstützern der ukrainischen Extremisten angedrohte Isolation ebenso wie Sanktionen, Angriffe und Provokationen aushalten und parieren. Im Westen gebe es „nicht wenige, die ihren langgehegten Traum verwirklichen wollen – die Russen und die Ukrainer in einen bewaffneten Konflikt zu führen.“
Die russische Führung habe trotz aller Spannungen und ihrer Kritik an den neuen Machthabern in Kiew den Kontakt mit der Ukraine nicht abgebrochen. Nach dem 23. Februar seien selbst die Militärs beider Länder wie auch Minister und Wirtschaftsvertreter zu Gesprächen zusammengetroffen. Aber die Zeit, dass Rußland sich vorschreiben lasse, was es zu tun und lassen habe, sei vorbei, betont Miljutenko: „Es war früher einfach, den Kreml unter Druck zu setzen, heute ist dies schwieriger.“ Putin beeilte sich nicht, „die Uniform des Falken anzulegen“, sondern versuche, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Davon zeugten auch die Aktivitäten von Außenminister Sergej Lawrow, „offene Gespräche und Verhandlungen hinter verschlossenen Türen in Brüssel und Genf, Madrid und London“. „Denn Rußland hat ein starkes Alibi: Nicht Rußland hat angefangen, nicht Rußland hat die Ukraine in eine Situation des inneren Chaos und der Gewalt geführt.“ Eine Mehrheit der russischen Bürger unterstütze die Politik des Kremls bezüglich der Ukraine, so der Autor. Nur eine Minderheit empfinde so etwas wie Scham und trete gegen eine Politik der Stärke auf, wie u.a. Demonstrationen in Rußland zeigten. Und Putin wisse, „dass die Menschen an einen friedlichen Ausgang der Ereignisse ohne gefährliche Eskalationen und Blutvergießen glauben.“
Miljutenko ist gebürtiger Ukrainer und lebt und arbeitet als Publizist in Moskau. Er selbst bezeichnet sich als „Sohn der Ukraine und zugleich Bürger Rußlands“. Er schreibt u.a. für die deutsche Zeitschrift Wostok. In deren aktueller Frühjahrs-Ausgabe (Heft 1/2014) erschien Miljutenkos Text „Absurdes Theater. Die Ukraine aus Sicht eines Moskauer Ukrainers“. Seine Eindrücke vom Geschehen in dem Land, in dem er geboren wurde und aufwuchs, fasst Miljutenko in dem Aufschrei zusammen: „Ukraine, du bist verrückt geworden!“ „Auf deinem Maidan tragen die Menschen Masken und schwarze Jacken mit NS-Hakenkreuzen und dem Bandera-Dreizack, du hast den berauschenden Duft der Freiheit vergiftet.“ Die Forderungen nach Wandel seien ebenso legitim gewesen wie die Unzufriedenheit mit der korrupten Macht. Aber Solidarität und Freundschaft seien getauscht worden „gegen das Gift des Hasses, des Dissens, der nationalen Zwietracht, der Verleugnung der eigenen Geschichte und der Feindseligkeit gegenüber dem Nachbarn“, bedauert der Publizist. „Der reinigende Durchbruch hat … eine braune Farbe angenommen.“ Die „neue Elite“ der Ukraine habe „Bewußtseinstrübungen“. Diese zeigten sich u.a. in dem Aufruf von Dimitro Jarosch als Mitglied des neuen Sicherheitsrates, die Gaspipelines durch die Ukraine zu sprengen. In welchem Land gebe es so etwas, fragt Miljutenko. Das bezieht er auch auf die Vorstellung, „von Rußland nichts als verbrannte Erde zurückzulassen“, die Julia Timoschenko via Telefon von sich gab.
Der Publizist erinnert in seinem Text auch daran, dass die ukrainische Regierung auf die Folgen des Assoziierungsabkommens mit der EU für die Wirtschaft und die Menschen des Landes hingewiesen wurde. Zwar sei daraufhin das für die Ukraine unvorteilhafte Abkommen vorerst nicht unterzeichnet worden. Doch „die Herzen und Köpfe deiner Bürger“, schreibt Miljutenko an seine „liebe Heimat“, seien „schon so magnetisiert“ gewesen, dass sie nur noch „alles und zwar sofort“ wollten. Aber „der Traum von der europäischen Integration wurde ersetzt durch den Haß gegenüber denjenigen, die das dem Volk gegebene Wort nicht hielten.“ Der auslösende Funke für die Krise sei von der EU gekommen, die auf ihrer Version beharrte, „statt eine Lösung im trilateralen Format – Ukraine, Rußland, EU – zu suchen“.
Silberlinge für Verführer
Die fünf Milliarden Dollar aus den USA, die seit mehr als 20 Jahren in die Ukraine flossen, seien „Silberlinge“ gewesen, meint Miljutenko. Sie seien in die „heutigen Verführer“ des Landes investiert worden: „in Camps in Polen, dem Baltikum und in der Westukraine, wo Grünschnäbel ausgebildet wurden, um nationalistische Werte und Ideen mit Feuer und Schwert, Waffen und Ketten, Erpressungen und Drohungen durchzusetzen“. Sie seien „in die Ausbildung von Hundertschaften von Kämpfern, in den Informationskrieg gegen Rußland und in die wirtschaftliche Ausplünderung der noch vor historisch kurzer Zeit blühenden Ukraine“ gesteckt worden. Der Publizist beschreibt die aktuelle desolate wirtschaftliche und soziale Lage des Landes. Er erinnert auch an den Fakt, dass jährlich mehr als drei Millionen Ukrainer in Rußland arbeiten, „um ihren Familien das Überleben zu sichern“. Sie transferierten rund 30 Milliarden Dollar jährlich in ihre Heimat. „Vergleicht dies mit den Milliarden, die die EU Kiew nun versprochen hat“, fordert Miljutenko. Für ihn ist klar: „Die Herren aus Übersee führen ihren finsteren Plan aus – Kiew gegen Moskau aufzuhetzen.“ Dazu bedienten sie sich der Nachfolger von Stepan Bandera und anderer ukrainischer Nationalisten, ungeachtet von deren Verbrechen und Greueltaten im 20. Jahrhundert wie in Chatyn (Belorussland) und in Babi Jar. Dabei ignorierten sie auch, dass die profaschistischen Erben Banderas wie die in der Partei „Swoboda“ und im „Rechten Sektor“ u.a. die Taten der SS-Division „Galizien“ und der ukrainischen Kollaborateure im 2. Weltkrieg verherrlichten. Nun sitzen Vertreter der radikalen Nationalisten in wichtigen Ämtern der Sicherheitsbehörden des Landes, so Miljutenko. Auf ihre Initiative sei das Gesetz über das Verbot von Nazi-Propaganda in der Ukraine aufgehoben worden. Nur das antirussische Sprachengesetz hätten sie nicht durchsetzen können. In der Rada, dem Parlament der Ukraine, haben die „Swoboda“-Abgeordneten „alles getan, daß in der Regierung kein einziger Vertreter der östlichen und südöstlichen Gebiete sitzt“, erinnert der Publizist.
Doch all die Worte und Taten der ukrainischen Neofaschisten „im nationalistischen Gewand“ würden in London, Washington, Berlin und Brüssel nicht bemerkt, stellt Miljutenko fest. Dabei habe selbst das Europaparlament 2012 „Swoboda“ als fremdenfeindlich, antisemitisch und rassistisch verurteilt. Der Publizist aus Moskau schreibt angesichts der „Politiker aus dem Westen, die auf dem Maidan wie auf ihren Lehen spazierten“: „Selbst in einem Albtraum käme es mir nie in den Sinn, daß der russische Außenminister in der Masse irgendwelcher Demonstranten – sagen wir der nationalistischen Kräfte in Paris oder der Tea Party in den USA – herumspaziert, alle mit Tulaer Prjaniki (Lebkuchen) bewirtet und dazu aufruft, sich der legitimen Regierung zu widersetzen.“
In seinem Text beschreibt er, wie die „selbsternannte Macht in Kiew“ mit ihren Gegnern umgeht. Das erinnert an das, was der Regierung unter Janukowitsch vorgeworfen und unterstellt wurde. Zugleich: „Die radikalen Nationalisten mögen es nicht, wenn man sie und ihre Taten beim Namen nennt.“ Sie hätten u.a. Blogger aufgefordert, Begriffe wie Machtergreifung, Terroristen, Nazis, Nationalisten und ähnliche nicht zu verwenden. Stattdessen solle immer vom „Volk der Ukraine“ geschrieben werden. „Die Braunen wollen weiß und flauschig erscheinen“, so Miljutenko. Aus seiner Sicht, aber auch der vieler Menschen in Rußland, sei der Kiewer Maidan nicht nur ein „Symbol des Erhebens gegen die Macht“, sondern auch „für die Unnachgiebigkeit kriegführender Seiten, für Pogrome und endlose Konfrontation“. All das sei auch „Teil der bunten Revolutionen“ zuvor und des „arabischen Frühlings“.
Die Büchse der Pandora
Der Publizist weist auf etwas Interessantes hin: „Doch die heutigen Ereignisse begannen mit dem Kosovo.“ Die russische Führung habe damals die westlichen Partner gebeten, den kosovarischen Separatismus nicht zu unterstützen, „die Büchse der Pandora nicht zu öffnen“. Doch darauf sei nicht gehört worden. Zu den Folgen gehört für den Publizisten neben den Konflikten in Südossetien und Abchasien die Abtrennung der Krim. Und: „Der Krimer Antimaidan inspiriert die Russen und die Russischsprachigen in Charkiw, Donezk, Lugansk, Dnjepropetrowsk und Odessa.“ Die neuen Machthaber in Kiew würden die Forderungen aus dem Osten und Südosten des Landes nicht hören wollen und dem Westen erklären, daß diese ungesetzlich sind. „Legal ist nur, was auf Geheiß des ‚großen‘ Maidan getan wird, unabhängig davon, ob die Menschen an der Peripherie dem zustimmen oder nicht.“
Miljutenko widerspricht der Behauptung, in Kiew habe es im Februar dieses Jahres eine Revolution gegeben. Er verweist darauf, dass Theoretiker und Juristen sich bei der Antwort einig sind, was eine Revolution ist: „eine Veränderung des Systems, eine gewaltsame Veränderung der gegebenen politischen, wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Bedingungen“. Doch während es in der Ukraine auf zentralen Plätzen von Kiew und großer Städte gab, hätten drumherum Menschen in Cafés und Restaurants gesessen. Die übergroße Mehrheit habe zu Hause höchstens die Fernsehnachrichten verfolgt und diskutiert sowie mit der einen oder anderen Seite sympathisiert. „Verdrehen wir nicht die Wahrheit“, schreibt der Publizist, „der Maidan erhob sich gegen eine, wenngleich schlechte, aber doch demokratische Macht.“
Auf zwei Aspekte macht der Autor aufmerksam: Zum einen verbiete die US-Gesetzgebung finanzielle Hilfe für ein Land, in dem eine demokratisch gewählte Regierung durch einen Putsch gestürzt wurde. „In Washington wurde allerdings entschieden, daß es keinen Umsturz gegeben hat“, so Miljutenko. Zum anderen müsse der heutige ukrainische Staat juristisch als neuer Staat betrachte werden, wenn es eine Revolution gegeben hätte. „Aber mit diesem hat Moskau keinerlei Verpflichtungen unterzeichnet.“ In Kiew habe es dagegen einen Staatsstreich gegeben. Ein solcher liege vor, „wenn eine Gruppe von Menschen unter Verletzung aller Normen und Bestimmungen der Verfassung und mit gewaltsamen Mitteln an die Macht kommt und den in landesweiten Wahlen gewählten Präsidenten – egal ob man ihn liebt oder haßt – stürzt“. Die neuen Machthaber in Kiew hätten nicht nur universelle Regeln und Gesetze für bedeutungslos erachtet. „Für sie waren die Punkte des Übereinkommens zur Lösung des Konflikts, unter dem die Unterschrift Janukowitschs, der Oppositionsführer sowie der Außenminister der Bundesrepublik, Frankreichs und Polens prangten, leere Worte.“ Während die darin enthaltenen Forderungen an die Maidan-Kräfte bis hin zur Entwaffnung von diesen ignoriert wurden, habe Janukowitsch seinen Part erfüllt.
Gouverneursposten für Oligarchen
Im Unterschied dazu seien bei der Rückkehr der Krim zu Rußland alle Formalitäten eingehalten worden, stellt der Publizist fest. Doch die Reaktionen des Westens darauf belegten dessen doppelte Standards und Doppelmoral: „In Kiew, wo ein Staatsstreich stattgefunden hat, ist alles erlaubt, auf der Halbinsel Krim, wo das Volk die Macht in seine Hände genommen hat, um die illegitime Macht in Kiew abzuwehren, ist alles verboten.“ Miljutenko zeichnet die Geschichte der Vorgänge um die Halbinsel nach, seit dem diese von Nikita Chrustschow 1954 entgegen der Verfassung der UdSSR und der russischen und ukrainischen Sowjetrepubliken an die Ukraine übergeben wurde. Interessanter Fakt dabei: „Als Stadt unterstand Sewastopol immer direkt dem Unionsstaat und Moskau, sie ist nie an Kiew übergeben worden. Die Stadt wurde faktisch eigenmächtig ‚ukrainisiert‘.“
Obwohl es auf dem Maidan auch gegen die Herrschaft der Oligarchen ging, erhielten diese von den neuen Machthabern Gouverneursposten. Darauf macht der Autor ebenfalls aufmerksam wie auch auf die Tatsache, dass diese Schwerreichen eigene Privatarmeen und Sicherheitsdienste unterhalten. In Dnjepropetrowsk wurde Igor Kolomoiski Gouverneur, laut Miljutenko 3,6 Milliarden Dollar reich, mit ukrainischem und israelischem Pass und Wohnsitz in der Schweiz. In Donezk wurde Sergej Taruta ins Amt eingesetzt, mit einem Vermögen von 597 Millionen Dollar. „Dem Milliardär Wadim Nowinski, auf dessen Konten 1,5 Milliarden Dollar liegen, versprachen sie die Krim.“ Doch aus letzterem wurde nichts. Bei der Rückkehr der Krim zu Rußland wurde von Kritikern immer wieder auf das sogenannte Budapester Memorandum von 1994 hingewiesen. Damit soll durch Rußland, die USA und Großbritannien die Souveränität der Ukraine nach Abzug der ehemals sowjetischen Atomwaffen garantiert worden sein. Doch laut Miljutenko wurde dieses Memorandum nie ratifiziert und erreichte nicht den Status eines international gültigen Rechtsdokuments. Daher sei es für die russische Führung auch nicht bindend gewesen, als es um die Krim ging. Auf die westliche Empörung darüber antwortet der Publizist: Es habe eine solche beim Zerfall der Sowjetunion, Jugoslawiens und der Tschechoslowakei nicht gegeben. Der Westen habe dagegen nicht nur die Trennung des Kosovo von Serbien unterstützt, sondern auch die des Südsudans vom Sudan, Eritreas von Äthiopien und Osttimors von Indonesien.
Miljutenko warnt: „Die radikalen Nationalisten fordern die Identität des großen slawischen Bruders heraus.“ Sie seien noch nicht allmächtig, „aber die Kämpfer mit der Pistole in der Hand beginnen, die Regeln der aufzustellen und der Macht ihre Forderungen zu diktieren. Sie füllten das Vakuum der staatlichen Macht.“ Diese Gesetzlosigkeit in der Ukraine führe zu Sorgen in Rußland: „Was in der Ukraine geschieht, besorgt die Völker der Russischen Föderation, denn das Explosionspotential des vor kurzem noch befreundeten Landes übersteigt das von Jugoslawien bei weitem.“ Der Preis dafür drohe höher zu sein als der für die Kuba-Krise und die Berliner Krise in den 1960er Jahren, befürchtet der Publizist aus Moskau. Rußland werde die von den westlichen Unterstützern der ukrainischen Extremisten angedrohte Isolation ebenso wie Sanktionen, Angriffe und Provokationen aushalten und parieren. Im Westen gebe es „nicht wenige, die ihren langgehegten Traum verwirklichen wollen – die Russen und die Ukrainer in einen bewaffneten Konflikt zu führen.“
Die russische Führung habe trotz aller Spannungen und ihrer Kritik an den neuen Machthabern in Kiew den Kontakt mit der Ukraine nicht abgebrochen. Nach dem 23. Februar seien selbst die Militärs beider Länder wie auch Minister und Wirtschaftsvertreter zu Gesprächen zusammengetroffen. Aber die Zeit, dass Rußland sich vorschreiben lasse, was es zu tun und lassen habe, sei vorbei, betont Miljutenko: „Es war früher einfach, den Kreml unter Druck zu setzen, heute ist dies schwieriger.“ Putin beeilte sich nicht, „die Uniform des Falken anzulegen“, sondern versuche, einen Ausweg aus der Sackgasse zu finden. Davon zeugten auch die Aktivitäten von Außenminister Sergej Lawrow, „offene Gespräche und Verhandlungen hinter verschlossenen Türen in Brüssel und Genf, Madrid und London“. „Denn Rußland hat ein starkes Alibi: Nicht Rußland hat angefangen, nicht Rußland hat die Ukraine in eine Situation des inneren Chaos und der Gewalt geführt.“ Eine Mehrheit der russischen Bürger unterstütze die Politik des Kremls bezüglich der Ukraine, so der Autor. Nur eine Minderheit empfinde so etwas wie Scham und trete gegen eine Politik der Stärke auf, wie u.a. Demonstrationen in Rußland zeigten. Und Putin wisse, „dass die Menschen an einen friedlichen Ausgang der Ereignisse ohne gefährliche Eskalationen und Blutvergießen glauben.“
Ich habe den Beitrag von Wladimir Miljutenko ausführlich
wiedergegeben, weil solche Sichten kaum in deutschen Medien zu finden
sind und weil er leider nicht online zur Verfügung steht.
Die Zeitschrift Wostok erscheint vierteljährlich und bietet nach eigener Auskunft "Informationen aus dem Osten für den Westen". Sie ist in den 1990er Jahren aus der Zeitschrift Sowjetunion heute hervorgegangen. Ihre Website ist leider nicht aktuell.
Im aktuellen Heft 1/2014 sind neben Miljutenkos Text weitere Beiträge zum Thema zu finden:• Ein Gespräch mit dem ukrainischen Botschafter in der Bundesrepublik, Pavlo Klimkin
• "Ukraine: Über Barrikaden nach Europa" des Kiewer Journalisten Juri Lissowy
• "Der Informationskrieg – Ukraine, Rußland, Deutschland" von Tetjana Shportak
• Die Ansprache von Präsident Wladimir Putin zur Krim vor der Föderalen Versammlung am 18.3.14
• "Putins Konservatismus als Staatsideologie in Rußland" von Wladimir Miljutenko
Die Zeitschrift Wostok erscheint vierteljährlich und bietet nach eigener Auskunft "Informationen aus dem Osten für den Westen". Sie ist in den 1990er Jahren aus der Zeitschrift Sowjetunion heute hervorgegangen. Ihre Website ist leider nicht aktuell.
Im aktuellen Heft 1/2014 sind neben Miljutenkos Text weitere Beiträge zum Thema zu finden:• Ein Gespräch mit dem ukrainischen Botschafter in der Bundesrepublik, Pavlo Klimkin
• "Ukraine: Über Barrikaden nach Europa" des Kiewer Journalisten Juri Lissowy
• "Der Informationskrieg – Ukraine, Rußland, Deutschland" von Tetjana Shportak
• Die Ansprache von Präsident Wladimir Putin zur Krim vor der Föderalen Versammlung am 18.3.14
• "Putins Konservatismus als Staatsideologie in Rußland" von Wladimir Miljutenko
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