Gern und wiederholt wird behauptet, dass
die russische Führung die Ukraine-Krise angezettelt habe und den größten
Nutzen daraus ziehe. Dabei wird inzwischen übersehen, dass diese Krise
mit dem Nein des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zum
EU-Assoziierungsabkommen und den daraufhin einsetzenden Protesten in
Kiew begann. Alle weiteren Ereignisse sind Folgen dieses von außen
angeheizten Konfliktes und dem diesen zuspitzenden Staatsstreich in Kiew
am 23. Februar 2014. Diese Tatsachen gehen etwas unter in der aktuellen
Berichterstattung aus der Ukraine und den Kommentaren dazu, zumindest
nach meinem Eindruck.
Interessante Stimmen und Einschätzungen dazu kommen aus den USA, u.a. von jenen, die sich einstmals als Kalte Krieger betätigten. So bezeichnete der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger in einem CNN-Interview am 10. Mai 2014 es als wenig wahrscheinlich, dass ein Konflikt mit der Ukraine zu den Plänen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehörte. Kissinger wies daraufhin, dass für die Olympischen Spiele in Sotschi 60 Milliarden Dollar ausgegeben wurden. Damit sollte gezeigt werden, dass Russland ein normaler fortschrittlicher Staat ist. Es sei nicht möglich, „dass er (Putin) nur drei Tage später freiwillig einen Angriff auf die Ukraine ausführen würde“, so Kissinger „ohne Zweifel“. Er beantwortete die Frage von Interviewer Fareed Zakaria mit Ja, ob der russische Präsident nur auf die Ereignisse in der Ukraine reagierte, weil diese außer Kontrolle gerieten. „Ich denke, dass er die ganze Zeit die Ukraine in einer untergeordneten Position wünschte.“ Alle namhaften Russen, mit denen er gesprochen habe, einschließlich der Dissidenten Alexander Solschenizyn und Iossif Brodski, hätten „die Ukraine als einen Teil des russischen Erbes empfunden“, fügte er hinzu. „Aber ich glaube nicht, dass er geplant hat, es auf die Spitze zu treiben.“ Putin habe eher schrittweise vorgehen wollen und nur reagiert auf das, was aus seiner Sicht eine Notsituation bzw. ein Ernstfall ist. Kissinger kritisierte, dass seiner Meinung nach die Krim von Russland annektiert worden sei. Aber er sprach sich dafür aus, erst die Ukraine-Krise zu klären und dann über die Beziehungen zu Russland zu diskutieren. Die Nachrichtenagentur RIA Novosti erinnerte in ihrer Meldung vom 11. Mai 2014 zu dem Interview, dass Kissinger zuvor in einem Beitrag für die Washington Post davor gewarnt hatte, Putin zu dämonisieren. Das sei nur „ein Alibi für die Abwesenheit von Politik“. Allerdings machte Kissinger in dem Beitrag Putin dafür verantwortlich, einen neuen Kalten Krieg heraufzubeschwören.
Vor einem solchen warnten ehemalige Militärs, Geheimdienst- und Sicherheitsbeamte von CIA, NSA und FBI in einem Memorandum an US-Präsident Barack Obama am 28. April 2014. Die „Veteran Intelligence Professionals for Sanity“ (VIPS) waren an führender Stelle in der US-Administration für die Sowjetunion und die Russische Föderation zuständig. Sie forderten Obama zu einem Gipfel mit Putin auf, um die Lage diplomatisch zu entschärfen. Angesichts der „lebendigen Erinnerungen an den Kalten Krieg und den dadurch zugefügten Schaden für die Sicherheit der Welt“ warnten die Veteranen davor, dass der Konflikt um die Ukraine erneut zu einer bipolaren Welt führen könne, in der sich zwei schwerbewaffnete Supermächte gegenüberstehen. Sie zeigten sich besorgt über die zunehmende Stimmung in der US-Politik und den US-Medien, etwas gegen Russland unternehmen zu müssen. Das sein ein „schlecht beratenes Gefühl und das Gegenteil von dem, was diese Nation tun sollte, um eine konstruktive und schließlich vorteilhafte Beziehung zu Moskau und dem Rest von Europa zu fördern“. Um eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden, müssten die Interessen aller Länder, auch Russlands, beachtet werden, stellten die US-Veteranen klar. Die russische Politik gegenüber der Ukraine – „ein Land vor Moskaus Haustür und teilweise ethnisch russisch“ – bedrohe keine lebenswichtigen US-Interessen und ebensowenig US-Verbündete. Die US-Regierung müsse bei ihrer Reaktion Risiken gegenüber den Gewinnen abwägen, so die ehemaligen Kalten Krieger. „Sanktionen sollten sehr zurückhaltend eingesetzt werden, da ihre Wirksamkeit fraglich ist, und sie häufig nur bewirken, gegensätzliche Positionen verhärten. Deutliche militärische Bewegungen, ob einseitig oder in Verbindung mit der NATO, sollten vermieden werden, da sie als Provokation gesehen werden und zugleich keine Lösung für bestehende Meinungsverschiedenheiten bieten.“
Die Militär- und Geheimdienstveteranen „streiten für mehr, nicht weniger, diplomatisches Engagement“. Sie verwiesen auf ihre Erfahrungen „als Zeugen zu vieler verpasster Chancen in den letzten mehr als 50 Jahren, in denen die Vereinigten Staaten - zu unserem Bedauern - sich zu oft auf der falschen Seite der Geschichte befand“. Dazu zählten sie u.a. das Fiasko in der Scheinbucht 1961, ebenso die rücksichtslose Unterstützung von antikommunistischen Gruppen und Parteien in Europa durch die USA, die die jungen Demokratien geschwächt und Korruption befördert hätten, aber auch die abgelehnten Vorschläge von Michail Gorbatschow für eine weltweite vollständige nukleare Abrüstung. Die Veteranen kritisierten in ihrem Memorandum wie schon andere vor ihnen, dass nach dem Fall der Sowjetunion die USA und der Westen Vereinbarungen ignorierte, NATO und EU nicht auf das Gebiet des einstigen Warschauer Vertrages auszudehnen. „Die Vergewaltigung der russischen Wirtschaft in den 1990er Jahren, von westlichen "Unternehmer" in Zusammenarbeit mit lokalen Oligarchen durchgezogen, folgte. Es wurde als "Schocktherapie" zu der Zeit beschrieben, aber die meisten Russen sahen die Ereignisse genauer als Großplünderung, die das aktuelle Misstrauen gegenüber dem Westen anfüllte.“
Es sei kaum von Russland zu erwarten gewesen, schrieben die Veteranen an Obama, dass es den von Washington de facto geförderten und ausgeführten Regimewechsel in der Ukraine mit dem Sturz der gewählten Regierung ignoriert. Die fortgesetzten Bemühungen des Westens, die Ukraine in die NATO einzubeziehen, wären eine Garantie für die russische Feindseligkeit für viele kommende Jahre. Es handele sich für Moskau um existenzielle Angelegenheiten. Die Veteranen erinnerten dabei an die „Monroe-Doktrin“ der USA, die im „eigenen Hinterhof“ durchgesetzt wurde. Die aktuelle Situation müsse nicht außer Kontrolle geraten, stellten sie fest und verwiesen auf die russische Bereitschaft zusammenzuarbeiten am Beispiel der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen und in der Frage der iranischen Atomforschung. Das könnte die Kooperationen auch bei anderen gemeinsamen Interessen fördern.
Die Veteranen erinnerten den aktuellen US-Präsident daran, dass die Krim seit dem späten 18. Jahrundert zu Russland gehörte und die Übergabe an die Ukraine durch Nikita Chrustschow 1954 ohne Volksabstimmung erfolgte und „nicht mehr als ein formaler Akt“ in der zentral von Moskau geführten UdSSR gewesen sei. Erst mit deren Zusammenbruch 1991 sei die Krim an die Ukraine gegangen und die Krimbewohner waren plötzlich nicht mehr Bürger Russlands. Der russische Präsident Putin habe in seiner Rede am 18. März darauf hingewiesen, dass Russland die Situation 1991 „demütig akzeptiert“ habe und durch „harte Zeiten“ ging und realisieren musste, dass es seine eigenen Interessen nicht schützen konnte. Dazu sei es heute in der Lage, stellten die US-Veteranen fest. Es werde eine Einbeziehung der Ukraine in die NATO nicht akzeptieren. Sollte das fortgesetzt angestrebt werden, würde Europa nicht sicherer werden und die Gefahr eines Krieges steigen.
Die ehemaligen Militärs und Geheimdienstler empfahlen in ihrem Memorandum dem US-Präsidenten einen „wichtigen Schritt“: Er solle anregen, den einen Passus aus der Bukarester Deklaration der NATO vom 3. April 2008 zurückzunehmen. In diesem wurde begrüßt, dass die Ukraine und Georgien Mitglieder des Militärbündnisses werden wollen und ihnen zugesagt, dass sie als solche aufgenommen werden. Die Veteranen forderten, einen „kühlen Kopf“ zu bewahren. „Eine deutliche Zahl von militärischen Einheiten in die Nachbarländer der Ukraine zu senden bedeutet, Benzin auf bisher relativ isolierte und begrenzte Feuer zu gießen, besonders in der Ostukraine.“ Die "zerbrechliche" Übereinkunft von Genf vom 17. April 2014 ist aus ihrer Sicht weiterhin die Grundlage für Diskussionen der Staatsführer. Diese müsse Provokationen, „Machismo“ und Eskalationen verhindern, wie sie vor hundert Jahren zu dem Krieg führten, der das „Ende aller Kriege“ sein sollte. „Zwei Jahrzehnte später kam es zum Zweiten Weltkrieg“, erinnerten die US-Veteranen. Sie hatten schon im September 2013 in einem Appell vor einem Angriff auf Syrien gewarnt: "Assad war nicht verantwortlich für den Chemiewaffenvorfall".
Auch der ehemalige CIA-Chef und Kriegsminister, wie er sich selber nennt, Robert Gates gehört zu den Kritikern des aktuellen Konfrontationskures der US-Regierung gegenüber Russland. In seiner Anfang dieses Jahres erschienenen Biografie „Duty – Memoirs of a Secretary at War“ schreibe er, dass die Beziehungen zu Russland durch das Weiße Haus „schlecht gemanagt“ worden seine. Das berichtete Pierre Heumann in einem Beitrag über die „Späte Einsicht eines kalten Kriegers“ in der Schweizer Weltwoche vom 30. April 2014. Gate bezeichne es in dem Buch als „arrogant“, wie US-amerikanische Politiker, Akademiker und Geschäftsleute den Russen erklärten, wie sie ihre innen- und außenpolitischen Probleme zu lösen hätten. Der Westen habe das Ausmaß der russischen Erniedrigung nach dem Zerfall der Sowjetunion „krass unterschätzt“. Gates führe eine lange Liste US-amerikanischer Provokationen gegenüber Russland auf, darunter die schnelle Aufnahme ehemaliger Mitgliedsländer des „Warschauer Vertrages“ in die NATO. Auch die in Abkommen mit Rumänen und Bulgarien Zusage, in beiden Ländern jeweils 5ooo US-Soldaten zu stationieren, bezeichne der Ex-Kriegsminister als „eine unnötige Provokation“. Georgien und die Ukraine in die NATO aufnehmen zu wollen, sei „ganz klar eine Überreaktion“.
Gerade im Fall der Ukraine handele es sich um „eine spezielle monumentale Provokation“, schreibt Gates laut Weltwoche und erinnert daran, dass die Wurzeln Russlands auf Kiew im 9. Jahrhundert zurückgehen. Die NATO-Expansion sei ein „politischer Akt“ und ein „nicht sorgfältig durchdachtes militärisches Engagement“. Hinzu komme, ergänzte Weltwoche-Autor Heumann: „Als ob es Russland nicht gäbe, wurden seine Nachbarn zur Mitgliedschaft in der EU eingeladen. Auf die Empfindlichkeiten Russlands wird auch jetzt keine Rücksicht genommen.“ Und: Wenn sich der Westen – wie in der Ukraine – in Russlands unmittelbarer Nachbarschaft einmische, werde das in Moskau „gar als Planspiel für die nächste Revolution“ im eigenen Land gesehen. Gates äußere in seinem Buch Verständnis für Putin, der den Vertrag für konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) von 1990 als „Kolonialvertrag“ bezeichnete, der Russland aufgezwungen sei. Mit diesem wird die Souveränität Russlands, die eigenen Truppen im eigenen Land frei zu verschieben, eingeschränkt. Washington hätte eine analoge Begrenzung für die US-Truppen nicht akzeptiert, so Gates in seinem Buch, in dem er laut Heumann feststellt: „Wir haben die Interessen Russlands damals nicht ernst genommen.“
„Als die Sowjetunion Ende 1991 zusammenbrach, wollte [Verteidigungsminister Dick Cheney] nicht nur die Zerstückelung der Sowjetunion und des russischen Reiches, sondern von Russland selbst sehen, so dass es nie wieder eine Gefahr für den Rest der Welt sein kann." Auch das ist in Gates‘ Buch zu lesen, wie William Blum in seinem neuesten „Anti-Empire Report #128“ vom 9. Mai 2014 schrieb. Das sei ein frühes Zeichen für den neuen Kalten Krieg gewesen, „während die Leiche noch warm war“. Bald darauf habe die NATO begonnen, Russland mit Militärbasen, Raketenstellungen und NATO-Mitgliedern zu umgeben, dabei schmachtend nach dem wichtigsten Teil, um den Kreis zu schließen – der Ukraine. Blum war Mitarbeiter des US-Außenministeriums und überzeugter Antikommunist, bevor er zum Kriegsgegner wurde. Er ist Autor des Buches „Killing Hope“ über die weltweiten verdeckten und offenen Interventionen der USA seit 1940 (gerade in zweiter aktualisierter Auflage auf deutsch erschienen).
In seinem aktuellen „Anti-Empire Report“ erinnerte Blum daran, dass Victoria Nuland vom US-Außenministerium in ihrem abgehörten „Fuck the EU“-Telefonat mit dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, Arseni Jatzenjuk als Wunschkandidaten für den Posten des neuen Regierungschefs bezeichnete. Es sei „einer der bemerkenswertesten Zufälle“, dass nach dem Staatsstreich in Kiew Jatzenjuk der neue Regierungschef wurde. Sofort sei er mit dem US-Präsidenten und dem NATO-Generalsekretär zusammengetroffen, ebenso mit den „neuen Eigentümern der Ukraine“ von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF), die bereits ihre Standard-Schocktherapien für das Land vorbereiteten. Die jetzigen Demonstranten in der Ukraine müssten nicht Wirtschaft studiert haben, um zu wissen, was das bedeutet, stellte Blum klar. „Sie wissen um die Verarmung von Griechenland, Spanien, usw. Sie verachten das neue Regime auch für dessen Sturz der demokratisch gewählten Regierung, unabhängig von ihren Mängeln. Aber die amerikanischen Medien verschleiern diese Motivationen, in dem sie sie stets einfach als "pro- russisch" bezeichnen.“ Blum verwies auch darauf, dass US-Präsident Obama in seiner Pressekonferenz am 2. Mai mit Blick auf die Ukraine sagte: „Wir sind vereint in unserem unerschütterliches Engagement gemäß Artikel 5 für die Sicherheit unserer NATO-Verbündeten.“ „Hat der Präsident vergessen, dass die Ukraine (noch) nicht Mitglied der NATO ist?“, fragte Blum. Obama habe außerdem trotz des Staatsstreiches von einer „ordnungsgemäß gewählten Regierung in Kiew“ gesprochen, zu der vier Mitglieder extremrechter Neonazi-Parteien gehören.
Es gebe einen „wichtigen Unterschied“ zwischen dem alten und dem neuen Kalten Krieg: Das US-amerikanische Volk wie auch alle anderen in der Welt könnten nicht mehr so leicht wie früher einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Während des Kalten Krieges hat Blum eine „merkwürdige Beobachtung“ gemacht: Die Sowjetunion habe anscheinend mehr über die Taten der USA gewusst als die US-Amerikaner selbst. Alle Anschuldigungen aus Moskau an Washington, für die zahlreichen Staatstreiche und Attentate in Asien, Afrika und Lateinamerika verantwortlich zu sein, seien als „kommunistische Propaganda“ abgetan worden. Bei der Arbeit an der ersten Ausgabe von „Killing Hope“ in den 1980er Jahren habe er festgestellt, dass die die Vorwürfe stimmten und die Realität diese noch übertrafen. Durch die unzähligen Enthüllungen in den beiden letzten Jahrzehnten über die US-Verbrechen seien die Menschen heute skeptischer gegenüber des US-amerikanischen Verkündungen und den kriecherischen Medien.
Ausgerechnet Obama habe unlängst behauptet, dass die weltweite Verurteilung wegen der Vorgänge auf der Krim zeige, dass Russland auf der falschen Seite der Geschichte stehe. „Das kommt von dem Mann, der Partner ist von Dschihadisten und Nazis und Krieg gegen sieben Nationen geführt hat.“ Die verzerrte Sicht der US-Amerikaner auf den Rest der Welt kann viel Schaden anrichten, befürchtet der Autor. „Die meisten Amerikaner und Mitglieder des Kongresses sind selbst überzeugt davon, dass die US/NATO-Einkreisung Russlands gutartig ist – wir sind schließlich die guten Jungs – und sie verstehen nicht, warum Russland das nicht sieht.“ Beim ersten Kalten Krieg sei es um die „Eindämmung“ des Kommunismus gegangen. Der neue sei mehr so etwas wie eine militärische Strategie, bei der es Washington um die Barrieren gehe, die das immer weiter expandierende Imperium samt seiner Basen und militärischen Bedürfnisse behindern. Blum hält es für unerlässlich, dass die US-Regierung auf den Wunsch verzichtet, die Ukraine und auch Georgien in die NATO einzugliedern. "Nichts bringt wahrscheinlicher eine große Zahl russischer Stiefel auf ukrainischen Boden als die Vorstellung, dass Washington NATO-Truppen genau an der russischen Grenze und in unmittelbarer Nähe zur für das Land historisch wichtigen Schwarzmeer-Marinebasis auf der Krim haben muss.“
Interessante Stimmen und Einschätzungen dazu kommen aus den USA, u.a. von jenen, die sich einstmals als Kalte Krieger betätigten. So bezeichnete der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger in einem CNN-Interview am 10. Mai 2014 es als wenig wahrscheinlich, dass ein Konflikt mit der Ukraine zu den Plänen des russischen Präsidenten Wladimir Putin gehörte. Kissinger wies daraufhin, dass für die Olympischen Spiele in Sotschi 60 Milliarden Dollar ausgegeben wurden. Damit sollte gezeigt werden, dass Russland ein normaler fortschrittlicher Staat ist. Es sei nicht möglich, „dass er (Putin) nur drei Tage später freiwillig einen Angriff auf die Ukraine ausführen würde“, so Kissinger „ohne Zweifel“. Er beantwortete die Frage von Interviewer Fareed Zakaria mit Ja, ob der russische Präsident nur auf die Ereignisse in der Ukraine reagierte, weil diese außer Kontrolle gerieten. „Ich denke, dass er die ganze Zeit die Ukraine in einer untergeordneten Position wünschte.“ Alle namhaften Russen, mit denen er gesprochen habe, einschließlich der Dissidenten Alexander Solschenizyn und Iossif Brodski, hätten „die Ukraine als einen Teil des russischen Erbes empfunden“, fügte er hinzu. „Aber ich glaube nicht, dass er geplant hat, es auf die Spitze zu treiben.“ Putin habe eher schrittweise vorgehen wollen und nur reagiert auf das, was aus seiner Sicht eine Notsituation bzw. ein Ernstfall ist. Kissinger kritisierte, dass seiner Meinung nach die Krim von Russland annektiert worden sei. Aber er sprach sich dafür aus, erst die Ukraine-Krise zu klären und dann über die Beziehungen zu Russland zu diskutieren. Die Nachrichtenagentur RIA Novosti erinnerte in ihrer Meldung vom 11. Mai 2014 zu dem Interview, dass Kissinger zuvor in einem Beitrag für die Washington Post davor gewarnt hatte, Putin zu dämonisieren. Das sei nur „ein Alibi für die Abwesenheit von Politik“. Allerdings machte Kissinger in dem Beitrag Putin dafür verantwortlich, einen neuen Kalten Krieg heraufzubeschwören.
Vor einem solchen warnten ehemalige Militärs, Geheimdienst- und Sicherheitsbeamte von CIA, NSA und FBI in einem Memorandum an US-Präsident Barack Obama am 28. April 2014. Die „Veteran Intelligence Professionals for Sanity“ (VIPS) waren an führender Stelle in der US-Administration für die Sowjetunion und die Russische Föderation zuständig. Sie forderten Obama zu einem Gipfel mit Putin auf, um die Lage diplomatisch zu entschärfen. Angesichts der „lebendigen Erinnerungen an den Kalten Krieg und den dadurch zugefügten Schaden für die Sicherheit der Welt“ warnten die Veteranen davor, dass der Konflikt um die Ukraine erneut zu einer bipolaren Welt führen könne, in der sich zwei schwerbewaffnete Supermächte gegenüberstehen. Sie zeigten sich besorgt über die zunehmende Stimmung in der US-Politik und den US-Medien, etwas gegen Russland unternehmen zu müssen. Das sein ein „schlecht beratenes Gefühl und das Gegenteil von dem, was diese Nation tun sollte, um eine konstruktive und schließlich vorteilhafte Beziehung zu Moskau und dem Rest von Europa zu fördern“. Um eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden, müssten die Interessen aller Länder, auch Russlands, beachtet werden, stellten die US-Veteranen klar. Die russische Politik gegenüber der Ukraine – „ein Land vor Moskaus Haustür und teilweise ethnisch russisch“ – bedrohe keine lebenswichtigen US-Interessen und ebensowenig US-Verbündete. Die US-Regierung müsse bei ihrer Reaktion Risiken gegenüber den Gewinnen abwägen, so die ehemaligen Kalten Krieger. „Sanktionen sollten sehr zurückhaltend eingesetzt werden, da ihre Wirksamkeit fraglich ist, und sie häufig nur bewirken, gegensätzliche Positionen verhärten. Deutliche militärische Bewegungen, ob einseitig oder in Verbindung mit der NATO, sollten vermieden werden, da sie als Provokation gesehen werden und zugleich keine Lösung für bestehende Meinungsverschiedenheiten bieten.“
NATO in der Ukraine gefährdet den Frieden
Die Militär- und Geheimdienstveteranen „streiten für mehr, nicht weniger, diplomatisches Engagement“. Sie verwiesen auf ihre Erfahrungen „als Zeugen zu vieler verpasster Chancen in den letzten mehr als 50 Jahren, in denen die Vereinigten Staaten - zu unserem Bedauern - sich zu oft auf der falschen Seite der Geschichte befand“. Dazu zählten sie u.a. das Fiasko in der Scheinbucht 1961, ebenso die rücksichtslose Unterstützung von antikommunistischen Gruppen und Parteien in Europa durch die USA, die die jungen Demokratien geschwächt und Korruption befördert hätten, aber auch die abgelehnten Vorschläge von Michail Gorbatschow für eine weltweite vollständige nukleare Abrüstung. Die Veteranen kritisierten in ihrem Memorandum wie schon andere vor ihnen, dass nach dem Fall der Sowjetunion die USA und der Westen Vereinbarungen ignorierte, NATO und EU nicht auf das Gebiet des einstigen Warschauer Vertrages auszudehnen. „Die Vergewaltigung der russischen Wirtschaft in den 1990er Jahren, von westlichen "Unternehmer" in Zusammenarbeit mit lokalen Oligarchen durchgezogen, folgte. Es wurde als "Schocktherapie" zu der Zeit beschrieben, aber die meisten Russen sahen die Ereignisse genauer als Großplünderung, die das aktuelle Misstrauen gegenüber dem Westen anfüllte.“
Es sei kaum von Russland zu erwarten gewesen, schrieben die Veteranen an Obama, dass es den von Washington de facto geförderten und ausgeführten Regimewechsel in der Ukraine mit dem Sturz der gewählten Regierung ignoriert. Die fortgesetzten Bemühungen des Westens, die Ukraine in die NATO einzubeziehen, wären eine Garantie für die russische Feindseligkeit für viele kommende Jahre. Es handele sich für Moskau um existenzielle Angelegenheiten. Die Veteranen erinnerten dabei an die „Monroe-Doktrin“ der USA, die im „eigenen Hinterhof“ durchgesetzt wurde. Die aktuelle Situation müsse nicht außer Kontrolle geraten, stellten sie fest und verwiesen auf die russische Bereitschaft zusammenzuarbeiten am Beispiel der Vernichtung der syrischen Chemiewaffen und in der Frage der iranischen Atomforschung. Das könnte die Kooperationen auch bei anderen gemeinsamen Interessen fördern.
Die Veteranen erinnerten den aktuellen US-Präsident daran, dass die Krim seit dem späten 18. Jahrundert zu Russland gehörte und die Übergabe an die Ukraine durch Nikita Chrustschow 1954 ohne Volksabstimmung erfolgte und „nicht mehr als ein formaler Akt“ in der zentral von Moskau geführten UdSSR gewesen sei. Erst mit deren Zusammenbruch 1991 sei die Krim an die Ukraine gegangen und die Krimbewohner waren plötzlich nicht mehr Bürger Russlands. Der russische Präsident Putin habe in seiner Rede am 18. März darauf hingewiesen, dass Russland die Situation 1991 „demütig akzeptiert“ habe und durch „harte Zeiten“ ging und realisieren musste, dass es seine eigenen Interessen nicht schützen konnte. Dazu sei es heute in der Lage, stellten die US-Veteranen fest. Es werde eine Einbeziehung der Ukraine in die NATO nicht akzeptieren. Sollte das fortgesetzt angestrebt werden, würde Europa nicht sicherer werden und die Gefahr eines Krieges steigen.
Lange Liste von Provokationen
Die ehemaligen Militärs und Geheimdienstler empfahlen in ihrem Memorandum dem US-Präsidenten einen „wichtigen Schritt“: Er solle anregen, den einen Passus aus der Bukarester Deklaration der NATO vom 3. April 2008 zurückzunehmen. In diesem wurde begrüßt, dass die Ukraine und Georgien Mitglieder des Militärbündnisses werden wollen und ihnen zugesagt, dass sie als solche aufgenommen werden. Die Veteranen forderten, einen „kühlen Kopf“ zu bewahren. „Eine deutliche Zahl von militärischen Einheiten in die Nachbarländer der Ukraine zu senden bedeutet, Benzin auf bisher relativ isolierte und begrenzte Feuer zu gießen, besonders in der Ostukraine.“ Die "zerbrechliche" Übereinkunft von Genf vom 17. April 2014 ist aus ihrer Sicht weiterhin die Grundlage für Diskussionen der Staatsführer. Diese müsse Provokationen, „Machismo“ und Eskalationen verhindern, wie sie vor hundert Jahren zu dem Krieg führten, der das „Ende aller Kriege“ sein sollte. „Zwei Jahrzehnte später kam es zum Zweiten Weltkrieg“, erinnerten die US-Veteranen. Sie hatten schon im September 2013 in einem Appell vor einem Angriff auf Syrien gewarnt: "Assad war nicht verantwortlich für den Chemiewaffenvorfall".
Auch der ehemalige CIA-Chef und Kriegsminister, wie er sich selber nennt, Robert Gates gehört zu den Kritikern des aktuellen Konfrontationskures der US-Regierung gegenüber Russland. In seiner Anfang dieses Jahres erschienenen Biografie „Duty – Memoirs of a Secretary at War“ schreibe er, dass die Beziehungen zu Russland durch das Weiße Haus „schlecht gemanagt“ worden seine. Das berichtete Pierre Heumann in einem Beitrag über die „Späte Einsicht eines kalten Kriegers“ in der Schweizer Weltwoche vom 30. April 2014. Gate bezeichne es in dem Buch als „arrogant“, wie US-amerikanische Politiker, Akademiker und Geschäftsleute den Russen erklärten, wie sie ihre innen- und außenpolitischen Probleme zu lösen hätten. Der Westen habe das Ausmaß der russischen Erniedrigung nach dem Zerfall der Sowjetunion „krass unterschätzt“. Gates führe eine lange Liste US-amerikanischer Provokationen gegenüber Russland auf, darunter die schnelle Aufnahme ehemaliger Mitgliedsländer des „Warschauer Vertrages“ in die NATO. Auch die in Abkommen mit Rumänen und Bulgarien Zusage, in beiden Ländern jeweils 5ooo US-Soldaten zu stationieren, bezeichne der Ex-Kriegsminister als „eine unnötige Provokation“. Georgien und die Ukraine in die NATO aufnehmen zu wollen, sei „ganz klar eine Überreaktion“.
Gerade im Fall der Ukraine handele es sich um „eine spezielle monumentale Provokation“, schreibt Gates laut Weltwoche und erinnert daran, dass die Wurzeln Russlands auf Kiew im 9. Jahrhundert zurückgehen. Die NATO-Expansion sei ein „politischer Akt“ und ein „nicht sorgfältig durchdachtes militärisches Engagement“. Hinzu komme, ergänzte Weltwoche-Autor Heumann: „Als ob es Russland nicht gäbe, wurden seine Nachbarn zur Mitgliedschaft in der EU eingeladen. Auf die Empfindlichkeiten Russlands wird auch jetzt keine Rücksicht genommen.“ Und: Wenn sich der Westen – wie in der Ukraine – in Russlands unmittelbarer Nachbarschaft einmische, werde das in Moskau „gar als Planspiel für die nächste Revolution“ im eigenen Land gesehen. Gates äußere in seinem Buch Verständnis für Putin, der den Vertrag für konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) von 1990 als „Kolonialvertrag“ bezeichnete, der Russland aufgezwungen sei. Mit diesem wird die Souveränität Russlands, die eigenen Truppen im eigenen Land frei zu verschieben, eingeschränkt. Washington hätte eine analoge Begrenzung für die US-Truppen nicht akzeptiert, so Gates in seinem Buch, in dem er laut Heumann feststellt: „Wir haben die Interessen Russlands damals nicht ernst genommen.“
Ein vergesslicher US-Präsident
„Als die Sowjetunion Ende 1991 zusammenbrach, wollte [Verteidigungsminister Dick Cheney] nicht nur die Zerstückelung der Sowjetunion und des russischen Reiches, sondern von Russland selbst sehen, so dass es nie wieder eine Gefahr für den Rest der Welt sein kann." Auch das ist in Gates‘ Buch zu lesen, wie William Blum in seinem neuesten „Anti-Empire Report #128“ vom 9. Mai 2014 schrieb. Das sei ein frühes Zeichen für den neuen Kalten Krieg gewesen, „während die Leiche noch warm war“. Bald darauf habe die NATO begonnen, Russland mit Militärbasen, Raketenstellungen und NATO-Mitgliedern zu umgeben, dabei schmachtend nach dem wichtigsten Teil, um den Kreis zu schließen – der Ukraine. Blum war Mitarbeiter des US-Außenministeriums und überzeugter Antikommunist, bevor er zum Kriegsgegner wurde. Er ist Autor des Buches „Killing Hope“ über die weltweiten verdeckten und offenen Interventionen der USA seit 1940 (gerade in zweiter aktualisierter Auflage auf deutsch erschienen).
In seinem aktuellen „Anti-Empire Report“ erinnerte Blum daran, dass Victoria Nuland vom US-Außenministerium in ihrem abgehörten „Fuck the EU“-Telefonat mit dem US-Botschafter in der Ukraine, Geoffrey Pyatt, Arseni Jatzenjuk als Wunschkandidaten für den Posten des neuen Regierungschefs bezeichnete. Es sei „einer der bemerkenswertesten Zufälle“, dass nach dem Staatsstreich in Kiew Jatzenjuk der neue Regierungschef wurde. Sofort sei er mit dem US-Präsidenten und dem NATO-Generalsekretär zusammengetroffen, ebenso mit den „neuen Eigentümern der Ukraine“ von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF), die bereits ihre Standard-Schocktherapien für das Land vorbereiteten. Die jetzigen Demonstranten in der Ukraine müssten nicht Wirtschaft studiert haben, um zu wissen, was das bedeutet, stellte Blum klar. „Sie wissen um die Verarmung von Griechenland, Spanien, usw. Sie verachten das neue Regime auch für dessen Sturz der demokratisch gewählten Regierung, unabhängig von ihren Mängeln. Aber die amerikanischen Medien verschleiern diese Motivationen, in dem sie sie stets einfach als "pro- russisch" bezeichnen.“ Blum verwies auch darauf, dass US-Präsident Obama in seiner Pressekonferenz am 2. Mai mit Blick auf die Ukraine sagte: „Wir sind vereint in unserem unerschütterliches Engagement gemäß Artikel 5 für die Sicherheit unserer NATO-Verbündeten.“ „Hat der Präsident vergessen, dass die Ukraine (noch) nicht Mitglied der NATO ist?“, fragte Blum. Obama habe außerdem trotz des Staatsstreiches von einer „ordnungsgemäß gewählten Regierung in Kiew“ gesprochen, zu der vier Mitglieder extremrechter Neonazi-Parteien gehören.
Es gebe einen „wichtigen Unterschied“ zwischen dem alten und dem neuen Kalten Krieg: Das US-amerikanische Volk wie auch alle anderen in der Welt könnten nicht mehr so leicht wie früher einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Während des Kalten Krieges hat Blum eine „merkwürdige Beobachtung“ gemacht: Die Sowjetunion habe anscheinend mehr über die Taten der USA gewusst als die US-Amerikaner selbst. Alle Anschuldigungen aus Moskau an Washington, für die zahlreichen Staatstreiche und Attentate in Asien, Afrika und Lateinamerika verantwortlich zu sein, seien als „kommunistische Propaganda“ abgetan worden. Bei der Arbeit an der ersten Ausgabe von „Killing Hope“ in den 1980er Jahren habe er festgestellt, dass die die Vorwürfe stimmten und die Realität diese noch übertrafen. Durch die unzähligen Enthüllungen in den beiden letzten Jahrzehnten über die US-Verbrechen seien die Menschen heute skeptischer gegenüber des US-amerikanischen Verkündungen und den kriecherischen Medien.
Ausgerechnet Obama habe unlängst behauptet, dass die weltweite Verurteilung wegen der Vorgänge auf der Krim zeige, dass Russland auf der falschen Seite der Geschichte stehe. „Das kommt von dem Mann, der Partner ist von Dschihadisten und Nazis und Krieg gegen sieben Nationen geführt hat.“ Die verzerrte Sicht der US-Amerikaner auf den Rest der Welt kann viel Schaden anrichten, befürchtet der Autor. „Die meisten Amerikaner und Mitglieder des Kongresses sind selbst überzeugt davon, dass die US/NATO-Einkreisung Russlands gutartig ist – wir sind schließlich die guten Jungs – und sie verstehen nicht, warum Russland das nicht sieht.“ Beim ersten Kalten Krieg sei es um die „Eindämmung“ des Kommunismus gegangen. Der neue sei mehr so etwas wie eine militärische Strategie, bei der es Washington um die Barrieren gehe, die das immer weiter expandierende Imperium samt seiner Basen und militärischen Bedürfnisse behindern. Blum hält es für unerlässlich, dass die US-Regierung auf den Wunsch verzichtet, die Ukraine und auch Georgien in die NATO einzugliedern. "Nichts bringt wahrscheinlicher eine große Zahl russischer Stiefel auf ukrainischen Boden als die Vorstellung, dass Washington NATO-Truppen genau an der russischen Grenze und in unmittelbarer Nähe zur für das Land historisch wichtigen Schwarzmeer-Marinebasis auf der Krim haben muss.“
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