Die Proteste in Kiew hätten „eher als eine
rein politische, pro-EU-Bewegung unter Kontrolle der oppositionellen
bürgerlichen Parteien“ begonnen. So beschreibt es der Moskauer
Bewegungsforscher Vadim Damier in einem Interview, das die
anarchistische Monatszeitung Graswurzelrevolution mit ihm
führte und in ihrer April-Ausgabe (GWR 388) veröffentlichte. Es habe
genug Anlässe für Unzufriedenheit gegeben, aber „zu den richtigen
sozialen Protesten kam es nicht“. Zwar seien auf dem Maidan-Platz auch
Arbeitslose und ärmere Menschen zu finden gewesen, aber mehrheitlich
eher Vertreter der Mittelschichten. Und so habe es keinerlei soziale
oder wirtschaftliche Forderungen gegeben, sondern nur die „für die
schnellste Assoziation mit der EU und für das Wegfegen der Regierung,
die eine solche Assoziation vermeintlich ‚sabotierte‘“. Die Proteste
wurden laut Damier von einigen der ukrainischen Oligarchen unterstützt,
die schon früher die Opposition förderten. So hätten gerüchteweise die
vier größten Oligarchen auf einem Treffen im Januar 2014 auch das
Schicksal des Präsidenten Wiktor Janukowitsch besiegelt. Nach dem
Staatsreich erhielten sie und ihre Handlanger leitende Posten, u.a. als
Gouverneure in ost- und südukrainischen Regionen.
Das Vorgehen der ukrainischen Sicherheitskräfte gegen die Proteste sowie die im Januar 2014 verschärften Gesetze hätten für Zulauf auf den Maidan-Platz gesorgt. Die meisten der neuen Demonstranten seien aber nur „gelegentlich zu den größeren Kundgebungen“ gekommen. Während Linke aus dem Protestlager „mit Gewalt entfernt“ wurden, sei der Einfluss der Rechtsextremen in Folge der Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften wie den „Berkut“-Einheiten gewachsen. Sie waren zwar zahlenmäßig in der Minderheit, so der Soziologe, „qualitativ aber war ihre Präsenz viel bedeutender und manchmal hegemonial“. Die Protestbewegung habe nie dagegen protestiert, sondern „ihren neofaschistischen Teil tolerierend oder billigend in Kauf“ genommen. Die Neonazis wären die „erfahrensten und am besten trainierten“ unter den „Selbstverteidigungskräften“ auf dem Platz gewesen. Diese hätten „eine entscheidende Rolle beim Staatsstreich Ende Februar 2014“ gespielt.
Damier beschreibt die prorussische Bewegung in der Ostukraine und auf der Krim als „ähnlich heterogen“ wie die Protestbewegung in Kiew, „auch ähnlich nationalistisch und reaktionär in ihrer dominanten Orientierung“. Er widerspricht der Vorstellung vom „antifaschistischen Widerstand“ und sieht eher einen „Kampf zwischen zwei verschiedenen Nationalismen, einem ukrainischen und einem russischen“. Und: „Eine zusätzliche Aufregung bringt die Information über reiche Gas- und Erdölressourcen im Meer in der Umgebung von Krim. Ihr Interesse dafür äußerten sowohl schon Gazprom, als auch westliche Firmen wie Exxon, Shell und ENI.“
Auf die wirtschaftliche Situation der Ukraine als einen der Gründe für die Wut vieler Ukrainer geht Nicolai Hagedorn in der Zeitung ein: „Wie in den meisten Staaten des ehemals etatistisch-sozialistischen Ostblocks ist die nachholende Modernisierung grandios gescheitert.“ Kapitalflucht, der sinkende Wert der Währung Hryvnia und abnehmende Devisenreserven hätten „das ohnehin bettelarme Land“ weiter unter Druck gesetzt. So sei das Nein von Janukowitsch zum EU-Assoziierungsabkommen verständlicherweise Auslöser der Proteste im November 2013 gewesen. Hagedorn erinnert daran, dass Russland „im Gegensatz zur EU der Ukraine materielle Hilfe auf verschiedenen Ebenen zugesagt und Gaspreise subventioniert“ habe. „EU und IWF hingegen beharrten auf ihren Forderungen nach Spar- und Marktliberalisierungsprogrammen.“ Dabei sei das Land längst von westlichen Zuwendungen abhängig und habe beim IWF 4,5 Milliarden Schulden. Der Autor bezeichnet es als erstaunlich, „mit welcher Ignoranz die westlichen Kreditgeber ihre drakonischen Liberalisierungen und Einsparungen einfordern, obwohl gerade die Ukraine aufgrund genau solcher ‚Reformen‘ in den 90er Jahren einen großen Teil ihres wirtschaftlichen Leistungspotenzials einbüßte.“ Und: „Die neoliberale Privatisierungswelle sorgte für die Herausbildung einer Wirtschaftsoligarchie“ und eines auf 60 Prozent sinkenden Bruttoinlandsproduktes bis 1995. Mit den EU- und IWF-Forderungen, die die neuen Kiewer Machthaber nun erfüllen wollen, werde der Ukraine „als Mittel gegen den drohenden Staatsbankrott genau die Medizin verschrieben, die zu der Misere erst geführt hat“. Die ukrainische Volkswirtschaft werde so „endgültig jede Eigenständigkeit verlieren und im besten Fall eine weitere ‚Werkbank des Westens‘ werden, wo zu Hungerlöhnen für westliche Märkte die Arbeiten gemacht werden, bei denen sich eine Automatisierung (noch) nicht lohnt“.
Daran habe auch Deutschland ein großes Interesse, stellt Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in der Ausgabe der Graswurzelrevolution fest. Die Ukraine würde „hierdurch dauerhaft der eigenen Einflusssphäre einverleibt und der russischen entzogen.“ Die Ukraine sei ein „Testfall für die „neue deutsche Machtpolitik“. Die Bundesrepublik habe „maßgeblich dazu beigetragen, das Land ins Unglück zu stürzen“, so Wagner und schließt: „so sieht sie also aus, die neue ‚verantwortungsbewusste‘ deutsche Außenpolitik.“
Einen sehr guten Überblick über die europäische Politik gegenüber Ukraine und die Folgen gibt ein Beitrag in Heft 1/2014 der Zeitschrift Gegenstandpunkt. Die Autoren beschreiben prägnant die Situation der Ukraine sowie die Unterschiede zwischen der westlichen und der russischen Politik und zeichnen den Weg hin zu dem Staatsstreich nach. Bei dem von der EU angebotenen Assoziierungsabkommen handele es sich „um einen umfassenden Kanon erpresserischer Angebote, mit denen Europa die Notlage der Ukraine zum Hebel machen will, um sich dieses Staatswesen unterzuordnen.“ Von Janukowitsch seien „Reformen“ gefordert worden, u.a. „einer weitflächig verelendeten Bevölkerung die Subvention der Energiepreise zu streichen – wozu sich im Übrigen auch schon die west-freundliche Vorgänger-Regierung unter Timoschenko nicht verstehen wollte“. Des Weiteren sollten Löhne und Renten gekürzt und die nationale Währung Griwna abwerten, was zur Zahlungsunfähigkeit vieler ukrainischer Kreditnehmer führen würde. Es handele sich „insgesamt ein ‚Spar- und Konsolidierungsprogramm‘, das den Überlebenskünsten des ukrainischen Volks neue Höchstleistungen abverlangen würde“.
Doch das Assoziierungsabkommen, dass die neuen Kiewer Machthaber nun ganz schnell vollständig unterzeichnen wollen, nötige der Ukraine nicht nur die Übernahme des gesamten wirtschaftspolitisch-rechtlichen Regelwerks des europäischen Kapitalismus auf. „Der politische Hauptteil des Abkommens, ebenfalls wieder ein ganzer Gesetzeskorpus, definiert Ausrichtung und Aufgaben künftiger ukrainischer Herrschaft, bis hin zum Verzicht auf eine eigenständige Außenpolitik.“ Dadurch bleibe nicht mehr viel übrig von einer „glorreichen ukrainischen Unabhängigkeit“. Deren Sachwalter hätten es aber „immer auch mit der Tatsache zu tun, dass die Nation eine eindeutige Festlegung nicht verträgt, weil es ihren Bestand gefährdet, in politischer wie ökonomischer Hinsicht. Sie verfügt schließlich nicht über autonome nationale Lebensmittel, sondern lebt von den auswärtigen Beziehungen: einerseits immer mehr von der Geld- und Kreditmacht des Westens; andererseits von den Verbindungen zu Russland; das meiste vom Wirtschaftspotential der Ukraine als Transitland, als Kornkammer, mit der ererbten Industrie, den Kohlebergwerken und der Schwerindustrie im Osten taugt nur so viel, wie die Staatsführung sich mit Moskau ins Benehmen setzt und an ökonomischer Kooperation zustande bringt.“
Doch für die EU gebe es nur eine Haltung zur ukrainischen wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Beziehungen zu Russland: „Sie ist nicht zu dulden.“ Dabei gehe die EU vor, „als ob sie nicht von der strategischen Bedeutung der Ukraine für Russland wüsste“. Das solle „stillhalten, wenn die Ukraine nach Europa gezerrt wird, sie weiter mit Energie versorgen und sich als Markt zur Verfügung stellen, also gefälligst seinen Beitrag zum Unterhalt der EU-Neuerwerbung beisteuern, statt sich anzumaßen, seine ökonomischen Beziehungen als Hebel politischer Einflussnahme gebrauchen. Das steht nur der EU zu.“ Bei deren Vorgehen sei von der NATO zwar nie die Rede. Jedoch: „Hinter der Risikobereitschaft, mit der Europa seine strategische Erweiterung bis an die russische Grenze vorantreibt, und der Unverschämtheit, mit der es alle vitalen Interessen Russlands als gegenstandslos behandelt, steht aber offenkundig die Selbstgewissheit, dass die Euro-Strategie auf der Erpressungsmacht ihres Militärbündnisses samt der Rückendeckung durch die USA beruht. Jenseits der europäisch-amerikanischen Machtkonkurrenz stimmen die NATO-Partner schließlich in dem strategischen Ziel überein, dass die Ukraine Russland entrissen gehört.“ Letzteres reagiere darauf „ausnehmend sachlich“, „ohne allerdings die geringste Wirkung zu erzielen“. Die Autoren machen auf den Umstand aufmerksam, dass die russischen Ansprüche an das „nahe Ausland“ „weit unterhalb der besitzergreifenden Verfahrensweise der EU“ liegen.
Die ukrainische Führung unter Janukowitsch versuchte, die um das Land konkurrierenden Mächte „ausgerechnet mit der ökonomischen Zwangslage, in der sich ihr Staatswesen befindet, zu Zugeständnissen zu bewegen“, so die Autoren. Kiew habe gefordert, das Abkommen nachzubessern und ukrainische Interessen dabei zu berücksichtigen. Doch sei „eher ein Bittgesuch“ an die EU gewesen und habe „nicht auf den Anschluss an die russische Zollunion“ abgezielt. Doch damit habe die bisherige ukrainische Führung ihren Status als „Partner“ verspielt: „Wenn die ukrainische Regierung meint, sich gegen die Modalitäten der geplanten Übernahme wehren zu müssen, verweist die EU darauf, dass sie über andere Mittel gebietet, die Unterordnung zu erzwingen.“ Und so habe der Westen alles für den Umsturz der Regierung getan: finanziell, materiell, politisch, diplomatisch und medial. Das Ergebnis: „Janukowitsch ist abgesetzt, der Jubel im Westen über den Austausch der Führungsfiguren ist groß. Verbleibt nur das restliche Staatswesen, an dem jetzt wieder eine pro-europäische Mannschaft ihre Führungsqualitäten unter Beweis stellen darf: ein Ensemble aus Abhängigkeiten in beiden Himmelsrichtungen, mit der russischen Verfügung über die Energieversorgung und der prekären Finanzlage, mit der vom IWF verlangten Rosskur für Standort und Bevölkerung, mit all seinen Gegensätzen sowohl in der Führungsmannschaft wie im Volk, mit den aufgestachelten Feindseligkeiten zwischen West- und Ostukraine, mit seiner brisanten strategischen Lage und der massiven Bedrohung russischer Sicherheitsinteressen. Imperialistisch gesehen sicher a better place.“
Das Vorgehen der ukrainischen Sicherheitskräfte gegen die Proteste sowie die im Januar 2014 verschärften Gesetze hätten für Zulauf auf den Maidan-Platz gesorgt. Die meisten der neuen Demonstranten seien aber nur „gelegentlich zu den größeren Kundgebungen“ gekommen. Während Linke aus dem Protestlager „mit Gewalt entfernt“ wurden, sei der Einfluss der Rechtsextremen in Folge der Zusammenstöße mit den Sicherheitskräften wie den „Berkut“-Einheiten gewachsen. Sie waren zwar zahlenmäßig in der Minderheit, so der Soziologe, „qualitativ aber war ihre Präsenz viel bedeutender und manchmal hegemonial“. Die Protestbewegung habe nie dagegen protestiert, sondern „ihren neofaschistischen Teil tolerierend oder billigend in Kauf“ genommen. Die Neonazis wären die „erfahrensten und am besten trainierten“ unter den „Selbstverteidigungskräften“ auf dem Platz gewesen. Diese hätten „eine entscheidende Rolle beim Staatsstreich Ende Februar 2014“ gespielt.
Damier beschreibt die prorussische Bewegung in der Ostukraine und auf der Krim als „ähnlich heterogen“ wie die Protestbewegung in Kiew, „auch ähnlich nationalistisch und reaktionär in ihrer dominanten Orientierung“. Er widerspricht der Vorstellung vom „antifaschistischen Widerstand“ und sieht eher einen „Kampf zwischen zwei verschiedenen Nationalismen, einem ukrainischen und einem russischen“. Und: „Eine zusätzliche Aufregung bringt die Information über reiche Gas- und Erdölressourcen im Meer in der Umgebung von Krim. Ihr Interesse dafür äußerten sowohl schon Gazprom, als auch westliche Firmen wie Exxon, Shell und ENI.“
Auf die wirtschaftliche Situation der Ukraine als einen der Gründe für die Wut vieler Ukrainer geht Nicolai Hagedorn in der Zeitung ein: „Wie in den meisten Staaten des ehemals etatistisch-sozialistischen Ostblocks ist die nachholende Modernisierung grandios gescheitert.“ Kapitalflucht, der sinkende Wert der Währung Hryvnia und abnehmende Devisenreserven hätten „das ohnehin bettelarme Land“ weiter unter Druck gesetzt. So sei das Nein von Janukowitsch zum EU-Assoziierungsabkommen verständlicherweise Auslöser der Proteste im November 2013 gewesen. Hagedorn erinnert daran, dass Russland „im Gegensatz zur EU der Ukraine materielle Hilfe auf verschiedenen Ebenen zugesagt und Gaspreise subventioniert“ habe. „EU und IWF hingegen beharrten auf ihren Forderungen nach Spar- und Marktliberalisierungsprogrammen.“ Dabei sei das Land längst von westlichen Zuwendungen abhängig und habe beim IWF 4,5 Milliarden Schulden. Der Autor bezeichnet es als erstaunlich, „mit welcher Ignoranz die westlichen Kreditgeber ihre drakonischen Liberalisierungen und Einsparungen einfordern, obwohl gerade die Ukraine aufgrund genau solcher ‚Reformen‘ in den 90er Jahren einen großen Teil ihres wirtschaftlichen Leistungspotenzials einbüßte.“ Und: „Die neoliberale Privatisierungswelle sorgte für die Herausbildung einer Wirtschaftsoligarchie“ und eines auf 60 Prozent sinkenden Bruttoinlandsproduktes bis 1995. Mit den EU- und IWF-Forderungen, die die neuen Kiewer Machthaber nun erfüllen wollen, werde der Ukraine „als Mittel gegen den drohenden Staatsbankrott genau die Medizin verschrieben, die zu der Misere erst geführt hat“. Die ukrainische Volkswirtschaft werde so „endgültig jede Eigenständigkeit verlieren und im besten Fall eine weitere ‚Werkbank des Westens‘ werden, wo zu Hungerlöhnen für westliche Märkte die Arbeiten gemacht werden, bei denen sich eine Automatisierung (noch) nicht lohnt“.
Daran habe auch Deutschland ein großes Interesse, stellt Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in der Ausgabe der Graswurzelrevolution fest. Die Ukraine würde „hierdurch dauerhaft der eigenen Einflusssphäre einverleibt und der russischen entzogen.“ Die Ukraine sei ein „Testfall für die „neue deutsche Machtpolitik“. Die Bundesrepublik habe „maßgeblich dazu beigetragen, das Land ins Unglück zu stürzen“, so Wagner und schließt: „so sieht sie also aus, die neue ‚verantwortungsbewusste‘ deutsche Außenpolitik.“
Einen sehr guten Überblick über die europäische Politik gegenüber Ukraine und die Folgen gibt ein Beitrag in Heft 1/2014 der Zeitschrift Gegenstandpunkt. Die Autoren beschreiben prägnant die Situation der Ukraine sowie die Unterschiede zwischen der westlichen und der russischen Politik und zeichnen den Weg hin zu dem Staatsstreich nach. Bei dem von der EU angebotenen Assoziierungsabkommen handele es sich „um einen umfassenden Kanon erpresserischer Angebote, mit denen Europa die Notlage der Ukraine zum Hebel machen will, um sich dieses Staatswesen unterzuordnen.“ Von Janukowitsch seien „Reformen“ gefordert worden, u.a. „einer weitflächig verelendeten Bevölkerung die Subvention der Energiepreise zu streichen – wozu sich im Übrigen auch schon die west-freundliche Vorgänger-Regierung unter Timoschenko nicht verstehen wollte“. Des Weiteren sollten Löhne und Renten gekürzt und die nationale Währung Griwna abwerten, was zur Zahlungsunfähigkeit vieler ukrainischer Kreditnehmer führen würde. Es handele sich „insgesamt ein ‚Spar- und Konsolidierungsprogramm‘, das den Überlebenskünsten des ukrainischen Volks neue Höchstleistungen abverlangen würde“.
Doch das Assoziierungsabkommen, dass die neuen Kiewer Machthaber nun ganz schnell vollständig unterzeichnen wollen, nötige der Ukraine nicht nur die Übernahme des gesamten wirtschaftspolitisch-rechtlichen Regelwerks des europäischen Kapitalismus auf. „Der politische Hauptteil des Abkommens, ebenfalls wieder ein ganzer Gesetzeskorpus, definiert Ausrichtung und Aufgaben künftiger ukrainischer Herrschaft, bis hin zum Verzicht auf eine eigenständige Außenpolitik.“ Dadurch bleibe nicht mehr viel übrig von einer „glorreichen ukrainischen Unabhängigkeit“. Deren Sachwalter hätten es aber „immer auch mit der Tatsache zu tun, dass die Nation eine eindeutige Festlegung nicht verträgt, weil es ihren Bestand gefährdet, in politischer wie ökonomischer Hinsicht. Sie verfügt schließlich nicht über autonome nationale Lebensmittel, sondern lebt von den auswärtigen Beziehungen: einerseits immer mehr von der Geld- und Kreditmacht des Westens; andererseits von den Verbindungen zu Russland; das meiste vom Wirtschaftspotential der Ukraine als Transitland, als Kornkammer, mit der ererbten Industrie, den Kohlebergwerken und der Schwerindustrie im Osten taugt nur so viel, wie die Staatsführung sich mit Moskau ins Benehmen setzt und an ökonomischer Kooperation zustande bringt.“
Doch für die EU gebe es nur eine Haltung zur ukrainischen wirtschaftlichen Abhängigkeit von den Beziehungen zu Russland: „Sie ist nicht zu dulden.“ Dabei gehe die EU vor, „als ob sie nicht von der strategischen Bedeutung der Ukraine für Russland wüsste“. Das solle „stillhalten, wenn die Ukraine nach Europa gezerrt wird, sie weiter mit Energie versorgen und sich als Markt zur Verfügung stellen, also gefälligst seinen Beitrag zum Unterhalt der EU-Neuerwerbung beisteuern, statt sich anzumaßen, seine ökonomischen Beziehungen als Hebel politischer Einflussnahme gebrauchen. Das steht nur der EU zu.“ Bei deren Vorgehen sei von der NATO zwar nie die Rede. Jedoch: „Hinter der Risikobereitschaft, mit der Europa seine strategische Erweiterung bis an die russische Grenze vorantreibt, und der Unverschämtheit, mit der es alle vitalen Interessen Russlands als gegenstandslos behandelt, steht aber offenkundig die Selbstgewissheit, dass die Euro-Strategie auf der Erpressungsmacht ihres Militärbündnisses samt der Rückendeckung durch die USA beruht. Jenseits der europäisch-amerikanischen Machtkonkurrenz stimmen die NATO-Partner schließlich in dem strategischen Ziel überein, dass die Ukraine Russland entrissen gehört.“ Letzteres reagiere darauf „ausnehmend sachlich“, „ohne allerdings die geringste Wirkung zu erzielen“. Die Autoren machen auf den Umstand aufmerksam, dass die russischen Ansprüche an das „nahe Ausland“ „weit unterhalb der besitzergreifenden Verfahrensweise der EU“ liegen.
Die ukrainische Führung unter Janukowitsch versuchte, die um das Land konkurrierenden Mächte „ausgerechnet mit der ökonomischen Zwangslage, in der sich ihr Staatswesen befindet, zu Zugeständnissen zu bewegen“, so die Autoren. Kiew habe gefordert, das Abkommen nachzubessern und ukrainische Interessen dabei zu berücksichtigen. Doch sei „eher ein Bittgesuch“ an die EU gewesen und habe „nicht auf den Anschluss an die russische Zollunion“ abgezielt. Doch damit habe die bisherige ukrainische Führung ihren Status als „Partner“ verspielt: „Wenn die ukrainische Regierung meint, sich gegen die Modalitäten der geplanten Übernahme wehren zu müssen, verweist die EU darauf, dass sie über andere Mittel gebietet, die Unterordnung zu erzwingen.“ Und so habe der Westen alles für den Umsturz der Regierung getan: finanziell, materiell, politisch, diplomatisch und medial. Das Ergebnis: „Janukowitsch ist abgesetzt, der Jubel im Westen über den Austausch der Führungsfiguren ist groß. Verbleibt nur das restliche Staatswesen, an dem jetzt wieder eine pro-europäische Mannschaft ihre Führungsqualitäten unter Beweis stellen darf: ein Ensemble aus Abhängigkeiten in beiden Himmelsrichtungen, mit der russischen Verfügung über die Energieversorgung und der prekären Finanzlage, mit der vom IWF verlangten Rosskur für Standort und Bevölkerung, mit all seinen Gegensätzen sowohl in der Führungsmannschaft wie im Volk, mit den aufgestachelten Feindseligkeiten zwischen West- und Ostukraine, mit seiner brisanten strategischen Lage und der massiven Bedrohung russischer Sicherheitsinteressen. Imperialistisch gesehen sicher a better place.“
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Teil 1 der Zeitschriftenumschau: Ukrainische Rechtsextreme und westliche Wortbrüche
Teil 2 der Zeitschriftenumschau: Russische Sorgen und westliche Arroganz
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