Es ist das Plädoyer des letzten lebenden
Wehrmachtsdeserteurs. Das Buch ist auch ein wichtiges Zeitzeugnis. Es
zeugt davon, wie eine Gesellschaft mit jenen umging und umgeht, die
Widerstand leisteten, indem sie Ja zum Leben und Nein zum Morden auf
Befehl sagten.
Ludwig Baumann schreibt: „Ich bin kein Held. Aber auch kein Feigling.“ Er ist ein Held der anderen Art, die es viel zu wenig gibt, eben in dem Sinn, dass er unbeirrt seinem Gewissen folgte. Einer der Menschen, die für ihre Haltung eintreten oder sich gegen den Strom stellen. Von denen es zu wenig gibt, wie er feststellt. Das Buch, das er zusammen mit dem Journalisten Norbert Joa verfasste, zeigt ihn ebenso als Menschen, der beinahe daran kaputt ging, dass er für die Nachkriegsgesellschaft in der Bundesrepublik als „Verräter“ und „Straftäter“ galt. Das musste er bis 17. Mai 2002 erleiden, 57 Jahre lang seit der Befreiung vom deutschen Faschismus. Erst an dem Tag hob der Deutsche Bundestag alle Urteile gegen Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer“, die die Militärjustiz der faschistischen deutschen Wehrmacht gefällt hatte, pauschal auf. Es sei eine „innere Befreiung“ gewesen, berichtet Ludwig Baumann, eine „Befreiung vom Makel der Vorstrafe, aber auch von Demütigungen“. Er vergisst aber nicht, darauf hinzuweisen, dass die so genannten „Kriegsverräter“, Soldaten, die z.B. jüdischen Menschen helfen wollten oder Kriegsgefangenen Brot zugesteckt hatten, erst 2009 rehabilitiert wurden. Das hat nur er noch miterlebt. Und er erinnert daran, dass dieses Anliegen bis zuletzt vom CSU-Politiker Norbert Geis bekämpft wurde.
Bis zu dem Tag der eigenen inneren Befreiung musste Ludwig Baumann einen harten Weg gehen, seitdem er am 30. Juni 1942 als Deserteur zum Tode verurteilt wurde. Er hatte das Glück, zu zwölf Jahren Zuchthaus begnadigt zu werden, nicht einmal einen Monat nach dem Todesurteil. Aber er musste weiter in der Todeszelle ausharren: „300 Tage. Und 300 Nächte. Es hat mein Leben zerstört.“ Erst dann wurde ihm seine Begnadigung mitgeteilt. Er überlebte den Einsatz im „Strafbataillon“ an der Ostfront ebenso wie zuvor die Schikanen im „Emslandlager“ und im Wehrmachtsgefängnis Torgau. Und litt nach dem Ende des Krieges daran, dass ihn die Gesellschaft der Bundesrepublik als „Verräter“ behandelte. Noch 1993 schrieb ihm ein Ewiggestriger: “Ich kann nur bedauern, dass Sie nicht erschossen oder geköpft wurden.“ Deserteure seien nur „Halunken, Strolche, feige Schurken“, die „das Leben von Hunderttausenden Kameraden auf dem Gewissen“ hätten. Auch später erhielt Ludwig Baumann noch solche Briefe.
Er beschreibt, wie es ihm, der überlebte, nach dem Kriegsende erging und wie er lange nicht mit dem Leben im Nachkriegsdeutschland zurecht kam, auch von privaten Niederlagen und eigenem Versagen. „Von uns Deserteuren, die wir – aus welchen Gründen auch immer – Hitlers Krieg nicht mitmachen wollten, wurden 23000 erschossen, erhängt oder enthauptet. Und 100000 von uns sind im KZ oder in den Strafbataillonen gestorben. Keine fünf Prozent der Deserteure haben überlebt.“ Die rund 4000 Überlebenden litten in und an einem Land und einer Gesellschaft, wo die Täter belohnt und die Opfer verhöhnt wurden. „Unsere Leute sind früher gestorben als die Nazis oder überzeugten Kommunisten – diese lebenslange Erniedrigung raubt Kraft. Die meisten waren kaputt, keiner hatte Karriere gemacht. Keiner war im öffentlichen Dienst, wir waren ja weiterhin vorbestraft, und fast alle von uns waren arm geblieben, keiner hatte so recht Anschluss an die Gesellschaft gefunden. Wir hatten ja auch niemanden, der zu uns stand.“
Keiner der 3000 NS-Militärrichter sei später zur Rechenschaft gezogen worden. Im Gegenteil: „Die Militärrichter, welche uns verurteilten, haben mehr Todes- und Terrorurteile gefällt als der Volksgerichtshof und alle Sondergereichte zusammen, um anschließend in der Bundesrepublik bis in die höchsten Ämter Karriere zu machen.“ Sie waren sogar daran beteiligt zu verhindern, dass das faschistische Unrecht an den Deserteuren früher wieder gut gemacht wurde. Als ein Beispiel dafür wird der ehemalige Militärrichter Erich Schwinge erwähnt, der „selbst mindestens acht Todesurteile“ fällte. Der selbe Schwinge habe 1977 als Juraprofessor die NS-Militärjustiz als „antinationalsozialistische Enklave der Rechtsstaatlichkeit“ beschrieben.
Ludwig Baumann erzählt in dem Buch auch von seinen beiden Freunden Kurt und Johann, die ihr Nein mit dem Leben bezahlen mussten. Und er schreibt von dem harten Weg und Kampf, um die eigenen Würde zurückzuerlangen. Als er endlich die Kraft dafür fand, engagierte er sich in der Friedens- und Eine-Welt-Bewegung und gründete mit anderen Überlebenden 1990 die „Interessenvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz e.V.“. Er berichtet von seinem Kampf gegen alte und neue Nazis, wie er sich für Frieden und gegen Kriegsverherrlichung einsetzte und weiter engagiert. Und ihm ist klar: „Kein Kulturkreis hat so viel Unrecht begangen wie der Westen. Und immer ging es um Geld und Macht. ... Und wir können auch nicht erwarten, dass die Dritte Welt gewaltfrei für unseren Wohlstand hungert.“ Er kritisiert Bundespräsident Joachim Gauck, der jüngst forderte, dass Deutschland in der globalisierten Welt wieder mehr mitmischen müsse und „die Zeit eines ganz grundsätzlichen Misstrauens“ gegenüber der deutschen Rolle vorüber sein müsse. „Solche Worte aus dem Mund eines Pastors – da wird mir angst und bang. Ich sage: Die Mächtigen der Welt fürchten uns Deserteure, Abweichler, weil wir ihre Absichten durchkreuzen.“ Ludwig Baumann stellt fest: „Man kann nichts Besseres tun, als auch in Zukunft jeden Krieg zu verraten!“ Er werde nicht müde zu rufen: „Lebt gewaltfrei! Lasst euch nicht für Kriege missbrauchen und von den Medien täuschen.“
Der 1921 Geborene stellt fest: „Ich bin nun wohl der letzte Deserteur. Lange dachte ich, mein Leben sei wertlos, ich sei wertlos. Darum habe ich mich auch lange geweigert, über mein Leben zu schreiben. Und auch, weil das Erinnern schmerzte. Das sehe ich nun anders. Ich möchte dass mein Schicksal der Nachwelt erhalten bleibt.“
Menschen wie Ludwig Baumann haben Anerkennung und Hochachtung verdient, für ihr Nein zum Krieg und ihr Ja zum Leben. Seinem Buch ist zu wünschen, dass es viele lesen und dass es manchen, der Krieg immer noch für notwendig und unabwendbar oder gar „gerecht“ hält, zum Nachdenken bringt. Ich wünsche Ludwig Baumann, dem ich vor mehreren Jahren einmal persönlich begegnet bin, dass sein Wunsch, niedergeschrieben am Ende des Buches, in Erfüllung geht: „Nun, ich möchte noch so lange wie möglich wach und tatkräftig bleiben.
Und dann in Würde sterben können.“
Ludwig Baumann:
Niemals gegen das Gewissen – Plädoyer des letzten Wehrmachtsdeserteurs
Verlag Herder
2014
128 Seiten, Kartoniert
ISBN 978-3-451-30984-7
12,99 Euro
Verlagsinformationen
Ludwig Baumann schreibt: „Ich bin kein Held. Aber auch kein Feigling.“ Er ist ein Held der anderen Art, die es viel zu wenig gibt, eben in dem Sinn, dass er unbeirrt seinem Gewissen folgte. Einer der Menschen, die für ihre Haltung eintreten oder sich gegen den Strom stellen. Von denen es zu wenig gibt, wie er feststellt. Das Buch, das er zusammen mit dem Journalisten Norbert Joa verfasste, zeigt ihn ebenso als Menschen, der beinahe daran kaputt ging, dass er für die Nachkriegsgesellschaft in der Bundesrepublik als „Verräter“ und „Straftäter“ galt. Das musste er bis 17. Mai 2002 erleiden, 57 Jahre lang seit der Befreiung vom deutschen Faschismus. Erst an dem Tag hob der Deutsche Bundestag alle Urteile gegen Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und „Wehrkraftzersetzer“, die die Militärjustiz der faschistischen deutschen Wehrmacht gefällt hatte, pauschal auf. Es sei eine „innere Befreiung“ gewesen, berichtet Ludwig Baumann, eine „Befreiung vom Makel der Vorstrafe, aber auch von Demütigungen“. Er vergisst aber nicht, darauf hinzuweisen, dass die so genannten „Kriegsverräter“, Soldaten, die z.B. jüdischen Menschen helfen wollten oder Kriegsgefangenen Brot zugesteckt hatten, erst 2009 rehabilitiert wurden. Das hat nur er noch miterlebt. Und er erinnert daran, dass dieses Anliegen bis zuletzt vom CSU-Politiker Norbert Geis bekämpft wurde.
Bis zu dem Tag der eigenen inneren Befreiung musste Ludwig Baumann einen harten Weg gehen, seitdem er am 30. Juni 1942 als Deserteur zum Tode verurteilt wurde. Er hatte das Glück, zu zwölf Jahren Zuchthaus begnadigt zu werden, nicht einmal einen Monat nach dem Todesurteil. Aber er musste weiter in der Todeszelle ausharren: „300 Tage. Und 300 Nächte. Es hat mein Leben zerstört.“ Erst dann wurde ihm seine Begnadigung mitgeteilt. Er überlebte den Einsatz im „Strafbataillon“ an der Ostfront ebenso wie zuvor die Schikanen im „Emslandlager“ und im Wehrmachtsgefängnis Torgau. Und litt nach dem Ende des Krieges daran, dass ihn die Gesellschaft der Bundesrepublik als „Verräter“ behandelte. Noch 1993 schrieb ihm ein Ewiggestriger: “Ich kann nur bedauern, dass Sie nicht erschossen oder geköpft wurden.“ Deserteure seien nur „Halunken, Strolche, feige Schurken“, die „das Leben von Hunderttausenden Kameraden auf dem Gewissen“ hätten. Auch später erhielt Ludwig Baumann noch solche Briefe.
Er beschreibt, wie es ihm, der überlebte, nach dem Kriegsende erging und wie er lange nicht mit dem Leben im Nachkriegsdeutschland zurecht kam, auch von privaten Niederlagen und eigenem Versagen. „Von uns Deserteuren, die wir – aus welchen Gründen auch immer – Hitlers Krieg nicht mitmachen wollten, wurden 23000 erschossen, erhängt oder enthauptet. Und 100000 von uns sind im KZ oder in den Strafbataillonen gestorben. Keine fünf Prozent der Deserteure haben überlebt.“ Die rund 4000 Überlebenden litten in und an einem Land und einer Gesellschaft, wo die Täter belohnt und die Opfer verhöhnt wurden. „Unsere Leute sind früher gestorben als die Nazis oder überzeugten Kommunisten – diese lebenslange Erniedrigung raubt Kraft. Die meisten waren kaputt, keiner hatte Karriere gemacht. Keiner war im öffentlichen Dienst, wir waren ja weiterhin vorbestraft, und fast alle von uns waren arm geblieben, keiner hatte so recht Anschluss an die Gesellschaft gefunden. Wir hatten ja auch niemanden, der zu uns stand.“
Keiner der 3000 NS-Militärrichter sei später zur Rechenschaft gezogen worden. Im Gegenteil: „Die Militärrichter, welche uns verurteilten, haben mehr Todes- und Terrorurteile gefällt als der Volksgerichtshof und alle Sondergereichte zusammen, um anschließend in der Bundesrepublik bis in die höchsten Ämter Karriere zu machen.“ Sie waren sogar daran beteiligt zu verhindern, dass das faschistische Unrecht an den Deserteuren früher wieder gut gemacht wurde. Als ein Beispiel dafür wird der ehemalige Militärrichter Erich Schwinge erwähnt, der „selbst mindestens acht Todesurteile“ fällte. Der selbe Schwinge habe 1977 als Juraprofessor die NS-Militärjustiz als „antinationalsozialistische Enklave der Rechtsstaatlichkeit“ beschrieben.
Ludwig Baumann erzählt in dem Buch auch von seinen beiden Freunden Kurt und Johann, die ihr Nein mit dem Leben bezahlen mussten. Und er schreibt von dem harten Weg und Kampf, um die eigenen Würde zurückzuerlangen. Als er endlich die Kraft dafür fand, engagierte er sich in der Friedens- und Eine-Welt-Bewegung und gründete mit anderen Überlebenden 1990 die „Interessenvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz e.V.“. Er berichtet von seinem Kampf gegen alte und neue Nazis, wie er sich für Frieden und gegen Kriegsverherrlichung einsetzte und weiter engagiert. Und ihm ist klar: „Kein Kulturkreis hat so viel Unrecht begangen wie der Westen. Und immer ging es um Geld und Macht. ... Und wir können auch nicht erwarten, dass die Dritte Welt gewaltfrei für unseren Wohlstand hungert.“ Er kritisiert Bundespräsident Joachim Gauck, der jüngst forderte, dass Deutschland in der globalisierten Welt wieder mehr mitmischen müsse und „die Zeit eines ganz grundsätzlichen Misstrauens“ gegenüber der deutschen Rolle vorüber sein müsse. „Solche Worte aus dem Mund eines Pastors – da wird mir angst und bang. Ich sage: Die Mächtigen der Welt fürchten uns Deserteure, Abweichler, weil wir ihre Absichten durchkreuzen.“ Ludwig Baumann stellt fest: „Man kann nichts Besseres tun, als auch in Zukunft jeden Krieg zu verraten!“ Er werde nicht müde zu rufen: „Lebt gewaltfrei! Lasst euch nicht für Kriege missbrauchen und von den Medien täuschen.“
Der 1921 Geborene stellt fest: „Ich bin nun wohl der letzte Deserteur. Lange dachte ich, mein Leben sei wertlos, ich sei wertlos. Darum habe ich mich auch lange geweigert, über mein Leben zu schreiben. Und auch, weil das Erinnern schmerzte. Das sehe ich nun anders. Ich möchte dass mein Schicksal der Nachwelt erhalten bleibt.“
Menschen wie Ludwig Baumann haben Anerkennung und Hochachtung verdient, für ihr Nein zum Krieg und ihr Ja zum Leben. Seinem Buch ist zu wünschen, dass es viele lesen und dass es manchen, der Krieg immer noch für notwendig und unabwendbar oder gar „gerecht“ hält, zum Nachdenken bringt. Ich wünsche Ludwig Baumann, dem ich vor mehreren Jahren einmal persönlich begegnet bin, dass sein Wunsch, niedergeschrieben am Ende des Buches, in Erfüllung geht: „Nun, ich möchte noch so lange wie möglich wach und tatkräftig bleiben.
Und dann in Würde sterben können.“
Ludwig Baumann:
Niemals gegen das Gewissen – Plädoyer des letzten Wehrmachtsdeserteurs
Verlag Herder
2014
128 Seiten, Kartoniert
ISBN 978-3-451-30984-7
12,99 Euro
Verlagsinformationen
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen