Das Assoziierungsabkommen, das der
ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch im November 2013 nicht wie
geplant unterschrieb, stellt „das zentrale Expansionsinstrument der
Europäischen Union in den erweiterten Nachbarschaftsraum“ dar. Darauf
weist Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in
Heft 4/2014 der Zeitschrift Sozialismus hin. Diese Abkommen,
die Ende letzten Jahres nur von Moldawien und Georgien unterschrieben
wurden, „ zielen darauf ab, die angrenzenden Länder als Investitions-
und Absatzmärkte, als Niedrigsteuerländer und verlängerte Werkbänke
dauerhaft in den großeuropäischen Wirtschaftsraum und damit in die
EU-Einflusszone zu integrieren.“ Das verschwiegene Hauptmotiv der
wirtschaftlichen Integration sei „die Wettbewerbsfähigkeit der
Europäischen Union zu stärken, Ökonomien in die expandierende Wirtschaft
des Imperiums (der EU) einzugliedern und Zugang zu natürlichen
Ressourcen in der energiereichen Nachbarschaft zu erhalten“, zitiert der
Autor aus einer Analyse von Bohdana Dimitrovova. Die Folgen des
Abkommens, das ukrainische Unternehmen schutzlos der Konkurrenz aussetze
und einheimische Produkte vom Markt verdränge, hätten zu Bedenken in
der Janukowitsch-Regierung geführt, erinnert Wagner. Der ukrainische
Versuch, in Nachverhandlungen Zugeständnisse zu erhalten, wurde jedoch
von der Europäischen Union kategorisch abgelehnt. Das sei die
Hauptursache für das Nein aus Kiew. Zugleich machte Russland ein Angebot
an die Ukraine, das neben Sanktionen im Sommer 2013 („Peitsche“) ein
schwer ablehnbares finanzielles „Zuckerbrot“ enthielt: Preisnachlass für
russisches Gas (jährlich drei Milliarden US-Dollar) und Aufkauf
ukrainischer Staatsanleihen im Umfang von 15 Milliarden US-Dollar. „Um
denselben Betrag hatte die in extremen Finanznöten stehende
Janukowitsch-Regierung zuvor den Westen gebeten und bekam dafür gleich
die Daumenschrauben angesetzt.“ Laut Wagner unterlag die EU damit in dem
Bieterwettbewerb, aber aufgrund der geopolitischen Bedeutung der
Ukraine „war der Westen nicht gewillt, kampflos das Feld zu räumen.“ Und
so folgte die von außen angeheizte gewaltsame Eskalation der Proteste
in Kiew bis zum Sturz von Janukowitsch. Das wiederum führte zu „einer
der schwersten Krisen zwischen dem Westen und Russland seit Ende des
Kalten Krieges“, so Wagner.
Es handele sich auch um ein Testfall für den verkündeten Anspruch einer neuen deutschen Weltmachtpolitik. Nicht nur die USA, sondern auch die EU und die Bundesregierung hätten „über viele Jahre hinweg beträchtliche Summen in den Aufbau und die Stärkung pro-westlicher Oppositionsparteien investiert“. Allein zwischen 2007 und 2013 sei eine Milliarde Euro „aus dem Topf des Europäischen Nachbarschaftsinstruments“ an prowestliche Akteure gegangen. Das vom Westen unterstützte Parteien-Bündnis aus „Udar“, „Vaterland“ und „Swoboda“ habe es geschafft, die Proteste seit November 2013 zu dominieren. Aber es repräsentiere „weder die Mehrheit der Bevölkerung und noch weniger deren Interessen“, stellt Wagner klar. Die „innerimperialistischen Reibereien, wessen Protegé künftig in der Ukraine das Sagen haben soll“, seien vorerst mit einem Punktsieg für die US-Regierung ausgegangen, indem die „Vaterland“-Partei von Julija Timoschenko alle wesentliche Posten übernahm.
Russland ist offensichtlich nicht gewillt, „dem Westen das Feld zu überlassen“, meint der Autor. Das habe die Reaktion auf der Halbinsel Krim gezeigt. Die russische Führung versuche seit längerem, Einflussgewinne des Westens durch „bunte Revolutionen“ und prowestliche Umstürze in seiner direkten Nachbarschaft „zurückzudrängen oder wenigstens aufzuhalten“. Wagner erinnert in dem Zusammenhang daran, dass Zbigniew Brzezinski bereits 1997 die Ukraine als „geopolitisches Filetstück ersten Ranges“ beschrieben hatte. „Aus russischer Sicht besonders Besorgnis erregend muss dabei sein, dass die Ukraine nur als Zwischenschritt für die Einverleibung des gesamten postsowjetischen Raumes betrachtet wird.“ Es handelt sich dabei nicht um „alte Kamellen“, wie ein Beitrag in Ausgabe 6/2013 der führenden deutschen außenpolitischen Zeitschrift Internationale Politik unter dem Titel „Tor zum Osten oder Krisenherd?“ zeigt, auf den Wagner hinweist. Darin schreibt Andreas Umland, gegenwärtig an der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie tätig, u.a.: „Russland müsste sich mit der Heranführung der Ukraine an die EU endgültig von seinen neoimperialen Träumen verabschieden. … Die Ukraine … könnte für den Westen insgesamt zum Tor für eine schrittweise Demokratisierung des riesigen, vormals sowjetischen Territoriums im nördlichen Eurasien werden.“ Wagner macht zwar zu Recht auf diese Hintergründe aufmerksam, auch darauf, dass Moskau auf „die geopolitische Offensive des Westens“, reagiere. Zugleich behauptet er überraschenderweise, „nichtsdestotrotz sind seine Handlungen aber ebenfalls aggressiv und strikt den eigenen egoistischen Interessen verpflichtet“, ganz so, als sei Russland einer der Hauptverantwortlichen für das erhebliche Eskalationspotenzial des Konfliktes.
Ein weiterer Beitrag im aktuellen Sozialismus-Heft stellt immerhin fest: „Trotz der hegemonialen Ansprüche Russlands gegenüber der Ukraine ist die These unbegründet, dass die Putin-Administration nur auf den Umsturz in der Ukraine gewartet habe, um eine Annexion durchzusetzen.“ Der Text analysiert vor allem die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und stellt fest: Jede neue Regierung in Kiew müsse sich daran messen lassen, ob sie die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in der Ukraine verbessert. Eine ökonomische und politische Stabilisierung der heterogenen ukrainischen Republik sei „nur im Zusammenwirken mit Russland zu haben“, schreiben die Autoren. Sie warnen, dass der Konflikt um die Ukraine „zu einer tiefen Spaltung zwischen Russland und den kapitalistischen Hauptländern“ mutieren könne. Bisher deutet alles daraufhin, dass vor allem der Westen sich in diese Richtung bewegt.
Das wirkt wie eine Neuauflage oder Fortsetzung des Kalten Krieges, der angeblich 1990/91 zu Ende ging. „Westliche Entscheidungsträger wie Massenmedien warnen auch fast gebetsmühlenartig vor der Renaissance desselben, um der Öffentlichkeit ebenso gebetsmühlenartig wie scheinbar selbstverständlich in Erinnerung zu rufen, wer dafür verantwortlich sei: Russland.“ Das schreibt der Historiker Kurt Gritsch in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Hintergrund (2. Quartal 2014). Die „westliche Überlegenheits-Argumentation“ lasse für Selbstreflexion wenig Platz. Angesichts der westlichen Schuldzuweisungen an den Kreml, „fast so selbstverständlich … wie vor 1991, muss man sich fragen, ob der Kalte Krieg in den Köpfen vieler gar nie zu Ende gegangen ist.“ Dazu trage des „irgendwie vertraute Bild“ bei: „Da die bösen Russen, hier die guten Amerikaner“. Die „Kalten Krieger des Westens“ hätten sich nicht lange mit ihrer Siegesfeier aufgehalten, nachdem „sich 1991 der Warschauer Pakt ohne formale Nachfolgeorganisation einfach aufgelöst“ hatte, so Gritsch. Und so „trieb die NATO die in mehreren Schritten realisierte Osterweiterung voran“. An diese geschichtliche Entwicklung zu erinnern ist wichtig, wie auch der Historiker meint. Nur so könne die aktuelle Krise in der Ukraine und auf der Krim und die russischen Reaktionen verstanden werden. Das vom Westen, zum Teil in interner Konkurrenz, immer mehr bedrängte Moskau habe zugleich weltweit nur an Einfluss verloren. „Dass Russland den vom Westen schon früh unterstützten Regierungswechsel in der Ukraine als Angriff auf die eigene Sicherheit interpretiert, erscheint vor diesem Hintergrund nicht besonders überraschend.“ Denn: „Bei einer Westintegration der Ukraine rückt die NATO bis auf 300 Kilometer an Moskau heran.“ Gritsch erinnert daran, was bei einem Ereignis mit umgekehrten Vorzeichen geschah: Das „konnte 1962 in der sogenannten Kuba-Krise beobachtet werden“. Ziel der NATO-Aktivitäten sei es, Russland dem westlichen Modell zu unterwerfen, „es soll sich marktwirtschaftlich vollständig öffnen und seine Wirtschaft, insbesondere aber seine reichen Bodenschätze, den westlichen Konzernen zugänglich machen.“ In einem freien Wettbewerb sollten sich unterschiedliche Konzepte friedlich miteinander messen, so der Historiker. Aber der Westen lasse real kein alternatives Modell zu, „nicht einmal ein abgeschwächt kapitalistisches mit staatlichen Eingriffen in den Markt wie in Russland oder China“. Das wirke auch kontraproduktiv auf die Glaubwürdigkeit der westlichen Phrasen von Freiheit und Demokratie, mit denen noch jede verdeckte Operation, Putsch oder Überfall öffentlich begründet wurde. Gritsch nennt das zudem „Ausdruck von Kulturimperialismus, von Arroganz und Anmaßung darüber entscheiden zu können, was für einen anderen Kulturkreis notwendig und richtig sei“. Der Kalte Krieg wäre erst dann wirklich zu Ende, wenn „sich auf allen Seiten die Verfechter der Kooperation“ durchgesetzt hätten.
Wie weit das entfernt sein, macht ein weiterer Beitrag in dem aktuellen Hintergrund-Heft deutlich. Daran erinnert Hans Berger daran, dass der Westen sich „nach dem Niedergang der Sowjetunion zur Expansion gen osten aufmachte und Russland immer weiter in Bedrängnis brachte“. „Hinzu kam in den vergangenen Jahrzehnten eine Kriegspolitik der USA und ihrer Verbündeten, die immer wieder russische Interessen berührte, zuletzt in Libyen und Syrien.“ Dem Westen muss die russische Reaktion auf den Versuch, die Ukraine aus der traditionellen Anbindung an Russland herauszubrechen, vorher klar gewesen sein, so der Autor. Die Fakten stünden „in völligem Widerspruch zu der Mär, der Aggressor sitze in Moskau“. Berger stellt fest: „Putin ist trotz Krim-Anschlusses in der Defensive.“ Und: „Wenn der Westen seine Politik der Eskalation fortsetzt, ist schwer abzusehen, womit dieses Spiel mit dem Feuer endet.“ Eines hat er schon erreicht: „Das Ergebnis von drei Monaten Maidan ist ein dramatischer Rechtsruck der ukrainischen Gesellschaft.“ Zu dem Fazit kommt im gleichen Heft der Historiker und Slawist Reinhard Lauterbach, der sich mehrfach vor Ort aufhielt und -hält. Er beschreibt die Entwicklung der Proteste nach dem Nein aus Kiew zum EU-Assoziierungsabkommen, zu dem nicht einmal der visafreie Reiseverkehr für Ukrainer in die EU gehörte, was aber andersrum seit 2004 schon galt. Lauterbach stellt auch fest, dass im Gegensatz zu den prowestlichen Aktivisten in Kiew und den zahlreichen faschistischen Kräften unter ihnen die prorussischen Milieus „erkennbar wenig organisiert“ seien. Die Dynamik der Ereignisse habe diese „offenkundig überrascht“. Der westliche Einfluss sowie die Rolle und das Auftreten der Faschisten in Kiew sind weitere Themen des Heftes.
Es handele sich auch um ein Testfall für den verkündeten Anspruch einer neuen deutschen Weltmachtpolitik. Nicht nur die USA, sondern auch die EU und die Bundesregierung hätten „über viele Jahre hinweg beträchtliche Summen in den Aufbau und die Stärkung pro-westlicher Oppositionsparteien investiert“. Allein zwischen 2007 und 2013 sei eine Milliarde Euro „aus dem Topf des Europäischen Nachbarschaftsinstruments“ an prowestliche Akteure gegangen. Das vom Westen unterstützte Parteien-Bündnis aus „Udar“, „Vaterland“ und „Swoboda“ habe es geschafft, die Proteste seit November 2013 zu dominieren. Aber es repräsentiere „weder die Mehrheit der Bevölkerung und noch weniger deren Interessen“, stellt Wagner klar. Die „innerimperialistischen Reibereien, wessen Protegé künftig in der Ukraine das Sagen haben soll“, seien vorerst mit einem Punktsieg für die US-Regierung ausgegangen, indem die „Vaterland“-Partei von Julija Timoschenko alle wesentliche Posten übernahm.
Russland ist offensichtlich nicht gewillt, „dem Westen das Feld zu überlassen“, meint der Autor. Das habe die Reaktion auf der Halbinsel Krim gezeigt. Die russische Führung versuche seit längerem, Einflussgewinne des Westens durch „bunte Revolutionen“ und prowestliche Umstürze in seiner direkten Nachbarschaft „zurückzudrängen oder wenigstens aufzuhalten“. Wagner erinnert in dem Zusammenhang daran, dass Zbigniew Brzezinski bereits 1997 die Ukraine als „geopolitisches Filetstück ersten Ranges“ beschrieben hatte. „Aus russischer Sicht besonders Besorgnis erregend muss dabei sein, dass die Ukraine nur als Zwischenschritt für die Einverleibung des gesamten postsowjetischen Raumes betrachtet wird.“ Es handelt sich dabei nicht um „alte Kamellen“, wie ein Beitrag in Ausgabe 6/2013 der führenden deutschen außenpolitischen Zeitschrift Internationale Politik unter dem Titel „Tor zum Osten oder Krisenherd?“ zeigt, auf den Wagner hinweist. Darin schreibt Andreas Umland, gegenwärtig an der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie tätig, u.a.: „Russland müsste sich mit der Heranführung der Ukraine an die EU endgültig von seinen neoimperialen Träumen verabschieden. … Die Ukraine … könnte für den Westen insgesamt zum Tor für eine schrittweise Demokratisierung des riesigen, vormals sowjetischen Territoriums im nördlichen Eurasien werden.“ Wagner macht zwar zu Recht auf diese Hintergründe aufmerksam, auch darauf, dass Moskau auf „die geopolitische Offensive des Westens“, reagiere. Zugleich behauptet er überraschenderweise, „nichtsdestotrotz sind seine Handlungen aber ebenfalls aggressiv und strikt den eigenen egoistischen Interessen verpflichtet“, ganz so, als sei Russland einer der Hauptverantwortlichen für das erhebliche Eskalationspotenzial des Konfliktes.
Ein weiterer Beitrag im aktuellen Sozialismus-Heft stellt immerhin fest: „Trotz der hegemonialen Ansprüche Russlands gegenüber der Ukraine ist die These unbegründet, dass die Putin-Administration nur auf den Umsturz in der Ukraine gewartet habe, um eine Annexion durchzusetzen.“ Der Text analysiert vor allem die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und stellt fest: Jede neue Regierung in Kiew müsse sich daran messen lassen, ob sie die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in der Ukraine verbessert. Eine ökonomische und politische Stabilisierung der heterogenen ukrainischen Republik sei „nur im Zusammenwirken mit Russland zu haben“, schreiben die Autoren. Sie warnen, dass der Konflikt um die Ukraine „zu einer tiefen Spaltung zwischen Russland und den kapitalistischen Hauptländern“ mutieren könne. Bisher deutet alles daraufhin, dass vor allem der Westen sich in diese Richtung bewegt.
Das wirkt wie eine Neuauflage oder Fortsetzung des Kalten Krieges, der angeblich 1990/91 zu Ende ging. „Westliche Entscheidungsträger wie Massenmedien warnen auch fast gebetsmühlenartig vor der Renaissance desselben, um der Öffentlichkeit ebenso gebetsmühlenartig wie scheinbar selbstverständlich in Erinnerung zu rufen, wer dafür verantwortlich sei: Russland.“ Das schreibt der Historiker Kurt Gritsch in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Hintergrund (2. Quartal 2014). Die „westliche Überlegenheits-Argumentation“ lasse für Selbstreflexion wenig Platz. Angesichts der westlichen Schuldzuweisungen an den Kreml, „fast so selbstverständlich … wie vor 1991, muss man sich fragen, ob der Kalte Krieg in den Köpfen vieler gar nie zu Ende gegangen ist.“ Dazu trage des „irgendwie vertraute Bild“ bei: „Da die bösen Russen, hier die guten Amerikaner“. Die „Kalten Krieger des Westens“ hätten sich nicht lange mit ihrer Siegesfeier aufgehalten, nachdem „sich 1991 der Warschauer Pakt ohne formale Nachfolgeorganisation einfach aufgelöst“ hatte, so Gritsch. Und so „trieb die NATO die in mehreren Schritten realisierte Osterweiterung voran“. An diese geschichtliche Entwicklung zu erinnern ist wichtig, wie auch der Historiker meint. Nur so könne die aktuelle Krise in der Ukraine und auf der Krim und die russischen Reaktionen verstanden werden. Das vom Westen, zum Teil in interner Konkurrenz, immer mehr bedrängte Moskau habe zugleich weltweit nur an Einfluss verloren. „Dass Russland den vom Westen schon früh unterstützten Regierungswechsel in der Ukraine als Angriff auf die eigene Sicherheit interpretiert, erscheint vor diesem Hintergrund nicht besonders überraschend.“ Denn: „Bei einer Westintegration der Ukraine rückt die NATO bis auf 300 Kilometer an Moskau heran.“ Gritsch erinnert daran, was bei einem Ereignis mit umgekehrten Vorzeichen geschah: Das „konnte 1962 in der sogenannten Kuba-Krise beobachtet werden“. Ziel der NATO-Aktivitäten sei es, Russland dem westlichen Modell zu unterwerfen, „es soll sich marktwirtschaftlich vollständig öffnen und seine Wirtschaft, insbesondere aber seine reichen Bodenschätze, den westlichen Konzernen zugänglich machen.“ In einem freien Wettbewerb sollten sich unterschiedliche Konzepte friedlich miteinander messen, so der Historiker. Aber der Westen lasse real kein alternatives Modell zu, „nicht einmal ein abgeschwächt kapitalistisches mit staatlichen Eingriffen in den Markt wie in Russland oder China“. Das wirke auch kontraproduktiv auf die Glaubwürdigkeit der westlichen Phrasen von Freiheit und Demokratie, mit denen noch jede verdeckte Operation, Putsch oder Überfall öffentlich begründet wurde. Gritsch nennt das zudem „Ausdruck von Kulturimperialismus, von Arroganz und Anmaßung darüber entscheiden zu können, was für einen anderen Kulturkreis notwendig und richtig sei“. Der Kalte Krieg wäre erst dann wirklich zu Ende, wenn „sich auf allen Seiten die Verfechter der Kooperation“ durchgesetzt hätten.
Wie weit das entfernt sein, macht ein weiterer Beitrag in dem aktuellen Hintergrund-Heft deutlich. Daran erinnert Hans Berger daran, dass der Westen sich „nach dem Niedergang der Sowjetunion zur Expansion gen osten aufmachte und Russland immer weiter in Bedrängnis brachte“. „Hinzu kam in den vergangenen Jahrzehnten eine Kriegspolitik der USA und ihrer Verbündeten, die immer wieder russische Interessen berührte, zuletzt in Libyen und Syrien.“ Dem Westen muss die russische Reaktion auf den Versuch, die Ukraine aus der traditionellen Anbindung an Russland herauszubrechen, vorher klar gewesen sein, so der Autor. Die Fakten stünden „in völligem Widerspruch zu der Mär, der Aggressor sitze in Moskau“. Berger stellt fest: „Putin ist trotz Krim-Anschlusses in der Defensive.“ Und: „Wenn der Westen seine Politik der Eskalation fortsetzt, ist schwer abzusehen, womit dieses Spiel mit dem Feuer endet.“ Eines hat er schon erreicht: „Das Ergebnis von drei Monaten Maidan ist ein dramatischer Rechtsruck der ukrainischen Gesellschaft.“ Zu dem Fazit kommt im gleichen Heft der Historiker und Slawist Reinhard Lauterbach, der sich mehrfach vor Ort aufhielt und -hält. Er beschreibt die Entwicklung der Proteste nach dem Nein aus Kiew zum EU-Assoziierungsabkommen, zu dem nicht einmal der visafreie Reiseverkehr für Ukrainer in die EU gehörte, was aber andersrum seit 2004 schon galt. Lauterbach stellt auch fest, dass im Gegensatz zu den prowestlichen Aktivisten in Kiew und den zahlreichen faschistischen Kräften unter ihnen die prorussischen Milieus „erkennbar wenig organisiert“ seien. Die Dynamik der Ereignisse habe diese „offenkundig überrascht“. Der westliche Einfluss sowie die Rolle und das Auftreten der Faschisten in Kiew sind weitere Themen des Heftes.
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