Die DDR-Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 hatten vorgegebene Ergebnisse. Diese Wahlfälschung gilt allgemein als einer der Auslöser vor 30 Jahren für die Proteste der DDR-Bürger gegen die Partei- und Staatsführung. Zeitzeugen haben in Berlin daran erinnert. Dabei wurde auch ein hohes Maß an subjektivem Empfinden offenbar.
Stefan Müller wurde 1989 von der DDR-Staatssicherheit mehrmals verhaftet. Er hat damals gemeinsam mit Freunden und anderen Aktivisten in Berlin auf die gefälschte Kommunalwahl vom 7. Mai des Jahres in der DDR aufmerksam gemacht. Das geschah an jedem 7. der Folgemonate und im September 1989 auf dem Alexanderplatz. Dort wurden sie von Mitarbeitern der Staatssicherheit wieder verhaftet, was laut Müller ziemlich brutal geschah. Ihm wurde der rechte Arm gebrochen, wie er sich am 7. Mai 2019 erinnerte.
Gemeinsam mit Evelyn Zupke, einer Aktivistin aus Berlin-Weißensee, berichtete der Berliner, wie er vor 30 Jahren auf die Wahlfälschung aufmerksam zu machen versuchte. Beide sprachen mit der Historikerin Anja Schröter und dem „Spiegel“-Journalisten Peter Wensierski auf einer Veranstaltung der Robert-Havemann-Gesellschaft über die letzten DDR-Kommunalwahlen in Berlin und deren Folgen.
„Keinen Bock mehr auf den Mist“
Der heutige Sozialarbeiter Stefan Müller sagte, er habe damals jede Möglichkeit gesucht, um das „marode System“ der DDR zu ärgern. „Wir sind junge Leute gewesen, wollten an den Veränderungen beteiligt werden und sind ausgegrenzt worden.“ So beschrieb er die damalige Stimmung in seinem Freundeskreis, der vor allem aus Wehrdienst-Totalverweigerern bestanden habe. „Wir hatten keinen Bock mehr auf den Mist.“ Sie hätten den DDR-Funktionären und —Mächtigen zeigen wollen: „Ihr nervt uns und habt das Land runtergeritten!“
Er sei nicht kirchlich gewesen, obwohl sein Vater Pastor war. Aber da die Kirchen in der DDR der einzige Ort waren, wo sich oppositionelle Gruppen treffen konnten, sei er mit zum „Friedenskreis“ in Berlin-Weißensee gegangen. Den hatte Evelyn Zupke mit anderen organisiert, wo die beiden dann aufeinander trafen.
Mit anderen, unter ihnen ein „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) der Staatssicherheit, haben sie sich damals darauf vorbereitet, die Stimmauszählungen am 7. Mai 1989 zu beobachten. Das war nach dem DDR-Wahlgesetz möglich, wurde ihnen aber mit zum Teil absurden Begründungen erschwert. Gemeinsam organisierten sie danach die Proteste gegen die offiziell verkündeten, falschen Ergebnisse.
Offensichtlich falsches Ergebnis
Was beide aus ihrer Erinnerung berichteten, das gehörte zu den DDR-weiten Protesten nach der Kommunalwahl im Mai 1989. Die war, laut Historikerin Schröter, ein Katalysator für die gestiegene Unzufriedenheit und die zunehmenden Proteste in der DDR-Bevölkerung. Dazu trug bei, dass Egon Krenz, Leiter der zentralen Wahlkommission, am Abend des 7. Mai 1989 verkündete, 98,85 Prozent der Wahlberechtigten hätten mit Ja für die Einheitsliste der „Nationalen Front“ gestimmt, und es hätte nur 1,15 Prozent Nein-Stimmen gegeben.
Doch das war eine offensichtliche Falschmeldung, denn Wahlbeobachter in zahlreichen DDR-Städten hatten festgestellt, dass es bis zu zehn Prozent Nein-Stimmen gab. In Berlin-Weißensee wurden beispielsweise amtlich 1.011 Nein-Stimmen bei 42.007 gültigen Stimmen für den Wahlvorschlag verkündet, wie Müller und Zupke am Dienstag berichteten. Sie präsentierten ihre damalige Auswertung, nach der es in 66 von 67 Wahllokalen 2261 Nein-Stimmen und 25.797 Ja-Stimmen gegeben hatte. Auch sei offiziell die Wahlbeteiligung deutlich höher angegeben worden, als sie tatsächlich war.
Wahlkabinen im Abseits
Moderator Wensierski ließ sich im „Stasi-Unterlagenarchiv“ im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (MfS) von den beiden Aktivisten erklären, wie diese Wahl nach bewährtem DDR-Muster funktionierte. Dazu habe es einen Wahlzettel mit einer Einheitsliste von Kandidaten der „Nationalen Front“ gegeben. In dieser waren die fünf Parteien der DDR, allen voran die SED, zusammengefasst.
Traditionell mussten und konnten die Wähler auch im Mai 1989 nicht zwischen verschiedenen Kandidaten wählen. Sie sollten eigentlich nur den Wahlzettel falten und in die Wahlurne einwerfen, was als Ja-Stimme gewertet wurde. Zwar habe es in den Wahllokalen auch Wahlkabinen gegeben, erinnerte Zupke. Aber die hätten so gestanden, dass alle, die sie benutzen wollten, einen längeren Weg vor den Augen der offiziellen Wahlhelfer bewältigen mussten.
Das habe dazu geführt, dass viele die Kabinen gar nicht erst benutzten, so Zupke. Dazu habe „eine gehörige Portion Mut“ gehört, behauptete Moderator Wensierski. Zupke meinte, wer das tat, hätte danach Ärger bekommen. Der Autor dieser Zeilen hat das nach der Wahl am 7. Mai 1989 nicht erlebt, nachdem er die Wahlkabine benutzte und in dieser mit „Nein“ stimmte. Allerdings lag dafür in der Kabine tatsächlich nur ein Bleistift aus.
Wahlergebnis auf Anordnung von oben
Allerdings war es nicht so einfach, eine gültige Nein-Stimme abzugeben. Wer nicht alle Namen der Kandidaten einzelnen durchgestrichen hatte und sein „Nein“ anders kundtat, dessen Wahlzettel wurde als Ja-Stimme gezählt, berichteten die Zeitzeugen am Dienstag. Sie wollten damals mit ihrer vorbereiteten Wahlbeobachtung und ihren Protesten bei den DDR-Behörden danach auf den Betrug an den Wählern aufmerksam machen und die DDR-Bürger wachrütteln, wie sie erklärten.
Die falschen offiziellen Ergebnisse kamen auf Anordnung von oben zustande. In Ost-Berlin hatte der damalige Oberbürgermeister Erhard Krack von der SED den Stadtbezirken bereits vor dem Wahltag die Prozente der Ja-Stimmen vorgegeben. Ähnliches ist aus den anderen DDR-Bezirken bekannt geworden. Auch die Reaktionen auf die erwarteten Proteste gegen die Ergebnisse seien vorbereitet worden, berichteten die Podiumsteilnehmer am Dienstag. So habe Staatssicherheitsminister Erich Mielke persönlich vorgegeben, wie die Antworten auf die Eingaben von Bürgern zu formulieren seien.
Krenz heute: „Nicht notwendige Dummheit“
„Das war natürlich eine Dummheit, die wir selbst zu verantworten hatten.“ So kommentierte 30 Jahre später der damalige Leiter der DDR-Wahlkommission Egon Krenz gegenüber Sputnik die Wahlfälschung. Er verwies darauf, dass das DDR-Wahlgesetz noch aus den 1950er Jahren stammte und nicht mehr zeitgemäß war.
„Die Sache wäre überhaupt nicht notwendig gewesen. Ein anderes Ergebnis hätte überhaupt nichts an den Machtverhältnissen in der DDR geändert.“ Das sei zwar korrigierbar gewesen, habe aber die Stimmung in der DDR negativ verändert, gestand Krenz ein. Er habe aber nicht zur Wahlfälschung angestiftet, sagte er. Das habe ein entsprechendes Strafverfahren gegen ihn bewiesen, das ohne Urteil gegen ihn endete. Insgesamt seien 20 DDR-Funktionäre wegen der gefälschten Wahlergebnisse vom 7. Mai 1989 in der vereinigten Bundesrepublik angeklagt und verurteilt worden, hieß es am Dienstag.
Freie Wahlen ohne Sieg der Bürgerbewegung
Die beiden damaligen Wahlbeobachter Zupke und Müller meinten, sie seien enttäuscht gewesen, dass dann bei den letzten und freien Wahlen der DDR am 18. März 1990 zur Volkskammer die Bürgerbewegten so schlecht abschnitten. Ihre Vertreter in verschiedenen Gruppen bekamen damals insgesamt nur knapp über fünf Prozent. Großer Sieger war die ehemalige Blockpartei CDU mit 40,8 Prozent, bereits von der bundesdeutschen Schwester-Partei gleichen Namens unterstützt. Damit wurde der Weg in die schnelle Einheit geebnet.
„Die Stimmung war: Da sind wir wieder fünf
Prozent unter uns“, erinnerte sich Müller an den Wahlausgang. Aber ihm
und seinen Freunden sei auch klar gewesen, dass es eine demokratische
Entscheidung war, bei der sich die Mehrheit der DDR-Wähler für den
Westen entschieden habe. Er habe gedacht: „Das ist immer noch besser,
als den Osten zu behalten.“
Immer noch Angst vorm Sozialismus?
Der einstige Bürgerbewegte aus der DDR betonte wie seine Mitstreiterin
Zupke, mit Blick auf die Wahlen in diesem Jahr, es sei wichtig, wählen
zu können und zu gehen. Und fügte hinzu, dass er neben rechten Parteien
auch die aus der SED hervorgegangene Partei Die Linke für weiterhin
„unwählbar“ halte. In deren zweiter Reihe „sitzt noch die alte Garde“,
behauptete Müller tatsächlich.
Ein ähnlich eigenartiges politisches Urteilsvermögen hatte die einstige Aktivistin Zupke am selben Tag, Stunden vorher, in einem Interview mit
dem Sender „Deutschlandfunk“ gezeigt. Dessen Moderator hatte sie
gefragt, was sie von den Ideen des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert
halte, Konzerne wie BMW zu kollektivieren – obwohl es um die
DDR-Kommunalwahl vor 30 Jahren ging. Zupke sieht solche Gedanken als
„Verhöhnung weiter Teile der Gesellschaft der ehemaligen DDR“. Sie
wollte Kühnert am liebsten „ein Ticket nach Venezuela, Nordkorea oder
Kuba schenken, damit er sich ein Bild machen kann über die realen
Konsequenzen seiner Fantasien“.
zuerst erschienen auf sputniknews.com am 8.5.2019
zuerst erschienen auf sputniknews.com am 8.5.2019
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen