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Freitag, 13. Februar 2015

Blick auf einen weiter schwelenden Kriegsherd

Die Entwicklung im Ukraine-Konflikt war absehbar, stellten die Autoren des Buches "Kriegsherd Ukraine" am 12. Februar in Berlin fest. Eine friedliche Lösung sei bisher nicht sicher.

In dem Abkommen von Minsk, das von den Mitgliedern der sogenannten Kontaktgruppe am 12. Februar unterzeichnet wurde, stecken Ursachen dafür, dass es nicht eingehalten werden könnte. Darauf machte am selben Tag in Berlin Ralf Rudolph, ehemaliger DDR-Militär und Abrüstungsexperte, aufmerksam. Er hat  gemeinsam mit Uwe Markus das Buch „Kriegsherd Ukraine“ verfasst, das kürzlich erschien. Die Regelung im Abkommen, dass die Kiewer Truppen ihre schweren Waffen von der jetzigen Frontlinie zurückziehen sollen, die Aufständischen aber ihre von der Linie nach der Minsker Vereinbarung vom September 2014, sieht Rudolph als Quelle für neue Konflikte. Er habe sich auch gewundert, dass das Abkommen vom 12. Februar nicht von den in Minsk versammelten Präsidenten und Regierungschefs Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine unterschrieben wurde. Stattdessen trägt es die Unterschriften der OSZE-Vertreterin Heidi Tagliavini, des Ex-Präsidenten der Ukraine Leonid Kutschma, den russische Botschafter in der Ukraine, Michail Surabow, sowie der Vertreter der Volksrepubliken Donezk und Lugansk, Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizki. Auch die veröffentlichte Erklärung der vier Gipfelteilnehmer trage nicht deren Unterschriften, wunderte sich Rudolph und meinte, dass auch das nicht zur Durchsetzungskraft beitrage.
Eigentlich wollte er mit seinem Mitautor Markus in der Berliner Ladengalerie der Tageszeitung junge Welt nur das Buch vorstellen, das im Februar im Verlag Phalanx erschienen ist. Die am selben Tag gemeldeten Ergebnisse von Minsk sorgten dafür, dass es ein hochaktueller Abend wurde. Rudolph stellte fest, dass die neue Vereinbarung sich „im Wesentlichen auf die vom September 2014 stützt und fast wortwörtlich übernommen“ sei. Dazu gehöre der von der OSZE zu überwachende Waffenstillstand und der zweistufige Rückzug der schweren Waffen, die über 100 mm Kaliber auf 70 Kilometer von der Kampflinie, die Mehrfachraketenwerfer auf 140 Kilometer. Kiew sei verpflichtet worden, zu regeln, welche Gebiete in der Donbass-Region einen Sonderstatus erhalten sollen. Auch hier befürchtet Rudolph neuen Streit. Interessant findet er, dass auch unterschrieben wurde, dass bis Ende dieses Jahres eine neue Verfassung für die Ukraine verabschiedet werden solle, die den Sonderstatus für den Donbass festlegen soll. Im Abkommen sei außerdem festgeschrieben, dass alle ausländischen Militärs und Waffen auf beiden Seiten abgezogen werden sollen. Zudem sollen alle „ungesetzlichen Gruppen“ entwaffnet werden, damit auch die von Oligarchen finanzierten Privatarmeen und sogenannten Freiwilligen-Bataillone, die Freikorps. „Wie will Poroschenko das durchsetzen?“, fragte der Buchautor, wenn zum Beispiel die USA ab März mit Polen zusammen die Kiewer Truppen trainieren wollen, in deutlicher Personalstärke. Die mit Faschisten durchsetzten Freikorps hätten bereits mit einem Umsturz gedroht. „Das klingt so, als werde das Abkommen nicht eingehalten“, befürchtet Rudolph.
Zuvor hatte er gemeinsam mit Ko-Autor Markus zusammengefasst, wie sie in ihrem im Dezember 2014 abgeschlossenen Buch die Entwicklung des Konfliktes beschreiben. Ihn habe die Berichterstattung der deutschen Medien mit ihren „Unwahrheiten und manipulierten Aussagen“ aufgeregt, beschrieb er eines der Motive für das Buch: „Ich konnte das kaum mehr hören.“ Zudem sei er beruflich und privat oft in der Ukraine gewesen und mit einer Ukrainerin verheiratet. Seine Frau stamme aus Lugansk und habe seit dem Krieg keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie. Sein Partner machte unter anderem auf die Verbindungen zwischen den Eliten in der Ukraine und den Freikorps aufmerksam, die beide von den USA spätestens seit 2004 unterstützt worden seien. Die jüngste Äußerung von US-Präsident Barack Obama im CNN-Interview von einem „Deal zur Machtübergabe“ in Kiew habe deutlich bestätigt, dass die USA schon im Vorfeld des Konfliktes eigene geostrategische Interessen verfolgten. Die von ihnen unterstützten Kräfte wie Julia Timoschenko, Igor Kolomojski, Petro Poroschenko oder Alexander Turtschinow seien heute an der Macht. „Sie sollen heute richten, was sie in den Jahren zuvor anrichteten“, bezweifelte Markus die Reformfähigkeit von Poroschenko und Co. „Sie repräsentieren keinen Neuanfang und gehören zu den alten parasitären Eliten.“ Diese Kräfte seien mitverantwortlich für die heutige wirtschaftliche Lage des Landes. Sie hätten sich im Vorfeld der Maidan-Proteste Ende 2013 positioniert und begonnen eine Gegenmacht aufzubauen.

Unheilige Allianz aus Oligarchen und Freikorps


Ein Beispiel sei der Oligarch Kolomojski, der seine Übernahmen von Unternehmen mit Hilfe von Paramilitärs durchzog. Auch als Gouverneur von Dnjepropetrowsk stütze er sich auf kriminelle Gewalt und finanziere Freikorps. Diese würden nicht auf Kiew hören, sondern dem Oligarchen gehorchen. Sie hätten meist eine Vorgeschichte als rechtsextreme und neofaschistische Gruppen, deren Entwicklung vor etwa zehn Jahren begann. „Die Strukturen waren da“, stellte Buchautor Markus fest, „sie mussten nur noch ausgerüstet und vorbereitet werden.“ Die beiden Autoren beschreiben in ihrem Buch ausführlich die Traditionen der Freikorps wie dem faschistischen „Asow“-Bataillon.
Es gebe eine „unheilige Allianz aus der parasitären Elite der Oligarchen mit ihrer unbegrenzten Gier und Leuten aus kriminellem und rechtsradikalen Umfeld“, so Markus. „Das ist eine explosive Mischung“, die auch Poroschenko als Präsident zu schaffen mache und es im erschwere, die Zugeständnisse von Minsk in Kiew zu vertreten. Ungefähr 30 Freikorps existierten, ergänzte Ko-Autor Rudolph. Diese Kräfte würden ebenso wie die Nationalgarde ihre Aktivitäten nur schlecht mit der ukrainischen Armee koordinieren, was einer der Gründe für die Niederlagen der Kiewer Truppen sei. Markus wies daraufhin, dass Kiew behaupte, dass sich die Ukraine als souveräner Staat gegen eine Invasion wehren müsse. Aber für den Krieg würden Abschussprämien zerstörte Ziele ausgeschrieben - „das ist eine Bankrotterklärung“. Oligarch Kolomojski habe seinen Kämpfern schon immer Kopfprämien gezahlt. „Das wird ein Licht auf die Moral derjenigen, die das Sagen haben.“
Sie gehen ebenso auf die Vorgänge in Mariupol im Mai 2014 ein. Die Stadt habe neben Odessa mit seinem Tiefseehafen am Asowschen Meer einen der größten Häfen der Ukraine. „Dort hatten prorussische Bürger das Ruder in der Hand.“ Für die neue Führung in Kiew habe die Gefahr bestanden, dass beide Städte sich verbinden und damit die Südukraine in den Händen der Aufständischen wäre. Deshalb sei das Massaker von Odessa vom 2. Mai 2014 angezettelt worden und das Gleiche in Mariupol Tage später geschehen. Die Stadt sei für die „Volksrepublik Donezk“ ganz wichtig, um Kohle und Erz exportieren zu können. Doch das sei mit dem Massaker von Mariupol am 9. Mai 2014, dem traditionellen „Tag des Sieges über den Hitlerfaschismus“, verhindert worden. Dabei wurden Berichten zufolge fast 100 Menschen getötet, worüber heute kaum gesprochen oder geschrieben wird. Das Rathaus sei seit April 2014 von Aufständischen besetzt gewesen, die sich immer wieder Plänkeleien mit der Polizei lieferten. Im Laufe der Auseinandersetzungen, an denen Kolomojskis „Dnejpr-Bataillon“ beteiligt war sei die Nationalgarde zu Hilfe gerufen worden, die mit Panzern einrückte und wie in Odessa vorgegangen sei. U.a. sei das von widerständigen Polizisten und Aufständischen besetzte Polizeipräsidium in Brand gesteckt worden. Dabei und in Folge des mit Hilfe von Panzern und schweren Waffen niedergeschlagenen Aufruhrs in der Stadt seien bis zu 100 Menschen getötet wurden. Die Nationalgarde musste sich zuerst zurückziehen, um dann wieder einzumarschieren. Inzwischen hat das faschistische „Asow“-Bataillon die Kontrolle über Mariupol.

"Anti-Terroroperation" hat Aufstand angeheizt


Das sei die Initialzündung für die flächendeckende bewaffnete Auseinandersetzung gewesen, betonte Ko-Autor Markus. Diese Vorgänge seien von Kiew wie im Fall Odessa genau andersherum dargestellt worden. Diese Unaufrichtigkeit, „eine Lüge baut auf der anderen auf“, die sich bei den Massakern von Odessa und Mariupol wie auch bei der MH17-Katastrophe zeige, habe zu dem großen Mißtrauen auf Seiten der Gegner Kiews geführt. So sei auch bei dem Gefangenenaustausch durch Kiew getrickst worden. Die beiden Städte haben sich wie die anderen aufständischen Gebiete erst nach der Krim von Kiew trennen wollen, erinnerte Markus. Die „Antiterror-Operation“, das Vorgehen des Militärs und der Freikorps. der Einsatz schwerer Waffen habe den Aufstand erst angeheizt. „Wenn Kiew zu Zugeständnissen bereit gewesen wäre, wenn mit den Menschen geredet worden wäre, wäre das nicht eskaliert.“ Der Widerstandsgeist, der bekämpft werden sollte, sei so befördert worden. Angesichts des Kiewer Vorgehens sei es auch zu einer stärkeren russischen Unterstützung für die Aufständischen gekommen.
In dem Buch beschäftigen sich Rudolph und Markus unter der Überschrift „Vorbereitung auf die Revanche“ mit der im September 2014 vereinbarten Waffenruhe. In dieser Phase sei der „Keim für die heutige Entwicklung“ gelegt worden, ist sich Markus sicher. Nachdem die Volksmilizen im August 2014 die Kiewer Truppen zurückdrängen konnten, habe die erste Vereinbarung von Minsk eine Zäsur bedeutet. Es sei klar gewesen, dass keine der beiden Seiten mit der territorialen Situation leben kann. Es habe keine klare Frontlinie gegeben und die folgenden Kiewer Truppenkonzentrationen an bestimmten Punkten hätten die späteren Einkesselungen geradezu provoziert. „Beide Seiten versuchten, ihre eigene Situation zu verbessern.“ Der Sonderstatus für die ostukrainischen Gebiete sei nicht genau definiert worden. Die Aufständischen wollten das für das gesamte Gebiet von Donezk und Lugansk, was Kiew ablehnte. Der Krieg sei verdeckt fortgesetzt worden, „das musste explodieren“. Es sei „militärisch logisch“ gewesen, dass die Donezker Volksmilizen versuchten, die Kiewer Truppen vom Flughafen zu vertreiben, da diese von dort aus die Stadt beschossen. „Die heutige Situation war damals schon angelegt, das wußte man auch“, so Markus.
Ko-Autor Rudolph ging detailliert auf die militärischen Entwicklungen ein und bestätigte, dass die Kiewer Truppen mit ihren Konzentrationen auf einzelne Punkte wie Illowajsk und Debalzewo die späteren Kessel verursachten. Die von ihnen dort geschlagenen Keile in die Gebiete der Aufständischen hätten dafür gesorgt. Rudolph widersprach den behaupteten großen Geländegewinnen der aufständischen Milizen. Die habe es nur beim Flughafen Donezk und um den wichtigen Verkehrsknotenpunkt Debalzewo gegeben. Dort seien zwei humanitäre Korridore für die Zivilisten gebildet worden, einer nach Artjomowsk unter Kiewer Kontrolle und einer nach Donezk. Während tausende Kiewer Kämpfer das zur Flucht genutzt hätten, seien die Bewohner von den Behörden nicht über den Fluchtkorridor nach Donezk informiert worden, so dass die Busse für sie meist leer zurückfuhren.

Erfolgszwang für Minsker Gipfel und Gefahren


Markus machte bei der Buchvorstellung auf die zwei Hauptlager in der Kiewer Führung aufmerksam. Für die stünden auf der einen Seite Präsident Poroschenko, der für eine friedliche Lösung angetreten sei. Auf der anderen Seite stehe Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, ein Mann der USA, unterstützt von einer Reihe Personen in der zweiten Reihe, die zum Teil aus dem Ausland kommen, u.a. aus Georgien. Der Präsident stehe innenpolitisch unter Druck, daher sei vorher klar gewesen, dass er die Lösungen aus Minsk verkaufen können muss, „sonst ist er weg“. Daher habe es auch keine Regelung zur Autonomiefrage für die Ostukraine gegeben.
Der Autor beschrieb mit Blick auf den Minsker Gipfel als weiteres Problem, dass die USA über Jazenjuk einwirken und hineinregieren. Die Kriegstreiber in den USA wurden Präsident Barack Obama unter Druck setzen, der wegen der vermeintlichen Schlappe in Syrien als schwach dastehe. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel habe ebenfalls unter Druck gestanden. Sie habe verhindern wollen, dass der Westen tiefer in eine Auseinandersetzung hineingezogen wird, vor der selbst gestandene Militärs wie Ex-General Harald Kujat warnten. Sie habe nicht mit einer Niederlage vom Platz gehen können. Ebenso habe der französische Präsident Francois Holland die Interessen Frankreichs sicher müssen, das gleichfalls nicht an einer Ausweitung des Konfliktes interessiert sei. Russlands Präsident Wladimir Putin habe mit dem Kompromiss Zeit gewonnen und verhindern können, dass die USA sich massiv einmischen, stellte der Buchautor fest. Die anderen müssten ihm dankbar sein, dass sie aus Minsk zurückkommen konnten, ohne ein Scheitern zu verbuchen.
Die Entscheidungsprozesse in der deutschen Regierung seien in Bewegung, aber nicht aus Freundlichkeit Russland gegenüber. In der Bundesregierung sei klar, dass der Westen nicht gerüstet ist für eine noch größere Auseinandersetzung und den Krieg in der Ukraine nicht weiter finanzieren könne, was derzeit der Fall sei. In Berlin habe sich die Vernunft durchgesetzt, meinte Markus, wozu die Folgen der Sanktionen beigetragen hätten. Deshalb gebe es auch Widerstand gegen „US-Leichtfertigkeiten“. Merkel habe einen Quasi-Erfolg gebraucht, sonst wäre der Konflikt außer Kontrolle geraten. Dafür habe sie sich gemeinsam mit Hollande auch für eine Verfassungsreform eingesetzt und damit in die ukrainische Souveränität eingegriffen. Die unklaren Regelungen im Abkommen zum Sonderstatus für Donezk und Lugansk bergen aus Sicht des Buchautors die Gefahr für ein neues Hickhack. Es bleibe spannend, wie Poroschenko in Kiew den Kompromiss verkaufe. „Die werden Sturm laufen“, fügte er hinzu, was dazu führen könne, dass die bisher schwelenden Konflikte in Kiew offen ausbrechen.

Ralf Rudolph/Uwe Markus: Kriegsherd Ukraine
Phalanx – Edition Militärgeschichte und Sicherheitspolitik
Berlin 2015, 269 Seiten, 16,95 Euro
ISBN 978-3-00-048432-2

Die Tageszeitung junge Welt hat dazu am 9.2.15 eine ausführliche Rezension von Arnold Schölzel veröffentlicht

ergänzt 15:18 Uhr: Ich habe am Ende des 7. Absatzes den Satz "Angesichts des Kiewer Vorgehens sei es auch zu einer stärkeren russischen Unterstützung für die Aufständischen gekommen." hinzugefügt, da die beiden Buchautoren die Rolle Russlands nicht außen vor lassen und ließen.

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