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Mit deutsch- und volkstümelndem sowie rechtsextremem und faschistischem Gedankengut habe ich nichts am Hut und nichts zu tun!

Dienstag, 8. März 2016

Nachrichtenmosaik Ukraine Folge 259

Gesammelte Nachrichten und Informationen zum Ukraine- und zum West-Ost-Konflikt und den Hintergründen, ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit, fast ohne Kommentar

• Wird Jazenjuk in Kürze ausgetauscht?
"Seit dem Platzen der Koalition stehen in der Ukraine die Weichen auf einen Regierungswechsel. Obwohl Premierminister Arseni Jazenjuk das Misstrauensvotum im Parlament überstanden hat, kann er laut dem US-Diplomaten Steven Pifer noch in dieser Woche ausgewechselt werden.
Am Dienstag mutmaßte Steven Pifer, einst amerikanischer Botschafter in Kiew, via Twitter, dass die US-Bürgerin Natalia Yaresko, die jetzt in Kiew als Finanzministerin tätig ist, noch in dieser Woche zur neuen Ministerpräsidentin ernannt wird. Dabei berief sich der Diplomat auf „Berichte aus Kiew“. ...
Laut ukrainischen Medien wollen Jazenjuk-Gegner in dieser Woche eine Sondersitzung des Parlaments einberufen, um über die Entlassung des von Korruptionsvorwürfen geplagten Regierungschefs abzustimmen. Als mögliche Nachfolger gelten neben Yaresko der Parlamentschef Wladimir Grojsman, der frühere Interimspräsident und amtierende Sicherheitsratschef Alexander Turtschinow sowie der ehemalige polnische Vizepremier Leszek Balcerowicz. ..." (Sputnik, 8.3.16)
Die Yaresko-Variante geht in die Richtung dessen, was bei German Foreign Policy am 17.2.16 zu lesen war: "Die katastrophale wirtschaftliche Lage, die von einem dramatischen Popularitätsverlust des Staatspräsidenten und der Regierung begleitet wird, ruft in Berlin und Washington Sorgen um die Kontrollierbarkeit des Landes hervor. Die westlichen Mächte sind daher dazu übergegangen, von Kiew einen entschlossenen Kampf gegen die Korruption zu fordern. Spektakuläre Rücktritte mehrerer Minister und eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts haben der Forderung in den vergangenen Wochen und Tagen neuen Schub verliehen und die Regierungskrise angeheizt. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Diskutiert wird die Einsetzung einer "Technokratenregierung" unter einer langjährigen westlichen Diplomatin - also der direkte Zugriff des Westens auf die Macht in Kiew." (u.a. hier nachlesbar)

• Jazenjuk nur Teil des Problems
"Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk versucht, eine „gute Miene zum schlechten Spiel“ zu wahren. Nach zwei Jahren Aufenthalt auf seinem Posten probiert er, die Verantwortung auf die Schulter der ihm zuerst in den Blick geratenden zu legen.
Das Mandat des Maidans, das Jazenjuk im Februar 2014 gegeben wurde, wurde innerhalb von zwei Jahren stümperhaft vergeudet und seine Freunde haben ihre materielle Situation bedeutend verbessert.
Der große Fehler besteht darin, dass unsere europäischen und amerikanischen Freunde die Situation vereinfachen, indem sie meinen, dass Jazenjuk ein ausreichendes Gegengewicht für Präsident Poroschenko bei der Eindämmung der Korruption darstellt. ...
In der Ukraine sind Jazenjuk und Poroschenko keine Opponenten. Sie repräsentieren von der Sache eine Partei – die der alten ukrainischen Politiker mit allen ihren Unzulänglichkeiten, deren Werdegang auf die 1990er-2000er Jahre fiel. Anstelle gegenseitiger Kontrolle, anstelle von Konkurrenz um den Erfolg von Reformen haben Poroschenko und Jazenjuk einfach eine Absprache getroffen, die Korruptionsgeldströme und die Bereicherungssphären aufteilend. ...
Natürlich sind die Verbindungen Jazenjuks mit Korrupten und Oligarchen keine Rechtfertigung für die analogen Praktiken von Präsident Poroschenko und seiner Umgebung. Das Problem besteht darin, dass das System der Checks and Balances in der Ukraine nicht funktioniert und die Rechtsschutzorgane komplett in den Prozess der Erreichung politischer Ziele einbezogen sind. Allein Poroschenko benutzt dafür Schokin und Jazenjuk Innenminister Arsen Awakow.

Die Ukraine verlangt einen kompletten Neustart: den Weggang anrüchiger Minister und des Generalstaatsanwalts, den Entzug der Abgeordnetenmandate für graue Kardinäle wie Igor Kononenko und einen Wechsel des Ministerpräsidenten, der die Unterstützung des Parlaments, der Gesellschaft und der ausländischen Investoren verloren hat. ..." (Ukraine-Nachrichten, 6.3.16)

• Gegen den Mythos von den unterdrückten Ukrainern in der Sowjetunion
"Vor allem ukrainische Maidan-Radikale & Politiker schüren seit Jahren den “Mythos der armen & unterdrückten Ukrainer” in der Sowjetunion (CCCP), neben dem Opfer-Mythos des “Holodomor”. Die Maidan-Radikalen jagen Lenin-Statuen & schüren zugleich auch ihren Hass gegen “Russen”, wo es eigentlich doch kaum einen Unterschied zwischen Ukrainern und Russen gibt.
Die ukrainischen Nationalisten behaupten dabei immer öfters, dass die “Ukrainer” in der Sowjetunion von den “bösen” Russen unterdrückt, benachteiligt und regelrecht beherrscht wurden. Also eine absolute Opfer-Position hatten. Doch stimmt das wirklich? Nein – stimmt nicht!
Warum nicht – klären wir euch gleich mal auf ..." (Bürgerinitiative für Frieden in der Ukraine, 6.3.16)

• Steinmeier vermisst Kooperation zwischen Kiew und Moskau
"Mit scharfen Worten hat der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier Russland und der Ukraine fehlende Kooperationsbereitschaft im Konflikt um die Ostukraine vorgeworfen. "Ich bin nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie Kiew und Moskau die Verhandlungen hier betreiben", sagte er in der Nacht auf Freitag nach einem Treffen mit den Außenministern Russlands, der Ukraine und Frankreichs in Paris. Es werde nicht "mit dem genügenden Ernst gesehen, wie die Lage in der Ostukraine wirklich ist und dass sie jederzeit wieder eskalieren kann", sagte Steinmeier. ..." (Der Standard online, 4.3.16)

• EU lässt Kiew weiter zappeln
"EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schließt einen Beitritt der Ukraine für die nächsten Jahrzehnte aus. "Die Ukraine wird mit Sicherheit in den nächsten 20 bis 25 Jahren kein Mitglied der EU werden können", sagte Juncker am Donnerstag. Gleiches gelte für einen Beitritt zur Nato. ..." (Der Standard online, 3.3.16)

• Ex-Premier warnt vor syrischen Verhältnissen
"Mykola Asarow erhebt schwere Anschuldigungen gegen die Führung in Kiew und dementiert Korruptionsvorwürfe ...
STANDARD: Was hat denn überhaupt zum Umsturz geführt?
Asarow: Hauptfaktor war die Ausbildung bewaffneter Kämpfer durch den US-Geheimdienst in Polen und Litauen. Der Umsturz war für 2015 unter dem Vorwand gefälschter Wahlen geplant.
STANDARD: Hat nicht der Ärger über Korruption zum Maidan geführt?
Asarow: Natürlich haben Korruption und Wirtschaftsprobleme die Menschen erregt. Aber heute ist es um ein Vielfaches schlimmer. Unsere Führung war in keinen Korruptionsskandal verwickelt. ...
STANDARD: Welches Ziel hat Ihr Komitee zur Rettung der Ukraine?
Asarow: Ich kehre zurück. Ich sehe, wie die Ukraine wiederaufzubauen ist, wie sie ihren Weg nach Europa fortsetzen kann. Der ist lang: 30, vielleicht 50 Jahre. Das Komitee bereitet junge Leute vor, die diesen Weg gehen wollen. ...
STANDARD: Wie erfolgt denn der Regierungswechsel?
Asarow: Man wird sich bis zuletzt an die Macht klammern. Der Krieg ist Mittel zum Überleben. Ich hoffe auf den Verstand der Amerikaner und Europäer: Ihr habt ein gespaltenes Land bekommen, in das ihr jährlich 20 bis 30 Milliarden buttern müsst. Braucht ihr an eurer Grenze ein zweites Syrien? Es gibt nur einen Ausweg: die Wiederherstellung demokratischer Normen. Lasst die Opposition arbeiten. Nur die USA und die EU können Kiew dazu bewegen. ...
Meine Erfahrung bei der Zusammenarbeit mit der EU-Kommission hat mir gezeigt: Die europäischen Beamten haben sich mit unseren Problemen nicht beschäftigt. Sie haben sie nicht verstanden – und wollten sie nicht verstehen. Sie haben sich mehr von politischen als wirtschaftlichen Zielen leiten lassen. Das hat mich dazu veranlasst, einen Aufschub der Assoziation zu fordern, bis wir einen Kompromiss mit Russland und der EU-Führung gefunden haben. Denn auf dem russischen Markt verlieren wir durch das Abkommen mindestens 20 Milliarden Dollar.
STANDARD: Mit dem Kurswechsel waren die Menschen unzufrieden.
Asarow: Ich habe Ihnen gesagt: Wir können das machen, wenn Ihr bereit zu Tariferhöhungen seid. Doch ihr wollt das nicht. Ihr werdet von den Anführern des Maidan betrogen. Sie sagen Euch: Morgen habt ihr europäische Gehälter und Renten. Aber das ist gelogen. Das kommt nicht morgen und nicht übermorgen und vielleicht nicht einmal in 20 Jahren."
(Der Standard online, 3.3.16)


• Krieg schwelt weiter
"Die Ortschaft Saizewe ist ein neuer Brennpunkt im Krieg in der Ostukraine. Hier stehen sich die Konfliktparteien so nahe gegenüber, dass beinahe täglich Menschen zu Schaden kommen. ...
500 Kilometer ist die Front im Krieg in der Ostukraine lang, und an einem Punkt führt sie mitten durch das Feld in Saizewe. Der Krieg ist hier zu stehen gekommen und hat den Ort in zwei Teile geteilt. Das einst 3500 Einwohner zählende Dorf, ein paar Kilometer von der Überlandstraße zwischen Horliwka und Artemiwsk entfernt, haben vor dem Krieg nur Ortskundige gekannt. Mittlerweile gilt es als einer der neuen Brennpunkte des Kriegs, der im Sommer 2014 ausgebrochen ist und bisher mehr als 9000 Menschenleben gefordert hat.
In den Berichten der Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wird die Ortschaft fast täglich erwähnt. Der Vizechef der OSZE-Mission, der Schweizer Alexander Hug, notierte bei seinem letzten Besuch im Konfliktgebiet, dass die großen Kampfhandlungen zwar vorüber seien. Dafür sehe man ein neues Phänomen: An bestimmten Orten „kommen die beiden Seiten einander sehr nahe“, sagte Hug. „Zu nahe.“ Saizewe ist so ein Fall. ...
Eigentlich sieht das Minsker Abkommen die Schaffung einer mindestens 30 Kilometer breiten Sicherheitszone zwischen den Kriegsgegnern vor. Dazu haben sich beide Seiten verpflichtet. Doch man traut dem Gegenüber nicht, keiner will so richtig weichen. Im Juli 2015 ist die ukrainische Armee, die im nahen Majorsk einen wichtigen Posten hat, in einen Teil Saizewes vorgestoßen. Die offizielle Begründung lautete, dass Saizewe laut dem Minsker Abkommen der ukrainischen Seite „zustehe“. Der wichtigste Punkt des Abkommens ist freilich ein Waffenstillstand.
Saizewe ist kein Einzelfall. In den letzten Monaten haben beide Seiten versucht, Orte entlang oder nahe der Frontlinie – oft „graue Zone“ genannt – unter ihre Kontrolle zu bringen. So wurde Pawlopil unlängst von ukrainischen Soldaten besetzt, die Kämpfer der DNR eroberten wiederum Kominternowe. ..." (Die Presse online, 2.3.16)

• Ukrainische Hakenkreuze im EU-Parlament
"Schnell noch zwei Videos.
Das erste ist von Anatolij Scharij. Im Europäischen Parlament gibt es eine Ausstellung mit Fotos ukrainischer “Helden”; einen davon hat er genauer unter die Lupe genommen; eine Tasse mit Hakenkreuz ist noch das harmloseste der Fundstücke… aber es gibt ja keine Nazis in der Ukraine. ..." (The Vineyard Saker – Deutsche Version, 1.3.16)
Die Ausstellung fand tatsächlich während der "Ukrainischen Woche" vom 29.2.16 bis 2.3.16 im EU-Parlament in Brüssel statt, wie am 29.2.16 auf der Homepage der Kiewer Rada gemeldet wurde. Der ukrainische TV-Sender TSN berichtete am 29.2.16 darüber, ebenso u.a. eine niederländische Website, die die Nazi-Bilder aufgriff.

• Ukrainische Opposition sucht Ausweg aus Krise
"Nikolai Asarow gehört seit zwanzig Jahren zur politischen Elite der Ukraine. Bis zum 28. Januar 2014 war er Ministerpräsident der Ukraine. Am Donnerstag stellte er an einem "Runden Tisch" (Video der Veranstaltung) im Verlagshaus der "Komsomolskaja Prawda" in Moskau seine Pläne für eine Rückkehr in die Ukraine vor.
Im August letzten Jahres hatte Asarow das "Komitee zur Rettung der Ukraine" gegründet. Mitgründer waren die ehemaligen Abgeordneten der Werchowna Rada, Wladimir Olejnik und Igor Markow, sowie der Journalist Juri Kot.
"Manche meinen ja, die Ukraine sei in einem normalen Zustand", so der Ex-Premier am Donnerstag. Aber bei Renten von 40 Euro im Monat und einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 150 Euro könne von "normal" keine Rede sein. In der Ukraine herrschten Zustände "schlimmer als in Somalia".
Wirtschaftlich sei die Ukraine in die 1990er Jahre zurückgefallen. Das Bruttoinlandsprodukt sei nach offiziellen Angaben um 17 Prozent, nach inoffiziellen Angaben um 30 Prozent auf 70 Milliarden Dollar gefallen. Die Inflation sei in zwei Jahren um 100 Prozent gestiegen. Die Kaufkraft der Bevölkerung und der Export hätten sich seit dem Staatsstreich halbiert. Die Bevölkerung habe sich in den letzten zwei Jahren von 45,6 Millionen auf 40 Millionen verringert. Die Sterblichkeit sei gestiegen. 2015 seien 104.000 Menschen mehr gestorben als 2014. Das sei die Folge von schlechter Ernährung, teuren Medikamenten, Unsicherheit und Stress, so der ehemalige Ministerpräsident.
Auf Kosten der einfachen Menschen, "wie es jetzt gemacht wird", könne die Ukraine nicht aus der Krise geführt werden, sondern nur "auf Kosten des großen Kapitals und der Oligarchen, so wie wir es gemacht haben", erklärte der Ex-Premier. ...
Das Schlüsseldokument für einen politischen Neuanfang in der Ukraine - so Asarow - sei das Dokument unter welches die EU-Außenminister Steinmeier, Sikorski und Fabius am 21. Februar 2014 ihre Unterschriften setzten (Agreement on the Settlement of Crisis in Ukraine).
Alle staatlichen Akte, welche der "geschäftsführende Ministerpräsident" Aleksandr Turtschinow danach unterzeichnet habe, seien unwirksam. Das Parlament - in seiner Zusammensetzung vor dem Staatsstreich - müsse wieder zusammentreten und eine provisorische Regierung wählen. ...
Am Runden Tisch beteiligt waren noch andere Oppositionelle aus der Ukraine. Larissa Schessler, die Vorsitzende der Union der ukrainischen Polit-Emigranten und politischen Gefangenen, erklärte, die Situation in der Ukraine sei nicht so dramatisch, wie von Asarow skizziert. Die Gegner der Kiewer Regierung würden sich täuschen, wenn sie glaubten, die Regierung in Kiew werde wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Lage stürzen. Diese Erwartung sei so falsch, wie die Erwartung des Westens, Russland stehe vor dem wirtschaftlichen Blackout. ...
Auch den vielfach beschworenen, endlosen Kampf der Oligarchen gäbe es nicht. Jeder Oligarch sei durch einen unsichtbaren Faden mit den USA verbunden. Das verhindere, dass die Oligarchen gegen die Macht in Kiew vorgehen. "Sie werden nur um ihr eigenes Feld kämpfen." ..." (Ulrich Heyden auf Telepolis, 28.2.16)

• Zur Lage in der Ostukraine
"... Auch in der Ukraine selbst sind Veränderungen zugange, am sichtbarsten in Gestalt der einschneidenden Regierungskrise. Der Rücktritt des pro-westlichen Wirtschaftsministers Abromavicius, der im letzten Moment abgewendete Rücktritt weiterer drei oder vier Minister, das Zerwürfnis zwischen Präsident Poroschenko und Premierminister Jazenjuk, das wider Erwarten gescheiterte Misstrauensvotum gegen den Premier, die wachsende außerparlamentarische Opposition von rechts – alles verläuft zu einem Bild rapide zunehmender Instabilität. ...
In Paris und Berlin greift die Sorge um sich, die so enthusiastisch gepflanzten Setzlinge der Demokratie jenseits des Bug könnten am Ende grad so kümmerlich vertrocknen wie die Pflänzchen jenseits des Mittelmeers. Am Montag dieser Woche waren der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein eben ernannter französischer Kollege Jean-Marc Ayrault in Kiew, wo sie dem Premierminister und dem Präsidenten – nota bene in getrennten Sitzungen – eindringlich ins Gewissen geredet haben dürften.
Wie die russische Zeitung Nowaja Gaseta schreibt, fand dabei das Thema der bereits zum zweiten Mal aufgeschobenen Verfassungsreform („Autonomieregelung für den Donbass“) überhaupt keine Erwähnung – weder in den Verhandlungen noch beim anschließenden Pressebriefing. Im Mittelpunkt habe allein die Bedeutung einer einheitlichen Reformausrichtung der ukrainischen Regierung und die Durchführung von Regionalwahlen in den aufständischen Gebieten gestanden.
Schon anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz war der deutsche Außenminister unzufrieden gewesen, dass die Vorbereitungen der im Minsker Abkommen niedergeschriebenen Wahlen nicht vorankommen: „Ich setze darauf, dass in Kiew und Moskau allen Verantwortlichen klar ist, dass wir nicht mehr ewig Zeit haben für die Umsetzung des in Minsk Vereinbarten. Wir dürfen einfach nicht nachlassen in unseren Anstrengungen, die Konfliktparteien zu weiteren Schritten zu drängen. Minsk bleibt dabei der Fahrplan und die Marschrichtung.“
Die Außenminister Steinmeier und Ayrault müssten wissen, dass ein wie auch immer gearteter Kompromiss zwischen den Aufständischen und der Regierung ohne die vorherige Festschreibung des Status der Rebellengebiete illusorisch ist. Solange dieser Teil des Donbass keinen verfassungsmäßigen Autonomiestatus genießt, verschanzen die Rebellen sich hinter der faktischen Autonomie, die sie sich im Bürgerkrieg – mit russischer Unterstützung – gesichert haben. ...
Die Kiewer Strategie läuft eingestandenermaßen auf die Abwicklung aller quasi-staatlichen Strukturen der „Volksrepubliken“ DNR und LNR bereits vor den Wahlen hinaus. Mit dieser Forderung, so heißt es in Kiew, werde der ukrainische Außenminister Pavel Klimkin nächste Woche nach Paris reisen.
Am Dienstag machte Klimkin zudem deutlich, dass die ukrainische Regierung – und damit nicht nur das Parlament – eigentlich gar kein Interesse an einer Autonomieregelung für den Donbass hat. Klimkin wörtlich: „Wir sind Minsk verpflichtet, aber nicht nach dem russischen Verständnis, das auf einen Donbass unter quasi-russischem Einfluss hinausläuft, der nur zur Destabilisierung der gesamten Ukraine dient.“
Aus Sicht der Aufständischen setzt selbst ein Kompromiss zu den genannten Punkten ein Minimum an verfassungsmäßig garantierten Autonomierechten für die russischsprachige Minderheit voraus. Was Kiew verlangt, ist auch aus Sicht neutraler Beobachter kein Kompromiss, sondern eine Kapitulation. ...
Auch in Moskau ist niemand bestrebt, um einer kurzfristigen Lösung willen am Ende noch das Poroschenko-Regime aufzuwerten. Das Ablenkungsmanöver Syrien war erfolgreich, und in der Ukraine entwickeln sich die Dinge ohnehin wie vor 2013 schon gehabt. Die Oligarchen arrangieren sich mit der Regierung, Europa verliert den Glauben an die blühenden Landschaften der Demokratie, und irgendwann sind die Tage des pro-westlichen Jazenjuk-Teams gezählt. Dann kommen in Kiew – aus russischer Sicht – auch wieder „vernünftige Leute“ an die Macht. Die alte Schaukelpolitik beginnt von vorn, und mit den „vernünftigen Leuten“ findet Moskau auch eine Lösung für den Donbass. ...
Von der Regierung in Kiew ist kein Kompromiss zu erwarten; für die übrigen Europäer wird der Donbass immer mehr zum Nebenschauplatz; in Moskau hat man kein Problem damit, die Sache auszusitzen; die Amerikaner, wie sich jetzt in Syrien gezeigt hat, arrangieren sich mit den Russen doch, wann immer es ihnen gefällt. Angesichts einer solchen Gemengelage sollen zwei westeuropäische Außenminister ihr diplomatisches Gewicht riskieren?" (Deutsch-Russische Wirtschaftsnachrichten, 26.2.16)

• Hat der Westen Krieg wegen der Krim verhindert?
"Ein am Montag geleaktes Protokoll zu einer Sitzung des Rats für nationale Sicherheit (RNBO) gibt neue Einblicke zur Entscheidung der Ukraine, Ende Februar 2014 trotz eines angelaufenen russischen Militäreinsatzes auf der Krim nicht den Kriegszustand auszurufen. Russland würde in diesem Fall, so sagte damals Interimspremier Arsenij Jazenjuk, auch auf dem ukrainischen Festland einmarschieren.
In der historischen Sitzung, die einen Tag nach der Übernahme von Amtsgebäuden auf der Krim durch russische Einsatzkommandos stattfand, stimmte der damalige Interimspräsident Oleksandr Turtschynow als einziges Mitglied des Rats für nationale Sicherheit für die Ausrufung des Kriegszustands und blieb damit in der Minderheit.
"Die Amerikaner und die Deutschen bitten uns gleichermaßen keine aktiven Maßnahmen zu ergreifen, da Russland dies nach Informationen ihrer Geheimdienste als Anlass für den Beginn einer groß angelegten Invasion verwenden würde," sagte der ukrainische Geheimdienstchef laut dem Protokoll, das am Montag vom ukrainischen Parlamentarier Boryslaw Beresa auf Facebook veröffentlicht wurde. ..." (Die Presse online, 22.2.16)

• Halten Oligarchen Jazenjuk an der Macht?
"Die prowestliche Regierung unter Premier Arsenij Jazenjuk kann sich nur noch durch Einflussnahme von Oligarchen und mithilfe der populistischen Radikalen Partei halten. ...
Zwei Jahre nach dem politischen Umbruch vom Kiewer Maidan, dem dieser Tage als „Revolution der Würde“ gedacht wird, steht die Regierung, die eine demokratische Transformation der Ukraine versprochen hat, vor dem Aus. Mehr noch: Sichtbar wurde auch, dass der Einfluss der Oligarchen in demokratischen Institutionen noch immer groß ist. Manche sprechen gar von einer „Schattenregierung“ der Geschäftsleute. ..." (Die Presse online, 21.2.16)

• Vorfreude auf den Rücktritt von Jazenjuk und neue Illusionen
"Es wird auf die Befreiung von einer schrecklichen Katastrophe gewartet. Das gegenwärtige Ministerkabinett wird bei der Bevölkerung assoziiert mit Verwüstung und Verarmung. Deswegen entstand bei den Ukrainern eine neue kollektive Illusion: Geht das "Kaninchen", dann wird es für alle leichter.
Es ist erwähnenswert, dass Ende 2013 die ukrainischen Bürger ebenso über Nikolay Azarov dachten. Bevor Janukowitsch weggeputscht wurde, ging Azarov. Der Traum des Volkes ist wahr geworden. Aber jeder erfüllte sehnlichste Traum verursacht auch Nebenwirkungen, dass noch etwas zusätzlich zum Gewünschten erhalten wird. Ein solcher Nebeneffekt der Niederlage der "Partei der Regionen" wurde die Person Arseni Jazenjuk. Im Februar 2014 war er so unvermeidlich, wie Schlamm nach dem Regen.
Die erstaunliche "Unsterblichkeit" des gegenwärtigen Premierministers ist im Post-Maidaner politischen System der Ukraine objektiv fest verankert. Die Tatsache, dass Jaz bisher, so überaus lange nicht gefeuert werden konnte, ist nicht sein Verdienst, sondern hat objektive Gründe. ...
Vor allem muss man daran denken, dass Washington und Brüssel (die Mechaniker des gegenwärtigen politischen Regimes in der Ukraine) absolut gegen seinen Abgang sind. Das haben sie mehrmals angekündigt. Diese beharrliche Position hat viele Gründe. Doch im Allgemeinen lässt sich alles auf die Tatsache reduzieren, dass die Extraktion des gegenwärtigen Premierministers aus dem Mechanismus des ukrainischen politischen Systems es gar zerstören könnte. ..." (Fit4Russland, 19.2.16)

• Westen verliert Vertreter in Kiew
"Der ukrainische Wirtschaftsminister hat seinen Rücktritt erklärt. Aivaras Abromavicius wollte die Wirtschaft des Landes gründlich umbauen und die Korruption eindämmen.
Der Finanzexperte ist von Haus aus Lette, bekam aber vor gut einem Jahr auch die ukrainische Staatsbürgerschaft. Seinen Rücktritt begründete er damit, dass er von maßgeblicher Stelle dazu gedrängt worden sei, gegen seinen Willen bestimmte Leute an die Spitze von Staatskonzernen zu setzen oder sogar zu seinen Stellvertretern zu ernennen. Seine Mannschaft und er seien nicht bereit, sagte Abromavicius, für solche Machenschaften nach Art der alten Regierung das Feigenblatt abzugeben.
Er beschuldigte insbesondere Igor Kononenko, einen wichtigen Abgeordneten und engen Vertrauten des Staatspräsidenten. Kononenko aber bestreitet Abromavicius’ Vorwürfe. Um die Zukunft seiner Regierung fürchten muss nun Ministerpräsident Arseni Jazenjuk. Er spricht von einer Kampagne, die gegen die Regierung im Gange sei.
Die Botschafter mehrerer EU-Staaten in Kiew, darunter Deutschland, bezeichneten den Rücktritt als große Enttäuschung. Abromavicius sei ein Garant gewesen für den Kampf gegen die Korruption in der Ukraine und die Reformforderungen des Weltwährungsfonds IWF. ..." (Euronews, 3.2.16)

• Unterschiedliche Meinungen in der Ukraine zum Osten
"Auch wenn der Konflikt im Donbass mittlerweile schon lange wütet und längst aus den Schlagzeilen verschwunden ist - ein Blick auf die heutige Sicht der Ukrainer auf diesen Konflikt ist aufschlussreich. Zumal der Konflikt auch zur derzeit schwächelnden wirtschaftlichen Entwicklung der Ukraine beiträgt." (Bundeszentrale für politische Bildung, Ukraine-Analysen - mit Grafiken, 9.12.15)
"... Auch heute, nach bald zwei Jahren Bürgerkrieg im Donbass, gehen die Meinungen der Bevölkerung – wie eh und je – weit auseinander. Nicht nur der Osten der Ukraine, auch der Süden ist ausgesprochen russlandfreundlich. Weite Gebiete der Ukraine fühlen sich durch die Politik Kiews überhaupt nicht vertreten. Sie verlangen mehr Kompetenzen in den Regionen, mehr Autonomie, wie das deutsche Bundesamt für politische Bildung bpb aufgrund neuer Gallup-Umfragen kürzlich erneut bestätigte ... . Auf die Frage etwa, ob dem Donbass spezielle Rechte zugebilligt werden sollen, um den russisch-ukrainischen Konflikt zu lösen, sagen die Leute nicht nur im Osten mit 52 Prozent der abgegebenen Meinungsäusserungen Ja, sondern auch der Süden, hier mit 49,8 Stimmen. Nur 34,2 Prozent im Osten und 23,7 Prozent im Süden sagen Nein. Im Zentrum der Ukraine aber, zu dem Kiew gehört, und im Westen, in Galizien, ist es ganz anders. Hier sagen 63,9 Prozent im Zentrum und 61,8 Prozent im Westen Nein zu mehr föderalen Strukturen. ..." (Infosperber, 1.2.16)

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alternative Presseschau aus ukrainischen, ostukrainischen und russischen Quellen


die täglichen Berichte der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine
 

Montag, 7. März 2016

Was Frauen und Männer unterschiedet

Fundstück(e) 39: Zwei interessante Fakten zu den Unterschieden zwischen Frauen und Männern in dieser Gesellschaft. Über die Gründe dafür wäre trefflich zu streiten

Unterschied 1: "... Die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen sind in Deutschland so groß wie in kaum einem anderen Land Europas.
Nach Daten des Bundesarbeitsministeriums liegt der Unterschied zwischen den durchschnittlichen Bruttoverdiensten von Männern und Frauen in Deutschland bei 21,6 Prozent, nur in Estland (28,3 Prozent) und Österreich (22,9 Prozent) ist der Verdienstabstand demnach größer. ...
Das geht aus einer Antwort der Regierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die unserer Redaktion vorliegt. ...
Zieht man bei der Lohnlücke Faktoren wie Branche, Hierarchie oder Teilzeitbeschäftigung ab, die Einfluss auf die Lohnhöhe haben, bleibt bei vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Berufserfahrungen ein Unterschied bei den Bruttoverdiensten in Deutschland von durchschnittlich sieben Prozent. Die Regierung beklagt, es gebe eine „zumeist mittelbare Benachteiligung“ bei den Einkommen von Frauen: Sie hätten weniger berufliche Chancen, Einkommensperspektiven sowie Förder- und Aufstiegsmöglichkeiten. Verantwortlich für die Lohnlücke seien auch Verhaltensmuster bei Beschäftigten und Arbeitgebern, die von gesellschaftlichen Rollenbildern geprägt seien. ...
" (WAZ, 2.3.16)

Unterschied 2: "Die Lebenserwartung in Deutschland steigt weiter an: Sie beträgt nach der auf die aktuellen Sterblichkeitsverhältnisse bezogenen Periodensterbetafel 2012/2014 für neugeborene Jungen 78 Jahre und 2 Monate, für neugeborene Mädchen 83 Jahre und 1 Monat. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, hat sich die Lebenserwartung Neugeborener in den letzten zehn Jahren damit bei den Jungen um 2 Jahre und 3 Monate, bei den Mädchen um 1 Jahr und 6 Monate im Vergleich zur Sterbetafel 2002/2004 erhöht.
Auch für ältere Menschen hat die Lebenserwartung weiter zugenommen. Nach der Sterbetafel 2012/2014 beläuft sich zum Beispiel die noch verbleibende Lebenserwartung – die sogenannte fernere Lebenserwartung – von 65-jährigen Männern mittlerweile auf 17 Jahre und 8 Monate. Für 65-jährige Frauen ergeben sich statistisch gesehen fast 21 weitere Lebensjahre. Das entspricht einem Anstieg um 1 Jahr und 5 Monate bei den Männern beziehungsweise 1 Jahr und 2 Monate bei den Frauen innerhalb von zehn Jahren. ..." (Statistisches Bundesamt, 4.3.16)

Hilft die Migration gegen die demografische Angst?

Es wird so viel über Integration geredet und so wenig über Fluchtursachen. Ein Grund: Die Fluchtbewegung soll den EU-Staaten gegen den Bevölkerungsschwund helfen.

Das Abendland geht unter – aber nicht durch die Flüchtenden, die zu ihm strömen. Es geht unter, weil es zu wenig Nachwuchs hat. Deshalb braucht es die Migranten, um die eigene zunehmend alternden Bevölkerung aufzufrischen. Das war zusammengefasst die Antwort des Migrationsforschers Dr. Rainer Münz am 4. März in Berlin auf die Frage nach dem "Untergang des Abendlandes". Gestellt hatte sie die Bertelsmann-Stiftung gemeinsam mit dem Deutschlandradio und dem österreichischen Sender ORF III. Die Frage wurde versehen mit dem Untertitel „Identität und Zusammenhalt im 21. Jahrhundert“. Wie die in Zukunft hierzulande und in Österreich aussehen sollen, beschäftigte eine illustre Runde in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz.

Die Zuwanderung nach der EU wird nicht aufhören“, zeigte sich Migrationsforscher Münz sicher. Er fügte hinzu: „Und sie soll nicht aufhören, weil wir als alternde Gesellschaft darauf angewiesen sind.“ Mancher vermutet, dass hinter der aktuellen Migrationsbewegung auch zielgerichtete Politik der Zielländer stecken könnte. Was Münz da sagte, klang wie eine Bestätigung. Und er dürfte wissen, wovon er spricht: Der Mann ist als Mitglied des European Political Strategy Centre Berater der EU-Kommission und der Bundesregierung. Es gehe darum, „besser auszusuchen, wer zu uns kommt“, erläuterte er. Für die Migranten müssten Chancen auf Arbeit geschaffen werden. So könnten die Menschen hierzulande sie als „wertvolle Mitglieder der Gesellschaft“ ansehen und akzeptieren.

Das war eine der Antworten auf die Frage, wie mit den Ängsten der Bevölkerung umgegangen werden könne. Münz‘ Einblicke in politische Strategien wurden aber nicht weiter hinterfragt. Denn Eines schien klar: Integration muss sein. Nur die Frage nach dem Wie wurde unterschiedlich beantwortet. Große Teile der Politik, vor allem die Regierungen, hätten jahrelang ihren Bevölkerungen nicht reinen Wein eingeschenkt. Das sei eine der Ursachen für die heutigen Probleme, meinte Alev Korun, Sprecherin für Menschenrechte, Migration und Integration der Grünen im österreichischen Nationalrat, in der Diskussionsrunde. Die Politik habe versagt, stellte sie fest, auch, weil nicht offen gesagt wurde: „In Syrien ist Krieg.“ Zudem seien die Verhältnisse in Folge der Fluchtbewegung woanders viel prekärer. So habe der Libanon bereits 1,4 Millionen Flüchtlinge aus dem Nachbarland Syrien aufgenommen. Damit sei dort inzwischen jeder vierte Einwohner ein Flüchtling. Korun forderte, solche Realitäten und Verhältnisse sichtbar zu machen.

Gegen die Ängste und Verunsicherung hätte geholfen, wenn die Gesellschaft früher auf die Migrationswelle vorbereitet worden wäre. Das beschrieb Naika Foroutan, Integrationsforscherin an der Humboldt-Universität zu Berlin, als vertane Chance. Seit Jahren kämen Flüchtende über das Mittelmeer, ergänzte sie Koruns Hinweis darauf, dass der Krieg in Syrien seit fünf Jahren tobe. Doch es habe eine vorausschauende Politik gefehlt, die die Infrastruktur ebenso wie die Bevölkerung hätte vorbereiten müssen. Foroutan bezeichnete es als „absurd“, selbst bei einer Million Flüchtlingen den „Untergang des Abendlandes“ herbeizureden. Diese machten nur knapp einen Prozent der derzeitigen Bevölkerung aus. 

FAZ-Redakteur Reinhard Müller zeigte Verständnis für die aktuelle Abschottungspolitik Österreichs gegenüber der Flucht- und Migrationswelle. Es sei doch auch „eine nationale Frage, ob der Staat Bestand hat“. Das Problem aus seiner Sicht: Die Flüchtenden kämen völlig unkontrolliert ins Land. Er sprach sich für eine Einwanderung nach US-Muster aus. Das bedeute, die Frage „Wen wollen wir ins Land lassen?“ zu beantworten, Müller warnte vor einem „blöden unliebsamen Gebräu“, das aus unkontrolliertem Zustrom und Terrorangst entstehe. Der Eindruck des Kontrollverlustes sei gefährlich. Der entstehe auch, weil der Staat seine eigenen Regeln missachte.

Das führe zu Ängsten in der Bevölkerung, bestätigte EU-Berater Münz. Jährlich würden schon rund eine Million Ausländer regulär in die EU kommen. Nun käme noch einmal die gleiche Zahl an Flüchtenden hinzu. Diese müssten aber das Gebiet der EU erst irregulär betreten, um regulär Asyl zu bekommen. Münz sprach sich dafür aus, Einwanderung legal zu ermöglichen und Asyl ohne gefahrvolle Fluchtwege beantragen zu können. Die österreichische Grünen-Politikerin Korun bezeichnete es als Illusion, das Problem einfach mit geschlossenen Grenzen beantworten zu können. Die EU-Politik müsse ein solidarisches System für die Aufnahme der Migranten schaffen. Die Angst in der Bevölkerung bezeichnete sie als „nachvollziehbar“. Aber diese sei immer ein schlechter Ratgeber, erinnerte Korun.

Für FAZ-Redakteur Müller war klar, dass es weiter eine Massenflucht nach Europa unter anderem aufgrund der Kriege im Nahen Osten und der Lage in Afrika gebe. „In Syrien wird noch in 30 Jahren Krieg sein“, meinte er wie nebenbei. Aus dem Publikum wurde auf eine Fehlstelle dieser und vieler ähnlicher Diskussion aufmerksam gemacht: Die Frage „Was kann und muss Politik tun, um die Gründe für Flucht zu verringern?“ werde nicht oder kaum diskutiert. Darauf meinte Ko-Moderatorin Doris Simon vom Deutschlandfunk nur, dass das ja auch nicht das Thema sei. Zwar hatte die Grüne Korun auf den Waffenexport aus Europa in Krisengebiete als einer der Faktoren hingewiesen. Aber ansonsten schienen alle wie der FAZ-Journalist davon auszugehen, dass Fluchtursachen wie Krieg, Terror und Not natürlich gegeben und kaum zu ändern seien. Vielleicht sind ja eben Krisen, Konflikte und Kriege in anderen Weltgegenden sogar willkommen. Ebene weil sie dem alternden und geburtenschwachen Europa in den Farben der EU helfen, sein demografisches Problem zu lösen, wie es EU-Berater Münz beschrieb. Wozu da auch nach politischen Lösungen für Konflikte, Kriege und Elend suchen, die Menschen dazu bringen könnten, ihre Heimat nicht mehr zu verlassen, weil sie dort eine Perspektive hätten. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass zum Beispiel die mitveranstaltende Bertelsmann-Stiftung viele Studien und Publikationen über Integration und Zuwanderer als Fachkräfte herausgab und gibt. Eine Broschüre zum Thema Fluchtursachen und Rolle der Politik lag nicht aus. Ein Blick auf den Einfluss dieser Stiftung auf die Politik hierzulande lässt erahnen, worum es dieser geht, wenn sie mal Flüchtlinge willkommen heißt und sie dann wieder gar nicht erst hereinlassen will. Insofern war die Diskussionsrunde am 4. März aufschlussreich und bot mehr als nur eine weitere Debatte über Integration.

Auf der Homepage des Deutschlandfunks kann die Veranstaltung samt der Diskussion mit dem Publikum nachgehört werden.

PS: Nach dem Schreiben des Textes stieß ich auf etwas Interessantes zum Thema Migration und demografie, was am 3.3.16 auf sueddeutsche.de zu lesen war:
""Die Deutschen werden weniger. Na und?"
Der Ökonom Thomas Straubhaar ist mit einem neuen Buch zurück. Seine These: Die Horrorszenarien, die wegen des demografischen Wandels verbreitet werden, sind übertrieben.Auch seine neuen Thesen zur Flüchtlingsfrage und dem demografischen Wandel haben etwas Überraschendes an sich. ...
Deutschland erlebt die größte Einwanderungswelle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Kritiker warnen vor einem überforderten Sozialsystem, Befürworter schwärmen davon, dass man mit jungen Syrern jetzt endlich den demografischen Wandel aufhalten kann. Der Ökonom Thomas Straubhaar sagt: "Beides trifft einfach nicht zu." Weder sei der demografische Wandel ein Problem, noch könnte er mit Flüchtlingen behoben werden. ...
"Den demografischen Wandel gibt es", sagt er. Nur die Horrorszenarien dazu teile er nicht. Straubhaar hält sie für Mythen, und er hat ihnen den Kampf angesagt."

Die FAZ hatte zuvor am 29.2.16 ein Interview mit Straubhaar:
"...
Sie bestreiten, dass uns demnächst die Facharbeiter fehlen?
Ja, ich begreife nicht, wie Ökonomen – fast unisono – zu solchen Schlüssen kommen können. All die Behauptungen, dass wir deswegen Zuwanderung benötigen, sind falsch. Schon allein deshalb, weil sie den arbeitssparenden Fortschritt leugnen oder zumindest unterschätzen und auch weil zu viele vorhandene Potentiale ungenutzt bleiben. Um die Lücke am Arbeitsmarkt zu schließen, genügt eine minimale Steigerung der Innovation, ein Anstieg der Produktivität um 0,5 oder 0,8 Prozent. Das schaffen wir mit links, in der Vergangenheit lag die Zahl weit höher. Wir können also glücklich sein, wenn Deutschland schrumpft, sonst haben wir viel zu viele Menschen ohne Arbeit, da Roboter sie ersetzen.
... Ich sage nur: Falls die Bevölkerung schrumpft, ist das ein Glück – für die Menschen wie für die Umwelt: weniger Stau, weniger intensive Landwirtschaft. All das schont die Natur. Im Bedauern um schrumpfende Bevölkerungszahlen schwingt im Hinterkopf immer die Historie mit, als die Anzahl der Köpfe in Heer und Infanterie über weltpolitische Macht und Einfluss entschied. Diese Zeiten sind längst vorbei. ...
Wie ist die Alterung zu bremsen? Mit mehr Babys oder mehr Zuwanderern?
Mit Zuwanderern nicht. Es ist falsch zu glauben, dass gerade die altersspezifisch passenden Leute ins Land kommen. Das ist eine der großen Illusionen in der Flüchtlingsdebatte.
...
Welchen Einfluss haben die Flüchtlinge auf die Entwicklung? Lösen junge, dynamische Einwanderer unsere Probleme, oder sprengen sie endgültig den Sozialstaat?
Tut mir leid, dass ich darauf mit keiner provokanten These aufwarten kann. Beide extremen Positionen, wie sie in dieser aufgeladenen Debatte vertreten werden, sind falsch. Die Flüchtlinge sind weder die Ursache unserer Probleme, noch sind sie Allheilmittel für alles, was uns plagt. ..."

Freitag, 4. März 2016

Diskussion zur Medienkrise: Ein bisschen Selbstkritik, aber wenig Tiefgang

Der jüngste "Mainzer Mediendisput in Berlin" bot wenig Neues, aber interessante Einblicke in die Sicht der Journalisten auf die Glaubwürdigkeitskrise der Medien

Dem Vorwurf der „Lügenpresse“ würde er widersprechen, aber es gebe „weiße Flecken“ in der Berichterstattung der Medien, auch der öffentlich-rechtlichen. Das gestand ein Journalist aus dem ARD-Hauptstadtstudio am 2. März beim „Mainzer Medien Disput in Berlin“ ein. Der Insider betonte, dass Weglassen „auch nicht besser“ sei, und nannte als eines der Beispiele dafür die „frevelhafte“ Berichterstattung über den jüngsten Besuch des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu in Berlin. Die sei so unkritisch wie schon lange nicht mehr gewesen, wie überhaupt das Thema Naher Osten und der Konflikt zwischen Israel und Palästina sehr unkritisch und einseitig dargestellt werde.

Das war noch einer der interessantesten Beiträge der Veranstaltung, der allerdings erst in der Diskussion aus dem Publikum heraus kam. Leider konnte ich den Namen des Journalisten nicht richtig verstehen, da der Saal so voll war und ich nur die Übertragung im Vorraum verfolgen konnte.

Eigentlich sollte es um das Thema „Wie kommt das Neue in den Journalismus?“ gehen. Aber Moderator Thomas Leif, einst investigativer Journalist, gab seinen sechs Gesprächspartnern viel Raum zur Selbstdarstellung. So wurde es erst in der zweiten Hälfte etwas spannend, als endlich danach gefragt wurde, was die im Podium sitzenden Journalisten und Medienvertreter denn zur Glaubwürdigkeitskrise der etablierten Medien sagen. Das eigentlich angekündigte Thema spielte an dem Abend fast keine Rolle. Spannend an den Antworten war aber eher, mitzuerleben, wie wenig da kam. Susanne Beyer, stellvertretende Chefredakteur des gedruckten Spiegel, sah „gute Zeiten für den Journalismus“. Aber die Journalisten müssten sich auch selbstkritisch fragen, ob sie noch den Kontakt zur Lebensrealität der meisten Menschen haben. Und sie sollten mehr davon erzählen, welche Mühe sie sich beim Nachrichtenmachen und Berichten geben.

Der neue Taz-Chefredakteur Georg Löwisch gab sich „ nicht depri“ und erinnerte daran, dass seine Zeitung die letzte Abo-Rettungskampagne vor 15 Jahren gestartet hatte. „Wir sind es gewohnt, zu missfallen, und stehen schon immer unter Druck von verschiedenen Gruppen.“ Die Taz wolle auch gar niemand gefallen, so Löwisch, der das Blatt unter seiner Regie tatsächlich als ein linkes bezeichnete.

Weniger optimistisch zeigte sich zumindest Medienkritiker Stefan Niggemeier vom Onlineportal www.uebermedien.de. Er beschrieb nicht nur die Gefahr, dass publizistische Ansprüche immer geringer würden. Diejenigen, welche die etablierten Medien als „Lügenpresse“ bezeichneten, seien zum einen jene, die schon lange diese nicht mehr nutzten. Die anderen Gruppe wären kritische Leser und Nutzer, die enttäuscht seien von den Medien und sich nicht gut genug informiert fühlen. Diese müssten „zurückgewonnen“ werden. Zugleich gebe es neben den Journalisten, die an dem, was sie tun, zweifeln, jene, die die aktuelle Kritik gerade als Begründung für das „Weiter so“ nähmen.

Er nehme den Vorwurf der „Lügenpresse“ und die Kritiker ernst, zählte sich Jörg Quoos, Chefredakteur der Berliner Zentralredaktion der Funke Medien Gruppe (ex-WAZ-Konzern) zur ersten Gruppe auf Seiten der Journalisten. Auch er unterschied zwischen der „Fundamentalopposition gegen die Vielfalt der Medien“ und den „emanzipierten Lesern“. Aber Quoos meinte: „Wir lügen nicht! Ich kenne keinen in den Medien, der bewusst lügt.“ Zwar gestand er ein, dass Journalisten ihre zum Teil oberlehrerhafte Art ablegen müssten. Um aber später für seine Redaktion klarzustellen: "Wir berichten, was ist“. Das sei der Fall, wenn in der Ukraine Russland sich ein Land einverleibe, genauso wie beim Tsunami. „Wir müssen gut sein und an der Qualität arbeiten“, fügte er hinzu. Er merkte nicht. dass er kurz zuvor mit dem Hinweis auf die Ukraine und Russland ein Beispiel für eines der grundlegenden Probleme bundesdeutscher Medien und Journalisten gab: Vorgefertigte Meinungen, die die Berichterstattung färben und auch zum Weglassen von Tatsachen und Zusammenhängen führen, auch zum Verdrehen derselben. Journalisten würden zunehmend Meinung mit Nachricht vermischen, wurde aus dem Publikum heraus kritisiert.

Das Misstrauen sei normal, hieß es später aus dem Publikum: „Leute, die ich nicht kenne, erzählen mir etwas über Ereignisse, bei den ich nicht dabei gewesen bin.“ Journalisten seien Boten, aber die Frage sei, welche Botschaften sie überbringen. Taz-Chefredakteur Löwisch setzt seinen Worten nach gegen die Glaubwürdigkeitskrise u.a. darauf, dass die Leser die Leidenschaft der geringer bezahlten Redakteure seines Blattes spürten. Spiegel-Vizechefredakteurin Beyer beklagte die zunehmend geringer werdenden Ressourcen und fehlende Mittel für Recherche bei vielen Medien. Ihr Magazin wolle sich aber weiter leisten, z.B. wie nach den Anschlägen in Paris im November 30 Redakteure vor Ort zu schicken. Medienkritiker Niggemeier beschrieb als Problem neben der Nähe von Eliten und Journalisten und dabei nicht eingehaltenen Grenzen den Herdentrieb bei Medien, der alle in eine Richtung führe, was aber oft vom Publikum belohnt und gewollt wäre. Die Berichterstattung zu Griechenland sei ein Beispiel dafür.

Ach ja, außer der Geschäftsführerin der ARD-Tochterfirma für Spielfilme Degeto, Christine Strobl, saß auch noch der Medienwissenschaftler Hans-Jürgen Arlt neben Moderator Leif. Er meinte, dass der Journalismus in der Bundesrepublik nie „so vielfältig und gut wie heute“ gewesen sei. Ansonsten kam er mit seiner ausführlichen Warnung, dass Aufmerksamkeit zu erreichen wichtiger geworden sei als die Informationsvermittlung, nicht ganz zum Zuge. An dem Abend wurde noch mehr gesagt, auch aus dem Publikum heraus. Aber nicht alles kann in einem solchen Text wiedergegeben werden. Vielleicht wird ja von der mitveranstaltenden Otto-Brenner-Stiftung ein Mitschnitt online gestellt.

Nachtrag: Der Medienjournalist Jürgen Wagner hat auf seiner Homepage einen Ton-Mitschnitt der Veransatltung online gestellt.

aktualisiert: 20:02 Uhr

Dienstag, 1. März 2016

Tag und Nacht in Deutschland

Fundstück(e) 38: Zwei willkürliche Beispiele zeigen, wie verschieden hierzulande auf die Migranten und die mit ihrer Ankuft verbundenen Probleme und Ängste reagiert wird

Beispiel 1, gefunden und gehört im Deutschlandfunk am 26.2.16, zeigt, wie hell es hierzulande sein kann:
"Altena - eine Kleinstadt im Sauerland trotzt den Herausforderungen durch die hohe Zahl an Flüchtlingen. Natürlich sei die Situation nicht leicht, aber zu bewältigen, sagte der Bürgermeister Andreas Hollstein (CDU) im DLF. Sein Rezept: Dialog zwischen Bürgern und Zuwanderern sowie Probleme direkt ansprechen.
Die Diskussion über die Aufnahme von Flüchtlingen sei hysterisch, findet Andreas Hollstein. Seine Stadt habe finanzielle Probleme, stelle sich aber trotzdem der Herausforderung. Damit keine Parallelgesellschaften entstehen, setze Altena nicht auf Flüchtlingsheime, sondern auf Wohnungen, in denen Flüchtlinge in kleineren Gruppen untergebracht werden. Das führe dazu, dass Einheimische und Zuwanderer miteinander in Dialog treten müssten.
Gleichzeitig hob Hollstein hervor, wie wichtig das Engagement von Ehrenamtlichen in seiner Stadt sei. Wenn es Schwierigkeiten gibt, sei es mit Flüchtlingen oder mit unzufriedenen Bürgern, müsse man dies direkt ansprechen und die Probleme lösen. "Ich glaube, dass viele Sachen bei uns schlecht ablaufen, weil sie in Massenverfahren ablaufen", so Hollstein. ...
Wir befinden uns im Jahr 2016 nach Christus. Ganz Deutschland ächzt unter der Last der Flüchtlinge. Ganz Deutschland? - Nein! Ein von unbeugsamen Sauerländern bevölkertes Städtchen hört nicht auf, gegen die schlechte Stimmung Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die selbsterklärten Abendlandsretter, Flüchtlingshasser und sonstigen zu kurz Gekommenen. So etwa auf diese Weise ließe sich - Asterix' Freunde haben jetzt die Vorlage vielleicht erkannt - beschreiben, was zurzeit in Altena im Sauerland passiert. 17.000 Einwohner zählt das Städtchen. Längst leben dort auch Zuwanderer, rund 350, und die Gemeinde will 100 Asylbewerber mehr aufnehmen, als sie müsste. Das hat der Stadtrat einstimmig beschlossen und gleich auch noch anderthalb Stellen für die Betreuung genehmigt. Was ist denn da los? - Andreas Hollstein ist CDU-Politiker, seit 16 Jahren Bürgermeister von Altena. ...
Hollstein: Ich glaube, wir machen in Deutschland den großen Fehler, das Thema hysterisch, geradezu hysterisch zu bearbeiten. Das ist eine Herausforderung, aber wer sollte das denn schaffen, wenn nicht wir in diesem sehr bürokratisch zugegeben aufgestellten Land mit den Ressourcen, die wir haben. ...
Die Menschen sind da genauso heterogen wie unsere Gesellschaft. Auch da verstehe ich die Hysterie nicht. Es gibt ja auch Deutsche, die wir vielleicht gar nicht so gerne in Deutschland haben, aber mit denen müssen wir leben. Ich glaube, das ist beim Bereich der Asylbewerber nicht anders. ...
ich glaube, man muss zeigen in der momentan aufgeheizten Situation, dass der Staat keinen Millimeter zurückweicht und dass die Zivilgesellschaft bei uns eine demokratische ist, die solche Tendenzen, Gewalttaten, Beschimpfungen, Hass, nicht zulässt und denen auch keinen Millimeter Raum gibt. Das ist, glaube ich, ein Grundprinzip. ..."

Beispiel 2, gefunden und gelesen beim Komitee für Grundrechte und Demokratie am 25.2.2016, zeigt, wie dunkel es hierzulande sein kann:
"«Reisegenuss» stand auf der Leuchtanzeige jenes Busses, der zwanzig Asylsuchende am Abend des 18. Februar in ihre Unterkunft in Clausnitz brachte.Erwartet wurden sie laut Polizeiangaben von zunächst 30-40 – sagen wir es neutral – Protestierenden, die den Einzug der Flüchtlinge verhindern wollten. Der Zufahrtsweg war zusätzlich mit drei Fahrzeugen blockiert: einem Traktor, einem Kleinlastwagen und einem PKW. Die Menge sei nach und nach auf rund hundert Personen angewachsen. «Wir sind das Volk», lautete ihre Parole. Gemeint war wohl: «Weil wir hier das Volk sind, habt Ihr in dieser Gemeinde nichts zu suchen.» Die in Chemnitz erscheinende «Freie Presse» zitierte Augenzeugen: Die Menge habe sich an der Angst der Asylsuchenden ergötzt. ...
In Neuhausen, einer Nachbargemeinde von Clausnitz, übernahm der Gemeinderat gleich selbst die Feinderklärung. In einem «Positionspapier» im Amtsblatt (link is external) des «schönsten Flecks im Erzgebirge» erklärte sich das je zur Hälfte aus CDU-Mitgliedern und Freien Wählern besetzte Gremium im Oktober letzten Jahres zwar bereit, «unter Beachtung der ländlichen und vor allem touristisch geprägten Struktur» des Ortes zehn Wohnungen für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen, «fordert aber die Bundesrepublik Deutschland auf, die unkontrollierte Aufnahme von Flüchtlingen umgehend zu beenden», das Asylrecht einzuschränken, «die Ordnung und die Sicherheit in der Bundesrepublik, insbesondere in Bezug auf drohende IS-Anschläge wieder herzustellen, die «überhöhten deutschen Standards für Asylbewerber und ausländische Flüchtlinge zu reduzieren etc.
Wenn der Rat der 3000-Seelen-Gemeinde vor den «beängstigenden Fehlern der Bundesrepublik und der Europäischen Union in Bezug auf die Asyl- und Einwanderungspolitik» warnt, befindet er sich im Einklang nicht nur mit dem «Volk» von AfDanistan, sondern selbst mit führenden Politikern aus der Großen Koalition, die seit einem halben Jahr von Überforderung schwadronieren und heute mit breiter Mehrheit im Bundestag das Asylpaket II (link is external) beschlossen haben.
Die andere Seite der Clausnitzer Ereignisse ist das Verhalten der Polizei. Dass die Staatsgewalt im Umgang mit Blockaden ungeübt sei, lässt sich kaum behaupten. Bei Blockaden der Friedens- und der Anti-Atom-Bewegung stellt sie ihr «Können» regelmäßig unter Beweis. Da geht es schnell und zum Teil auch blutig zu und her, wenn zum Beispiel Schienen und Straßen geräumt werden sollen.
Dass die Polizei im Sinne einer falsch verstandenen ausgleichenden Gerechtigkeit auch bei Fremdenfeinden mit massiver Gewalt vorgehen soll, erwarten wir nicht. Es hätte ausgereicht, Raum zu schaffen zwischen den rechten Blockierern und dem Bus und damit Sicherheit für die Geflüchteten. Dazu hätte es aber mehr als die 23 BeamtInnen gebraucht, mit denen die Polizei hier präsent war. Das Personal hat gefehlt, weil die Polizeiführung «keine Erkenntnisse zu geplanten Protestaktionen» gehabt habe. Man wusste zwar von «Unmutsbekundungen» bei einer Einwohnerversammlung im Januar, bei der Vertreter des Landratsamtes erst gar nicht erschienen waren, weil sie von den erwarteten Pöbeleien die Schnauze voll hatten. Für die Polizei war das jedoch kein Anlass zur Vorsicht. ..."

Fachkräftemangel ist hausgemacht

Fundstück 37: Was es mit dem viel beschworenen "Fachkräftemangel" auf sich hat, den nun auch die Migranten beheben helfen sollen

Von rechts wie links, aus Politik und Wirtschaft und selbst aus dem sozialen Bereich wird immer wieder der "Fachkräftemangel" beklagt, der die deutsche Wirtschaft, aber ebenso Bereiche wie das Gesundheitswesen und die Pflege bedrohe. Nun sollen auch die Migranten noch helfen, ihn zu bewältigen, sagt zumindest die Wirtschaft, nicht minder die Politik.

Dieser Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften dürfte teilweise, also was bestimmte Branchen im Sozialen ebenso wie Regionen wie Ostdeutschland betrifft, nicht in Frage stehen. Wobei aber zu fragen ist, warum es dann so viele Arbeitslose und "Aufstocker" gibt, die für ihre Arbeit schlecht bezahlt werden. Wohl aber wird gern über dessen Ursachen hinweggesehen bzw. diese übersehen. Doch er ist hausgemacht, wie eine Meldung der OECD vom 1. Juni 2015 zum Thema zeigt:
"Deutschland ist nicht nur das zweitgrößte Einwanderungsland innerhalb der OECD, es ist auch eines der Hauptherkunftsländer für Auswanderer. Wie aus der OECD-Publikation “Talente im Ausland: Ein Bericht über deutsche Auswanderer” hervorgeht, lebten 2011 etwa 3,4 Millionen in Deutschland geborene Menschen in einem anderen OECD-Land – diese Zahl entspricht der Größe Berlins. Damit stellt Deutschland die fünftgrößte Auswanderergruppe in der OECD nach Mexiko, Großbritannien und nur kurz hinter China und Indien. Die meisten deutschen Auswanderer leben in den USA (1,1 Millionen), in Großbritannien und in der Schweiz (jeweils 270.000). Auch Frankreich, Italien und Spanien sind beliebte Auswandererdestinationen.
Mit 140.000 Emigranten ist die jährliche Auswanderung aus Deutschland in jüngster Zeit auf hohem Niveau stabil. Die Schweiz, Österreich, Großbritannien, Spanien und die Niederlande waren in den vergangenen Jahren die Hauptzielorte deutscher Auswanderer. Zwischen 2001 und 2013 gingen dreimal so viele Deutsche in europäische wie in nicht-europäische OECD-Länder.
Das Bildungsniveau der Auswanderer ist hoch und steigt in der Tendenz sogar noch an. 1,4 Millionen von ihnen haben Abitur und/oder Berufsausbildung, weitere 1,2 Millionen verfügen über ein abgeschlossenes Studium. Vor allem durch den hohen Anteil an gut gebildeten Frauen stieg die Zahl der hochqualifizierten Emigranten im vergangenen Jahrzehnt um 40 Prozent. Allein in der Schweiz hat sich die Anzahl der hochqualifizierten Deutschen von 2001 bis 2011 auf 150.000 verdoppelt. Insgesamt haben 46.000 deutsche Auswanderer sogar einen Doktortitel – auch diese Zahl wächst in vielen europäischen Zielländern.
Betrachtet man das überdurchschnittliche Bildungsniveau vieler Auswanderer, so verwundert es nicht, dass Karriereerwägungen den Hauptgrund für den Wegzug aus Deutschland bilden. Laut Umfragen tragen sich 15 Prozent der Deutschen mit dem Gedanken, auszuwandern; unter den Arbeitslosen ist es sogar ein Drittel. Nur ein kleiner Teil von ihnen setzt diese Absicht aber schließlich in die Tat um. Generell sind Deutsche, die auswandern wollen, mit ihrem Leben weniger zufrieden als ihre Landsleute ohne Auswanderungsabsicht. ..."

Ich finde das bemerkens- und beachtenswert, wenn über das Thema "Fachkräftemangel" geredet und diskutiert wird. Deshalb erinnere ich daran. Auch zum Thema Migration dürfte es ein wichtiger Beitrag sein. Und: Wer solche Auswanderung verursacht und zulässt, auch weil ihm die einheimischen gut- und hochqualifizierten Fachkräfte zu teuer sind, der ruft nach anderen nur, weil er billigere Arbeitskräfte wünscht. Die holt er sich dann aus Gebieten, in denen die eigenen Politikdarsteller durch ihre direkte und indirekte Kriegsbeteiligung, aber auch durch ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik mit dafür sorgten, dass Menschen zu Hause keine Perspektive mehr haben und sehen ...

aktualisiert: 16:35 Uhr