Bitte beachten:

Mit deutsch- und volkstümelndem sowie rechtsextremem und faschistischem Gedankengut habe ich nichts am Hut und nichts zu tun!

Samstag, 27. Februar 2016

Sie meinen es ernst

Eine Angst greift in diesem Land um sich: Angeblich nehmen die Flüchtenden und Migranten den Deutschen ihre Heimat und das weg, was "die da oben" ihnen noch ließen


Wenn ich die Asylanten sehe, kriege ich rote Augen“, sagt mir einer, der irgendwo in Ostdeutschland lebt. Für die seien plötzlich Milliarden Euro da, für andere, für Deutsche nicht. Er ist wütend auf „die da oben“, die keine Ahnung hätten. „Das gibt noch Ärger“, kündigt er an und erzählt von Asylbewerbern, die die angebotenen Wohnungen nicht schick genug gefunden und abgelehnt hätten. „Die wollen besser leben“, empört er sich, „und zu Hause nicht kämpfen für Demokratie“. Das Fatale ist, denke ich beim Zuhören, dass der Mann mal Polizist war, und dass er zwar nicht mehr aktiv ist, aber nur ausspricht, was viele denken. Ich habe mich auch gefragt, was ich ihm Kluges antworten soll, welchen Sinn es hat, ihm zu widersprechen. Ich habe es nur so getan, dass ich ihm erklärte, dass die Milliarden Euro, die bei der eigenen Bevölkerung gespart werden, nicht die Flüchtenden und Migranten bekommen, sondern zuerst an die Banken gehen, bevor sie jemand anders bekommt. Er hat nur genickt.
Das habe ich an dem gleichen Tag erlebt, an dem ich von einer Analyse las, nach der die Bevölkerungsmehrheit in der Bundesrepublik „skeptisch auf den Zustrom Geflüchteter blickt“. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in seinem aktuellen Wochenbericht vom 25. Februar darauf aufmerksam gemacht. Zwar sei die Spenden- und Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtenden und Migranten immer noch groß. Aber der Anteil der Spenden- und Hilfsbereiten macht nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung aus. Die Mehrheit sieht das laut DIW anders: „Mehr als die Hälfte befürchtet, dass Deutschland durch Flüchtlinge ein schlechterer Ort zum Leben werden und das kulturelle Leben hierzulande leiden könnte. Fast 80 Prozent sehen kurzfristig mehr Risiken als Chancen, 57 Prozent auch langfristig.
Er habe nichts gegen Alte, Frauen und Kinder, die vor Krieg flüchteten, sagte mir der ehemalige Polizist an dem Tag, als die Studie veröffentlicht wurde. Aber die vielen jungen Männer unter 30 würden ihn aufregen, weil die zuhause nicht für ein besseres Leben kämpfen wollten und das stattdessen hier suchen. Sie wollten ja auch nicht dafür arbeiten, war er sich sicher.
Nach wie vor herrscht in der Öffentlichkeit die Ansicht vor, dass Kriegsflüchtlinge in Deutschland aufzunehmen seien“, stellt das DIW fest. Demgegenüber sei die Akzeptanz von anderen Gründen der Beantragung von Asyl deutlich gesunken, so zum Beispiel bei der Flucht aus politischen oder religiösen Gründen, „vom Januar 2015 von 82 Prozent auf 73 Prozent im Februar 2016“. „Noch deutlicher ist die Bereitschaft zur Aufnahme von Personen gesunken, deren Flucht nach Deutschland vor allem materiell – Arbeitssuche, Erzielung von Einkommen – motiviert ist. Hier sank die Zustimmung von 41 Prozent im Januar 2015 auf 25 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung in Deutschland.“ Auch die Regierung, „die da oben“, wie sie der Ex-Polizist nannte bekommen der Analyse zufolge von den Befragten ein schlechtes Zeugnis für die Flüchtlingspolitik ausgestellt.
Was führt zu dieser Stimmungslage, was führt dazu, dass so viele glauben, die Flüchtenden und Migranten würden ihnen etwas wegnehmen? Ist es diese Form von Sozialneid, die ich am 20. Januar als Folge des politisch betriebenen Sozialabbaus beschrieb? Ist es einfach nur Dummheit und Egoismus, nach dem Motto: Wenn es mir nicht so gut geht, sollen die anderen auch nichts bekommen? Oder ist es Wut auf die Politik, weil sie sich von ihr belogen und betrogen fühlen, und für die mal wieder ein Sündenbock herhalten muss, weil die politisch Verantwortlichen nicht erreichbar sind?
Viele Probleme, die derzeit in Deutschland auftauchen, haben nach Ansicht des Marburger Sozialpsychologen Ulrich Wagner gar nichts mit Flüchtlingen zu tun.“ Das meldete ein paar Tage zuvor der Evangelische Pressedienst (epd) in seinem Fachdienst epd sozial vom 22. Februar. Probleme bei Polizei, Strafverfolgung und in Schulen habe es bereits vorher gegeben. "Wir haben auch schon lange eine Unterfinanzierung des sozialen Wohnungsbaus", sagte Wagner gegenüber epd. "Wir haben es nur vorher nicht so deutlich gemerkt." Polizisten und Richter hätten unzählige Überstunden angehäuft, Staatsanwälte seien überlastet. Gewalttäter würden erst in großem zeitlichen Abstand zu ihren Taten abgeurteilt. Ursache ist für den Psychologen die jahrelange Sparpolitik. Aus seiner Sicht haben die Ängste der Menschen vor den Flüchtlingen auch damit zu tun, wie die Bundesrepublik die Zuwanderung organisiert. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe beispielsweise im vergangenen Jahr nicht einmal die Hälfte der Flüchtlinge registriert. In den Verwaltungen sei jahrelang gespart worden. Der Wissenschaftler forderte laut epd eine "vernünftige Bedarfsanalyse und eine entsprechende Personalausstattung". Viele Deutsche hätten den Eindruck, "dass die politisch Verantwortlichen keine Strategie haben." Jeder könne erkennen, dass Vorschläge oft nur für die Schlagzeilen gemacht werden. Es gebe eine "Hilflosigkeitsdebatte", sagte der Professor des Marburger Fachbereichs Psychologie. "Das macht die Menschen empfänglich für einfache Antworten und rechte Parolen."
Aber was hilft dagegen? Wo sind die politischen und gesellschaftlichen Kräfte, die sich dafür einsetzen, die Probleme, die hohe Zahl der Flüchtenden und Migranten zu bewältigen, als Chance sehen und nutzen? Als Chance für einen Kurswechsel, der den Sozialabbau stoppt und den Sozialstaat wieder stärkt. Als der Paritätische Wohlfahrtsverband am 23. Februar zusammen mit anderen Organisationen den „Armutsbericht 2016“ vorstellte, gab es solche Stimmen. Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, forderte zum Beispiel bei der Pressekonferenz zu dem Bericht, die Ankunft der vielen Flüchtenden zu nutzen, um „die politischen Fehlentscheidungen zu korrigieren, die schon lange korrigiert werden müssten“.
Doch wer hört auf solche Stimmen, welche Politiker greifen sie auf? Werden sich jene wie der ehemalige ostdeutsche Polizist dadurch von ihrer Wut auf die „Asylanten“ abbringen lassen? Werden Menschen wie er mit ihrer Sucht nach zu einfachen Antworten erkennen, dass sie nicht bei Pegida und anderen ähnlichen Veranstaltungen mitlaufen oder Flüchtlingsbusse aufhalten sollten, sondern von der herrschenden und regierenden Politik eine sozialere Politik für alle einfordern, samt Umverteilung von oben nach unten, weil es dabei auch um sie selbst geht? Ich bin skeptisch. Auch weil unterdessen Bundesregierung und Bundestag das „Asylpaket II“ beschlossen haben. Die 429 Parlamentarier, die dafür stimmten, ließen sich nicht davon abhalten, obwohl zentrale Regelungen im Asylpaket II menschenrechtswidrig sind, wie das Deutsche Institut für Menschenrechte bereits am 3. Februar erklärte. "Der Gesetzesentwurf widerspricht dem menschenrechtlichen Gebot eines fairen Asylverfahrens“, so Beate Rudolf, Direktorin des Institutes. Wenn das „die da oben“, die Regierenden und die Parlamentarier nicht interessiert, warum sollte sich ein einfacher Polizist darum scheren? Warum sollte er sich da daran erinnern, dass die Menschenrechte für alle gleich gelten und dass das Grundgesetz, auf das er 1990 vereidigt wurde, die Menschenwürde für alle für gültig erklärt?
Götz Eisenberg erinnerte in dem Zusammenhang zu Recht kürzlich auf den Nachdenkseiten an das, was Bodo Morshäuser 1992 in seinem Buch „Hauptsache deutsch“ feststellte: „Wenn der Schlips vor Scheinwerfern “Ausländerbegrenzung” fordert, löst der Stiefel sie in der Dunkelheit ein. Dass aus Wörtern Taten geworden sind, will der Schlips danach nicht mit sich selbst in Zusammenhang gebracht wissen; und doch ist der schnelle Stiefel dem Schlips Anlass, seine Forderung nach “Ausländerbegrenzung” – nun mit dem Hinweis auf zunehmende Gewalt – zu wiederholen; was für den Stiefel wiederum Ansporn ist … woraufhin ... So arbeiten konservative Politiker und gewalttätige Rechtsextremisten sowie ihre Helfer, mit und ohne Wissen, Hand in Hand.
Ich habe den früheren Polizisten leider nicht gefragt, ob er sich als rechtsextrem versteht. Er hätte das bestimmt bestritten, wer will schon als rechtsextrem gelten ...

aktualisiert: 29.2.16, 15:12

Freitag, 19. Februar 2016

Ein Frage und keine Antwort

Kann eine Gesellschaft, die zunehmend als desintegriert gilt, andere Menschen, die zu ihr kommen, integrieren?

Ein Freund berichtete mir heute davon, dass er jemand aus dem Bereich der sozialen Arbeit davon reden hörte, dass es nach der ganzen Debatte um die Ankunft der Flüchtlinge hierzulande nun um deren Integration gehe. Damit würden sich in Zukunft all jene beschäftigen müssen, die den Flüchtlingen bisher ermöglichten, hier anzukommen.

Als ich das hörte, wurde ich wieder an etwas erinnert, was mir bei der ganzen Debatte und der gleichzeitigen Fremdenfeindlichkeit, für die Ereignisse wie der Angriff auf einen Bus mit Flüchtlingen in Sachsen stehen, unlängst wieder einfiel: Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer hat nicht nur mit seinem Buch "Was treibt die Gesellschaft auseinander?" bereits 1997 u.a. festgestellt und gewarnt, "daß Desintegration zu einem Schlüsselbegriff gesellschaftlicher Entwicklungen avancieren wird". Zusammen mit anderen Wissenschaftlern hat er in der Folge die Langzeitstudie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit durchgeführt, die in zehn Büchern unter dem Titel  "Deutsche Zustände" nachlesbar ist. Auf der Rückseite von Band 9 aus dem Jahr 2010 ist zu lesen: "Wie können nur hoffen, daß sich die Verunsicherung der Menschen angesichts der Krise sowie die damit verbundene Abwertung und Diskriminierung schwacher Gruppen nicht weiter zuspritzt. In jedem Fall stehen hier die Eliten in der Verantwortung – Eliten, von denen freilich niemand so recht weiß, ob sie nicht längst selbst zu einem Teil des Problems geworden sind."

2011 zog Heitmeyer am Ende der Langzeitstudie in Band 10 u.a. folgendes vorläufiges Fazit der Untersuchungen und Beobachtungen:
"• In der religiösen Sphäre ist das friedliche und vom Ideal der Gleichwertigkeit geprägte Zusammenleben der Menschen unterschiedlichen Glaubens immer noch latent gefährdet. Immer weniger Menschen wollen in Gebieten mit vielen Moslems leben. ...
• In der sozialen Sphäre haben die Ökonomisierung des Sozialen und die Staatsunsicherheit mit den verschiedenen Desintegrationsängsten und -erfahrungen eine Kernrelevanz für die steigenden Abwertungen der als 'Nutzlose' und 'Ineffiziente' deklarierten Gruppen, also von Hartz-IV-Empfängern und Langzeitarbeitslosen. ...
• In der politischen Sphäre gibt es mit der Wahrnehmung einer Demokratieentleerung, also von Vertrauensverlusten und einem Gefühl der Machtlosigkeit, ernste Warnsignale, da die Anfälligkeit für rechtspopulistische Mobilisierung auffällig ist.
• In der ökonomischen Sphäre scheint weiterhin eine Mentalität vorzuherrschen, die von der grundgesetzlichen Maxime, laut der Eigentum verpflichtet (etwa zur Verhinderung sozialer Desintegration), wenig wissen will. So diagnostiziert Rainer Geißler (2010, 11) eine sozialstrukturelle 'Polarisierung zwischen Armen und Reichen bei schrumpfender Mitte' und eine höhere Anzahl von Abstiegen unter Angehörigen der sogenannten 'Mittelschicht'. ... gleichzeitig setzt das Öffnen der Schere ... offensichtlich auch polarisierende Einstellungen frei. So glauben 2011 im Vergleich zu 2006 signifikant mehr Befragte mit höherem Einkommen, denen, die an ihrer Not eine Mitschuld tragen, solle nicht geholfen werden. ..."

Der Soziologe schrieb vor fünf Jahren von der "geballten Wucht, mit der die Eliten einen rabiaten Klassenkampf von oben inszenieren" und von der zeitgleichen "Transmission der sozialen Kälte durch eine rohe Bürgerlichkeit, die sich selbst in der Opferrolle wähnt und deshalb schwache Gruppen ostentativ abwertet". Das zeige, "daß eine gewaltförmige Desintegration auch in dieser Gesellschaft nicht unwahrscheinlich ist". Das wurde wie gesagt vor fünf Jahren geschrieben. Die regierende und etablierte Politik hat bis heute nicht darauf reagiert. Auch die Medien – ich habe die letzte Pressekonferenz zu der Langzeitstudie miterlebt – schauten nur kurz auf und machten dann wie gehabt und die Probleme ignorierend weiter.

Mich beschäftigt seitdem die Frage, wie eine Gesellschaft, die so gekennzeichnet ist, es leisten und schaffen kann, eine Vielzahl von Menschen, die vor allem aus existenziellen Nöten ins Land kommen, zu integrieren. Eine Antwort habe ich nicht, nur Befürchtungen ...

PS: Am 22. Februar spricht der britische Journalist Antony Loewenstein, Autor des Guardian und Verfasser des Buches "Disaster Capitalism", im Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) darüber, wie die Regierungen in der EU, samt der deutschen, das Problem des Zustroms der Flüchtlinge bewältigen wollen, indem sie versuchen, diese fernzuhalten. Dabei sei die EU unfähig und unwillens zu einer vernünftigen Alternative und würde nur der Linie der USA, Großbritanniens und Australiens folgen, die führend seien bei der Privatiserung der Flüchtlingskrise, in dem sie alles von der Versorgung bis zur Überwachung an private Unternehmen übergeben. Das sei gefährlich für die Demokratie, meint Loewenstein und will in Berlin alternative Lösungen anbieten.

Dienstag, 9. Februar 2016

Das Heucheln der Angela M. und der Kampf um Aleppo

Russland und dessen Präsident Wladimir Putin sind wieder einmal schuld an dem Krieg in und gegen Syrien und an dessen Opfern, die schon in Hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen gezählt werden. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am 8. Februar klar gemacht, wie unter anderem Spiegel online an dem Tag berichtete. "Wir sind in den letzten Tagen nicht nur erschreckt, sondern auch entsetzt, was an menschlichem Leid für Zehntausende Menschen durch Bombenangriffe entstanden ist, vorrangig von russischer Seite", wurde Merkel zitiert. Die Kanzlerin sagte das ausgerechnet in Ankara, als sie den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan besuchte. Das ist jener, der nicht nur zur gleichen Zeit Krieg gegen die Kurden führen lässt, sondern seit Jahren alle möglichen „Rebellen“ in Syrien unterstützt, darunter auch islamistische Gruppen.

Aber das kümmert die Kanzlerin anscheinend wenig und so äußert sie in der türkischen Hauptstadt kurz nach der Kritik an Moskau Verständnis für Ankaras Krieg gegen die kurdischen „Terroristen“: „Man muss allerdings auch sagen, dass bei terroristischen Aktivitäten jedes Land auch das Recht hat, gegen Terrorismus vorzugehen.“ Merkel schert sich in dem Fall natürlich nicht um den Wahrheitsgehalt ihrer zugearbeiteten Worte und genauso wenig um die Doppelmoral ihrer Politik und Äußerungen. Der syrische Präsident Bashar al-Assad wird auf solches Verständnis in dem Krieg, der Syrien und seiner Regierung aufgezwungen wurde, lange warten können. Er steht einfach auf der falschen Seite. Ganz anders als Berlin, das von Anfang an an dem Krieg für den Regimewechsel in Damaskus beteiligt war und weiterhin die Anti-Assad-Kräfte unterstützt.

Der Krieg in und gegen Syrien ist und bleibt eines der größten Verbrechen der Gegenwart. Das kann nicht oft genug betont werden, gerade angesichts der in diesem und anderen Zusammenhängen ununterbrochen wiederholten Lügen und Heucheleien auch von deutschen Politikern und ihrer medialen Lakaien. Und nicht oft genug kann und muss wiederholt werden, dass der Westen samt seiner arabischen Verbündeten an diesem Verbrechen, an diesem Krieg mit all seinen Zerstörungen, Opfern und Leid, Schuld trägt. Er ist der Brandstifter einer Katastrophe, die ein entwickeltes Land zerstört hat und weiter zerstört. Nicht Damaskus hat diesen Krieg begonnen, auch nicht Moskau, sondern jene, die hofften, im Zuge des „Arabischen Frühlings“ auch die Verhältnisse in Syrien neu in ihrem Interesse ordnen zu können. Und das waren und sind überhaupt nicht die Interessen der Menschen in Syrien, egal wie sie zu Assad und der syrischen Führung stehen.

Die Situation im nordsyrischen Aleppo ist Teil dieser Katastrophe und zugleich ein aktuelles Beispiel für die westliche Heuchelei, in welche die deutsche Bundeskanzlerin wenig überraschend weiter mit einstimmt. Wer fragt denn noch danach, wie es kam, dass Aleppo zur angeblichen „Rebellenhochburg“ wurde, die es nie war? Darüber berichtete damals, 2012, kaum eines der Medien, die heute wie Spiegel online erklären, dass „Putins Bomber“ Aleppo zum „zweiten Grosny“ machen. Einer der wenigen Berichte darüber, wie die nordsyrische Stadt von den „Rebellen“ erobert wurde, stammte von dem Fotografen Carsten Stormer und wurde im März 2013 im Magazin The Germans veröffentlicht (online hier). Er beschrieb u.a., wie der Krieg im Juli 2012 nach Aleppo getragen und die Stadt zum Schlachtfeld gemacht wurde: „Wochenlang haben die Aufständischen den Angriff auf Aleppo geplant. Bis Ende Juli 2012 war die Stadt von Kämpfen weitestgehend verschont geblieben. Nur in manchen Stadtteilen, wie Salah Eddine, kommt es täglich zu Massendemonstrationen und Zusammenstößen zwischen Regierungsanhängern und Opposition.“ Gerade in der Zweimillionen-Einwohnerstadt Aleppo wohnten viele Regimefreunde und reiche Kaufleute, die vom Regierungsapparat profitierten und ihn noch immer unterstützten, berichtete Stormer vor drei Jahren. Auch davon, dass die in die Stadt eindringenden „Rebellen“ nagelneue Waffen auch westlicher Produktion mitbrachten und vor ihrem Untertauchen in den Stadtvierteln ihre Kampfanzüge gegen zivile Kleidung eintauschten. Die „Revolution“ habe Aleppo erst spät erreicht, meinte der Fotograf nicht ohne Sympathien für jene, die vermeintlich nur gegen die Unterdrückung durch das Assad-Regime und für die Freiheit kämpften. Es sei die Stadt gewesen, „von der viele glauben, dass das Regime zusammenbricht, wenn sie fällt“. Das dürfte nicht der einzige Irrtum derjenigen gewesen sein, die diesen Krieg anzettelten, und jener, die ihn führten und führen.

Nun ist die syrische Armee dank russischer Unterstützung auf Grundlage eines Vertrages zwischen Damaskus und Moskau aus dem Jahr 1980 auf dem Vormarsch und anscheinend kurz davor, auch jene Stadtviertel von Aleppo zu befreien, die noch in den Händen der angeblichen „Rebellen“ sind. Und schon melden sich wieder alle westlichen vermeintlichen Menschenfreunde, die als „Freuende Syriens“ natürlich nichts Anderes im Sinn haben, als die Interessen der vom Krieg geschundenen und an ihm leidenden Syrer. Dabei wird auch hierbei weggelassen oder nur verschämt gesagt, um welche „Rebellen“ es sich handelt, die einzelne Viertel von Aleppo weiter beherrschen. Das war immerhin bei Spiegel online am 5.Februar zu lesen: „Die bewaffnete Opposition in Aleppo setzt sich aus einer Vielzahl von Milizen zusammen, wobei die Moderaten stetig an Bedeutung verlieren. Derzeit sind islamistische Gruppen tonangebend. In den vergangenen Tagen soll zudem die radikalislamistische Nusra-Front ihre Präsenz in der Stadt ausgebaut haben.“ Das Online-Magazin stützt sich auf die ominöse Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London, deren Glaubwürdigkeit ich nicht einschätzen kann. Zur Erinnerung: „Die Al-Nusra-Front gilt als syrischer Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida.“, wie u.a. die Deutsche Welle am 26. September 2015 online berichtete.

Aber wen kümmert das schon und warum sollte die Bundeskanzlerin mal genauer nachfragen? Und Terroristen, das sind sowieso immer nur die Anderen. Die Bilder von zehntausenden Flüchtlingen an der türkischen Grenze, die angeblich aus Aleppo stammen und vor den Angriffen der syrischen Truppen und russischen Bomber fliehen, sorgen für neue westliche Betroffenheitsheuchelei. Bei den aktuellen Fotos fiel mir ein, was der Fotograf Stormer 2013 über die „Rebellen“ aus Aleppo berichtete: „Die Tarnanzüge tauschen sie gegen Zivilkleider, schlüpfen in Jeans und Hemden.“ Das taten sie, als sie die Stadt überfielen. Warum sollten sie das nicht auch bei ihrer Flucht daraus tun? Aber das ist nur so ein Gedanke.

Und wen kümmert die Wahrheit, wenn behauptet wird, Russlands Luftangriffe auf die terroristischen Anti-Assad-Kräfte sei Schuld, dass es unlängst keine Friedenslösung in Genf gab? Putin und Assad würden die Friedensverhandlungen torpedieren, behauptete u.a. Die Welt online am 4.Februar. Ähnlich war es von Vertretern der USA und der Bundesrepublik zu hören: „Der Westen macht das Assad-Regime und die Verbündeten in Moskau verantwortlich: Sie wollten keine politische Lösung.“ berichtete Zeit online am selben Tag.

Es könnte auch anders gewesen sein, wenn stimmt, was u.a. die junge Welt am 9. Februar veröffentlichte: „Kerry gibt syrischer Opposition Schuld an Bombardements“. Der US-Außenminister John Kerry habe laut eines Berichts des britischen Internetportals Middle East Eye (MEE) der syrischen „Opposition“ die Schuld am Verlassen der Gespräche und der Wegbereitung für eine gemeinsame Offensive der syrischen Regierung und Russlands gegen Aleppo gegeben. Und Kerry habe gegenüber Journalisten am Freitag erklärt, dass sowohl Russland als auch Iran, ein weiterer Verbündeter Sy­riens, ihm gesagt hätten, dass sie auf einen Waffenstillstand in Syrien vorbereitet seien. Auf diese interessanten Äußerungen des US-Außenministers wies immerhin auch die FAZ in ihrer Online-Ausgabe am 7. Februar hin, mitten in einem Beitrag über die armen Opfer russischer Bomben in Aleppo.Auf offener Bühne war von Kerry natürlich nichts dergleichen, dafür nur antirussische Vorwürfe zu hören, woran Uli Gellermann in seinem Blog Rationalgalerie am 8. Februar erinnerte.

Doch was kümmert das die Kanzlerin, frage ich mich ein weiteres Mal, plappert sie doch anscheinend nur nach, was in Washington vorgesprochen wird. Sie wird sich höchstens ein wenig ärgern über solch einen Bericht aus dem Backstage-Bereich, denn die anscheinend von Kerry als friedensunwillig bezichtigte „Opposition“, das sind eben jene Kräfte, die der Westen unterstützt, mittendrin von Anfang an die deutsche Bundesregierung. Die hatte der Delegation des „Hohen Verhandlungskomitees“ (HNC), einem von Saudi-Arabien gesponsertem Anti-Assad-Bündnis, organisatorisch, beratend und finanziell in Genf geholfen, wie die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten am 3. Februar berichteten. Die Information bestätigte Außenminister Frank-Walter Steinmeier indirekt in einem Interview mit der Welt am Sonntag, veröffentlicht am 30. Januar: „Wir fördern jetzt auch ganz konkret den Verhandlungsprozess, durch politische Flankierung, Beratung durch Experten und finanzielle Unterstützung.

Aber Russland ist wie Assad schuld, am Krieg, an den Toten, an den Flüchtlingen, tönt es nun aus Berlin wie auch aus anderen westlichen Hauptstädten, unwidersprochen und unhinterfragt von den bundesdeutschen Mainstream-Medien. Könnte es anders sein, vielleicht so wie es ansatzweise die Schweizer Juristin Carla Del Ponte sieht? Die hatte als Mitglied der UN-Untersuchungskommission zu möglichen Menschenrechtsverletzungen in Syrien in einem Interview mit dem Schweizer Sender RTS am 8. Februar die russischen Luftangriffe auf islamistische Terror-„Rebellen“ wie die von Al-Nusra, Daesh (IS) und andere in Syrien insgesamt als „gute Sache“ bezeichnet, nicht ohne zu behaupten, dass Russland kaum Unterscheide zwischen „Terroristen“ und anderen mache. Zu viel Verständnis kann aber auch Putin nicht erwarten, wo kämen wir denn dahin? Unterdessen geht der Krieg in und gegen Syrien weiter, auch in Aleppo.