Bitte beachten:

Mit deutsch- und volkstümelndem sowie rechtsextremem und faschistischem Gedankengut habe ich nichts am Hut und nichts zu tun!

Freitag, 25. Oktober 2013

Die NSA darf Angela Merkel abhören

Angesichts der Aufregung um das mutmaßlich von US-Geheimdiensten ausgespähte Parteihandy der Bundeskanzlerin muss an Erkenntnisse eines Historikers erinnert werden.

Der Historiker Josef Foschepoth hatte 2012 mit seinem Buch "Überwachtes Deutschland – Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik" auf die Grundlagen dessen aufmerksam gemacht, was durch die Enthüllungen von Edward Snowden über die Bespitzelung der Kommunikation in der Bundesrepublik durch US-Geheimdienste bekannt wurde. In einem Beitrag des Deutschlandfunks vom 29.10.12 fasst der Historiker das so zusammen: "Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurden jährlich Millionen von Postsendungen kontrolliert, geöffnet, beschlagnahmt, vernichtet oder zurück in den Postverkehr gegeben. Ebenso wurden Millionen von Telefongesprächen abgehört, Fernschreiben und Telegramme abgeschrieben und von den Besatzungsmächten und späteren Alliierten, aber auch von den Westdeutschen selbst zu nachrichtendienstlichen beziehungsweise strafrechtlichen Zwecken ausgewertet und genutzt."

Der Beitrag machte auf die Grundlage für die heutige US-Schnüffelei aufmerksam: "Millionenfache Schnüffelei im demokratischen Westdeutschland? ... Eine Schlüsselrolle nimmt dabei Konrad Adenauer ein, der erste Kanzler der Bundesrepublik. Der Rheinländer trieb die Einbindung der BRD ins westliche Bündnissystem voran, er kämpfte für ihre Souveränität. Was bisher aber kaum bekannt war: Adenauer zahlte für diese Souveränität einen hohen Preis. Denn die Siegermächte wollten keineswegs auf alle Sonderrechte, die sogenannten Vorbehaltsrechte verzichten. Dazu gehörten so bekannte, wie etwa das Recht, Truppen in Westdeutschland zu stationieren, aber eben auch eher unbekannte wie der Geheimdienstvorbehalt oder der Überwachungsvorbehalt.
Letztere erlaubten den Alliierten auch weiterhin, am Grundgesetz vorbei tief in die Grundrechte einzugreifen. Um zu vermeiden, dass die deutsche Öffentlichkeit von diesen brisanten Zugeständnissen erfuhr, verhinderte Adenauer, dass der Überwachungsvorbehalt im offiziellen Vertragstext des 'Deutschlandvertrages' von 1955 auftauchte. Er schlug ein einseitiges Schreiben der Noch-Besatzungsmächte an die deutsche Bundesregierung vor, das diese Rechte festschreiben sollten:
'Ich habe die Geheimprotokolle gesehen und sehe dann, wie Adenauer Wort für Wort den Text dieses Briefes mit den Alliierten abstimmt. Der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wirkt also mit den fremden Mächten an einer Umgehung der Verfassung aktiv mit, die dauerhaft das erlaubt, was die Verfassung nicht erlaubt.'
Nämlich die Überwachung der Telefone, der Briefe, der Pakete in der Bundesrepublik ohne gesetzliche Regelung - eine solche erfolgte erst 13 Jahre später, zusammen mit den umstrittenen Notstandsgesetzen von 1968."

3sat berichtete in der Kulturzeit am 19. November 2012 ebenfalls darüber: "Die Sonderrechte der Alliierten, so sagt Foschepoth, gelten übrigens immer noch. Nur dass heute niemand mehr Briefe öffnen muss, E-Mails sind viel leichter zu knacken." Markus Kompa hatte sich am 19. Juni dieses Jahres auf Telepolis ebenfalls dazu geäußert: "Geheimverträge mit den westlichen Siegermächten zur Überwachung sind bis heute in Kraft". Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, veröffentlicht am 9. Juli, sagte Foschepoth: "Die NSA darf in Deutschland alles machen. Nicht nur aufgrund der Rechtslage, sondern vor allem aufgrund der intensiven Zusammenarbeit der Dienste, die schließlich immer gewollt war und in welchen Ausmaßen auch immer politisch hingenommen wurde."

Die NSA hat deutsche Politiker schon immer ganz legal oberserviert, erklärte er wieder im Interview, das Zeit online am 25. Oktober veröffentlichte. Foschepoth ist danach ebensowenig wie ich über die neuesten Nachrichten überrascht, dass auch Angela Merkel ins NSA-Visier geriet. "Es gibt Verträge zwischen Deutschland und den ehemaligen Alliierten, die eine solche Überwachung erlauben. Da steht natürlich nicht drin, dass die Amerikaner die Kanzlerin abhören dürfen, aber auch nicht, dass sie das nicht dürfen. Ein Geheimdienst, der Interessantes erfahren will, observiert natürlich die Topleute. Daher ist völlig klar, dass die Kanzlerin wie andere führende Personen in Politik und Wirtschaft überwacht werden." Der Historiker bezeichnet Merkels Reaktion auf die Nachricht, dass auch sie vermutlich abgehört wurde, als "ein bisschen Heuchelei". Sie müsste als Kanzlerin von den zugrundeliegenden Vereinbarungen wissen und über die Zusammenarbeit der Dienste informiert sein, so Foschepoth. "Ich selber habe in den Geheimarchiven der Regierung geforscht. Da findet man das alles. Sie müsste einfach nur mal in den Keller ihres Kanzleramtes gehen oder mein Buch lesen."
Der Historiker erinnerte auch daran, dass die SPD schon immer mit dabei war, wenn es um das Ausspähen ging: "Ja, alle Regierungen haben mitgemacht. Der große Sündenfall geschah 1968. Damals hat die erste Große Koalition das Grundgesetz geändert und durch das G-10-Gesetz Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis erlaubt. Grundlage dafür waren Forderungen der Alliierten, dass sich an ihrem Recht auf Überwachung nichts ändern dürfe." In der Folge seien auch alle Kontrollmöglichkeiten verhindert worden. Foschepoth fordert als Konsequenz, die gesetzlichen Grundlagen zu ändern, doch er ist skeptisch, ob das geschieht: "Die Große Koalition hat das damals eingeführt. Es ist zu befürchten, dass sie daran trotz der Aufregung über die Observation der Kanzlerin nichts ändern wird."

Nachtrag: In Heft 4/2013 der Zeitschrift Hintergrund ist ebenfalls ein Interview mit dem Historiker Josef Foschepoth zu lesen: "Wenn die Bundeskanzlerin sagt, auf deutschem Boden gelte deutsches Recht, dann klingt das so, als würde deutsches Recht die Deutschen vor alliierter Überwachung schützen. Das ist aber nicht der Fall. Die alliierten Interessen sind längst in deutschem Recht verankert. Das haben alle Bundesregierungen bisher akzeptiert. Die vor der Wiedervereinigung in diesem Zusammenhang getroffenen Vereinbarungen gelten bis heute. Grundlage für die Stationierung von NATO-Truppen war und ist der Aufenthaltsvertrag von 1954. Seit dem Eintritt in die NATO gelten zusätzlich der NATO-Vertrag von 1951 und seit 1959 bzw. 1963 das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut. In all diesen Vereinbarungen verpflichten sich beide Seiten zu engster Zusammenarbeit auf geheimdienstlichem Gebiet, zum Austausch aller Informationen und Erkenntnisse und zu strikter Geheimhaltung. Einzelheiten wurden stets in geheimen Abkommen vereinbart, wie auch das „Memorandum of Agreement“ vom 28. April 2002 zeigt, das die Zusammenarbeit von BND und NSA in Bad Aibling regelt.
Wenn in derartigen Abkommen vom „Schutz der Sicherheit der alliierten Truppen“ die Rede ist, empfindet niemand Böses dabei. Aufgrund meiner Forschungen wissen wir jedoch, dass mit einer solchen Formulierung stets die geheimdienstliche Tätigkeit der Alliierten gemeint ist, die auf dem Boden der Bundesrepublik ihre Truppen stationiert haben. Anders formuliert: Solange es amerikanische Truppen oder militärische Einrichtungen in der Bundesrepublik gibt, wird es auch amerikanische Überwachungsmaßnahmen zum „Schutz der amerikanischen Truppen“ geben. Und niemand kann und will kontrollieren, wie das geschieht. ...
Man kann den NSA-Skandal in Deutschland nur verstehen, wenn man weiß, wie sich über sechzig Jahre ein im Geheimen operierender deutsch-alliierter nachrichtendienstlicher Komplex entwickelt hat, der machtvoller ist als die jeweilige Exekutive und erst recht als die Legislative und Judikative. Die Exekutive ist mehr oder weniger zu einer Verschworenen der Geheimdienste geworden. Das Interesse an einer wirksamen Kontrolle tendiert fast gegen null. Nur in Zeiten öffentlicher Erregung ändert sich das ein wenig."

Die Dokumente, auf die sich Foschepoth in den Interviews bezieht, sind in seinem Buch in der Quellendokumentation ab Seite 274 zu finden (2. Auflage).

Ein interessanter Aspekt: "Die Alliierten haben der deutschen Wiedervereinigung nur zugestimmt, weil sich Deutschland verpflichtete, bestimmte Rechte seiner Souveränität nicht wahrzunehmen. Daher konnten die Geheimdienste der USA und Großbritanniens in Deutschland ungehindert und legal weiterspionieren. Ohne dieses Zugeständnis hätte die damalige britische Premierministerin Thatcher die deutsche Einheit vermutlich verhindert.
... Die Amerikaner haben sich die Wiedervereinigung mit der Weiterführung der alliierten Vorbehaltsrechte bezahlen lassen, sagte der Geheimdienst-Experte und Buchautor Erich Schmidt-Eenboom den Deutschen Wirtschafts Nachrichten." (Deutsche Wirtschafts-Nachrichten, 10.7.13)

aktualisiert: 30.10.13; 13:49 Uhr

Mittwoch, 23. Oktober 2013

Hindernisse auf dem Weg zur Friedenskonferenz in Genf

Die geplante Friedenskonferenz in Genf könnte helfen, den Krieg gegen und in Syrien zu beenden. Wenn es das Ziel aller Beteiligten wäre, was es anscheinend nicht ist.

Ist eine friedliche Lösung des syrischen Konfliktes und damit auch ein Ende des Krieges gegen und in Syrien in Sicht? Fast sieht bzw. sah es so aus, nachdem am 17. Oktober die Nachrichtenagenturen meldeten, dass nach syrischen Angaben die geplante internationale Syrien-Friedenskonferenz am 23. und 24. November in Genf („Genf 2“) stattfinden könne. Allerdings hieß es vom Sondergesandten der UNO und der Arabischen Liga, Lakhdar Brahimi, der Termin stehe noch nicht fest. Ebenso widersprachen den Meldungen zu Folge Vertreter Russlands und der USA den syrischen Angaben.

Eine Grundlage für die Gespräche in Genf bietet, was am selben Ort im Juni 2012 von der „Aktionsgruppe für Syrien“ beschlossen wurde. Die Gruppe folgte einem Vorschlag von Brahimi-Vorgänger Kofi Annan und schlug u.a. eine Übergangsregierung für Syrien vor. Der von den westlichen Staaten und ihren Verbündeten sowie den für sie kämpfenden „Rebellen“ gewünschte Rücktritt des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad gehörte nicht zum Inhalt des in Genf beschlossenen Papiers. Genau darüber kam es in der Folgezeit immer wieder zwischen dem Westen und Russland zum Streit. Der russische Außenminister Sergej Lawrow kritisierte u.a. am 2. Februar auf der Internationalen Sicherheitskonferenz in München, dass die Vereinbarung von Genf vor allem von westlicher Seite eher sabotiert statt umgesetzt wurde. Nichtsdestotrotz wurde das Dokument als zweiter Anhang in die vom UN-Sicherheitsrat am 27. September beschlossene Resolution 2118 zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen aufgenommen. „Die Vorbedingung der Aufständischen, dass zuvor Assad abgedankt haben müsse, ist nicht in den Plan aufgenommen worden.“ Darauf machte unlängst erneut der Völkerrechtler Norman Paech in einem Beitrag für die Zeitschrift „Hamburger Debatte“ des Linkspartei-Landesverbandes in Hamburg aufmerksam.

Die westlichen Politiker haben ihr Ziel, Assad zu stürzen, nicht aufgegeben. So erklärte Großbritanniens Außenminister William Hague am 22. Oktober laut RIA Novosti, Assad dürfe nicht an der Macht bleiben. Hague stützte sich auf eine Petition der „Freunde Syriens“, die sich am gleichen Tag in London getroffen hatten. Neben den Außenministern der USA, Frankreichs, der Bundesrepublik Deutschland, Italiens, Katars, Saudi- Arabiens, der Türkei, Jordaniens, der Vereinigten Arabischen Emirate und Ägyptens waren auch Vertreter der vom Westen aus Exilsyrern zusammengezimmerten „Nationalen Koalition“ dabei. Für Assad gebe es keinen Platz im politischen System des demokratischen und friedlichen Syriens, so der britische Außenminister. Immerhin fügte er laut der Agenturmeldungen hinzu, dass der Rücktritt oder Sturz des Präsidenten „keine unveräußerliche Vorbedingung“ für die Konferenz sei. „Ziel der Genf-Zwei-Konferenz bleibe der Aufbau einer syrischen Übergangsregierung mit voller Exekutivgewalt“, gab die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in ihrer Printausgabe am 23. Oktober eines der Ergebnisse des Londoner Treffens wieder. US-Außenminister John Kerry stimmte in London in das „Sowohl-als-auch“ seines britischen Amtskollegen ein. Er sprach laut FAZ von einer „Steigerung“ der Bemühungen und der Hilfe für die „Opposition“, welche „die legitime Vertretung des syrischen Volkes“ sei. Kerry wiederholte laut Washington Post vom 22. Oktober, dass Assad aus Sicht der US-Regierung zurücktreten müsse. Aber das politische Schicksal des syrischen Präsidenten sei Angelegenheit der Verhandlungen zwischen beiden Seiten. Diese müssten den Konflikt mit einem politischen Abkommen lösen, sagte Kerry zwar in London laut RIA Novosti. Zugleich kündigte er aber dabei an, dass die militärische Hilfe des Westens für die „Rebellen“ fortgesetzt werde. Das solle zentralisiert über den „Obersten Militärrat Syriens“, der zur „Nationalen Koalition“ gehört, geschehen. Schon im September hatte Kerry klargestellt: „Wir geben außerdem zu verstehen, dass unsere Unterstützung für die syrische Opposition stets fortgesetzt wird.“ In welcher Weise das geschieht, zeigte eine Meldung des Fachdienstes IHS Jane's 360 vom 17. Oktober. Danach werden "Rebellen" der "Freien Syrischen Armee" (FSA) von Ausbildern des US Marine Corps in Saudi-Arabien trainiert. Die Kurse hätten vor einigen Monaten begonnen, dauerten 100 Tage und schließe die Kampfausbildung in bebauten Gebieten (FIBUA) ein.

Der US-Außenminister zweifelte den Berichten zu Folge daran, dass die Friedenskonferenz im nächsten Monat in Genf stattfinden wird. Es sei den westlichen Politikern nicht gelungen, die von ihnen unterstützte „Opposition“ zu verpflichten, in Genf teilzunehmen, hieß es in den Meldungen. Die „Nationale Koalition“ hat ihre Teilnahme an der Syrien-Friedenskonferenz in Genf von der Absetzung des Präsidenten abhängig gemacht, berichtete u.a. RIA Novosti am 22. Oktober. Schon am 1. Oktober hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow laut RIA Novosti festgestellt: „Bis zuletzt rechneten wir damit, dass unsere westlichen Partner, die sich verpflichten hatten, die Opposition für die Syrien-Konferenz zu gewinnen, recht schnell damit fertig werden. So schnell gelang es ihnen nicht, und ich weiß nicht, ob es bis Mitte November klappt.“ Lawrow forderte danach zu Monatsbeginn, die „zurechnungsfähige“ syrische Opposition müsse möglichst schnell an den Verhandlungstisch gebracht werden. „Jede Verzögerung sei tödlich.“ Am 14. Oktober hatte der russische Außenminister RIA Novosti zu Folge festgestellt, das „Haupthindernis“ sei „weiterhin die Unfähigkeit unserer Partner, die syrische Opposition, die sie bevormunden, dazu zu bringen, nach Genf zu kommen und sich zusammen mit der Regierung an den Verhandlungstisch zu setzen, um auf Konsensgrundlage Wege zur weiteren Überwindung der Krise zu finden“. Es gehe dabei um eine Übergangszeit sowie um Strukturen, die während dieser Übergangszeit unter anderem die Vorbereitung einer neuen Verfassung und von Wahlen leiten sollen, so Lawrow. „Unsere US-Partner hatten uns beteuert, dass sie alle zur Teilnahme an der Konferenz versammeln und dies ‚unter der Schirmherrschaft‘ der Nationalen Koalition tun werden. Mein Amtskollege John Kerry hat dieser Tage wiederholt bekräftigt, dass man sich aktiv damit befasse und ein Ergebnis bald zu erwarten sei. Aber ein Ergebnis liegt noch nicht vor“, so der russische Außenminister.

Angesichts dessen ist es nicht verwunderlich, dass der syrische Präsident Assad die Bedingungen für eine erfolgreiche Friedenkonferenz in Genf als „noch nicht erfüllt“ ansieht. Das hat er laut Agenturberichten gegenüber einem libanesischen TV-Sender erklärt. "Welche Kräfte nehmen teil? Welche Beziehungen haben diese Kräfte zum syrischen Volk? Vertreten diese Kräfte das syrische Volk oder die Staaten, welche sie erfanden?", fragte Assad laut AFP in dem Gespräch mit dem libanesischen Fernsehsender Al-Majadin. Zur Rolle von Brahimi sagte Assad den Meldungen zu Folge: „Als Vermittler darf er nicht die Aufträge anderer Staaten erfüllen, sondern muss sich um einen Dialog zwischen den verfeindeten Parteien bemühen.“ Bei seinem Besuch in Damaskus Ende 2012 habe Brahimi versucht, ihm von einer erneuten Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2014 abzuraten, so der syrische Staatschef im Interview laut RIA Novosti. Die Wahlteilnahme sei jedoch eine innersyrische Angelegenheit, die nur von den Syrern diskutiert werden dürfe. Über seine erneute Nominierung sei sein eigener Wille „nicht ausschlaggebend“, sondern auch der Wille der syrischen Wähler erforderlich, wurde Assad zitiert. Aus alldem machte der deutsche TV-Sender N24 am 22. Oktober zum Beispiel folgende Schlagzeile: „Baschar al-Assad blockiert mögliche Friedensgespräche“. Die Tageszeitung Die Welt machte am selben Tag aus Assads Hinweisen auf die nicht erfüllten Bedingungen: „Assad erklärt Friedenskonferenz für chancenlos“.

Dass die Exilsyrer weiter mit absehbar unerfüllbaren Maximalforderungen den Weg nach Genf und zum Frieden blockieren, wird dabei ignoriert. Auch, dass das „auf Geheiß ihrer Förderer im Westen und in den Golfstaaten“ geschieht, wie Michael Lüders in der Oktoberausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik feststellte. Der österreichische Journalist Hannes Hofbauer hatte am 18. September in der Tageszeitung Neues Deutschland angesichts der Übereinkunft zu den syrischen Chemiewaffen gefragt: „Wer hat hier wen ausgetrickst?“ Er bezeichnete es als möglich, dass die USA und ihre Verbündeten für ihr nicht aufgegebenes Ziel, ein Syrien ohne Assad, auch Islamisten an der Macht in Kauf nehmen würden. „Washington kann in Syrien nicht mehr auf eine halbwegs laizistisch und westlich ausgerichtete Opposition bauen; dazu haben sich die Kräfteverhältnisse am Boden und im Exil zu stark geändert.“ Das bestätigten inzwischen auch die Meldungen über die zerstrittene „Opposition“ sowie dass sich immer mehr islamistische Gruppen zu neuen Bündnissen zusammenschließen und dass der Westen dem Anschein nach nicht in der Lage ist, die von ihm unterstützten Kräfte zu kontrollieren. Teile der "Freien Syrischen Armee" (FSA) hätten „vor einigen Wochen begonnen, sich im Geheimen der syrischen Regierung anzunähern“, schrieb Matthias Kyska in der österreichischen Zeitung Die Presse am 23. Oktober. Robert Fisk hatte darauf erstmals am 30. September in einem Beitrag für die britische Zeitung The Independent aufmerksam gemacht. Danach forderten FSA-Vertreter von Assad einen innersyrischen Dialog, die Wahrung von Eigentumsrechten, ein Ende der konfessionellen Konflikte und ein demokratisches Syrien in der Zukunft, während der syrische Präsident einen Dialog ohne Vorbedingungen will. „Als Reaktion hat die Freie Syrische Armee bereits in einigen der von ihr kontrollierten Gebiete etliche Schulen, Universitäten und Regierungseinrichtungen wieder öffnen lassen.“

„Der politische Exilopposition in Form der Nationalen Koalition droht die komplette Bedeutungslosigkeit“, stellte Steffen Binder in der Onlineausgabe der österreichischen Tageszeitung Der Standard am 14. Oktober fest. Diese sei „ Ansprechpartner und Projektionsfläche für die Hoffnungen des Westens, in Syrien einen geordneten Übergang nach einem Sturz des Assad-Regimes zu ermöglichen“, gewesen. Die Folge: „Mit radikalen Islamisten wird Washington also leben müssen“, wie Hofbauer in Neues Deutschland schrieb, „die russische Alternative, eine weitere Unterstützung von Assad und/oder alewitschen Nachfolgern, kommt für Obama allem Anschein nach nicht in Frage“. Das sei auch der Fall, weil die Verbündeten der USA in der Region, von Saudi-Arabien über Katar bis zur Türkei, auf die sunnitische Karte setzen, „wie rachsüchtig siegreiche Radikale auch sein mögen“. Hofbauer erinnerte an die Interessen der Kriegstreiber: „Zuoberst geht es um die Beseitigung wirtschaftlicher Hemmnisse für potenzielle große US-Investoren in einem vollständig geöffneten Markt, wie sie - für Washington viel zu zaghaft - von Assad bereits angegangen worden war.“ Radikale Islamisten an der Macht in Syrien seien zwar nicht die erste Wahl der westlichen Regimewechsler. „Ungefährlicher“ seien sie aber, „wenn ihnen zuvor allerdings der Zugriff auf sämtliche Chemiewaffen entzogen wird und die USA selbst es sind, die über ihre Verbündeten die Qualität und Quantität ihrer zukünftigen Bewaffnung kontrollieren“. Hofbauer meinte, dass sich dieser mögliche US-amerikanische Plan auch mit den israelischen Wünschen decken würde. „Islamisten an die Macht, so könnte die Losung aus Washington lauten, sie mögen kulturell und religiös stark sein, solange sie politisch zu handhaben und militärisch unter Kontrolle sind.“ In diesem Zusammenhang sollte die von US-Außenminister neben allen Beteuerungen für die Friedenskonferenz angekündigte weitere Unterstützung für die „Rebellen“ in Syrien nicht unterschätzt werden.

Der Frieden für Syrien bleibt weiter außer Sicht. Die Zahl der Toten in Folge des Krieges gegen und in Syrien wird inzwischen auf mehr als 115.000 geschätzt, etwa die Hälfte davon Zivilisten. Zu den Folgen gehören auch zerstörte Fabriken, Schulen und Krankenhäuser, wie Rainer Hermann am 13. Oktober in der FAZ schrieb. Der Gesamtschaden werde auf 60 bis 80 Milliarden Dollar geschätzt, „das ist mehr als das bisher höchste Bruttoinlandsprodukt Syriens von 60 Milliarden Dollar im Jahr 2010“. Herrmann stellt fest: „Das Land zehrt noch von Rücklagen und überlebt dank der Solidarität seiner Bürger.“

aktualisiert: 24.10.13, 20:25 Uhr

Montag, 14. Oktober 2013

Syrien: Friedensunwillige und Friedenschancen

Ein weiteres Nachrichtenmosaik zum Krieg gegen und in Syrien, ohne Anspruch auf umfassende Vollständigkeit:

• Der Syrische Nationalrat, eine Schlüsselgruppe innerhalb der vom Westen zusammengezimmerten Syrischen Nationalen Koalition, wird an der für Mitte November geplanten internationalen Syrien-Friedenskonferenz in Genf nicht teilnehmen. Das sagte der Präsident der Gruppierung, der ehemalige Kommunist George Sabra, am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP laut der österreichischen Zeitung Die Presse vom 13. Oktober. „Falls sich die Nationale Koalition an der Genfer Konferenz beteilige, werde seine Gruppe aus dem Zusammenschluss austreten, fügte Sabra hinzu.“

• Der Krieg wirke sich verheerend auf das Leben der palästinensischen Flüchtlinge in Syrien aus, so ein Bericht der Nachrichtenagentur AFP, den die Online-Zeitung Global Post am 14. Oktober wiedergab. Nach Angaben der United Nations Relief and Works Agency (UNRWA) seien in Folge von Kämpfen am 12. Oktober in einem Flüchtlingslager bei Daraa sieben Palästinenser getötet und 15 verletzt worden. Regierungstruppen hätten das Lager wegen dort vermuteter „Rebellen“ angegriffen, wie wiederum diese zwei Tage später zuschlugen, weil sie unter den Palästinensern Anhänger der syrischen Regierung vermuten. Von einst im Lager Yarmuk bei Damaskus lebenden 150.000 Menschen seien rund 120.000 von dort geflohen. Es gebe dort Kämpfe zwischen Armeeeinheiten und „Rebellen“-Gruppen, die dazu führten, dass kaum mehr Lebensmittel ins Lager gebracht werden können. In Syrien lebten 500.000 palästinensische Flüchtlinge, von denen Zehntausende inzwischen ein zweites Mal auf der Flucht in die Nachbarländer gekommen seien.

• Zwei Granaten sind am 12. Oktober in Damaskus in der Nähe des Hotels in die Luft gegangen, in dem die internationalen Inspektoren der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) untergebracht sind, berichtet die Nachrichtenagentur RIA Novosti am 13. Oktober unter Berufung auf AFP. „Eine Granate detonierte neben einer Schule, die zweite fiel auf ein Hausdach. Ein achtjähriges Mädchen kam ums Leben, weitere 11 Menschen wurden verletzt.“ Laut der Nachrichtenagentur AP seien die Inspektoren danach an einen unbekannten Ort gefahren. Zuvor hatten Vertreter der vom Westen unterstützten „Rebellen“ den Beschluss des Nobelkomitees in Oslo über die Verleihung des Nobelfriedenspreises an die OPCW kritisiert, wie RIA Novosti am 12. Oktober berichtete. Der Pressesprecher der „Freien Syrischen Armee“ (FSA), Luai Mikdad, habe die Entscheidung des Nobelkomitees als Missachtung gegenüber dem Tod von Menschen in Syrien bezeichnet.
Derr russische Außenminister Sergej Lawrow hatte am 11. Oktober laut RIA Novosti vor möglichen Provokationen in Syrien gewarnt, die in Bezug auf den Einsatz bzw. die Zerstörung chemischer Waffen entstehen könnten. „Wir warnen nachdrücklich vor jeglichen Provokationen“, habe Lawrow nach einem Treffen mit dem kuweitischen Außenminister Sabah Al-Khalid Al-Sabah gesagt.

• Die Online-Ausgabe der österreichischen Zeitung Der Standard berichtete am 12. Oktober über Kämpfe zwischen Gruppen der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) und der islamisch-fundamentalistische ISIL-Einheit in der nordsyrischen Stadt Aleppo.  Nach Informationen der Londoner Beobachtungsstelle für Menschenrechte seien dabei fast 50 Menschen getötet worden. Dabei habe die mit dem Terrornetzwerk Al Kaida verknüpfte ISIL in drei Stadtvierteln die Oberhand gewonnen. ISIL-Kämpfer hätten das Hauptquartier der sogenannten Saraja-al-Ababil-Brigade eingenommen und dann Barrikaden in den Straßen errichtet. Einen Tag später gab der Blog Syrien Info Informationen wieder, nach denen eine FSA-Einheit den Rückzug aus Aleppo innerhalb von 24 Stunden angekündigt habe. „Nach Ablauf der Frist werde sie mit den Behörden kooperieren und alle verbleibenden Täter in diesem Gebiet zur Verantwortung ziehen.“

• In Lattakia wurden laut Medienberichten von „Rebellen“-Gruppen 190 Zivilisten getötet und 200 weiter als Geiseln gehalten. Das sei ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit", zitierte  u.a. Die Presse aus Österreich am 11. Oktober die Organisation Human Rights Watch. „Der Angriff von Gotteskriegern und anderen Aufständischen auf die alawitschen Dörfer erfolgte am 4. August. Human Rights Watch hat die Gräueltaten nun in 35 Interviews mit Überlebenden nachgezeichnet.“ Die Organisation habe bei ihrer Untersuchung vor Ort eine Liste mit den Namen der Toten erstellt, darunter von 57 ermordeten Frauen und 18 ermordeten Kindern. „Die 67 Menschen, die gezielt hingerichtet wurden, seien nicht bewaffnet gewesen und hätten keine Bedrohung dargestellt, teilweise hätten sie sich sogar auf der Flucht befunden, schrieb HRW.“ Spiegel online machte am selben Tag immerhin auf Folgendes aufmerksam: „Der Bericht zeigt auch, wie schwierig es geworden ist, die verschiedenen Gruppen zu unterscheiden. Denn ihre Zusammenarbeit ist eng.“ Salim Idriss, der als Generalstabschef des obersten Militärrats der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) gilt, sei in der Provinz Latakia gewesen. Der „wichtige Ansprechpartner des Westens“ habe in einem Video, aufgenommen am 11. August in Latakia, gesagt: "Ich bin heute hier, um mir ein Bild zu machen von den großen Erfolgen unserer Mitrevolutionäre in ihrer Küstenkampagne." Es sei offen, ob Idriss und seine Männer an dem Massaker beteiligt waren. “Doch eine Distanzierung von den Massakern klingt anders“, heißt es bei Spiegel online. Erste Informationen über das Massaker bei Latakia waren von den westlichen Medien hauptsächlich ignoriert worden. Nur die britische Zeitung The Telegraph hatte am 11. August darüber berichtet. Die Vorsteherin des St.-Jakob-Klosters in Syrien, Agnès Mariam as-Salib, hatte in einem Interview mit dem Sender Russia TV am 6.September ebenfalls darauf aufmerksam gemacht.

• Die Experten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) haben zu einer zeitweiligen Aussetzung der Kampfhandlungen in Syrien aufgerufen, berichtete u.a. RIA Novosti am 9. Oktober unter Berufung auf AFP. Der Generaldirektor der Organisation, Ahmet Uzümcü, habe auf einer Pressekonferenz gesagt: „Sollten die Kampfhandlungen ausgesetzt werden, werden, wie ich denke, auch diese Ziele (ungehinderte Arbeit von Chemieexperten) erreicht.“ Die OPCW hatte am 27. September den Plan zur Entsorgung der chemischen Waffen in Syrien bestätigt, laut dem Experten innerhalb von 30 Tagen alle von den Behörden genannten Orte prüfen und binnen kürzester Zeit auch weitere Objekte besichtigen sollen, auf die die Mitgliedsländer der Organisation für das C-Waffenerbot hinweisen können. Die Ausrüstungen für die Produktion von chemischen Waffen sollen bis Anfang November 2013 und sämtliche C-Waffenarsenale im ersten Halbjahr 2014 vernichtet werden. Am 14. Oktober ist die Internationale Konvention über das Verbot chemischer Waffen für Syrien offiziell in Kraft getreten.

• „Verkehrte Welt: Gestern noch hat er wortreich für die Bombardierung von Damaskus geworben, heute lobt US-Außenminister John Kerry überschwenglich die Kooperationsbereitschaft der syrischen Regierung bei der Vernichtung ihres Chemiewaffenarsenals.“ Das stellte die Tageszeitung junge Welt am 8. Oktober fest. Der Prozeß habe „in Rekordzeit“ begonnen, habe Kerry am Vortag am Rande des Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsforums (APEC) in Indonesien gesagt. Damaskus halte sich an die Abmachungen, staunte der US-Außenminister den Berichten zu Folge. Es sei „ein guter Anfang“, daß nur eine Woche nach Verabschiedung der entsprechenden UN-Resolution die ersten Chemiewaffen zerstört worden seien, so Kerry.

• Die vom UN-Sicherheitsrat am 27. September beschlossene Resolution 2118 zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen enthält zwei Anhänge. Über diese wurde in den Mainstream-Medien kaum bis gar nicht berichtet, obwohl sie immerhin ebenso verbindlich für die Beteiligten sind wie die Resolution selbst. Anhang I enthält den Beschluss der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) vom gleichen Tag, mit dem die Beseitigung aller chemischen Waffen und Ausrüstungen im ersten Halbjahr 2014 gefordert wird. Anhang II besteht aus dem Friedenplan, den die"Aktionsgruppe für Syrien"  Ende Juni 2012 in Genf in einem Kommuniqué vorgestellt hatte. In ihm wurden ein sofortiger Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen den gegnerischen Parteien sowie die Bildung einer Übergangsregierung aus Vertretern aller Parteien vorgeschlagen. Die Forderung der „Rebellen“ wie auch des Westens, daß der syrische Präsident Bashar al-Assad zuvor abgedankt haben müsse, wurde nicht mit aufgenommen. Der Plan blieb lange Zeit unbeachtet bzw. wurde vor allem von westlicher Seite eher sabotiert statt umgesetzt, worauf der russische Außenminister Sergej Lawrow u.a. am 2. Februar auf der Internationalen Sicherheitskonferenz in München erneut aufmerksam gemacht hatte: "… Hätten die Teilnehmer des Treffens der ‚Aktionsgruppe’ vom 30. Juni 2012 in Genf einträchtig und gewissenhaft mit der Umsetzung der gemeinsam formulierten Herangehensweisen begonnen, hätte es heute in Syrien keine so schreckliche und tragische Situation gegeben. Dafür muss man aber die erzielten Vereinbarungen einhalten, ohne etwas abzustreichen oder zuzufügen."

• Israel befürchtet, dass die Kontrolle und Zerstörung der syrischen Chemiewaffen die Aufmerksamkeit auf die eigenen chemischen, biologischen und nuklearen Massenvernichtungswaffen lenken könnte. Das stellte Andrew I. Killgore, Herausgeber des Washington Report on Middle East Affairs, am 23. September fest. Israel habe das Chemiewaffen-Überienkommen zwar 1992 unterzeichnet, aber nie ratifiziert. Killgor erinnerte an den Einsatz von Phosphor durch die israelische Armee im Krieg gegen Gaza 2009 und verwies auf die jüngsten Hinweise, dass Israel nach CIA-Erkenntnissen Chemiewaffen produziert und lagert.

Freitag, 11. Oktober 2013

Zuhause bei den Menschenrechtskriegern 2

Das Rote Kreuz teilt erstmal nach dem 2. Weltkrieg in Großbritannien wieder Lebensmittel aus. Die dortige Kinderarmut führt zu sozialer Apartheid.

Meldungen aus einem Land, dessen Politiker anderen Staaten gern immer mal wieder auch mit Bomben zeigen und zeigen wollen, was die beste aller Regierungsformen ist:

• "In Großbritannien sind offenbar immer mehr Menschen auf fremde Hilfe zum Überleben angewiesen. Laut einem Bericht der Zeitung "Independent" will das Rote Kreuz in diesem Winter erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder Lebensmittel sammeln und verteilen. Dazu würden freiwillige Helfer in Supermärkten um Essen und Trinken bitten. Die Wohltätigkeitsorganisation FareShare solle die Hilfspakete dann an Armenküchen im ganzen Land verteilen." (Spiegel online, 11. Oktober 2013)

• Einem Bericht der britischen Zeitung Observer vom 25. August zu Folge warnte das National Children's Bureau (NCB) davor, dass die Kinderarmut in Großbritannien zu sozialer Apartheid führt. Es handele sich um ein größeres Problem als in den 1960er Jahren. Dr. Hilary Emery, Leiter des NCB, warnte laut der Zeitung vor der "realen Gefahr, dass unsere Gesellschaft schlafwandelnd zu einer Welt wird, in welcher Kinder Staat der sozialen Apartheid aufwachsen , mit armen Kindern, denen es bestimmt ist, Not und Benachteiligung allein durch den Zufall der Geburt zu erfahren, und deren wohlhabendere Altersgenossen nichts von ihrer Existenz wissen." Großbritannien könnte ein Ort werden, an dem "das Leben der Kinder so polarisiert ist, dass Arm und Reich in getrennten, parallelen Welten leben."

•Am 3. Oktober war in einem Bericht der Printausgabe des Schweizer Tages-Anzeigers über den Parteitag der britischen Konservativen zu lesen, dass Premierminister David Cameron den weiteren Abbau des Wohlfahrtsstaates und zugleich die Grosskonzerne und das Privatkapitals verteidigt habe. "Er sprach Unternehmern und freien Märkten grosse Verdienste zu ...
Labour-Leuten möge es 'Vergnügen bereiten, auf die Geschäftswelt einzudreschen', sagte Cameron. Für die Nation aber sei eine solche Haltung verheerend. ...
Gewinnen die Konservativen unter Cameron die Wahl, wollen sie weiter eisern Haushaltskürzungen durchsetzen, um spätestens im Jahr 2020 einen Überschuss zu erwirtschaften. Notfalls, gab Cameron zu erkennen, werde man das Sozialbudget weiter beschneiden und über den öffentlichen Sektor einen Kostenstopp verhängen.
Ein Kernpunkt des Parteitags war die Ankündigung, dass rund 200000 Langzeit-Arbeitslose im Königreich sich vom April an entweder täglich im Arbeitsamt einzufinden haben – oder dass sie bereit sein müssen, 30 Stunden 'Dienst an der Öffentlichkeit' pro Woche zu verrichten und weitere 10 Stunden nachweislich nach Arbeit zu suchen. Andernfalls soll ihnen das Arbeitslosengeld gestrichen werden. ..."


• "Das hat nicht einmal Thatcher gewagt", stellte Peter Nonnenmacher schon am 4. April im Tages-Anzeiger fest: "Grossbritanniens Regierung baut den Wohlfahrtsstaat ab. Suppenküchen sollen die Sozialhilfe ersetzen." Nicht einmal Margaret Thatcher habe es gewagt, den Wohlfahrtsstaat in ähnlicher Weise auszuhöhlen. Der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, habe den Premierminister an die «Pflicht einer zivilisierten Gesellschaft gegenüber den Schwachen und Bedürftigen» erinnert. "Fünfzig Professoren der Sozialwissenschaft haben erklärt, Camerons Minister untergrüben 'alles Gemeinschaftsdenken im Lande'. Die Art und Weise, in der die Regierung ihre 'Sparpolitik' angelegt habe, werde das ärmste Zehntel der britischen Haushalte um fast 40 Prozent seiner Einkünfte bringen und Hunderttausende von Kindern zu einem Leben in Armut verdammen, warnen die Wissenschaftler. Schon jetzt sparten Millionen Briten am Essen und an der Heizung, berichtet der Wohlfahrtsverband Crisis."

aktualisiert am 13.10.2013 

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Zuhause bei den Menschenrechtskriegern

42 Jahre wurde ein Mitglied der "Black Panther" in einem US-Gefängnis in Isolationshaft gehalten. Nach der Freilassung blieben ihm noch drei Tage Leben in Freiheit.

Ich kann das schlecht wiedergeben, deshalb zitiere ich nur:

"Nach 42 Jahre in Isolationshaft starb am Freitag Herman Wallace – »als freier Mann«, wie die American Civil Liberties Union am Wochenende mitteilte. Erst drei Tage, bevor der frühere Aktivist der Black Panther Party einem schweren Leberkrebsleiden erlag, war er aus dem Staatsgefängnis von Louisiana entlassen worden. Ein US-Bundesgericht in Baton Rouge hatte nach einer Vielzahl von Berufungsanträgen das 1974 gefällte lebenslange Urteil als verfassungswidrig aufgehoben und seine sofortige Freilassung angeordnet. Bundesrichter Brian A. Jackson mußte der Anstaltsleitung jedoch erst mit einem Verfahren wegen Mißachtung des Gerichts drohen, damit der schwerkranke Wallace am vergangenen Dienstag endlich auf einer Trage vor das Gefängnis gebracht und in die Obhut seiner Verteidigerin übergeben wurde, der dort bereits seit Stunden mit einem Krankenwagen gewartet hatte. Angehörige und zahlreiche Unterstützer begrüßten Wallace mit großem Jubel." (junge Welt, 8. Oktober 2013)

"The more than 40 year solitary confinement of 'Angola Three' inmate Albert Woodfox 'amounts to torture and it should be lifted immediately,' declared UN Special Rapporteur on torture Juan E. Méndez in a sweeping indictment Monday of inhumanity and abuse in U.S. prisons.
The injustices Woodfox faces have been highlighted by the recent passing of fellow 'Angola Three' inmate Herman Wallace and underline systemic abuse throughout U.S. detention facilities, declared Méndez.
'The circumstances of the incarceration of the so-called 'Angola Three' clearly show that the use of solitary confinement in the US penitentiary system goes far beyond what is acceptable under international human rights law', Méndez stated."
(Common Dreams, 8. Oktober 2013)

Dienstag, 8. Oktober 2013

Flüchtlingscamp Oranienplatz: Brief an Berliner Verbände

Ich habe einen Brief an große Berliner Sozial- und Wohlfahrtsverbände geschrieben, mit der Bitte, den Flüchtlingen am Oranienplatz zu helfen und darüber zu informieren.
Der Brief ging per E-Mail an das Deutsche Rote Kreuz - Berliner Rotes Kreuz e.V., den Volkssolidarität Landesverband Berlin e.V., das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, den Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V., den SoVD Landesverband Berlin-Brandenburg und den AWO Landesverband Berlin e.V.
Ich werde die Antworten ebenfalls veröffentlichen.

Der Brief hat folgenden Text:

Sehr geehrte Damen und Herren,
als Mensch und als Journalist wende ich mich auf diesem Weg an Sie, um Sie auf die Situation der Flüchtlinge aufmerksam zu machen, die seit mehr als einem Jahr am Berliner Oranienplatz leben. Sicher oder vielleicht wissen Sie schon davon und engagieren sich für diese Menschen, die nach ihrer Flucht vor dem Krieg in Libyen eher vegetieren als menschenwürdig leben. Ein Beitrag in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung Freitag hat kürzlich erst wieder auf ihre Lage aufmerksam gemacht: http://www.freitag.de/autoren/christopher-piltz/camp-der-vergessenen
Ich möchte die Beschreibungen, wie die Menschen am Oranienplatz leben müssen, nicht wiederholen. Angeregt durch einen Besuch im Camp und angeregt durch die in dem Beitrag geäußerte Kritik an dem Verhalten großer Verbände gegenüber den Flüchtlingen bitte ich als Mensch Sie darum, die Menschen am Oranienplatz nicht zu vergessen und ihnen zu helfen, wo es Ihnen möglich ist, falls Sie es nicht längst tun. Nicht erst die jüngste Katastrophe vor Lampedusa macht deutlich, dass Hilfe auch für diese Flüchtlinge ein Gebot der Stunde ist.
Als Journalist bitte ich Sie um Informationen, was Sie für diese Flüchtlingen bisher tun, und falls noch nicht, was Sie dafür tun können, die Situation dieser Menschen zu verbessern. Ich habe in Ihren Satzungen und Leitbildern zahlreiche Passagen gefunden, aus denen hervorgeht, dass Ihre Verbände von den darin beschriebenen Ansprüchen, Aufgaben und Vereinszwecken her die Voraussetzungen dafür mitbringen, den Flüchtlingen am Oranienplatz zu helfen. Ich bitte Sie um Verständnis, wenn ich daraus im Folgenden zitiere:

SoVD „Aufgaben und Ziele“: Der Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD) fühlt sich dem Gedanken gesellschaftlicher Solidarität und der Idee sozialer Gerechtigkeit verpflichtet: jeder Mensch hat das Recht auf ein Leben in Würde und die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit - unabhängig von Alter, Geschlecht, Behinderung, Krankheit oder sozialem Status. Voraussetzung dafür ist ein Leben in sozialer Sicherheit.
Bereits seit mehr als acht Jahrzehnten versteht sich der Sozialverband Deutschland, damals noch Reichsbund, daher als Ansprechpartner und Anwalt sozial benachteiligter und von gesellschaftlicher Ausgrenzung bedrohter Menschen. Er macht auf soziale Missstände aufmerksam und nimmt Einfluss auf die Sozial- und Gesellschaftspolitik, um die Ursachen von Benachteiligung und Ungleichheit aus der Welt zu schaffen. Neben der Arbeit auf politischer Ebene steht die ganz konkrete Hilfe und Beratung im Einzelfall - eben als "Partner in sozialen Fragen". 

Diakonie Leitbild: I. Grundsätze unserer Arbeit
Deine Sache aber ist es, für Recht zu sorgen. Tritt für alle ein, die sich selbst nicht helfen können. Nimm die Armen und Schwachen in Schutz.
[Sprüche 31,8]

Wir leisten unseren Beitrag dazu, dass unsere Mitglieder mit ihrer Arbeit Zeugnis geben von der Liebe und Barmherzigkeit Gottes in dieser Welt.
Wir verstehen uns als Anwalt für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Alter, für Kinder und Familien, für Flüchtlinge, Kranke und Pflegebedürftige. Unsere besondere Hilfe gilt allen Menschen in seelischer und sozialer Not, unabhängig von ihrer konfessionellen, religiösen oder kulturellen Zugehörigkeit oder der sexuellen Identität.
Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. Satzung: 6. Es leistet auch Hilfe in besonderen Notsituationen und bei Katastrophen.

Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V. Satzung: § 4 (3) Der Verband nimmt insbesondere folgende Aufgaben wahr:
1. Er hilft Menschen in Not und unterstützt sie auf ihrem Weg zu mehr Chancengerech­tigkeit und zu einem selbstständigen und verantwortlichen Leben.
2. Er unterstützt Menschen, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes der Hilfe Anderer bedürfen. Diese Hilfe erfolgt nach Maßgabe des § 53 der Abgabenordnung.
3. Er versteht sich als Anwalt und Partner Benachteiligter, verschafft deren Anliegen und Nöten Gehör, unterstützt sie bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und tritt gesell­schaftlichen und politischen Entwicklungen entgegen, die zur Benachteiligung oder Ausgrenzung führen. Er übt das Verbandsklagerecht zugunsten hilfebedürftiger und benachteiligter Personen aus.


DRK Leitbild: Menschlichkeit
Wir dienen Menschen, aber keinen Systemen.
Unser Auftrag ist es, überall in der Welt das Leben und die Gesundheit von Menschen zu schützen und menschliches Leiden unter allen Umständen zu verhindern oder zumindest zu lindern. Helfen ist ein Beitrag zum Frieden.
Unparteilichkeit
Wir versorgen Opfer, aber genauso Täter.
Wir helfen den Menschen einzig nach dem Maß ihrer Not und fragen nicht nach der Schuld. Wir leisten Hilfe, ohne dabei einen Unterschied zu Staatsangehörigkeit, Rasse, Religion, sozialer Stellung oder politischer Zugehörigkeit zu machen.

AWO Leitbild: Wir bestimmen - vor unserem geschichtlichen Hintergrund als Teil der Arbeiterbewegung - unser Handeln durch die Werte des freiheitlich-demokratischen Sozialismus:

Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit.
Solidarität bedeutet, über Rechtsverpflichtungen hinaus durch praktisches Handeln für einander einzustehen. Wir können nur dann menschlich und in Frieden miteinander leben, wenn das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes von der Politik umgesetzt wird, wenn wir für einander einstehen und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal anderer überwinden. Wer in Not gerät, kann sich auf die Solidarität der Arbeiterwohlfahrt verlassen. Solidarität ist auch Stärke im Kampf um das Recht.
Gleichheit gründet in der gleichen Würde aller Menschen. Sie verlangt gleiche Rechte vor dem Gesetz, gleiche Chancen, am politischen und sozialen Geschehen teilzunehmen, das Recht auf soziale Sicherung und die gesellschaftliche Gleichstellung von Frau und Mann.


Volkssolidarität Satzung (§ 2): "Die Volkssolidarität ... bekennt sich zu den humanistischen und demokratischen Grundwerten ...
... vertritt die Interessen von in Deutschland lebenden ... sozial benachteiligten Menschen.
... setzt sich für die Wahrung und Verwirklichung ihrer sozialen, kulturellen, ökologischen und materiellen Rechte ein. ...
fördert und unterstützt ... die Solidarität und Gemeinschaft von Menschen aller Generationen; ... nationale und internationale Maßnahmen der Katastrophenhilfe und andere Fälle von Notfallhilfe ..."
Volkssolidarität Leitbild: Die Volkssolidarität ist eine Gemeinschaft für und von Menschen, die Solidarität brauchen und Solidarität geben. Wir bekennen uns zum Frieden in der Welt und zu den Menschenrechten.
Wir bieten Wärme und Geborgenheit und bringen unsere jahrzehntelangen Traditionen in die Zukunftsgestaltung ein.
Ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter wirken gemeinsam für soziale Gerechtigkeit und ein sinnerfülltes Dasein in der Gemeinschaft.
Uns verbindet der gemeinsame Anspruch, jedem - unabhängig von seiner sozialen Stellung, der persönlichen Situation und seinem Alter - ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

Ebenso bitte ich Sie um Verständnis, dass ich diese Anfrage ebenso wie Ihre Antworten in meinem Blog bei Freitag.de (http://www.freitag.de/autoren/hans-springstein) und meinem privaten Blog „Argumente & Fakten“ (http://springstein.blogspot.de/) veröffentliche. Es geht mir darum zu zeigen, dass etwas geschieht und geschehen wird, dass auch die großen Sozial- und Wohlfahrtsverbände in der Hauptstadtregion die Flüchtlinge am Oranienplatz nicht vergessen und ihnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten helfen.
Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Antworten und Ihre Bemühungen

Mit freundlichen Grüßen
Hans Springstein

Susanne Kahl-Passoth, Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. (DWBO), hat am 8. Oktober geantwortet:

"Das Zitat aus unserem Leitbild der Diakonie trifft ganz genau auf die Situation zu. Die Flüchtlinge kommen von überall her, um für Ihre Rechte einzutreten. Ihnen gilt unsere besondere Hilfe. Bereits im Dezember letzten Jahres habe ich die Flüchtlinge vor Ort besucht. Wir haben sowohl praktisch geholfen, in dem wir beispielsweise einen abschließbaren Schrank organisiert haben, den sich die Flüchtlinge für das Camp gewünscht hatten. Genauso wichtig ist es uns, die politischen Forderungen der Flüchtlinge zu unterstützen, beispielsweise in Pressemitteilungen wie dieser: http://www.diakonie-portal.de/presse/pressemitteilungen-2012/diakoniedirektorin-besucht-fluchtlingscamp-forderungen-unterstutzen/?searchterm=fl%C3%BCchtlinge
Im Laufe des Jahres haben wir auch die von Flüchtlingen besetzte Schule in Kreuzberg besucht. Die Lage vor Ort hat sich aber zugespitzt und stellt sich uns sehr unübersichtlich dar. Wir haben versucht, vor Ort zu helfen, indem wir beispielsweise zwei Warm-Wasser-Duschen eingebaut haben, die es in dem Gebäude nicht gab. Zudem stehen unsere Beratungsstellen des Diakonischen Werkes Berlin-Stadtmitte den Flüchtlingen offen. Was die Flüchtlinge aber brauchen, ist eine langfristige Lösung. Hier sind der Bezirk, die Stadt und der Bund gefragt. Und vor allem können die Flüchtlinge nicht den Winter über auf dem Oranienplatz kampieren, beziehungsweise in einer besetzten Schule verbringen.“
Susanne Kahl-Passoth, Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. (DWBO)

Thomas Gleißner, Pressesprecher Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V., hat am 16. Oktober geantwortet:

"Sehr geehrter Herr Springstein,
wir haben die jüngsten Entwicklungen genau verfolgt und waren der Meinung, dass die Angebote des Landes Berlin zur Unterbringung der protestierenden Flüchtlinge eine Lösung für die aktuelle Notlage ist. Bei den Protesten im letzten Jahr am Pariser Platz war auch unser Caritas-Arztmobil im Einsatz. Außerdem beteiligen wir uns auch in diesem Jahr wieder an der Kältehilfe und stellen Notübernachtungsplätze für Wohnungslose zur Verfügung. Hier finden alle Menschen ohne Wohnung Unterkunft und Versorgung. Zudem bieten seit ca. einem Jahr dem Land Berlin ein leerstehendes ehemaliges Caritas-Altenheim als Flüchtlingsheim an. Hier sollen Flüchtlingsfamilien untergebracht werden.
Wir haben uns nun entschlossen, unsere sozialpolitischen Forderungen zur strukturellen Verbesserung der Bedingungen für Flüchtlinge und Asylbewerber auch öffentlich zu kommunizieren.
Dazu hier ein aktuelles Statement unserer Caritasdirektorin Prof. Dr. Ulrike Kostka zur Thematik: „Der Protest der Flüchtlinge am Pariser Platz weist auf drängende Probleme an, die unbedingt angegangen werden müssen. Wir unterstützen die Flüchtlinge in der Forderung, die Residenzpflicht abzuschaffen. Flüchtlinge müssen ihren Wohnort selber bestimmen können und die Möglichkeit bundesweit haben, sich wie in Berlin eine eigene Wohnung auf dem Wohnungsmarkt suchen zu können. Die Caritas fordert den Senat auf, sich im Bund für einen uneingeschränkten Zugang von Asylbewerbern zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nach einem Jahr Aufenthalt einzusetzen. Regelungen, die für die betreffenden Gruppen einen Nachrang am Arbeitsmarkt vorsehen führen zu langwierigen Verfahren, schrecken Unternehmen von der Einstellung von Flüchtlingen ab und führen letztlich in der Regel doch zu ihrem Ausschluss vom Arbeitsmarkt.
In Berlin reichen die Unterkunftsmöglichkeiten für Flüchtlinge nicht aus. Gemeinsam mit Kardinal Woelki hat die Caritas schon vor einem Jahr ein leerstehendes Caritas-Altenheim auf ihrem Gelände in der Residenzstraße als Flüchtlingsunterkunft für Familien angeboten. 80 Personen könnten dort unterkommen. An dem Haus müssen noch Baumaßnahmen wegen Brandschutzmaßnahmen durchgeführt werden. Die Verhandlungen mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales ziehen sich seit Monaten in die Länge. Wir könnten schon viel weiter sein. Wir fordern den Senat auf, hier schnell mit uns nach Lösungen zu suchen, damit Flüchtlingsfamilien gut untergebracht werden können. Wir sind bereit, uns tatkräftig zu beteiligen.“
Viele Grüße
Thomas Gleißner

Volker Billhardt, Vorsitzender des Vorstands und Landesgeschäftsführer Deutsches Rotes Kreuz Landesverband Berliner Rotes Kreuz e.V., hat am 21. Oktober geantwortet:


"Sehr geehrter Herr Springstein,

leider kann ich Ihnen erst jetzt antworten, da Ihre email mich erst auf Umwegen erreicht hat.
Beigefügt erhalten Sie die zwar aus dem  November 2012 stammende Presseinformation zur Unterbringung von Asylbewerbern.
Das Deutsche Rote Kreuz setzt sich auf verschiedenen politischen Ebenen für eine menschenwürdige Unterbringung von Asylbewerbern ein.  So werden wir auf der Berliner Landesebene mit unseren Möglichkeiten auf die Lage der Asylbewerber aufmerksam machen.

Mit freundlichen Grüßen
Volker Billhardt
Vorsitzender des Vorstands
Landesgeschäftsführer
Deutsches Rotes Kreuz Landesverband Berliner Rotes Kreuz e.V."

Der Antwort von Herrn Billhardt war noch eine Nachricht einer Mitarbeiterin beigefügt, aus der ich zitiere:

"Sehr geehrter Herr Billhardt,
mir liegt keine entsprechende Anfrage vor auch wurde keine konkrete Hilfe angefordert. Frau von Schenck hat gemeinsam mit der der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer, Anfang November 2012 das Camp besucht (s. beigefügte Presseerklärung). Mein letzter Stand zu diesem Thema (11.10.2013 / Berliner Tagesspiegel) ist, dass die Flüchtlinge in eine feste Unterkunft ziehen. Nur ein Infostand soll noch auf dem Oranienplatz bleiben. Der Hungerstreik aber, den andere Asylbewerber am Pariser Platz begonnen haben, geht weiter.
Ich werde das Anschreiben im nächsten  Ligafachausschuss thematisieren, evtl. gibt es dann auch eine gemeinsame Antwort der Liga. Das wird dann aber nicht vor Ende November vorliegen können."

Der Antwort waren die DRK-Pressemitteilung vom 14. November 2012 sowie ein Bericht aus dem Tagesspiegel vom 11. Oktober 2013 beigefügt. In letzterem wurde berichtet, dass die Flüchtlinge vom Oranienplatz eine feste Unterkunft beziehen können.

aktualisiert: 24.10.13, 9:31 Uhr

Montag, 7. Oktober 2013

Assad vor dem "Spiegel"-Tribunal

Ein deutsches Nachrichtenmagazin hat ein Interview mit dem syrischen Präsidenten geführt. Dabei kam nichts Neues, aber manch Erhellendes heraus.

Der Spiegel hat mit dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad Klartext geredet und ihm erklärt, was er tun müsste, um das Wohlwollen des Westens zurückzuerlangen. Diese politische Lektion, als Interview getarnt, veröffentlichte das angeblich investigative Nachrichtenmagazin in seiner Ausgabe vom 7. Oktober (Heft 41/2013). Es ließe sich ja die Frage stellen, ob der Spiegel eventuell auf das reingefallen ist, was die Online-Ausgabe des Magazins am 5. September unter dem Titel „Assads Lügen-Offensive“ so beschrieb: „In einer bisher noch nicht dagewesenen Propaganda-Anstrengung schickt das syrische Regime derzeit seine besten internationalen Botschafter an die Medienfront. Sie sollen Zweifel säen und die Angriffe doch noch einmal abwenden.“ Und dann muss die Redaktion auch noch melden, dass Assads Presseverantwortliche den Text des Gespräches „ohne jede Änderung freigegeben“ haben. Aber um solche Vermutungen auszuräumen, wurde gleich zu Beginn des Textes des Interviews klargestellt, wie Assad zu sehen ist: Als „Feind Europas und Amerikas“, der für Massaker und vom Giftgas getötete Kinder verantwortlich ist.

Die beiden Spiegel-Redakteure Klaus Brinkbäumer und Dieter Bednarz, die in Damaskus mit dem syrischen Präsidenten sprachen, klärten diesen nicht nur darüber auf, dass er zurücktreten müsste, „wären Sie ein aufrichtiger Patriot“, und dass es in Syrien „eine starke Opposition gegen Sie gibt“. Sie konnten sich auch das Lachen nicht verkneifen, als Assad ihnen sagte, „wir haben nie behauptet, keine Chemiewaffen zu haben“. Sie zeigten dem Präsidenten, den sie nicht anerkennen („Die Legitimation Ihrer Präsidentschaft bestreiten nicht nur wir.“), dass sie mehr wissen und behaupteten nicht nur trotz aller gegenteiligen Beweise, das Massaker von Hula vom Mai 2012 sei auf das Konto regimenaher Milizen gegangen. Sie stellten auch klar, dass der Giftgaseinsatz am 21. August bei Damaskus nur von der syrischen Regierungsseite zu verantworten sein kann. Denn: „Präsident Obama hat nach der Untersuchung dieses Verbrechens durch die Vereinten Nationen ‚keinen Zweifel‘, dass Ihr Regime am 21. August eingesetzt hat, wobei mehr als tausend Menschen getötet wurden.“ Zweifel kennen Spiegel-Reporter anscheinend nicht und so argumentierten sie immer wieder in diese Richtung und beriefen sich auf die „Schlussfolgerungen der Uno-Inspekteure“ und von westlichen Nachrichtendiensten angeblich abgefangene Funksprüche von syrischen Offizieren. Assads Reaktion darauf: „Das ist eine komplette Fälschung. Ich möchte dieses Gespräch nicht auf Grundlage solcher Anschuldigungen führen.“

Er setzte es aber geduldig fort und erklärte den Journalisten, die entgegen der Meldungen dazu selbst eine mögliche deutsche Vermittlerrolle zuerst ins Gespräch brachten, dass er sich über Gesandte aus Deutschland freuen würden, wenn sie kämen, „um mit uns über die wahren Verhältnisse zu sprechen“. Darauf hat Außenminister Guido Westerwelle aber keine Lust, wie er gegenüber Spiegel online am 6. September erklärte. Ich hatte mich schon über Assads Optimismus bezüglich der deutschen Rolle gewundert, ist doch die Bundesregierung längst eifrig mit dabei, die syrische Beute nach dem angestrebten Sturz Assads aufzuteilen. Dafür zeigten ihm die beiden Magazin-Vertreter gegen Ende des Gespräches noch einmal, in wessen Auftrag sie unterwegs sind und in wessen Namen sie sprechen: „Für die Weltgemeinschaft tragen Sie die Schuld an der Eskalation dieses Konflikts, dessen Ende nicht abzusehen ist. Wie leben Sie mit dieser Schuld?“ Gegen solch schwere Propagandageschütze musste Assads Verteidigung schwach aussehen: „Es geht nicht um mich. Es geht um Syrien. Die Lage in meinem Land bedrückt mich. Darum sorge ich mich, nicht um mich.“

Natürlich müssen solche Journalisten, die im Auftrag der Weltgemeinschaft unterwegs sind, bei ihren medialen Tribunalen übersehen, was in der Online-Ausgabe ihres eigenen Mediums im Juli 2012 schon zu lesen war: „Wie der Westen in Syrien heimlich Krieg führt“. „Markus Kaim, Experte für Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, sagt: ‚Man kann inzwischen von einem militärischen Engagement sprechen.‘“ Im gleiche Monat meldete Spiegel online, gestützt auf britische Medienberichte, dass die „Rebellen“ in Syrien „offenbar massive Hilfe aus dem Ausland“ erhielten und auch von frühere Mitglieder der britischen Spezialeinheit SAS ausgebildet wurden.  Aber der Spiegel war nicht der Erste, der auf die westliche Einmischung in Syrien aufmerksam machte. So hatte Joachim Guilliard schon im März 2012 nachgewiesen: „Nato-Staaten sind längst militärisch in Syrien aktiv“. Wenn schon die eigenen Texte ignoriert werden, dann geschieht das natürlich auch, wenn woanders Ähnliches zu lesen ist. So scheinen Brinkbäumer und Bednarz beim Vorbereiten auf das Gespräch mit Assad ebenfalls nicht gelesen zu haben, was am 2. August in der Online-Ausgabe der FAZ stand: „Der Westen ist schuldig“. Was ist denn schon ein Rechtswissenschaftler im Vergleich zu zwei Redakteuren vom Spiegel, die sich mutig dem „Feind Europas und Amerikas“ gegenübersetzen? Dieser Rechtstheoretiker Reinhard Merkel kann wahrscheinlich aus ihrer Sicht nur Assads Lügenoffensive quasi vorab auf den Leim gegangen sein, als er schrieb: „Der Westen, wenn diese etwas voluminöse Bezeichnung gestattet ist, hat in Syrien schwere Schuld auf sich geladen - nicht, wie oft gesagt wird, weil er mit seiner Unterstützung des Widerstands gegen eine tyrannische Herrschaft zu zögerlich gewesen wäre, sondern im Gegenteil: weil er die illegitime Wandlung dieses Widerstands zu einem mörderischen Bürgerkrieg ermöglicht, gefördert, betrieben hat.“

„Eine Lüge bleibt eine Lüge“, erklärte der syrische Präsident den beiden deutschen Journalisten, „wie immer Sie sie drehen und wenden.“ Die Spiegel-Redakteure ließen sich von ihm aber nicht aus ihrem Konzept bringen, auch wenn er „ruhig, leise, druckreif“ auf sie einredete, mit nach innen gedrehten Füßen und gegeneinander gepressten Knien. Auf solche Details haben sie dabei geachtet, denn auch diese sind wichtig für ein investigatives Magazin beim Aufdecken der Wahrheit. Das im selben Spiegel-Heft 40 Seiten später ein Interview mit dem Historiker Volker Ullrich über Adolf Hitler unter der Überschrift "Er konnte sehr liebenswürdig sein" zu lesen ist, ist sicher nur publizistischer Zufall, paßt aber irgendwie.

PS: Was die beiden Spiegel-Richter so alles ausließen, zeigen auch neue Berichte zum Giftgaseinsatz am 21. August, die belegen, warum Zweifel an der angeblichen Schuld Assads weiter angebracht sind. Uli Cremer schrieb am 3. Oktober in einem Beitrag auf der Website der Zeitschrift Sozialismus: "Sechs Wochen nach dem Giftgasangriff vom 21.8.2013 ist dieser alles Andere als aufgeklärt." Es sei "politisch kurzsichtig, dass sich die meisten politischen (Mainstream-)Akteure in Deutschland in Ignoranz der Faktenlage bereits mehr oder weniger auf das Assad-Regime als Täter festgelegt haben."
Am 4. Oktober stellte Oksana Boyko vom Sender Russia TV fest: "Glaubwürdigkeit des UNO-Berichts über den Giftgasangriff in Ghouta durch Widersprüche bei den Proben in Frage gestellt". Das erläuterte die Journalistin näher: "Die Inspekteure waren an verschiedenen Orten im Gebiet Ghouta, wo diese schrecklichen Videos entstanden von toten Kindern und Leichen. An einem Ort blieben sie zirka 2 Stunden, an einem anderen zirka 5 Stunden.
Sie sammelten Proben, Umweltproben, Stoffe, Textilien etc. Sie befragten Überlebende und nahmen von ihnen Blutproben.
Das größte Problem dabei: In keiner einzigen Umweltprobe aus West-Ghouta wurde Sarin nachgewiesen, aber eigenartigerweise in allen Überlebenden!"
Interessant ist auch, was Jürgen Todenhöfer im Interview mit der jungen Welt, veröffentlicht am 5. Oktober, über den laut Spiegel-Urteil "Feind Europas und Amerikas" Assad sagte: "Assad wird seine Beziehungen zum Iran und zu Rußland nicht aufgeben, aber er sieht sich nicht als einen Feind des Westens. Die USA sehen Gespenster im Mittleren Osten. Für sie sind diese Regierungen ihre Todfeinde. Ich stoße in Gesprächen mit westlichen Politikern immer wieder auf eine totale Ignoranz. Die Amerikaner haben eine Neigung, Politik sehr persönlich zu verstehen." Todenhöfer ergänzte: "Dabei will Assad mit den USA über alle relevanten Fragen verhandeln. Ich habe den Amerikanern sein Gesprächsangebot übermittelt. Bevor ich mich mit ihm traf, hatte ich die Bundesregierung und die Amerikaner informiert. ... Aber Assad hat sich während des Irakkriegs nicht als hilfreich erwiesen und wird seitdem zur 'Achse des Bösen' gezählt, die in Wirklichkeit eine Achse der Unfolgsamen ist. Jeder, der sich den Amerikanern in dieser rohstoffstrategisch wichtigen Region nicht unterwirft, wird dieser Achse zugerechnet und dämonisiert. Am Ende kann man nicht mehr mit ihnen sprechen. Dann heißt es: Schlächter, Massenmörder."
Das Interview des deutschen Nachrichtenmagazins mit dem syrischen Präsidenten klingt ganz so, als würden die schreibenden Moralrichter ja nicht unfolgsam wirken wollen, wenn in Washington mitgelesen wird.

aktualisiert: 20:56 Uhr

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Syrien: Verhandlungschancen und unwillige Islamisten

Ein weiteres Mosaik an Nachrichten und Informationen zum Krieg gegen und in Syrien, ohne Anspruch auf Vollständigkeit

• Syriens Außenminister Walid Muallem hat in einem Gespräch mit dem Sender BBC am 30. September die geplanten internationalen Friedensgespräche in Genf als entscheidend für die Zukunft des Landes bezeichnet. Die Gespräche würden aber scheitern, wenn die Türkei, Saudi-Arabien und Katar die „Rebellen“ weiter unterstützen. In einer Rede vor der UN-Generalversammlung hatte der Außenminister erklärt, dass "Terroristen aus mehr als 83 Ländern" in Syrien kämpfen. Die Vorstellung, es gäbe „moderate Rebellen“ wies er dabei zurück. Syrien sei immer für eine politische Lösung gewesen, betonte er. Dazu müssten sich aber alle an die entsprechenden Verpflichtungen halten. Muallem kritisierte gegenüber der BBC die Türkei, Saudi-Arabien und Katar, weil diese die „Rebellen“ unterstützten, bewaffneten, finanzierten und einschleusten. Zugleich wiederholte er, dass Syrien die internationale Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) bei der Vernichtung der Chemiewaffen der Armee unterstützen werde. Am Vortag hatte der syrische Präsident Bashar al-Assad in einem Interview mit dem italienischen Sender RAI24 erklärte, sein Land werde die Auflagen der am 27. September einstimmig verabschiedeten Resolution 2118 des UN-Sicherheitsrates zur Zerstörung der Chemiewaffenbestände erfüllen, wie u.a. der Schweizer Tages-Anzeiger am 29. September berichtete.

• In seiner Rede vor der UN-Generalversammlung am 30. September hatte der syrische Außenminister gesagt, dass die USA und ihre Verbündeten verhindert hätten, dass die UN-Chemiewaffenexperten die Schuldigen an der Giftgasattacke am 21. August bei Damaskus feststellen. „Wir hatten vorgeschlagen, das Mandat der UN-Experten auch durch die Möglichkeit zu erweitern, die Schuldigen zu ermitteln“, zitierte die Nachrichtenagentur RIA Novosti aus Muallems Rede. „Aber die USA und andere Länder wie Großbritannien sträubten sich dagegen und ließen die Mission nur feststellen, ob Kampfstoffe eingesetzt wurden oder nicht.“
• Frankreich wollte in der Nacht zum 1. September Syrien angreifen und mit Bomben Stellungen der syrischen Armee ausschalten. Das berichtete die Zeitung Nouvelle Observateur am 29. September. Der französische Präsident Francoise Hollande habe am 31. August den Befehl zur Angriffsvorbereitung gegeben, weil er damit gerechnet habe, dass US-Präsident Barack Obama ihn über den bevorstehenden Angriff der US-Luftwaffe auf Syrien informiere. "Alles ließ uns zu glauben, dass der große Tag gekommen sei", zitierte die Zeitung einen französischen Regierungsbeamten. Dazu hätten auch die zahlreichen Äußerungen der Kriegstreiber in der US-Administration gehört, dass der Giftgaseinsatz am 21. August nur mit einem „Militärschlag“ beantwortet werden könne. Doch Hollande musste die angriffsbereiten „Rafale“-Bomber zurückpfeifen, weil ihm Obama in dem angekündigten Telefonat am 31. August überraschend einen Aufschub der Intervention und eine Debatte dazu im US-Kongress angekündigt hatte.

• Die Gegner Assads und der syrischen Regierung sind unzufrieden mit der Resolution des UN-Sicherheitsrates zu den Chemiewaffen, weil sie auf diese beschränkt sei. Der Resolutionstext könne als „Freibrief für das Töten von Syrern mit allen Waffen – mit Ausnahme von Chemiewaffen und Atomwaffen – verstanden werden“, zitierte laut Tages-Anzeiger vom 28. September die Website «All4Syria» den früheren syrischen Kulturminister Riad Naasan Agha. Der Ex-Minister habe außerdem erklärt, dass „letztlich nur Israel“ profitiere, weil sich das Gleichgewicht des Schreckens dadurch verschiebe.
Das Oberkommando der Freien Syrischen Armee (FSA) erkenne die vom Westen und seinen Verbündeten zusammengezimmerte „Nationale Koalition“ nicht an, berichtete RIA Novosti am 28. September und berief sich dabei auf die  Webseite des TV-Senders Al Jazeera. Die hatte am 27. September gemeldet, dass ein hoher FSA-Kommandeur, Omar al-Wawi, die Autorität der „Nationalen Koalition“ ablehne.
„Der Freien Syrischen Armee droht der Kollaps“, war am 30. September in der Online-Ausgabe der österreichischen Zeitung Der Standard zu lesen. „Zuerst sagten sich vergangene Woche 13 vor allem islamistisch geprägte Kampfverbände rund um Aleppo von der erst Ende 2012 gegründeten Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte los und gründeten eine gemeinsame Allianz“, so der Autor Stefan Binder. „Am Wochenende wurde mit der ‚Armee des Islam‘ (Jaysh al-Islam) die Gründung einer weiteren Allianz im Großraum Damaskus bekanntgegeben.“ Binders Fazit: „Dieser zweite, aus 51 Gruppen entstandene Verband unter der Führung der ‚Liwa al-Islam‘ (Brigaden des Islam) dürfte auch das endgültige Aus für den Einfluss der Nationalen Koalition in Damaskus bedeuten.“ Der Autor weist auf die „Hand ausländischer Kräfte“ hin, für die es neue Indizien gebe: „Denn nur wenige Stunden nach der Gründung der ‚Armee des Islam‘ spalteten sich drei islamistische Kampfverbände wieder von der Abspaltung ab. In ihrer Begründung beklagen die Kämpfer die Dominanz einzelner Gruppen und das Fehlen einer Vision - bedanken sich aber bei den großzügigen Spendern aus Kuwait.“
Washington könne die syrischen Oppositionskräfte kaum noch zügeln, stellte die Zeitung Rossijskaja Gaseta laut RIA Novosti am 1. Oktober fest. "Falls die FSA diesen Kampf verliert, hat der US-Chefdiplomat niemanden, der an der Genf-2-Konferenz teilnehmen könnte. Denn die al-Qaida wird mit Assad unter keinen Umständen verhandeln, und die syrische Auslandsopposition hatte ohnehin keine richtigen Instrumente, um die Situation in Syrien zu kontrollieren."

• Unter dem Titel „Syrien: Giftgasangriffe und die Verstetigung des Bürgerkrieges“ hatte Jürgen Wagner von der Informationsstelle Militarisierung Tübingen (IMI) am 27. September auf der IMI-Website eine Analyse der vorliegenden Informationen zum Giftgaseinsatz am 21. August bei Damaskus sowie der westlichen Reaktionen darauf veröffentlicht. „Dabei lässt sich zumindest sagen, dass die Fakten, die laut übereinstimmender westlicher Einschätzung zweifelsfrei nahelegen würden, dass Regierungstruppen verantwortlich zu machen seien, eine solch weitreichende Anschuldigung in keiner Weise hergeben“, so Wagner. „Stattdessen deuten mindestens ebensoviele Indizien darauf hin, dass die Angriffe von Rebellenseite verübt wurden, um so eine westliche Militärintervention zu ihren Gunsten herbeizuführen.“ Die Reaktion der US-Regierung  habe für Irritationen gesorgt: Washington habe vor allem zusammen mit Frankreich, Großbritannien und den lokalen Komplizen Saudi Arabien und Katar „viele Jahre lang gezielt“ auf den Sturz  von Assad hingearbeitet, doch „genau zu dem Zeitpunkt, an dem sich mit den Giftgasangriffen ein ‚idealer‘ Anlass bot, den Bürgerkrieg per Militärintervention zugunsten der Aufständischen zu entscheiden, vollzog die US-Regierung einen kompletten Kurswechsel“. Wagner vermutet, dass die US-Regierung sich dafür entschieden habe, einen dauerhaften Bürgerkrieg in Syrien zu fördern, „um hierdurch US-feindliche Kräfte – die Hisbollah und den Iran auf der einen und radikalislamistische Gruppen auf der anderen Seite – dauerhaft zu binden und zu schwächen“.
Auf die weiterhin ungeklärte Frage nach den Tätern des Giftgaseinsatzes am 21. August hatte ebenfalls Sebastian Range in der Online-Ausgabe der Zeitschrift Hintergrund am 25. September aufmerksam gemacht. „Die Fakten lassen eher auf Akteure aus der mit Al Qaida verbündeten Opposition schließen.“ Range zählt eine Reihe von Informationen und Fakten auf, die der angeblich nachgewiesenen Schuld der syrischen Armee widersprechen, so u.a.: „Inzwischen konnte die russische Regierung anhand der im UN-Bericht angegebenen Kennnummer der aufgefundenen M14-Munition nachverfolgen, wann und an wen die Munition exportiert worden war. Sie wurde demnach 1967 produziert und an drei arabische Länder ausgeliefert: Jemen, Ägypten und Libyen.“ Der Autor stellt fest: „Der UN-Bericht wirft demnach mehr Fragen auf, als er beantwortet.“ Er enthalte keinerlei Beweise für eine Täterschaft der syrischen Armee. Die technischen Details würden „insbesondere unter Berücksichtigung vorheriger mutmaßlicher Giftgaseinsätze eher für einen von den Rebellen inszenierten Angriff“ sprechen, „wenngleich es auch hierfür keine eindeutigen Belege gibt“.

• Die Politik der US-Regierung gegenüber Syrien sei verantwortungslos, weil sie Gespräche mit dem syrischen Präsidenten ausschließe, stellte der Publizist Jürgen Todenhöfer in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger, veröffentlicht am 12. September, fest. „Die Aufgabe der Politik ist nicht Kriege zu ermöglichen, sondern Kriege zu verhindern. Das aktuelle Vorgehen widerspricht der amerikanischen Tradition, mit dem Feind zu verhandeln: Nixon hat mit Mao gesprochen, Reagan mit Gorbatschow und Kissinger mit den Nordvietnamesen.“ Assad sei dagegen gesprächsbereit, so Todenhöfer, der mehrmals mit dem syrischen Präsidenten gesprochen hatte. „Im Mittelpunkt der Treffen stand seine, auch für mich überraschende, ausdrückliche Verhandlungsbereitschaft mit den USA. Mit teilweise sehr konkreten Überlegungen. Zum Beispiel äusserte Assad, auf meine Frage, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den USA bei der Bekämpfung von al-Qaida.“ Er sei erstaunt, dass der Westen, der immer wieder vor den islamistischen Terroristen warne und diese fürchte, bisher nicht auf diesen Vorschlag eingegangen ist. Todenhöfer weiter: „Dass mit Syrien ein Verbündeter des Irans beseitigt werden soll, ist die einzig rationale Erklärung für die harte Haltung Washingtons.“ Über den syrischen Präsidenten sagte der Publizist: „Dieser Mann ist kein emotionaler Herrscher wie Muammar Ghadhafi es war, sondern rein kopfgesteuert. … Der Konflikt ist eine Katastrophe für Syrien und das weiss Assad. Er hat mir gesagt, dass er zwei Ziele verfolgt: Erstens möchte er das säkulare und multiethnische Modell Syriens wieder herstellen. Zweitens möchte er al-Qaida und seine Verbündeten besiegen. Mit den anderen syrischen Rebellen ist er – auch wenn er zurzeit mit ihnen im Krieg liegt – zu Verhandlungen bereit.“ Am 1. Juli hatte Todenhöfer im Tagesspiegel geschrieben: „Auch mit Assad müssen die USA verhandeln, wenn sie ihr Terrorzuchtprogramm in Syrien rückgängig machen wollen. Das Argument, Assad sei politisch für den Tod von hunderttausend Menschen verantwortlich, kann kein Verhandlungshindernis sein. Die USA sind im Irak und in Afghanistan für den Tod von viel mehr Menschen verantwortlich. Schätzungen der ‚Ärzte gegen den Atomtod‘ kommen auf über 1,6 Millionen Kriegsopfer.
Für einen ‚fairen Frieden‘ wäre Assad zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Ich hatte die Gelegenheit, diese mit ihm viele Stunden zu erörtern. Den USA sind diese ‚Überlegungen‘ inzwischen in allen Einzelheiten bekannt.“

Nachtrag von 17:25 Uhr: Ausländische Kämpfer aus der gesamten arabischen Welt und aus anderen Ländern spielen laut der Washington Post vom 2. Oktober eine zunehmend dominierende Rolle im Krieg gegen und in Syrien. Dieser ist der Zeitung zu Folge ein noch stärkerer Magnet für Dschihadisten als Irak und Afghanistan in den vergangenen zehn Jahren. Die ausländischen Kämpfer würden zunehmend die Kontrolle über die "Rebellen"-Gruppen übernehmen. Die meisten von ihnen stammen aus Saudi-Arabien, Tunesien und Libyen, andere kommen laut Washington Post aus Tschetschenien, Kuwait, Jordanien, Irak und den Vereinigten Arabischen Emiraten, ebenso aus Pakistan. "Unter den in den letzten Kämpfen Getöteten war ein marokkanischer Kommandeur, der jahrelang in Guantanamo Bay gefangen gehalten wurde."