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Sonntag, 11. November 2018

„Das war keine Revolution“ – Kritischer Zeitzeugen-Blick von Fritz Fischer auf den November 1918

Gast-Beitrag von Tilo Gräser

Was sich im November 1918 in Deutschland ereignet hat, samt Abdankung des Kaisers und mehrfacher Ausrufung der Republik, gilt allgemein als Revolution. Ob es sich um eine solche gehandelt hat, hat bereits vor Jahren der renommierte Historiker Fritz Fischer angezweifelt. Er hat zudem auf Kontinuitäten in Deutschland trotz 1918 aufmerksam gemacht.
„Die Vorgänge im November 1918 in Deutschland verdienen gar nicht die Bezeichnung ‚Revolution‘.“ Das erklärte der Historiker Fritz Fischer in den 1990er Jahren in einem Video-Interview, das im „Zeitzeugenportal“ online nachgesehen werden kann. Er begründete das so: „Es hat sich im Grunde ein friedlicher Übergang aus der monarchischen Ordnung, die sich diskreditiert hatte als der Kaiser außer Landes gegangen war, zur republikanischen Ordnung vollzogen. Und dies noch in einer gemäßigten Form.“
Die Kommunisten bzw. ihre Vorgänger in der linken Sozialdemokratie hätten die Macht gar nicht an sich reißen können, schon weil sie zu wenige gewesen seien. Einschließlich Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht seien sie „niemals in der Lage gewesen, einen neuen Staat zu schaffen“, so Fischer.
Der 1908 Geborene (1999 verstorben) hatte als Schüler die Ereignisse vor 100 Jahren in Berlin miterlebt. In dem Video-Interview gibt er die damalige Stimmung in der deutschen Bevölkerung wieder. Der MSPD-Vorstizende Ebert hätte gern an der Monarchie festgehalten, „weil er wußte, dass die Mehrzahl der deutschen Bürger in ihrem Herzen monarchistisch waren“. Und: Kein deutscher Soldat oder Arbeiter hätte Kaiser Wilhelm II, der in der Nacht zum 10. November 1918 nach Holland floh, erschießen wollen.
Das Reich als Republik
In seinem Vorwort zum 1969 erschienenen Buch „November-Revolution 1918 – Die Rolle der SPD“ von Wolfgang Malanowski meinte der Historiker, „kaum je ein historisches Ereignis von derart bis in die Gegenwart reichender Relevanz (oder überhaupt keines?) ist so ganz anders verlaufen als handelnde Politiker es bewerteten, Miterlebende es überlieferten und heute Lebende es noch vielfach verstehen oder ‚empfinden‘.“
Zu den historischen Tatsachen zählt, dass General Erich Ludendorff, Erster Generalquartiermeister und Stellvertreter Paul von Hindenburgs, des Chefs der dritten Obersten Heeresleitung (OHL), im September 1918 mit einer „Revolution von oben“ versuchte, nicht nur das deutsche Militär vor dem Untergang zu bewahren.
Ludendorff musste abtreten, während es Ebert, der die Revolution eigentlich hasste, gelang, die anfangs unkontrollierten Ereignisse in die gewünschten Bahnen zu lenken. So behielt die in der Folge 1919 entstandene Weimarer Republik sogar die offizielle Bezeichnung „Deutsches Reich“ bei, samt Reichwehr, Reichstag – und Reichspräsident Ebert. Der Historiker Sebastian Haffner hat das in seinem 1969 veröffentlichten Buch „Die verratene Revolution“ beschrieben, heute unter dem weniger deutlichen Titel „Die deutsche Revolution 1918/19“ weiter erhältlich.
Russland im Visier
Fischer machte in seinem 1961 erstmals erschienenen und vieldiskutierten Buch „Griff nach der Weltmacht – die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18“ auf etwas wenig Beachtetes aufmerksam: Bereits im Sommer 1918 überlegten führende deutsche Kreise bis in die Industrie, den Krieg im Westen aufzugeben, um die Eroberungen im Osten zu sichern – gegen das revolutionäre Russland unter den Bolschewiki. Das war im Friedensvertrag von Brest-Litowsk im März 1918 gezwungen worden, das zu akzeptieren.
Interessant – und aktuell – klingt, wie die Pläne und Vorstellungen propagandistisch begleitet wurden. So schrieb Oberst Hans von Haeften, Leiter der Auslandsabteilung der OHL, in einer entsprechenden Denkschrift:
Das Ziel unserer Ostpolitik ist nicht Vergewaltigung der Randstaaten, sondern Sicherstellung ihrer staatlichen Freiheit und Ordnung.
Schutz der unterdrückten osteuropäischen Völker gegen die zerstörenden Kräfte des Bolschewismus, Sicherstellung der großen moralischen und wirtschaftlichen Werte, die im Osten Europas z. T. zerstört worden sind, z. T. völlig brach liegen. Deutschlands Recht und Pflicht als Nachbar, hier im Namen Europas Ordnung und Freiheit zu schaffen.“
Ludendorff war mit seinen Ideen für seinen Vorstoß für einen Waffenstillstand am 29. September 1918 nicht allein. Laut Fischer traf sich bereits einen Monat vorher der Großindustrielle Hugo Stinnes mit dem deutsch-jüdischen Reeder Albert Ballin (HAPAG-Reederei). Beide hätten beschlossen, dem Kaiser zu einem sofortigen Kanzlerwechsel und baldigen Friedensschluss zu überreden, um aus der Konkursmasse der Niederlage im Westen wenigstens die Ordnung im Osten zu sichern.
Revolution von oben“
Zu den Vorschlägen gehörte laut Fischer Folgendes: die „Demokratisierung des Reiches“ noch vor Aufnahme der Friedensverhandlungen mit dem Westen unter dem Namen der „Modernisierung“ sowie die „Frontbildung gegen den Bolschewismus“.
Ballin habe Letzteres als „gemeineuropäisches Interesse der Wirtschafts- und Finanzkreise an der Sicherung der Milliardeninvestitionen und den unermeßlichen Bodenschätzen Rußlands gegenüber der Zerstörung durch die bolschewistische Revolution“ definiert. Als Hindenburg dann mit Ludendorff gemeinsam die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand im Westen am 29. September 1918 dem Kaiser überbrachte, sagten sie laut Fischer, Wilhelm II. solle dabei nicht an ein „Aufgeben des Ostens“ denken.
Der Historiker schrieb in seinem Buch, mit dem er den ersten Historikerstreit in der BRD auslöste: „Der Sieg der parlamentarischen und demokratischen Institutionen im kaiserlichen Deutschland war jedoch nicht die Folge eines revolutionären Ereignisses von unten, aus dem die westlichen Demokratien ihre innere Stärke bezogen, sondern die Frucht einer bewußt geplanten ‚Revolution von oben‘, um der ‚Revolution von unten‘ Wind aus den Segeln zu nehmen und gleichzeitig gegenüber den Siegermächten in eine möglichst günstige Verhandlungsposition zu kommen.“
Kaisersturz für Frieden im Westen
Fischer stellte außerdem fest, dass am 9. November 1918 die Monarchie als Staatsform „mehr zufällig denn durch einen entscheidenden Willensakt fiel“. Der Sieg über die befürchtete „rote“ Revolution in Deutschland mit Hilfe der Mehrheitssozialdemokratie sollte nach seinen Erkenntnissen bei den Westmächten mildernde Friedensbedingungen für die junge deutsche Republik als „Vorkämpferin gegen den Bolschewismus“ erreichen.
Tatsächlich erlaubten die Alliierten, gerade wegen der stabilisierenden Funktion der Regierung Ebert-Noske im Herzen Europas, mit ihren Waffenstillstandsbedingungen Deutschland, seine Truppen im Osten gegen die rote Revolution weiterhin stehen zu lassen, bis sie von alliierten Streitkräften abgelöst würden.“
Bei vielen Deutschen habe das die Illusion genährt, die deutsche Machtposition im Osten könne gehalten werden. Umso härter sei die Enttäuschung über die tatsächlichen Bedingungen des Friedensvertrages von Versailles im Frühjahr 1919 gewesen. Das habe eine „unheimliche nationale Erregung“ hervorgerufen, so Fischer.
Soziale Reformen statt Revolution
Er sah unter anderem die Rolle der Matrosen im Herbst 1918 kritisch, die nach herkömmlicher Meinung am 4. November 1918 die Revolution auslösten. Die hätten gar nicht revoltiert, schrieb er in dem Vorwort zum Malanowski-Buch von 1969, „sondern sich nur gegen einen überspannten Militarismus“ aufgelehnt, „den sie bis dahin bewundert oder doch ohne großes Murren ertragen hatten“. Fischer spitzte bereits damals zu, es sei „überhaupt keine Revolution“ gewesen.
Im Oktober 1918 ging es – auf Geheiß des Monarchen – um weiter nichts als um eine bloße Verfassungsreform in Richtung auf die konstitutionelle Monarchie britischer Prägung, und nicht mehr wollten auch die Parteien nicht, einschließlich der Sozialdemokratie. Im November verschwand dann die Monarchie, was damals sogar führenden Sozialdemokraten zu weit ging, und was schließlich als ‚revolutionäre Errungenschaften‘ galt, war weiter nichts als soziale Reformen, wie Achtstundentag und Aufhebung der Gesindeordnung.“
Ab Januar 1919 seien dann – auch dank der SPD-Führung – die „schon im Kaiserreich starken Schichten“ wieder erstarkt und sei die deutsche Arbeiterbewegung endgültig gespalten worden, so der Historiker. Er widersprach vor 50 Jahren der jahrzehntelangen Legende, nach der „wilde Proletarierhaufen im November 1918 die Macht“ übernahmen.
In Wirklichkeit blieb die Macht in den Händen der etablierten Bürger-Bürokratie. Den guten Bürgern (und die sind in Deutschland ja zumeist auch rechte Bürger), war das bißchen verordneter Revolution und die sicherlich zum Teil erschreckende ‚revolutionäre Gymnastik‘ linksradikaler Arbeiter schon zuviel. Sie stempelten die führenden Sozialdemokraten, die ihnen das politische Überleben von Stund an mit garantierten, zu November-Verbrechern.“
Ähnlich ist das bei Haffner zu lesen, der Fischers deutliche Kritik an der damaligen sozialdemokratischen Führung teilt, die die Revolution nicht wollte, aber den alten Staat stützte. Letzterer schrieb, die SPD habe selbst noch im November 1918 dem Volk verschleiert, dass die Militärs die Kapitulation gewollt hatten, und damit der Dolchstoß-Legende Vorschub geleistet.
Kontinuität der Machtstrukturen
Im Vorwort zum Malanowski-Buch stellte er die Frage: „Hätte mehr Revolution – etwa die Entmachtung der Militärs, der Großindustriellen, der kaiserlichen Bürokraten, der Großagrarier – der Republik mehr Demokratie gebracht, und wäre mehr Revolution, etwa mit dem Instrument der Arbeiter- und Soldatenräte überhaupt möglich gewesen?“
Fischer gestand ein, dass das kaum zu beantworten ist. „Aber fest steht, daß gerade Militärs und Großindustrielle. Kaiserliche Bürokraten und Großgrundbesitzer das antidemokratische Pogrom schürten, daß die Republik womöglich ebenso gefährdete wie später das Millionenheer der Arbeitslosen.“ Er wolle keinen vereinfachten Zusammenhängen das Wort reden, schrieb er. Aber die von den Sozialdemokraten 1918 „sichergestellte Ordnung der ersten Stunde“ sei die Ordnung der Weimarer Republik gewesen.
Auf dem bundesdeutschen Historikertag 1978 erklärte Fischer: „Der militärische Zusammenbruch und die revolutionären Wirren schufen nur oberflächliche Zäsuren, denn der Erste Weltkrieg hatte qualitativ nichts an der Zusammensetzung von Gesellschaft und Wirtschaft verändert. Es dominierte noch immer das Prinzip der Kontinuität des Bestehenden.“
Die damalige Rede des Historikers wurde unter dem Titel „Bündnis der Eliten – Zur Kontinuität der Machtstrukturen in Deutschland 1871 – 1845“ als Buch veröffentlicht. Später stellte er in einem Aufsatz zu diesen Kontinuitäten fest: „Hitler war kein Betriebsunfall“.
1945 Korrektur von 1918 – nur im Osten
Revolutionäre gesellschaftspolitische Veränderungen in Deutschland gab es erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – und nur in einem Teil des Landes, von außen unterstützt und durchgesetzt. So bezeichnete der Historiker Rolf Steininger in Band 1 seiner vierbändigen „Deutschen Geschichte seit 1945“ die „radikalen Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Ostzone“, in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ), beginnend mit der Bodenreform 1945 und Enteignungen in der Großindustrie.
Aus der SBZ entstand die Deutsche Demokratische Republik (DDR), die sich auch auf die gescheiterten Revolutionäre vom November 1918 berief. Einer von ihnen, Wilhelm Pieck, war von 1949 bis 1960 der erste und einzige Präsident dieses Landes.
Diese tatsächliche grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Strukturen ist das, was der mit der Maueröffnung am 9. November 1989 dem Untergang geweihten DDR und ihren Gründern bis heute übel genommen wird – und was ihr bis heute jene als „Verbrechen“ ankreiden, die trotz 1918 und 1945 die von Fischer beschriebenen kontinuierlichen Machtstrukturen in Deutschland beherrschen.
Der Beitrag erschien zuerst bei sputniknews.com und wurde mit freundlicher Genehmigung des Autors übernommen. Dort sind auch weitere Beiträge von ihm zur Novemberrevolution 1918 zu finden.

Mittwoch, 16. Mai 2018

Gastbeitrag: Moskau geht es um mehr als nur Assad – Analyse der russischen Syrien-Politik

Von Tilo Gräser

Russlands militärisches Eingreifen im Herbst 2015 hat die Lage in Syrien verändert. Es hat der syrischen Führung geholfen, die Oberhand zurückzugewinnen und das Land vor allem gegen Angriffe von innen zu verteidigen. Mit den Zielen und Motiven Moskaus für die Intervention beschäftigt sich eine Analyse in der Monatszeitung „Le Monde diplomatique“.

Syrien soll als souveräner und funktionsfähiger Staat erhalten bleiben. Zugleich soll es kein neuer Herd des Dschihadismus werden. Das gehört zu den Zielen Russlands – und zwar schon bevor es sich im September 2015 militärisch in den Konflikt in dem Nahost-Land einmischte. Darauf macht der russische Politikwissenschaftler Nikolai Kozhanov in einem Beitrag für die aktuelle deutschsprachige Ausgabe der Monatszeitung „Le Monde diplomatique“ (LMd) vom Mai aufmerksam. Er ist Dozent für politische Ökonomie des Mittleren Ostens an der Europauniversität Sankt Petersburg und Mitarbeiter beim Russland- und Eurasien-Programm des britischen „Chatham House – Royal Institute of International Affairs“.

Die genannten Ziele gehörten zu den Gründen der militärischen Intervention Russlands auf Seiten der syrischen Regierung, so der Autor. Die russischen Luftangriffe hätten zudem verhindert, dass der Westen eine „Flugverbotszone“ über Syrien einrichtet und direkt gegen die syrische Armee eingreift. Der russische Militäreinsatz seit 2015 sei aber „keine Selbstverständlichkeit“, so Kozhanov. Er erinnert daran, dass Moskau zu Beginn des syrischen Konflikts 2011/12 davon ausging, dass Präsident Bashar al-Assad Herr der Lage bleibt – „solange er vor der Einmischung ausländischer Mächte bewahrt werde“. Deshalb habe Russland sich um einen „Kompromiss zwischen Damaskus und der internationalen Gemeinschaft“ bemüht, mit dem Ziel, die syrischen Institutionen zu retten.

Westliche Ignoranz


Das sei eine der Lehren „aus dem Zusammenbruch Libyens nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes 2011“ gewesen. Kozhanov erwähnt allerdings nicht, dass der Westen nach dem Erfolg in Libyen hoffte, auch in Syrien einen Regimewechsel hinzubekommen und dort längst „heimlich Krieg“ führte, wie 2012 bei „Spiegel online“ zu lesen war. Die Folge: „Die westlichen Mächte ignorierten damals das Angebot der Russen, Präsident Bashar al-Assad zum Rücktritt zu zwingen“, sagte der algerische Spitzendiplomat und ehemalige Syrien-Sondergesandte der UN, Lakhdar Brahimi, 2016 zum Fernsehsender Al-Jazeera.  Laut Brahimi hätte der Syrien-Krieg bereits 2012, also im Jahr nach dessen Beginn, beendet werden können, wenn auf die russischen Vorschläge eingegangen worden wäre.

Kozhanov schreibt, Moskau habe Assad „nie ganz vertraut“, weil dieser nach seinem Amtsantritt im Jahr 2000 versuchte, sich stärker an Westeuropa, besonders Frankreich anzunähern. Zudem sei nicht vergessen worden, „dass Damaskus in den 1990er und 2000er Jahren die russischen Auslieferungsgesuche für tschetschenische Rebellen ignorierte“.

Islamistische Gefahr


Doch im September 2015 drohte Assad und die syrische Führung, den Krieg gegen die von außen unterstützten Islamisten und anderen bewaffneten Gegner zu verlieren. Moskau habe sich daher für die direkte und dauerhafte Militärintervention entschieden. Das sei aufgrund der Erfahrungen im Irak und Libyen geschehen – „zwei Staaten, in denen der Sturz der Regime nichts Gutes gebracht habe“. Die russische Regierung habe zudem bereits lange zuvor gewarnt, Syrien könne zum neuen Herd des Dschihadismus werden, einer Gefahr vor allem für Russland.

„Eines der Hauptziele der russischen Intervention in Syrien war die Wiederherstellung der militärischen und politischen Handlungsfähigkeit des Regimes“, hebt Kozhanov hervor. Deshalb seien alle für Damaskus gefährlichen Gruppen, nicht nur die Islamisten, angegriffen worden.

„Gleichzeitig propagierte Russland die Idee einer breiten Koalition gegen den IS, die auch das Assad-Regime einbeziehen sollte, um dessen internationale Isolation zu beenden. Zu diesem Zweck tauschte der Kreml auch Informationen mit anderen Staaten aus, darunter die USA, und versuchte seine militärischen Operationen zu koordinieren.“

Kozhanov meint, die russische Regierung habe „ein weitaus ambitionierteres Ziel“ verfolgt, als nur Assad zu retten und den Krieg zu beenden. Sie habe dem entsprechenden Verhandlungsprozess zu Syrien die eigenen Bedingungen übergestülpt: „Dazu gehörten die Bewahrung der Integrität des syrischen Territoriums und die Bildung einer Koalition gegen den IS, wie Putin im September 2015 vor der UN-Vollversammlung erklärte.“ Und: „Russland verlangte auch den Erhalt der staatlichen Strukturen Syriens und erklärte, dass die Umgestaltung des Regimes nur im Rahmen der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung denkbar sei.“

Neue Gesprächspartner


Putin sei noch 2016 vom möglichen Friedensprozess überzeugt gewesen, einschließlich einer Art Machtteilung zwischen der syrischen Führung und „vernünftigen“ Elementen aus der Opposition. Nach der Befreiung Ost-Aleppos im Dezember 2016 sei klar gewesen, dass die syrische Führung um Assad nicht mehr nur um ihr Überleben kämpft. Der daraufhin von Moskau angestoßene Verhandlungsprozess von Astana sollte einen Waffenstillstand zwischen Damaskus und dessen Gegnern erreichen. Dabei wurden der Iran und die Türkei einbezogen, zwei wichtige regionale Akteure, die bisher von den anderen Verhandlungen ausgeschlossen blieben.

Der nach dem Fall der wichtigsten Bastionen des „Islamischen Staates“ Ende 2017 verkündete russische Teilabzug habe vor allem eine politische Funktion gehabt, schreibt der Politologe in der Mai-Ausgabe der Zeitung. Es sei auch darum gegangen, sich von den USA zu distanzieren. Kozhanov verweist darauf, dass Russland inzwischen in Gesprächen mit anderen regionalen Mächten sei, die in Syrien Einfluss nehmen, so mit der Türkei, dem Iran und auch Saudi-Arabien. Moskau habe der türkischen Offensive gegen Afrin – obwohl offiziell verurteilt – freien Luftraum ermöglicht, weil sich damit die Türkei „noch weiter von den USA und anderen Nato-Staaten wie etwa Frankreich entfernte, die die kurdischen Kräfte in Syrien unterstützen“. 

Westliches Signal


Die russische Führung geht laut dem Autor davon aus, „dass weder die Europäische Union noch die USA eine entscheidende Rolle in Syrien spielen“, trotz der US-britisch-französischen Luftangriffe im April dieses Jahres. Dennoch sieht er diese als „Signal an Moskau …, dass Russland nicht die einzige Macht ist, die über die Entwicklung in Syrien entscheidet.“ Andererseits schreibt er, „nach Ansicht der russischen Strategen haben diese Akteure nie einen wirklichen Willen gezeigt, sich in Syrien zu engagieren“. Washington habe im November 2017 Moskau zugesichert, die territoriale Integrität Syriens, das Prinzip der Deeskalation anzuerkennen und den Genfer Prozess weiter zu unterstützen.

Russland und die USA würden versuchen, eine direkte Konfrontation in Syrien zu vermeiden. Laut Kozhanov geschah allerdings der von US-Bomben zurückgeschlagene Angriff syrischer Truppen und russischer Söldner auf ein kurdisch kontrolliertes Ölfeld bei Deir al-Sor im Februar 2018 nicht ohne Moskauer Wissen. Danach sei jede weitere Provokation der US-Truppen in Syrien vermieden worden.

Interessanter Hintergrund


Kozhanovs Analyse der russischen Interessen ist sachlich und nüchtern. Interessant ist, dass er unter anderem für das „Chatham House — The Royal Institute of International Affairs“ arbeitet, einem mit britischen Regierungsgeldern finanzierten transatlantisch orientierten Thinktank mit Sympathie für Regimewechsel arbeitet. Vielleicht war sein Text der russlandfeindlichen Tageszeitung „taz“, die die deutsche Ausgabe der „Le Monde diplomatique“ mitherausgibt, zu sachlich: „Doch unter den Bombenangriffen leidet vor allem die Zivilbevölkerung“, schrieb sie in die Einleitung zum Text, der sich damit nicht weiter auseinandersetzt.

Ein zweiter Beitrag des Politologen aus Sankt Petersburg in der aktuellen LMd beschäftigt sich unter dem Titel „Pragmatische Partner“ mit der Zusammenarbeit zwischen Russland und Iran unter anderem in Syrien. Gemeinsame Interessen hätten beide Länder wieder einander näher gebracht, ohne ein festes Bündnis anzustreben.

zuerst erschienen bei Sputniknews am 15.5.2018
mit freundlicher Genehmigung des Autors