Russland und dessen Präsident Wladimir Putin sind wieder einmal schuld an dem Krieg in und gegen Syrien und an dessen Opfern, die schon in Hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen gezählt werden. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel am 8. Februar klar gemacht, wie unter anderem Spiegel online an dem Tag berichtete. "Wir sind in den letzten Tagen nicht nur erschreckt, sondern auch entsetzt, was an menschlichem Leid für Zehntausende Menschen durch Bombenangriffe entstanden ist, vorrangig von russischer Seite", wurde Merkel zitiert. Die Kanzlerin sagte das ausgerechnet in Ankara, als sie den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan besuchte. Das ist jener, der nicht nur zur gleichen Zeit Krieg gegen die Kurden führen lässt, sondern seit Jahren alle möglichen „Rebellen“ in Syrien unterstützt, darunter auch islamistische Gruppen.
Aber das kümmert die Kanzlerin anscheinend wenig und so äußert sie in der türkischen Hauptstadt kurz nach der Kritik an Moskau Verständnis für Ankaras Krieg gegen die kurdischen „Terroristen“: „Man muss allerdings auch sagen, dass bei terroristischen Aktivitäten jedes Land auch das Recht hat, gegen Terrorismus vorzugehen.“ Merkel schert sich in dem Fall natürlich nicht um den Wahrheitsgehalt ihrer zugearbeiteten Worte und genauso wenig um die Doppelmoral ihrer Politik und Äußerungen. Der syrische Präsident Bashar al-Assad wird auf solches Verständnis in dem Krieg, der Syrien und seiner Regierung aufgezwungen wurde, lange warten können. Er steht einfach auf der falschen Seite. Ganz anders als Berlin, das von Anfang an an dem Krieg für den Regimewechsel in Damaskus beteiligt war und weiterhin die Anti-Assad-Kräfte unterstützt.
Der Krieg in und gegen Syrien ist und bleibt eines der größten Verbrechen der Gegenwart. Das kann nicht oft genug betont werden, gerade angesichts der in diesem und anderen Zusammenhängen ununterbrochen wiederholten Lügen und Heucheleien auch von deutschen Politikern und ihrer medialen Lakaien. Und nicht oft genug kann und muss wiederholt werden, dass der Westen samt seiner arabischen Verbündeten an diesem Verbrechen, an diesem Krieg mit all seinen Zerstörungen, Opfern und Leid, Schuld trägt. Er ist der Brandstifter einer Katastrophe, die ein entwickeltes Land zerstört hat und weiter zerstört. Nicht Damaskus hat diesen Krieg begonnen, auch nicht Moskau, sondern jene, die hofften, im Zuge des „Arabischen Frühlings“ auch die Verhältnisse in Syrien neu in ihrem Interesse ordnen zu können. Und das waren und sind überhaupt nicht die Interessen der Menschen in Syrien, egal wie sie zu Assad und der syrischen Führung stehen.
Die Situation im nordsyrischen Aleppo ist Teil dieser Katastrophe und zugleich ein aktuelles Beispiel für die westliche Heuchelei, in welche die deutsche Bundeskanzlerin wenig überraschend weiter mit einstimmt. Wer fragt denn noch danach, wie es kam, dass Aleppo zur angeblichen „Rebellenhochburg“ wurde, die es nie war? Darüber berichtete damals, 2012, kaum eines der Medien, die heute wie Spiegel online erklären, dass „Putins Bomber“ Aleppo zum „zweiten Grosny“ machen. Einer der wenigen Berichte darüber, wie die nordsyrische Stadt von den „Rebellen“ erobert wurde, stammte von dem Fotografen Carsten Stormer und wurde im März 2013 im Magazin The Germans veröffentlicht (online hier). Er beschrieb u.a., wie der Krieg im Juli 2012 nach Aleppo getragen und die Stadt zum Schlachtfeld gemacht wurde: „Wochenlang haben die Aufständischen den Angriff auf Aleppo geplant. Bis Ende Juli 2012 war die Stadt von Kämpfen weitestgehend verschont geblieben. Nur in manchen Stadtteilen, wie Salah Eddine, kommt es täglich zu Massendemonstrationen und Zusammenstößen zwischen Regierungsanhängern und Opposition.“ Gerade in der Zweimillionen-Einwohnerstadt Aleppo wohnten viele Regimefreunde und reiche Kaufleute, die vom Regierungsapparat profitierten und ihn noch immer unterstützten, berichtete Stormer vor drei Jahren. Auch davon, dass die in die Stadt eindringenden „Rebellen“ nagelneue Waffen auch westlicher Produktion mitbrachten und vor ihrem Untertauchen in den Stadtvierteln ihre Kampfanzüge gegen zivile Kleidung eintauschten. Die „Revolution“ habe Aleppo erst spät erreicht, meinte der Fotograf nicht ohne Sympathien für jene, die vermeintlich nur gegen die Unterdrückung durch das Assad-Regime und für die Freiheit kämpften. Es sei die Stadt gewesen, „von der viele glauben, dass das Regime zusammenbricht, wenn sie fällt“. Das dürfte nicht der einzige Irrtum derjenigen gewesen sein, die diesen Krieg anzettelten, und jener, die ihn führten und führen.
Nun ist die syrische Armee dank russischer Unterstützung auf Grundlage eines Vertrages zwischen Damaskus und Moskau aus dem Jahr 1980 auf dem Vormarsch und anscheinend kurz davor, auch jene Stadtviertel von Aleppo zu befreien, die noch in den Händen der angeblichen „Rebellen“ sind. Und schon melden sich wieder alle westlichen vermeintlichen Menschenfreunde, die als „Freuende Syriens“ natürlich nichts Anderes im Sinn haben, als die Interessen der vom Krieg geschundenen und an ihm leidenden Syrer. Dabei wird auch hierbei weggelassen oder nur verschämt gesagt, um welche „Rebellen“ es sich handelt, die einzelne Viertel von Aleppo weiter beherrschen. Das war immerhin bei Spiegel online am 5.Februar zu lesen: „Die bewaffnete Opposition in Aleppo setzt sich aus einer Vielzahl von Milizen zusammen, wobei die Moderaten stetig an Bedeutung verlieren. Derzeit sind islamistische Gruppen tonangebend. In den vergangenen Tagen soll zudem die radikalislamistische Nusra-Front ihre Präsenz in der Stadt ausgebaut haben.“ Das Online-Magazin stützt sich auf die ominöse Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London, deren Glaubwürdigkeit ich nicht einschätzen kann. Zur Erinnerung: „Die Al-Nusra-Front gilt als syrischer Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida.“, wie u.a. die Deutsche Welle am 26. September 2015 online berichtete.
Aber wen kümmert das schon und warum sollte die Bundeskanzlerin mal genauer nachfragen? Und Terroristen, das sind sowieso immer nur die Anderen. Die Bilder von zehntausenden Flüchtlingen an der türkischen Grenze, die angeblich aus Aleppo stammen und vor den Angriffen der syrischen Truppen und russischen Bomber fliehen, sorgen für neue westliche Betroffenheitsheuchelei. Bei den aktuellen Fotos fiel mir ein, was der Fotograf Stormer 2013 über die „Rebellen“ aus Aleppo berichtete: „Die Tarnanzüge tauschen sie gegen Zivilkleider, schlüpfen in Jeans und Hemden.“ Das taten sie, als sie die Stadt überfielen. Warum sollten sie das nicht auch bei ihrer Flucht daraus tun? Aber das ist nur so ein Gedanke.
Und wen kümmert die Wahrheit, wenn behauptet wird, Russlands Luftangriffe auf die terroristischen Anti-Assad-Kräfte sei Schuld, dass es unlängst keine Friedenslösung in Genf gab? Putin und Assad würden die Friedensverhandlungen torpedieren, behauptete u.a. Die Welt online am 4.Februar. Ähnlich war es von Vertretern der USA und der Bundesrepublik zu hören: „Der Westen macht das Assad-Regime und die Verbündeten in Moskau verantwortlich: Sie wollten keine politische Lösung.“ berichtete Zeit online am selben Tag.
Es könnte auch anders gewesen sein, wenn stimmt, was u.a. die junge Welt am 9. Februar veröffentlichte: „Kerry gibt syrischer Opposition Schuld an Bombardements“. Der US-Außenminister John Kerry habe laut eines Berichts des britischen Internetportals Middle East Eye (MEE) der syrischen „Opposition“ die Schuld am Verlassen der Gespräche und der Wegbereitung für eine gemeinsame Offensive der syrischen Regierung und Russlands gegen Aleppo gegeben. Und Kerry habe gegenüber Journalisten am Freitag erklärt, dass sowohl Russland als auch Iran, ein weiterer Verbündeter Syriens, ihm gesagt hätten, dass sie auf einen Waffenstillstand in Syrien vorbereitet seien. Auf diese interessanten Äußerungen des US-Außenministers wies immerhin auch die FAZ in ihrer Online-Ausgabe am 7. Februar hin, mitten in einem Beitrag über die armen Opfer russischer Bomben in Aleppo.Auf offener Bühne war von Kerry natürlich nichts dergleichen, dafür nur antirussische Vorwürfe zu hören, woran Uli Gellermann in seinem Blog Rationalgalerie am 8. Februar erinnerte.
Doch was kümmert das die Kanzlerin, frage ich mich ein weiteres Mal, plappert sie doch anscheinend nur nach, was in Washington vorgesprochen wird. Sie wird sich höchstens ein wenig ärgern über solch einen Bericht aus dem Backstage-Bereich, denn die anscheinend von Kerry als friedensunwillig bezichtigte „Opposition“, das sind eben jene Kräfte, die der Westen unterstützt, mittendrin von Anfang an die deutsche Bundesregierung. Die hatte der Delegation des „Hohen Verhandlungskomitees“ (HNC), einem von Saudi-Arabien gesponsertem Anti-Assad-Bündnis, organisatorisch, beratend und finanziell in Genf geholfen, wie die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten am 3. Februar berichteten. Die Information bestätigte Außenminister Frank-Walter Steinmeier indirekt in einem Interview mit der Welt am Sonntag, veröffentlicht am 30. Januar: „Wir fördern jetzt auch ganz konkret den Verhandlungsprozess, durch politische Flankierung, Beratung durch Experten und finanzielle Unterstützung.“
Aber Russland ist wie Assad schuld, am Krieg, an den Toten, an den Flüchtlingen, tönt es nun aus Berlin wie auch aus anderen westlichen Hauptstädten, unwidersprochen und unhinterfragt von den bundesdeutschen Mainstream-Medien. Könnte es anders sein, vielleicht so wie es ansatzweise die Schweizer Juristin Carla Del Ponte sieht? Die hatte als Mitglied der UN-Untersuchungskommission zu möglichen Menschenrechtsverletzungen in Syrien in einem Interview mit dem Schweizer Sender RTS am 8. Februar die russischen Luftangriffe auf islamistische Terror-„Rebellen“ wie die von Al-Nusra, Daesh (IS) und andere in Syrien insgesamt als „gute Sache“ bezeichnet, nicht ohne zu behaupten, dass Russland kaum Unterscheide zwischen „Terroristen“ und anderen mache. Zu viel Verständnis kann aber auch Putin nicht erwarten, wo kämen wir denn dahin? Unterdessen geht der Krieg in und gegen Syrien weiter, auch in Aleppo.
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