Aufständische
• Donezk und Lugansk: Alle Waffen abgezogen„Die Volkswehr der nicht anerkannten Donezker Volksrepublik im Osten der Ukraine hat nach eigenen Angaben alle ihre schweren Waffen von der Trennlinie mit dem ukrainischen Militär abgezogen: Am Sonntag seien die letzten Kolonnen unter Kontrolle der OSZE ins Hinterland gebracht worden.
Der Waffenabzug sei im Beisein der OSZE-Beobachter abgeschlossen worden, teilte der stellvertretende Volkwehrchef Eduard Bassurin am Sonntag der Nachrichtenagentur RIA Novosti mit. Nach seinen Angaben ziehen auch die ukrainischen Streitkräfte ihre Technik zurück, halten jedoch die neuen Stationierungsorte geheim. Das ukrainische Militär hält sich vorerst mit Kommentaren zurück. Nach Angaben der Donezker Volkswehr haben Kiew-treue Kräfte in den vergangenen 24 Stunden 26 Mal das Feuer im Donbass eröffnet. Beschossen wurden Vororte der Millionenmetropole Donezk, wie die Nachrichtenagentur Dan meldet.
Auch die selbsternannte Lugansker Volksrepublik bestätigte am Sonntag, sie werde noch im Laufe des Tages den Abzug ihrer Waffen abschließen. „Bei uns läuft alles nach Plan: Heute ist der letzte Tag“, sagte Wladislaw Dejneko, Chefunterhändler der Lugansker Volksrepublik bei den Friedensverhandlungen mit Kiew.“ Wir gehen synchron mit Donezk vor.“ Der Premierminister der Lugansker Republik, Gennadi Zypkalow, sagte seinerseits, dass alle schwere Technik bereits abgezogen worden sei. „Der Abzug ist vollständig. Es bleiben nur noch Formalitäten“, sagte Zypkalow. „Wir haben die OSZE-Beobachter über die Stationierungsorte der abgezogenen Technik und Kämpfer informiert.“ (Sputnik, 1.3.15)
EU
• Linke Antifaschisten in Spanien verhaftet„Mindestens acht linken Spaniern, die gegen den "Faschismus" an der Seite der prorussischen Milizen kämpften, soll vermutlich Terrorismus vorgeworfen werden
Die Tatsache, dass es offenbar zu einer gewissen Beruhigung im Konflikt in der Ostukraine (Halbstarkenstrategien um die Ukraine) kommt, hat auch dazu geführt, dass spanische Mitglieder der "Internationalen Brigaden" nach Spanien zurückgekehrt sind, die in der Donbass-Volksmiliz gekämpft haben. Mindestens acht Rückkehrer wurden im Rahmen der "Operation DANKO" am frühen Freitag in einer Nacht- und Nebelaktion verhaftet. Darunter waren auch Rafael Muñoz Pérez und Ángel Davilla-Rivas (Internationale Brigadisten kämpfen in der Ostukraine). Ihnen werden Verbrechen wie die Teilnahme an "Mord, Waffen- und Sprengstoffbesitz" vorgeworfen, zudem sollen sie an Aktivitäten beteiligt gewesen sein, "die gegen Interessen des Königreichs Spanien verstoßen". Das spanische Innenministerium brüstet sich damit, es seien die ersten Verhaftungen dieser Art in Europa. …“ (Telepolis, 27.2.15)
Kiew
• Poroschenko bitte UNO und EU um Friedensmission„Der ukrainische Präsident Pjotr Poroschenko hat an die Vereinten Nationen und die Europäische Union appelliert, eine Friedensmission in die Ukraine zu entsenden.
Ein entsprechender Appell wurde bereits am 18. Februar vom Kiewer Sicherheits- und Verteidigungsrat verfasst. Am Montag setzte ihn Poroschenko per Erlass in Kraft. Am Dienstag will der ukrainische Präsident der Rada (Parlament) ein Gesetz vorlegen, das einen internationalen Friedenseinsatz im Donezbecken erlaubt.
Poroschenko hatte sich nach dem neuen Waffenstillstandsabkommen von Minsk für einen internationalen Friedenseinsatz im Donezbecken stark gemacht. Dabei drängte er auf eine EU-Polizeimission mit UN-Mandat unter Ausschluss Russlands. Die Milizen der abtrünnigen Regionen Donezk und Lugansk, die seit April 2014 der ukrainischen Regierungsarmee widerstehen, halten eine Friedensmission nur unter Beteiligung Russlands für möglich. Der russische UN-Botschafter Witali Tschurkin äußerte, dass Kiew mit seinem Verlangen nach Friedenssoldaten die Minsker Abkommen in Frage stelle. …“ (Sputnik, 2.3.15)
Krim
• Schwierige ÜbergangszeitenFür die österreichische Tageszeitung Die Presse berichtet Jutta Sommerbauer aus Simferopol auf der Krim: „Ein Jahr nach der Annexion durch Russland gleicht die Halbinsel einem halbfertigen Projekt. Schlangestehen gehört zum Alltag, Sanktionen erschweren das Leben. Doch die Hoffnung will die Mehrheit der Bürger nicht so schnell aufgeben. …
Am 16. März ist es ein Jahr her, dass die Krim-Bewohner in einem international nicht anerkannten Referendum für den Anschluss an Russland stimmten, eine so eindeutige wie umstrittene Wahl des Volkes, die eine Machtübernahme absegnete, die zuvor mit Hilfe einer Truppe namens „Selbstverteidigung der Krim“, russischen Soldaten und prorussischen Kräften im Regionalparlament vorbereitet worden war. In jenen Tagen hatten die Männer der Selbstverteidigung mit Schildern Lenin geschützt. In Simferopol lag Angst in der Luft, man sprach von faschistischen Schlägertrupps aus Kiew, die freilich nie gesichtet wurden, und bald schon löste sich die vermeintliche Bedrohung in prorussischen Jubel auf. Heute benötigt Lenin keine Bewacher mehr, ihm droht kein Demontage, er ist wie die Krim zu Mutter Russland heimgeholt worden. Ein Arbeiter schmiert mit einem Spachtel Beton an den Sockel. Ein Ukrainer aus Cherson, der hier besser verdient als zu Hause. Wer außer Lenin sollte hier sonst stehen, fragt er und lacht. „Hitler etwa?“ …
Die meisten der auf der Krim verbliebenen Bürger stehen freilich hinter ihrem Votum. An der Tatsache, dass auch ein legitimes, international überwachtes Referendum ein Ja zu Russland gebracht hätte, zweifeln nicht einmal die Kritiker. Verstörend bleibt der Gestus, mit dem die Wahl des Volkes vorgetragen wird. Gegenüber Unbekannten, gar Journalisten, erlaubt man sich keine Zwischentöne. „Wir sind ja sooo zufrieden“, erklärt eine 70-Jährige mit zerfurchtem Gesicht, die zur Aufbesserung ihrer Pension Taschen in einer Unterführung verkauft, die nach Leder aussehen und aus Plastik sind, auch im russischen Frühling, zweite Saison. Aber hatten die Bewohner denn tatsächlich eine Wahl? Der Kreml hat den 2,3 Millionen Bürgern ein Geschenk beschert, und als Beschenkter kann man sich schlecht beschweren. …“ (Die Presse online, 28.2.15)
Lage in der Ostukraine
• Aufständische räumen Minen in Debalzewo„Gut eineinhalb Wochen ist es her, dass die prorussischen Separatisten die ostukrainische Stadt Debalzewe erobert haben, und noch immer sind regelmäßig Explosionen in dem Eisenbahnknotenpunkt zu hören. Doch es sind nicht Artilleriefeuer und Schüsse von Kämpfern, sondern Minenräumer, die von den ukrainischen Soldaten zurückgelassene Sprengkörper zur Detonation bringen.
Drei Teams von Kosaken wurden von den Separatisten gerufen, um die nach wochenlangen Gefechten zerstörte Stadt nach Minen zu durchkämmen. Denis Saizew ist der Chef der Kosaken. Der Mann mit der schwarzen Fellmütze zeigt auf die Eingangstür eines kleinen Hauses, in dem die ukrainischen Truppen Nahrungsmittel gelagert hatten. 20 Zentimeter über dem Boden ist ein weißer Faden gespannt, der an den Stift einer Granate gebunden ist. "Die Ukrainer haben uns viele solche kleine Überraschungen hinterlassen", sagt Minenräumer Sergej Tscherpachin mit einem Lächeln. …
"Jeden Tag entschärfen wir etwa 20 Mörsergranaten, Minen oder Sprengfallen", berichtet Saizew. Selbst in Wohngegenden würden die gefährlichen Objekte gefunden. Auch Tamara Sliwinskaja, die auf dem Leninplatz auf Lebensmittel vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) wartet, kennt die Gefahr. "Wir haben hier kein Leitungswasser", sagt die 61-Jährige. "Wir würden gerne welches am Brunnen holen, aber wir haben zu viel Angst vor den Minen." …“ (Wiener Zeitung online, 2.3.15)
• Hoffnung auf dauerhafte Waffenruhe
„Im Kriegsgebiet Ostukraine wächst trotz einzelner tödlicher Zwischenfälle die Hoffnung auf eine dauerhafte Waffenruhe und den Abzug schwerer Geschütze hinter die Front. Die prorussischen Separatisten zogen nach eigenen Angaben ihre Artillerie zurück - sie hätten dann einen zentralen Punkt des Minsker Abkommens vom 12. Februar erfüllt. Die Vereinbarung sah vor, dass bis zum 2. März der Abzug schwerer Waffen aus der Kampfregion abgeschlossen sein sollte. …“ (Neues Deutschland, 2.3.15, S.7)
• OSZE sieht Zeichen der Entspannung
„Die Ukraine-Sonderbeauftragte der OSZE hat sich zuversichtlich über eine Stabilisierung der Lage in der Ostukraine geäußert. "Der deutliche Rückgang der Kampfhandlungen in den vergangenen Tagen, der Austausch von Gefangenen und der Abzug schwerer Waffen sind ermutigende Anzeichen", sagte Heidi Tagliavini zum Auftakt der Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrats in New York.
Die derzeitige Deeskalation werde "hoffentlich einen unumkehrbaren Prozess einleiten". Von einer vollständigen Umsetzung des Minsker Friedensplans seien die Konfliktparteien aber noch "weit entfernt", betonte die Schweizer Diplomatin. …
"Wir stehen an einem entscheidenden Wendepunkt und es besteht das Risiko einer erneuten Eskalation", warnte die Gesandte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Es drohe eine "Negativspirale", falls sich die Ukraine und die prorussischen Rebellen nicht an das Abkommen halten sollten. …“ (Spiegel online, 27.2.15)
• Waffenabzug begonnen
"Nachdem die Separatisten bereits nach eigenen Angaben mit dem Rückzug schwerer Waffen gemäß Minsk 2 begonnen hatten, wenn auch 10 Tage später als vereinbart, hat das ukrainische Militär jetzt ebenfalls nach eigenen Angaben schwere Waffen wie Panzer und Artillerie 25 km von den im Abkommen festgelegten Grenzen abgezogen. Zunächst hatte man damit gezögert, weil erst zwei Tage lang völlige Waffenruhe herrschen sollte. Beide Seiten werfen sich weiterhin Angriffe vor, auch die OSZE-Beobachter sprechen von gelegentlichen Abschüssen. Noch ist vieles in der Schwebe, aber es ist ein Anfang.
Unklar ist schon einmal, welche Grenzen gemeint sind. Nach dem Abkommen sollen die ukrainischen schweren Waffen je nach Kaliber von der aktuellen Frontlinie mindestens 50 km bis zu 140 km abgezogen werden, während die der Separatisten in eine ebenso große Entfernung von der Frontlinie, wie sie beim ersten Minsker Abkommen im September 2014 bestanden hatte. Zudem wird weiter gepokert, weil das Misstrauen auf beiden Seiten hoch ist und es auf beiden Seiten Lager gibt, die das Minsker Abkommen ablehnen und weiter auf Eskalation setzen. Man rückt also erstmal nur 25 km zurück und nutzt wahrscheinlich die Zeit, um sich neu zu gruppieren und kampfbereit zu machen, falls der Waffenstillstand gebrochen werden sollte.
Die OSZE wird allerdings bei der vorgesehenen Aufgabe, die Umsetzung des Minsker Abkommens zu beobachten, von beiden Seiten ausgebootet, die ein bisschen wie kleine Kinder Pingpong spielen. Alexander Sachartschenko von der "Volksrepublik" Donezk machte gestern Abend klar, dass man keine Einzelheiten darüber preisgeben wolle, wohin genau die schweren Waffen zurückgezogen wurden. Das wird auch von den ukrainischen Streitkräften nicht mitgeteilt, weswegen die "Volksrepublik" es auch ablehnt. Zudem müsste offengelegt werden, ob auch wirkliche alle schweren Waffen schließlich so weit abgezogen worden sind, dass sie nicht mehr in das gegnerische Gebiet feuern können. …" (Telepolis, 27.2.15)
OSZE
• Schwierige Bedingungen für OSZE-Beobachter„Die nächsten Tage, sagt Alexander Hug, seien "entscheidend für die Minsker Vereinbarung" - jenes Abkommen, das den Konflikt in der Ostukraine deeskalieren soll. Hug ist Vize-Chef der OSZE-Mission im Land, er und seine Leute müssen kontrollieren, ob sich Armee und Separatisten an die Zusagen halten. Ziehen sie schwere Waffen wirklich ab? Hält die Feuerpause?
Die OSZE-Beobachter fordern mehr Personal und bessere technische Aufrüstung für die Überwachung. "Wir brauchen sofort mehr Beobachter, genaue Satelliten- und Drohnenbilder und fachkundiges Personal, das diese auswerten kann", sagte Hug SPIEGEL ONLINE.
Die Zeit drängt. "Zum ersten Mal seit Minsk sehen wir Bewegungen", sagt der 42-Jährige, "wenn wir diese Schritte nicht verifizieren können, vergeben wir eine große Chance". …
Die Aufgabe ist immens. Hug beschreibt, am Samstag seien zwar 30 Patrouillen der OSZE mit jeweils zwei Jeeps und vier Beobachtern im Krisengebiet unterwegs gewesen. Bis heute aber werden sie an Checkpoints von ukrainischen Truppen und Separatisten aufgehalten. Jeden Tag koste das viel Zeit. "Die beiden Parteien haben wenig Vertrauen zu uns und null Vertrauen zur anderen Seite", sagt Hug. In einige Gebiete, beispielsweise die umkämpften Dörfer bei Mariupol im Süden, sei man bisher nicht gelassen worden. …“ (Spiegel online, 2.3.15)
Poroschenko
• Berlin ist ernüchtert von „Hoffnungsträger“ Petro Poroschenko"Er galt als Hoffnungsträger für die Ukraine: Petro Poroschenko. Die Bundesregierung setzte große Erwartungen in den 49-jährigen ehemaligen Schokoladenfabrikanten, der im Mai 2014 Präsident der Ukraine wurde. Doch nun herrscht Ernüchterung.
Staatsmännisch, weitsichtig, ein Mann mit Augenmaß und ein Putin-Kenner. Als er im Mai 2014 Präsident der Ukraine wurde, setzte Deutschland große Hoffnungen in ihn. Petro Poroschenko versprach, sich von den Separatisten und ihren Unterstützern in Russland nicht provozieren zu lassen. Statt mit der Kalaschnikow wollte er den Streit in Verhandlungen lösen.
Auch die Bundesregierung glaubt, dass dieser Konflikt militärisch nicht beigelegt werden kann, sondern nur politisch.
Jetzt, zehn Monate später, herrscht große Ernüchterung in Berlin. Hinter vorgehaltener Hand heißt es in der Bundesregierung, während der Verhandlungen in Minsk habe Poroschenko seine Verbündeten im Westen im Unklaren gelassen über die geringe militärische Stärke der Ukraine. In der Folge kam es dann zum Zusammenbruch der ukrainischen Streitkräfte im Kessel von Debalzewe….
Vielleicht war Poroschenko selbst tatsächlich nur unzureichend informiert - aber auch das gibt in schwierigen internationalen Verhandlungen kein gutes Bild ab. Auf jeden Fall steht Poroschenko unter Druck: Sein Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk ist seit jeher für eine härtere Gangart gegenüber den Separatisten. …
Hat sich also Poroschenko in Debalzewe auf ein militärisches Abenteuer eingelassen, obwohl von Anfang an klar war, dass die ukrainische Armee den von Russland unterstützten Separatisten weder in Kampfmoral noch in der Ausrüstung Paroli bieten konnte?
Das Ergebnis jedenfalls ist ein Fiasko. Seine Truppen sind demoralisert, die Soldaten wütend und enttäuscht. Elendig und gedemütigt zogen sie unter Artillerie-Beschuss der Separatisten aus Debalzewe ab - der Stadt, die Kiew zuvor als Symbol für Kraft und Widerstandswillen der Ukraine ausgab.
Völlig unnötig verloren viele ihr Leben - auch unter der Zivilbevölkerung. …“ (ARD tagesschau.de, 28.2.15)
Staatsstreich 2014
• „Der Putsch, der keiner sein darf“ – nicht nur bei der FAZ„Immer wieder heißt es, dass der Machtwechsel in Kiew vor einem Jahr keinesfalls ein Staatsstreich gewesen sei. Doch die Argumente dafür stehen auf wackligen Füßen
Konrad Schuller, renommierter Ukraine-Korrespondent der FAZ, hat letzte Woche in einem längeren Artikel nun erneut versucht zu belegen, dass Präsident Janukowitsch nicht Opfer eines Putsches geworden sei. So schreibt er: „Janukowitsch ist nicht gewaltsam aus dem Amt getrieben worden. Er ist von sich aus geflohen (…). Warum er das tat, ist unklar.“
Dabei hatte die FAZ selbst in einer zwei Woche zuvor veröffentlichten Analyse (übrigens des gleichen Autors) noch die mutmaßlichen Motive des Präsidenten herausgearbeitet, von denen man nun angeblich nichts mehr weiß. So schilderte die Zeitung, wie Janukowitsch am Freitag, dem 21. Februar 2014, einen Tag nach dem großen Massaker, davon erfuhr, dass das Ergebnis seiner Verhandlungen mit den europäischen Außenministern und den Maidanvertretern von den Demonstranten auf der Straße nicht gebilligt wurde: „Als er sah, wie der Majdan die Männer, die eben noch mit ihm ein Abkommen unterzeichnet hatten, in der Luft zerriss, muss er verstanden haben, dass seine Zeit um war. Einer, der damals bei ihm war, berichtet, der Präsident sei überzeugt gewesen, die Opposition werde binnen weniger Stunden kommen "und ihn umbringen". …
Zum Hintergrund dieser Überlegung hieß es im gleichen Artikel der FAZ, dass an jenem Freitag "ein unbekannter Hundertschaftsführer von der 'Selbstverteidigung' des Majdan, Wolodymyr Parasjuk, die Bühne eroberte und unter tosendem Jubel zum Sturm auf die Präsidentenkanzlei rief. Wenn Janukowitsch bis zum Morgen nicht zurücktrete, werde man losziehen und ihn holen."
Wie nun kann man aber vor diesem Hintergrund ernsthaft behaupten, es sei "unklar", weshalb der Präsident geflohen sei? …
Doch diese Sichtweise erscheint geradezu naiv, wenn nicht zynisch, vor dem Hintergrund, dass das Parlament zum Zeitpunkt der strittigen Entscheidungen durch bewaffnete Kräfte kontrolliert wurde. Das Gebäude war quasi umstellt von den Militanten, die aktiv entschieden, welcher Abgeordnete hineingelassen wurde - und wer draußen verprügelt wurde, wie etwa der Parlamentarier Vitali Gruschewski, dessen Ankunft beim Parlamentsgebäude am 22. Februar, dem Tag der Entscheidung zu Janukowitschs Amtsenthebung, in diesem Bild festgehalten ist.
So war die reale Situation vor dem Parlament, von dem die FAZ heute schreibt, es sei damals "die vielleicht letzte funktionierende Institution des Staates" gewesen. …
Interessant bleibt dabei eben die beispielhaft widersprüchliche Berichterstattung der FAZ zum Thema, die sich mehrfach selbst konterkarierte. Erinnert sei an einen Beitrag der Zeitung vom Sonntag nach dem Machtwechsel, einen Tag bevor die EU die neuen Machthaber anerkannt hatte: „Weitergehende Schritte sind vorerst nicht möglich, denn die Absetzung Janukowitschs erfolgte – obwohl viele von dessen Leuten im Parlament das Lager wechselten – nicht mit der erforderlichen Dreiviertelmehrheit, welche die neue, alte Verfassung vorsieht. Solange Janukowitsch nicht von selbst abtritt, kann der Westen die neue Lage in Kiew also nicht anerkennen, auch wenn sich die Revolutionäre darauf berufen, die Absetzung sei legal, da der Präsident abgetaucht sei.“
Wie gesagt, dieses Statement hatte eine Halbwertszeit von circa einem Tag. Bemerkenswert ist aber auch, welcher Satz sich im FAZ-Artikel daran anschließt: „Völkerrechtliche Anerkennungsfragen haben indes keine Priorität, eine Rückkehr von Janukowitsch wird ausgeschlossen – damit erledigt sich das Problem mit der Zeit von allein.“ …“ (Telepolis, 1.3.15)
UNO
• UNO meldet mehr als 6.000 Kriegstote„Im Krieg in der Ostukraine sind der Uno zufolge bisher mehr als 6000 Soldaten und Zivilisten ums Leben gekommen. Gerade die Kämpfe unmittelbar vor Inkrafttreten der jüngsten Waffenruhe hätten Hunderte Tote gefordert, sagte Uno-Menschenrechtskommissar Zeid Ra'ad Al Hussein (http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=15627&LangID=E). Der aktuelle Bericht zur Menschenrechtslage in der Ostukraine zeige "ein Bild gnadenloser Zerstörung des Lebens von Zivilisten und der Infrastruktur."
Vor allem Frauen, Kinder, Ältere und Schwache litten unter den unhaltbaren Zuständen, sagte der Diplomat weiter. Alle Verletzungen der Menschenrechte müssten gründlich untersucht und die Täter angeklagt werden, forderte er vor Beginn der Frühjahrssitzung des Uno-Menschenrechtsrats. …“ (Spiegel online, 2.3.15)
USA
• Will die US-Regierung Putin stützen statt stürzen?„…US-Außenminister Kerry droht derweil schon einmal mit einer weiteren Verschärfung der Sanktionen – "we are poised yet to do another round" -, natürlich ohne zu erklären, wann diese zurückgenommen werden. Keine zielführende Methode, um zu einer Einigung zu gelangen. Breedlove warnt nun vor Kürzungen der Verteidigungsausgaben der USA. Die Truppenpräsenz der USA in Europa sei weiterhin "entscheidend", da dürfe man nicht sparen. Was auch heißt, dass man den Europäern militärisch nicht vertrauen kann: „There is simply no substitute for our forward force presence in Europe. It is the bedrock of our ability to assure our allies, to deter real and potential adversaries and to act in a timely way should deterrence fail.”
Das zeigt, es geht nicht um die Ukraine, sondern um Geopolitik der Supermacht, die die Nato als ihr Instrument benutzt. Dabei gibt es eben auch verschiedene Fraktionen der US-Politik. So hält sich Breedlove zurück, Waffenlieferungen an die Ukraine direkt zu fordern. In dieser Frage geht ein Riss durch das Weiße Haus.
Die Eskalationsstrategie, die von Teilen der US-Regierung gegenüber Russland forciert wird, produziert jedenfalls das erwartbare Ergebnis. Die russischen Menschen werden nationalistischer und unterstützten vermehrt die Gegenreaktion. Die Gockel-Dynamik des Wettrüstens funktioniert immer, da auf beiden Seiten dahinter Interessen profitieren, die auch die Massen mobilisieren können, wenn es gegen einen Feind geht. Putin jedenfalls geht trotz der Sanktionen und der abstürzenden russischen Wirtschaft gestärkt aus der Konfrontation mit den USA und den östlichen EU-Ländern hervor. 86 Prozent der Russen stellen sich hinter Putin, so eine Umfrage des Levada-Zentrums zwischen dem 20. und 23. Februar. 2013 hatte Putin erst 65 Prozent hinter sich. 54 Prozent glauben, dass Russland richtig handelt.“ (Telepolis, 27.2.15)
Wirtschaft
• Wirtschaftskrise trifft die Bevölkerung„Hamsterkäufe, Protestmärsche, selbst Brot wird teurer: Jetzt schlägt die Wirtschaftskrise in der Ukraine voll durch. Die Bevölkerung reagiert auch mit Galgenhumor.
… Mit Galgenhumor gegen die Krise ankämpfen, das versucht eine ukrainische Facebook-Gruppe. Am 21. März soll das landesweite «Festival der Panik und Hysterie» steigen. Mehr als 30'000 Gäste haben sich bereits angemeldet – zumindest virtuell.…
Die Griwna hatte in den letzten zwölf Monaten die schlechteste Performance aller Währungen der Welt. Stabil bei etwa 1:8 lag ihr Kurs im Vergleich zum Dollar vor Ausbruch der Maidan-Proteste während mehrerer Jahre. Inzwischen ist er bei 1:34 angelangt. Offiziell, auf dem Schwarzmarkt wird mit 1:40 und schlechter gehandelt. Vor dem Sitz der Nationalbank wird demonstriert. Premierminister Jazenjuk schimpft auf die Chefbankerin und die «Spekulanten».
Auf Facebook mögen sie spotten, doch ein grosser Teil der Bevölkerung ist durch die Krise in seiner Existenz bedroht. Täglich erreichen sie neue Horrormeldungen. Es sind keineswegs nur die Importprodukte, die immer teurer werden. Letzte Woche hat die Kiewer Grossbäckerei bekannt gegeben, dass die Preise ihrer Brotsorten im Schnitt um 10 bis 12 Prozent steigen. Es ginge nicht anders, so die Kommunikationsabteilung des Unternehmens. Allein im letzten Jahr hätten sich die Preise für Mehl, Butter und Zucker massiv erhöht.
Neben den Preisen für Lebensmittel steigen auch die Preise öffentlicher Leistungen. Am Donnerstag wurde bekannt gegeben, dass die Strompreise ab 1. April um 20 Prozent steigen. Schrittweise sollen sie bis 2017 gar um das Dreieinhalbfache zulegen. Veränderungen im gleichen Rahmen wurden letzte Woche auch für den Gaspreis und die Heizkosten angekündigt. Eine Fahrt mit der Kiewer Metro kostet seit Anfang Jahr das Doppelte. Finanziellen Spielraum, diese Entwicklung auszugleichen, haben die meisten Haushalte nicht. Für Rentner und Menschen mit mittleren und tiefen Einkommen machen die Wohnnebenkosten bereits heute einen Grossteil des Budgets aus.
40 Prozent der Ukrainer geben in Umfragen an, sie fühlten sich arm. Diese Woche informierte einer der grössten TV-Sender des Landes die Bevölkerung, dass der Wert des ukrainischen Mindestlohnes in Dollar inzwischen unter das Niveau von Armutsstaaten in Asien und Afrika gefallen sei. …“ (Tages-Anzeiger online, 26.2.15)
→ Nachrichtenmosaik Ukraine extra 2
→ hier geht's zu Folge 159
→ alternative Presseschau aus ukrainischen, ostukrainischen und russischen Quellen
→ die täglichen Berichte der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine
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