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Freitag, 9. Januar 2015

Sind die wahren Schuldigen für die MH17-Katastrophe gefunden?

Ein aufwendiger multimedialer Beitrag auf Spiegel online vermittelt den Eindruck herausgefunden zu haben, wer warum am 17.7.14 über der Ostukraine das malaysische Passagierflugzeug mit der Kennung MH17 abgeschossen hat. Dazu habe ein gemeinsames Team von Spiegel, dem Recherche-Team "Correctiv" und der niederländischen Zeitung Algemeen Dagblad sich auf die Suche nach der Wahrheit gemacht. Mit Hilfe von Recherchen vor Ort, im Internet sowie gestützt auf echte und vermeintliche Erkenntnisse anderer wie dem Blogger Eliot Higgins alias Brown Moses und dessen Website Bellingcat kommen die Beitragsmacher um Marcus Bensmann und Cordt Schnippen zu ihrem Ergebnis. Das lautet kurz zusammengefasst: Es können nur russische Soldaten mit einer russischen Flugzeugabwehr-Rakete (Fla-Rakete) vom Typ Buk gewesen sein.
Das wird unter anderem damit belegt, dass das viel diskutierte Video einer vermeintlichen russischen Buk-Abschussrampe nicht wie von ukrainischer Seite in der Nähe zur Grenze zu Russland, aber auch nicht wie von russischer Seite behauptet im von Kiewer Truppen kontrollierten Krasnoarmeisk aufgenommen wurde. Es sei stattdessen in Lugansk aufgenommen worden, so Bensmann, der sagt, das an der Lugansker Kreuzung selbst das Autowerbe-Plakat noch zu sehen gewesen sei, als er vor Ort war. Außerdem werden vermeintliche Bellingcat-Erkenntnisse angeführt, nach denen die Buk-Rampe nur aus einer russischen Einheit stammen kann, die sich in der Zeit vor dem MH17-Abschuss in der Nähe der russisch-ukrainischen Grenze bewegte.
Quelle: http://aco.nato.int/statement-on-russian-main-battle-tanks.aspx
Als ein weiterer Beleg wird angeführt, dass angeblich russische Panzer in dem ukrainischen Ort Snizhne gesehen und fotografiert wurden. Dazu wird eines der angeblichen Beweisfotos gezeigt, wie es auch von der NATO online präsentiert wurde, mit der NATO-Bildunterzeile.
Ich hatte in Folge 4 des Nachrichtenmosaiks am 13.6.14 mit Bildquellen darauf hingewiesen, dass es sich bei den Panzern durchaus um ukrainische handeln kann, eventuell in den Händen von Aufständischen.
Die von den Beitragsmachern zum Bild gestellte Meldung, dass Kiew am 17. Juli den Abschuss dreier russischer Panzer gemeldet habe, ist von mir online nicht gefunden worden. Dagegen hatte die Nachrichtenagentur Interfax-Ukraine am 12.6.14 gemeldet, dass drei russische Panzer über die Grenze gekommen seien, einer in Snizhne gesichtet wurde, die anderen beiden in der Nähe und alle drei bekämpft und zerstört wurden. Aber wahrscheinlich haben die Investigativ-Journalisten von Spiegel & Co. noch ganz andere Informationsquellen als die mir nebenberuflich zur Verfügung stehenden.
Diese Panzersichtung zusammen mit Aufnahmen einer Buk-Abschussrampe in eben dem Ort Snizhne führt sie zu dem Schluss, dass es nur eine russische Fla-Raketen-Anlage mit russischer Besatzung gewesen sein kann. Denn: "Wo russische Panzer sind, sind auch Buks nicht weit", erklärt Bensmann in dem Beitrag, da Buk-Fla-Raketen oft Bodentruppen vor Kampffliegern schützen. Eine eine ukrainische Buk oder ein ukrainischer Kampfjet werden entgegen russischer Behauptungen als mumaßliche Tatwaffen ausgeschlossen werden. Bensmann erklärt, dass ukrainische Soldaten die im als echt anerkannten Video zu sehende Abschusrampe auf einem Tieflader mit fehlender Rakete am 17.7.14 nach dem MH17-Abschuss in aufständischem Gebiet nicht bedient haben können, aber auch die Aufständischen wegen fehlender Spezialkenntnisse dazu nicht in der Lage gewesen seien. Er bricht an der Stelle ab und es folgt das letzte Bild mit dem Text: "Der Abschuss durch eine Boden-Luft-Rakete sei die wahrscheinlichste Annahme, sagt der Leiter des internationalen Ermittlungsteams." So bleibt die Schlussfolgerung des Beitrages in diesem zumindest unausgesprochen: Es waren die Russen.

Eine Bemerkung noch zu dem als Beweis angeführten Video: Ich hatte bereits in einem Beitrag der Neuen Zürcher Zeitung vom 17.11.14 davon gelesen, dass es laut Bellingcat in Lugansk entstanden sein soll, "einer Stadt in Händen der Separatisten auf dem Weg zur russischen Grenze". Einen Tag später las ich dann in der jungen Welt vom 18.11.14 Folgendes: "... das mit regionaler Kohle gespeiste Kraftwerk von Lugansk musste die Belieferung der Stadt mit Strom einstellen, weil die Transportbänder im Sommer durch Beschuss zerstört wurden. Außerdem steht das Kraftwerk unter Kontrolle der Regierungstruppen, die Verbraucher aber leben in der »Volksrepublik Lugansk«." Das ließ mich stutzig werden, ob die Stadt tatsächlich vollständig unter Kontrolle der Aufständischen ist, wie meist behauptet. In einer Reportage, die die junge Welt am 20.12.14 veröffentlichte, heißt es u.a. über die komplexe Lage in Lugansk: "Im Inneren der kleinen Republik schwelt der Krieg. Wenige Meter vom Stadtzentrum entfernt gibt es mehrere Fronten, und mehrere Bataillone der gefürchteten Nationalgarde (irreguläre Truppen aus Neonazis) halten sich in verschiedenen Winkeln des Gebiets auf. Wie Veteran Sergeij von der sowjetischen Offiziersschule, der seine Ausbildung in Leningrad absolvierte, sagt, »gibt es im Rebellengebiet keine klaren Frontlinien, wie es sich die meisten Leute vorstellen. Vielmehr gibt es darüber hinaus noch wichtige ukrainische Gruppen, die innerhalb des befreiten Gebiets aktiv sind. ...« ..." Es scheint also alles andere als eindeutig, wer das Gebiet kontrollierte, durch das der Truck mit der Abschussrampe in dem Video fährt. Und dann ist da noch das, was von RIA Novosti am 13.11.14, aber auch von ukrainischen Medien gemeldet wurde: "Kiew hat sich zum “Partisanenkrieg” auf dem Territorium der selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk im Osten der Ukraine bekannt. „Unsere Einheiten führen Kampfoperationen im Hinterland des Feindes erfolgreich durch“, teilte Sorjan Schkirjak, Berater des ukrainischen Innenministers, am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Kiew mit." Aber das führt vielleicht alles zu weit und weit weg.

Mir fehlen Zeit und Mittel, mich ausführlicher damit zu beschäftigen. Das Wenige, was mir zur Verfügung steht, lässt mich aber weiter auch an den Erkenntnissen und Vermutungen dieses multimedial beeindruckenden Beitrages zweifeln. Ich habe hier aufgeschrieben, was mir beim Betrachten und Lesen des Beitrages auffiel. Etwas habe ich mich dabei gefragt: Wenn das alles so stimmt, warum legen westliche Geheimdienste, die bzw. deren Regierungen ebenfalls behaupten, dass Russland die Verantwortung für den MH17-Abschuss trägt, nicht die entsprechenden handfesten und unzweifelhaften Beweise auf den Tisch. Unterbleibt das etwa, weil Russland zwar beschuldigt wird, aber diese Schuld nicht bewiesen werden soll, um Russland nicht völlig offen anzugreifen und zu verprellen u.a. als "Partner im Antiterror-Kampf"? Ich gestehe, dass ich diese theoretische Begründung, diesen Gedankengang eher für absurd halte.

Noch eine Bemerkung zu dem Beitrag bei Spiegel online: Zweifelhaft erscheint mir auch der recht lax von Marcus Bensmann geäußerte Satz: "Wo russische Panzer sind, sind auch Buks nicht weit." Dabei werden nicht nur unbelegt die Behauptungen aus Kiew und von der NATO, dass es sich um russische Panzer handele, übernommen. Dazu sei als Ergänzung zu meinen Hinweisen aus einem Beitrag von Telepolis zitiert: „Das war auch schon von Nato etwa am 12. Juni mit Bildern von drei Panzern behauptet worden, die zusammen mit weiteren gepanzerten Fahrzeugen die Grenze in die Ukraine überquert hätten. Nick de Larrinaga von Jane's Defence Weekly ist sich da nicht so sicher, wie er auf Twitter erklärte: "The imagery released by @NATO of #russian tanks being shipped to #ukraine is compelling, but not conclusive. Still, I tend to believe it."
Ein Panzer, der auf einem Video der ukrainischen Propagandaseite Inforesist.org zu sehen war, sei kein russischer T-72, sondern ein ukrainischer T 64B, schrieb er. ..." (Telepolis, 20.6.14)
Es wird auch unbelegt behauptet, dass russische Panzer zu ihrem Schutz immer von Buk-Flugzeugabwehr (Fla)-Komplexen begleitet werden. Dem widerspricht schon, dass auch kleinere Fla-Systeme ausreichen, um Bodentruppen vor Flugzeugangriffen zu schützen, was u.a. die zahlreichen Abschüsse ukrainischer Militärmaschinen vor und nach dem MH17-Abschuss zeigen. Dem widerspricht auch, was z.B. aus dem sogenannten Georgien-Krieg bekannt ist: „Die russ. Streitkräfte wurden auf dem Marsch und während der Gefechtshandlungen durch das Heers Fla System OSA ( Wespe ) SA 8 geschützt. 3 Abschüsse feindlicher georgischer Jets vom Typ SU 25 gehen möglicherweise auf den SA 8 zurück. Die Systeme SA 8 waren in verschiedenen TV Beiträgen zum Krieg Georgien und Russland auf der russ. Seite beim Marsch mit Panzern und Schützenpanzern zu sehen.“ (Quelle) Bei den SA 8 handelt es sich nicht um die SA 11 (Buk). Buk-Fla-Systeme werden wahrscheinlich eher nicht zum Schutz von kleinen beweglichen Einheiten eingesetzt und auch nicht, wenn nicht der Einsatz von Bombern oder Marschflugkörpern droht, was in der Ukraine nicht der Fall war bisher.

Nachtrag: Zu den Unklarheiten gehört auch angesichts der Tatsache, dass Spiegel & Co. anscheinend ungeprüft Informationen aus Kiew und von der NATO übernahmen, Folgendes:
Kiew behauptete u.a., die ukrainische Armee habe seit Beginn des "Anti-Terror-Operation" genannten Krieges in der Ostukraine auch kein "Buk"-Fla-System im Einsatz gehabt (siehe u.a. New Straits Times, 6.8.14).
Dem dürfte u.a. ein Bild
Screenshot Der Standard online, 20.7.14
von einer ukrainischen Buk-Abschussrampe widersprechen dass dieösterreichische Zeitung Der Standard am 20.7.14 veröffentlichte, versehen mit der Bildunterschrift: "Buk-Abschussanlage der ukrainischen Armee in der Nähe von Slawjansk, 4. Juli 2014"

Interessant sind auch eine Reihe von Kommentaren zum gleichlautenden Text auf freitag.de.

Gunnar Jeschke hat am 11.1.15 auf freitag.de einen lesenswerten und interessanten eigenen Beitrag "CORRECT!V korrigiert" zur Diskussion beigesteuert, in dem er sich mit den vermeintlichen Indizien von Spiegel & Co. auseinandersetzt und diesen zum Teil deutlich widerspricht.

aktualisiert: 11.1.15; 20:56 Uhr

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