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Sonntag, 19. August 2012

Nachtrag zu einem PR-Theater

Das "Pussy Riot"-Theater in Russland lässt sich passenderweise "PR-Theater" abkürzen. Ich gebe an dieser Stelle einen Disput, den ich am 18. August 2012 mit Ulrich Heyden, der den Band-Anwalt Mark Fejgin interviewt hatte, auf freitag.de geführt habe:

UH: Die Realität in Russland sieht heute so aus: Im Organisationskomitee der Moskauer Protestbewegung, die Demonstrationen mit bis zu 100.000 Teilnehmern organisierte, sitzen Rechtsliberale von Solidarnost, Kommunisten von der Sjuganow-KP, Leute, die in ihrer Jugend Stalinisten war, wie Sergej Udalzow und Sozialisten wie Ilja Ponomarjow friedlich vereint. Dass diese Protestbewegung von Außen gesteuert wird, hört man von den staatlichen Fernsehkanäle. Belegt wird die angebliche Außensteuerung mit Bildern, wo Oppositionelle zu einem Treffen in der US-Botschaft in Moskau gehen. Für mich ist das kein Beleg. Jeder andere Russen dürfte sich mit Amerikanern treffen. Niemand würde sich daran stören. Wenn es ein Oppositioneller tut, wird gleich Verrat geschrieen. Wenn in Russland im großen und Ganzen alles in Ordnung wäre, kämen wohl nur ein paar Tausend Leute zu Demonstrationen aber nicht Hunderttausend.

Ich: Herr Heyden,
ich habe nicht geschrieben, dass die US-Regierung mit ihren Organisationen die russische Opposition steuert. Ich habe auch nicht geschrieben, dass es keinen Anlass in Russland gibt, sich für bessere Verhältnisse einzusetzen.
Ich habe darauf hingewiesen, dass es Hinweise gibt, dass anscheinend u.a. die US-Regierung mit ihren Organisationen auch auf die Ereignisse in Russland Einfluss nimmt und das mindestens versucht. Die Hinweise habe ich tatsächlich nicht aus der russischen Botschaft. Ich habe dazu nicht mal RIA Novosti gelesen, eine für mich interresante Quelle sonst bei anderen Themen. Und ich habe darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Rummels um die "Pussy Riot" es solche Hinweise gibt. Und erzählen Sie mir bitte nicht, dass es solche Versuche überhaupt gar nicht gibt, dass das alles ganz frei und unabhängig von irgendwelchen westllichen Beratern und Unterstützern ist. Sollte das so sein, fände ich das gut. Aber die Geschichte zeigt wie schon erwähnt, dass die führenden westlichen Staaten doch nicht auf die verschiedensten Möglichkeiten verzichten, in anderen Ländern ihre Interessen ins Spiel zu bringen. Wäre ja auch verwunderlich, wenn sie das nicht täten, auch in Russland.
Und wenn die "Pussy Riot" Geschichte sind, wird uns das nächste ähnliche Medienspektakel geliefert. da bin ich mir sicher. Wer erinnert sich zum Beispiel noch an Gari Kasparows heldenmütigen Kampf zum Sturz Putins?

Ich: Herr Heyden,
noch ein Nachtrag: Sie selbst haben mir den Anlass gegeben, mal nachzuschauen, welche Verbindungen es bei Herrn Fejgin gibt, durch Ihre Anmerkungen zu ihm in den beiden Interviewfassungen. Dafür bin ich Ihnen dankbar. Ich wäre sonst gar nicht darauf gekommen.

UH: Ein Artikel darf schon mal ein paar Ecken haben. Glattgeschliffenes Material ist schon nach einer halben Stunde wieder vergessen. Aber ich verstehe einfach nicht, warum Sie sich so hinter Herrn P. stellen und ihm selbst die größte Dummheit verzeihen. Der Moskauer Publizist Boris Kagarlitzky fragt heute in seinem Blog bei Facebook, warum das Gericht die drei Frauen nach langer U-Haft nicht freiglassen hat, so wie auch die beiden Aktivisten, die wegen der Demonstration gegen den Autobahnbau im Chimki-Wald bei Moskau nach langer U-Haft freigelassen wurden. Mit dem Urteil gegen die Pussy-Frauen, werde die politische Situation in Russland ohne Not angeheizt, schreibt Boris, https://www.facebook.com/kagarlitsky, der kein Fan von Herrn P. ist. Ich finde, an diesem Gedanken ist was dran.

Ich: Natürlich ist nichts perfekt, auch Ihr Beitrag nicht. Aber was hat das mit den Hinweisen auf die Verbindungen zu US-Regimewechsler-Organisationen zu tun?
Und bitte sehr: ich habe nirgendwo geschrieben, dass ich mich vor oder hinter Putin stellen würde. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass er nicht der Dämon oder eben Diktator ist, als den uns die Mainstream-Medien ihn präsentieren, zu dem er gemacht wird von daran interessierten Kreisen. Das werde ich auch weiterhin tun, darauf hinweisen, dass er nicht besser oder schlechter ist als die westlichen Machthaber und Politikerdarsteller. Um nicht mehr und nicht weniger geht es mir. Und manches aus Russland erscheint mir auch klüger, weil realistischer.
Dass die Situation durch das "Pussy Riot"-Theater nicht verbessert wird, ist schon klar. Dass die juristische Reaktion nicht unbedingt der Entspannung dienlich ist, mag auch sein. Aber wer kann darüber wirklich richten, ohne vor Ort zu sein, ohne die Faktoren, die da wirken, wie u.a. die Rolle der russisch-orthodoxen Kirche und der Religion, richtig einschätzen zu können so von außen? Und wie gültig sind unsere westeuropäischen Maßstäbe bei der Analyse der russischen Situation? Und warum musste das ganze "Pussy Riot"-Theater überhaupt sein? Welcher Beitrag wird damit geleistet, eine Lösung der wirtschaftliichen und sozialen Probleme in Russland zu finden, die soziale und politische Lage zu verbessern? Um diese Interessen kümmern sich die westlichen Regimewechsler mit ihren Organisationen wie USAID, die nachgewiesenermaßen in Russland aktiv sind, garantiert nicht. Und das sind genau jene, die ein großes Interesse an einer verschärften Situation haben und die mit ihren Mitteln, wie begrenzt auch immer diese sein mögen, versuchen, die Lage zu verschärfen. Das haben sie schon so oft in der Vergangenheit getan.
Wessen Interessen dem Anwalt der durchgeknallten Mädchenband, Mark Fejgin, wichtig sind, bzw. für ihn entscheidend, zeigen Sie ja dankenswerter Weise auch in Ihrem Interviwe mit Fejgin für die Sächsische Zeitung: "Vor Kurzem haben Sie erklärt, Sie rechnen mit einer Revolution, die von der Elite ausgeht. Wie wird die aussehen? Die Oligarchen werden sich von Putin befreien. Ohne ihre Unterstützung hat Putin keine Macht. Ohne Putin wird das System demokratischer. Aber der letzte Schlüssel zur Macht, das Präsidentenamt, wird bleiben. Die Oligarchen könnten nicht in einem Land leben, in dem sich Koalitionen ständig ändern." Wunderbar. Die Demokratie kann kommen ...
Ja, und inzwischen wurde Gari Kasparow doch tatsächlich verhaftet. dass der Herr Putin diesem Schachspieler überhaupt noch Aufmerksamkeit widmet ...
Der Link zum Interview in der Sächsischen Zeitung fehlte.

Ich: Herr Heyden,
auch ein Kommentar hat Ecken ... Ich schrieb: "Aber wer kann darüber wirklich richten, ohne vor Ort zu sein, ohne die Faktoren, die da wirken, wie u.a. die Rolle der russisch-orthodoxen Kirche und der Religion, richtig einschätzen zu können so von außen?" Das ist im Zusammenhang mit Ihnen nicht ganz korrekt formuliert. Ich weiß natürlich, dass Sie vor Ort, in Moskau und Russland sind, meist und oft. Ob Sie die Faktoren in der russischen Gesellschaft und in der russischen Politik alle kennen und richtig einschätzen können, kann ich nicht beurteilen.

Ich: Herr Heyden,
die politischen und gesellschaftlichen Zustände, Zusammenhänge und Probleme Russland immer nur auf "Herrn P." und seine Rolle dabei zu reduzieren, wird der Realität nicht gerecht. Das ist aber ein beliebtes Prinzip westlicher Politik und Medien, komplexe Zusammenhänge so zu reduzieren. Das gilt auch für das "Pussy Riot"-Theater, übrigens passend abgekürzt "PR-Theater". Kann es vielleicht sein, dass die russische Justiz einfach von sich aus reagiert, ebenso die russischen zuständigen Behörden, auch bei der jetzigen Kasparow-Verhaftung, weil einfach gegen russische Gesetze verstoßen wird? Und dass der russische Präsident sich erst einschaltet, wenn es internationales Aufsehen dank westlicher Kameras darum gibt, und er sich sogar für mildere Urteile einsetzt, auch wenn wir "mild" anders definieren?
Wie gesagt, die Personalisierung ist ein beliebtes Mittel westlicher Politik und Medien im Umgang mit anderen Ländern. Als würde es reichen, den jeweiligen "Diktator" abzusetzen bzw. abzuschießen, als würde dann alles besser. Was dabei rauskommt sehen wir u.a. im Irak, in Libyen, ähnliches wird für Syrien vorbereitet. Auch der (noch unerklärte) Krieg gegen den Iran wird weitesgehend auf den iranischen Präsidenten und dessen Rolle reduziert. Usw. usf.
Und weil Sie diese Personalisierungsreduktion auch bei "Herrn P." mitmachen, zweifle ich Ihre Urteilsfähigkeit bezüglich dessen, was Sie vor Ort mitbekommen, etwas an und verweise als Alternative bezüglich der differenzierten Sicht u.a. auf die Texte von Kai Ehlers, der u.a. feststellte: "Putin hat leider recht …" Ohne dass ich Herrn Ehlers bedingungslos und immer zustimmen würde.



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