Überraschend ist es nicht, was da in Sachen Griechenland abgeht.
Dazu nur zwei Mosaiksteine:
Einer aus dem Jahr 2011: "... Faktum ist: Die Eurohüter bekommen die Spekulationswelle nicht und nicht in den Griff. Nach den Umschuldungs- und Euroaustritts-Meldungen rangiert in der Hitparade ein frisches Hilfspaket ganz oben. War am Montag noch von 25 Milliarden an neuen Krediten die Rede, erhöhte die US-Finanzagentur Dow Jones am Dienstag auf 60 Milliarden Euro, die Athen 2012 und 2013 benötige.
Für den Chefökonomen der Bank Austria, Stefan Bruckbauer, ist die Kaskade nicht überraschend. "Es gibt eine Realität, wonach es Griechenland nicht schaffen wird. Und es gibt eine Politik, die beschwichtigt und sagt: Athen wird es schaffen." Die Politik könne aber nicht verhindern, dass Experten die Haushaltslücke berechnen und die Ergebnisse kommunizieren. Deshalb würden die Irritationen "permanent weitergehen", meint Bruckbauer zum Standard. ...
Für eine Streckung der Hilfsmaßnahmen sprach sich der Chef des deutschen Sachverständigenrates, Wolfgang Franz, aus. Dagegen findet er "das Gerede über einen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone unverantwortlich", wie er bei einem Vortrag in Wien erklärte. Würde in Deutschland so stark konsolidiert wie in Griechenland, gebe es eine Revolution, befand der Ökonom." (Der Standard online, 10.5.11)
Der andere ist ganz aktuell: "Gesine Schwan spricht im Interview über die gescheiterten Verhandlungen zwischen Griechenland und den Gläubigern. Dabei stellt sich die Ex-Bundespräsidentschaftskandidatin klar auf die Seite von Tsipras, Varoufakis und Co..
Die ehemalige Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan hat sich in der Griechenland-Frage zuletzt sehr engagiert und für die Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras Partei ergriffen. Das tut sie auch jetzt.
Frau Schwan, vor drei Wochen war der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis in Berlin Ihr Gast. Konnten Sie sich das heutige Szenario damals vorstellen?
Ich habe es nicht so erwartet. Ich habe erwartet, dass es Kompromisse geben kann - zumal es auch in der Sache eine klare Annäherung gegeben hat. Aber Varoufakis hat immer gesagt, dass sie die Kürzungen im Sozialbereich, die dem Wachstum weiter geschadet hätten, nur akzeptieren können, wenn es die Perspektive einer Umschuldung gibt. Und diese Perspektive haben die Institutionen offenbar nicht gegeben. Sie wollten die griechische Regierung weiterhin eng an die Kandare legen.
Warum? Um Signale an andere Krisenländer wie Spanien oder Portugal zu senden, dass sich linke Politik nicht durchsetzt?
Das kann ein Motiv gewesen sein. Man ist ja Syriza von Anfang an mit kritischer Verve, um nicht zu sagen mit Aversion begegnet. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat von Anfang an die Absicht gehabt, Syriza an die Wand fahren zu lassen, damit es keine Ansteckungsgefahr in Spanien oder Portugal gibt. Aber ich glaube bei dem Misstrauen gegenüber der griechischen Regierung haben auch enorme kulturelle Unterschiede eine Rolle gespielt. Allein, wenn ich mir überlege, welche Ressentiments es ausgelöst hat, dass Varoufakis mit dem Motorrad zum Dienst fährt. Es gab tiefe Unterschiede des Stils. Doch im Kern wollten die Institutionen und auch die Sozialdemokraten in ihnen nicht zugestehen, dass die Austeritätspolitik der letzten Jahre gescheitert ist. Dass die griechische Regierung zum Schluss noch mal bei Rentnern und Kranken kürzen sollte, beweist, wie absolut unerbittlich sich die Institutionen gezeigt haben. ..." (Mitteldeutsche Zeitung online, 28.6.15)
Und noch ein Buchtipp aus dem Jahr 2014 dazu:
Sanjay Basu, David Stuckler: "Sparprogramme töten – Die Ökonomisierung der Gesundheit"
Darin wird auch das Beispiel Griechenland angeführt: "... Kollabiertes Gesundheitssystem in Griechenland
"Das Bruttoinlandsprodukt fiel 2010 um weitere 3,4 Prozent. Die Superreichen hatten ihre Schäfchen ins Trockene gebracht, auf Bankkonten in Steuerparadiesen. Die Leidtragenden waren die einfachen Leute. Die Arbeitslosenquote stieg von sieben Prozent im Mai 2008 auf 17 Prozent im Mai 2011. Die griechische Gesellschaft stand jetzt am Rande des Abgrunds."
Dann kam die große Kürzungsorgie. Ziel: Die Gesundheitsausgaben auf sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Zum Vergleich: In Deutschland liegen diese Ausgaben bei über zehn Prozent. Die Milliardenkürzungen hatten Folgen: Viele Menschen konnten sich private Behandlungen nicht mehr leisten; in den staatlichen Krankenhäusern schnellten die Patientenzahlen um ein Viertel nach oben. Fatal war, dass hier zur gleichen Zeit Tausende Stellen eingespart wurden. Das System kollabierte.
"Insgesamt haben in der Zeit der Rezession und des Sparens nach unseren Schätzungen mindestens 60.000 Griechen über 65 Jahre auf notwendige medizinische Maßnahmen verzichtet." Und die Autoren schlussfolgern: "Griechenland diente unwissentlich als Versuchslabor für die Frage, wie Sparprogramme sich auf die Gesundheit auswirken."
Weil die Staatsgewalt von Anfang an mit schweren Protesten rechnen musste, blieb nicht zufällig ein Bereich bei den Sparmaßnahmen außen vor: "Die Polizei. Zweitausend zusätzliche Polizisten wurden eingestellt und gezielt in der Kontrolle von Aufständen geschult. Polizei und Militär wurden mit Tränengas, Schutzausrüstung und Wasserwerfern ausgestattet."
Was nun die Quintessenz aus all dem ist? Statt die Ausgaben für Gesundheitsprogramme in Krisen und Rezessionen zu kürzen, sollten sie erhöht werden, fordern die Autoren. Denn auch Gesundheitsprogramme können Konjunkturprogramme sein. "Sparprogramme töten" ist also kein Plädoyer gegen das Sparen, sondern eines für das richtige Sparen. Während in Athen der Gesundheitsetat zusammengestrichen wurde, freuen sich die milliardenschweren Reeder des Landes seit vielen Jahren über ihre Steuerprivilegien. Auf eleganten Yachten, irgendwo auf hoher See - weit weg von Krisen. Und weit weg vom IWF." (Deutschlandfunk, 17.3.14)
Wenn man die Zahlungen an Griechenland als Hilfen bezeichne, dann sei das Interpretationssache, sagte Schwan. Denn mit dem Geld seien in erster Linie die Banken gestützt worden. Sie warnte vor einem griechischen Euro-Austritt: "Das wird sich bitter rächen," kommentierte Schwan. ..."
aktualisiert: 20:28 Uhr
Dazu nur zwei Mosaiksteine:
Einer aus dem Jahr 2011: "... Faktum ist: Die Eurohüter bekommen die Spekulationswelle nicht und nicht in den Griff. Nach den Umschuldungs- und Euroaustritts-Meldungen rangiert in der Hitparade ein frisches Hilfspaket ganz oben. War am Montag noch von 25 Milliarden an neuen Krediten die Rede, erhöhte die US-Finanzagentur Dow Jones am Dienstag auf 60 Milliarden Euro, die Athen 2012 und 2013 benötige.
Für den Chefökonomen der Bank Austria, Stefan Bruckbauer, ist die Kaskade nicht überraschend. "Es gibt eine Realität, wonach es Griechenland nicht schaffen wird. Und es gibt eine Politik, die beschwichtigt und sagt: Athen wird es schaffen." Die Politik könne aber nicht verhindern, dass Experten die Haushaltslücke berechnen und die Ergebnisse kommunizieren. Deshalb würden die Irritationen "permanent weitergehen", meint Bruckbauer zum Standard. ...
Für eine Streckung der Hilfsmaßnahmen sprach sich der Chef des deutschen Sachverständigenrates, Wolfgang Franz, aus. Dagegen findet er "das Gerede über einen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone unverantwortlich", wie er bei einem Vortrag in Wien erklärte. Würde in Deutschland so stark konsolidiert wie in Griechenland, gebe es eine Revolution, befand der Ökonom." (Der Standard online, 10.5.11)
Der andere ist ganz aktuell: "Gesine Schwan spricht im Interview über die gescheiterten Verhandlungen zwischen Griechenland und den Gläubigern. Dabei stellt sich die Ex-Bundespräsidentschaftskandidatin klar auf die Seite von Tsipras, Varoufakis und Co..
Die ehemalige Bundespräsidentschaftskandidatin Gesine Schwan hat sich in der Griechenland-Frage zuletzt sehr engagiert und für die Syriza-Regierung unter Alexis Tsipras Partei ergriffen. Das tut sie auch jetzt.
Frau Schwan, vor drei Wochen war der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis in Berlin Ihr Gast. Konnten Sie sich das heutige Szenario damals vorstellen?
Ich habe es nicht so erwartet. Ich habe erwartet, dass es Kompromisse geben kann - zumal es auch in der Sache eine klare Annäherung gegeben hat. Aber Varoufakis hat immer gesagt, dass sie die Kürzungen im Sozialbereich, die dem Wachstum weiter geschadet hätten, nur akzeptieren können, wenn es die Perspektive einer Umschuldung gibt. Und diese Perspektive haben die Institutionen offenbar nicht gegeben. Sie wollten die griechische Regierung weiterhin eng an die Kandare legen.
Warum? Um Signale an andere Krisenländer wie Spanien oder Portugal zu senden, dass sich linke Politik nicht durchsetzt?
Das kann ein Motiv gewesen sein. Man ist ja Syriza von Anfang an mit kritischer Verve, um nicht zu sagen mit Aversion begegnet. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat von Anfang an die Absicht gehabt, Syriza an die Wand fahren zu lassen, damit es keine Ansteckungsgefahr in Spanien oder Portugal gibt. Aber ich glaube bei dem Misstrauen gegenüber der griechischen Regierung haben auch enorme kulturelle Unterschiede eine Rolle gespielt. Allein, wenn ich mir überlege, welche Ressentiments es ausgelöst hat, dass Varoufakis mit dem Motorrad zum Dienst fährt. Es gab tiefe Unterschiede des Stils. Doch im Kern wollten die Institutionen und auch die Sozialdemokraten in ihnen nicht zugestehen, dass die Austeritätspolitik der letzten Jahre gescheitert ist. Dass die griechische Regierung zum Schluss noch mal bei Rentnern und Kranken kürzen sollte, beweist, wie absolut unerbittlich sich die Institutionen gezeigt haben. ..." (Mitteldeutsche Zeitung online, 28.6.15)
Und noch ein Buchtipp aus dem Jahr 2014 dazu:
Sanjay Basu, David Stuckler: "Sparprogramme töten – Die Ökonomisierung der Gesundheit"
Darin wird auch das Beispiel Griechenland angeführt: "... Kollabiertes Gesundheitssystem in Griechenland
"Das Bruttoinlandsprodukt fiel 2010 um weitere 3,4 Prozent. Die Superreichen hatten ihre Schäfchen ins Trockene gebracht, auf Bankkonten in Steuerparadiesen. Die Leidtragenden waren die einfachen Leute. Die Arbeitslosenquote stieg von sieben Prozent im Mai 2008 auf 17 Prozent im Mai 2011. Die griechische Gesellschaft stand jetzt am Rande des Abgrunds."
Dann kam die große Kürzungsorgie. Ziel: Die Gesundheitsausgaben auf sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Zum Vergleich: In Deutschland liegen diese Ausgaben bei über zehn Prozent. Die Milliardenkürzungen hatten Folgen: Viele Menschen konnten sich private Behandlungen nicht mehr leisten; in den staatlichen Krankenhäusern schnellten die Patientenzahlen um ein Viertel nach oben. Fatal war, dass hier zur gleichen Zeit Tausende Stellen eingespart wurden. Das System kollabierte.
"Insgesamt haben in der Zeit der Rezession und des Sparens nach unseren Schätzungen mindestens 60.000 Griechen über 65 Jahre auf notwendige medizinische Maßnahmen verzichtet." Und die Autoren schlussfolgern: "Griechenland diente unwissentlich als Versuchslabor für die Frage, wie Sparprogramme sich auf die Gesundheit auswirken."
Weil die Staatsgewalt von Anfang an mit schweren Protesten rechnen musste, blieb nicht zufällig ein Bereich bei den Sparmaßnahmen außen vor: "Die Polizei. Zweitausend zusätzliche Polizisten wurden eingestellt und gezielt in der Kontrolle von Aufständen geschult. Polizei und Militär wurden mit Tränengas, Schutzausrüstung und Wasserwerfern ausgestattet."
Was nun die Quintessenz aus all dem ist? Statt die Ausgaben für Gesundheitsprogramme in Krisen und Rezessionen zu kürzen, sollten sie erhöht werden, fordern die Autoren. Denn auch Gesundheitsprogramme können Konjunkturprogramme sein. "Sparprogramme töten" ist also kein Plädoyer gegen das Sparen, sondern eines für das richtige Sparen. Während in Athen der Gesundheitsetat zusammengestrichen wurde, freuen sich die milliardenschweren Reeder des Landes seit vielen Jahren über ihre Steuerprivilegien. Auf eleganten Yachten, irgendwo auf hoher See - weit weg von Krisen. Und weit weg vom IWF." (Deutschlandfunk, 17.3.14)
Nachtrag: Gesine Schwan gab auch dem Deutschlandfunk am 29.6.15 ein Interview:
"Die Situation in Griechenland könne auch ein Zeichen dafür sein, dass die europäische Sparpolitik gescheitert sei, sagte die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan im DLF. Die europäischen Regierungen sollten jetzt nicht selbstgefällig werden, sondern die griechische Seite nochmal hören.
Auch in Spanien und Portugal habe die europäische Sparpolitik nicht
geholfen, sagte die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan im DLF. Die
Frage sei, ob man eine bestimmte Art von Politik durchziehen wolle oder
auch auf die sogenannten Reformländer hören wolle. Die aktuelle
Wirtschaftspolitik ziele nicht auf Solidarität."Die Situation in Griechenland könne auch ein Zeichen dafür sein, dass die europäische Sparpolitik gescheitert sei, sagte die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan im DLF. Die europäischen Regierungen sollten jetzt nicht selbstgefällig werden, sondern die griechische Seite nochmal hören.
Wenn man die Zahlungen an Griechenland als Hilfen bezeichne, dann sei das Interpretationssache, sagte Schwan. Denn mit dem Geld seien in erster Linie die Banken gestützt worden. Sie warnte vor einem griechischen Euro-Austritt: "Das wird sich bitter rächen," kommentierte Schwan. ..."
aktualisiert: 20:28 Uhr
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