• Wirtschaftskrieg gegen Russland verschärft
"Die Konfrontation mit Moskau kann verschärft werden. Wer da Illusionen hegte, wurde am Donnerstag eines Besseren belehrt. Bewaffnet mit dem Beschluss eines privaten Wirtschaftsgerichts sind in Belgien und Frankreich Gerichtsvollzieher ausgeschwärmt, um Konten russischer Unternehmen einzufrieren, wie unter anderen das US-Finanzonlineportal zerohedge.com berichtete. Paris und Brüssel werden zu Bütteln einer dubiosen, weitgehend aus der Anonymität operierenden Klägergruppe. Die hatte ihre finanziellen Ansprüche auf das Vermögen der von russischen Gerichten 2006 wegen Bankrotts abgewickelten Jukos-Gruppe (einem vom früheren Komsomol-Funktionär Michail Chodorkowski in den 90ern »rechtsstaatlich« erworbenen Ölkonzern) geltend gemacht.
Berichten zufolge sind auch nichtstaatliche Unternehmen aus der Russischen Föderation vor dem Zugriff der Geldeintreiber nicht sicher. Knapp 50 belgische Firmen wurden aufgefordert, das Ausmaß russischer Beteiligungen offenzulegen. Gleiches geschah in Frankreich, und das offenbar mit Billigung der höchsten politischen Ebene. Es sind Schritte zur Beschlagnahmung russischen Eigentums im Wert von vorerst umgerechnet 1,6 Milliarden Dollar (1,4 Milliarden Euro). Derartiges hat es nicht einmal im Kalten Krieg gegeben. Und das ist erst der Anfang.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGM) in Strasbourg hatte im Juli 2014 verkündet, der russische Staat müsse 1,8 Milliarden Euro Schadenersatz an die ehemaligen Jukos-Aktionären zahlen. Dagegen legte Moskau Berufung ein, die postwendend von den Menschenrechtlern abgewiesen wurde. Doch der Beschluss beißt sich mit früheren Jukos-Urteilen des Tribunals. Beide Kammern hatten festgestellt, dass die Verurteilung der Jukos-Geschäftsführung in Russland wegen »massiver Steuerhinterziehung« »rechtmäßig« war und es »keine Diskriminierung« gegeben habe. Auch seien »die Maßnahmen der russischen Behörden nicht politischer Natur« gewesen. ...
Politisch kommt den Scharfmachern die Eskalation sehr gelegen. Die Hoffnung, Russland massiv schaden zu können, ist zu verlockend. Und wie weiter? Zu erwarten ist, dass andere Länder, in denen die »Freiheit des Kapitalverkehrs« als höchstes Menschenrecht gilt, dem Beispiel Frankreichs und Belgiens folgen. Wie bei der Verhängung der Wirtschaftssanktionen dürfte dies massiven Drucks aus Washingtons brauchen. Und es wird die Spannungen zwischen Russland und EU anheizen. Wegen der erneuten Eskalation der Gewalt in der Ukraine und der beschlossenen Stationierung schwerer US-Waffen in Osteuropa kann das nur böse enden.
Moskau hat die Pfändungen in den EU-Provinzen als »unfreundlichen Akt« verurteilt. Präsidentenberater Andrej Beloussow hofft zwar, dass »eine weitere Verschlechterung der Beziehungen vermieden wird«, machte aber am Donnerstag klar, dass Moskau gegebenenfalls »mit gleicher Münze zurückzahlen« werde." (junge Welt, 20.6.15)
• US-Waffenlieferungen von US-Senat abgesegnet
"Der US-Senat hat bei der Billigung des eigenen Militärhaushalts auch Waffenlieferungen an die Ukraine abgesegnet. Insgesamt 300 Millionen Dollar kann Verteidigungsminister Ashton Carter nun in Absprache mit dem Außenministerium "für die Vorbereitung, Ausrüstung und logistische Unterstützung" der ukrainischen Streitkräfte ausgeben. Mindestens 60 Millionen Dollar davon sind für die Lieferung von Technik und Waffen reserviert.
Das Gesetz muss noch mit dem Repräsentantenhaus abgestimmt werden, wo kein Widerstand dagegen erwartet wird, ehe es Präsident Barack Obama zur Ratifizierung vorgelegt wird. Im Weißen Haus gab es bisher Bedenken gegen die Lieferung sogenannter letaler Waffen an die Ukraine, allerdings kühlen sich die Beziehungen zwischen Moskau und Washington schnell ab, sodass ein Veto Obamas unsicher ist. In Kiew wurde bereits ein entsprechender "Wunschzettel" vorbereitet.
Neben Mitteln der elektronischen Kampfführung und Fernmeldeausrüstung hofft die ukrainische Führung auch auf Artillerieaufklärungsradare und Panzerabwehrwaffen. Die USA seien inzwischen zu entsprechenden Lieferungen bereit, versicherte am Freitag der Vizechef der Präsidialverwaltung Andej Taranow. Er rechne ab Oktober mit dem Beginn der Waffenhilfe, sagte er.
Unterdessen setzen sich die Kämpfe unvermindert fort. Bei Artillerieeinschlägen in Donezk und Marjinka gab es Tote und Verletzte. Für die neuerliche Verschärfung der Lage bei Mariupol machen sich Regierungstruppen und Rebellen gegenseitig verantwortlich. Die Kämpfe haben zu einer scharfen Reaktion in Washington geführt: Sollten die Separatisten weitere Gebiete erobern, werde dies zusätzliche Sanktionen für Russland nach sich ziehen, erklärte der Pressesprecher des US-Außenministeriums, John Kirby. ..." (Der Standard online, 19.6.15)
• Machtkämpfe in Kiew
"Das ukrainische Innenministerium hat die Festnahme zweier mutmaßlicher Mörder des Journalisten Oles Busina bekanntgegeben. Wie Minister Arsen Awakow mitteilte, handelt es sich um zwei Männer im Alter von 24 bzw. 25 Jahren. Sie haben offenbar Verbindungen zu den radikalen Nationalisten. Einer von ihnen, Andrej Medwedkow, soll in dem von dem Oligarchen Igor Kolomojski finanzierten Freiwilligenbataillon »Kiew 2« gekämpft haben, der andere ist nach Medienberichten eine Zeitlang Kreisvorsitzender der »Swoboda«-Partei in einem der Kiewer Stadtbezirke gewesen. Awakow kündigte noch weitere Festnahmen an.
Während der Minister erklärte, die Verhaftungen seien durch DNA-Analysen und andere materielle Spuren begründet, warfen andere Teile der Pro-Maidan-Koalition ihm vor, Sündenböcke geopfert zu haben. Der Abgeordnete Juri Luzenko von der Timoschenko-Partei »Vaterland« schrieb, Medwedkow sei aus Protest gegen die Korruption im Innenministerium aus dem Dienst ausgeschieden. Seine Verhaftung sei ein Racheakt. Der Pressesprecher der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats glaubte zu wissen, dass Awakow gegen »die Besten des Maidan« mit Repressionen vorgehe.
Ohne direkten Zusammenhang hiermit ordnete der Innenminister die Auflösung der Freiwilligeneinheit »Tornado« an. Dabei wurden auf Kiewer Seite beiläufig Dinge bestätigt, die durch die Aufständischen in der Ostukraine teilweise seit Monaten vorgetragen werden. So soll das Bataillon »Tornado« nach jetzt bekanntgegebenen Erkenntnissen der ukrainischen Militärstaatsanwaltschaft in einem Keller in der Stadt Lisitschansk ein Folterzentrum unterhalten und dort in Anwesenheit seines Kommandeurs Gefangene misshandelt und vergewaltigt haben. ...
Um Korruptionsvorwürfe mit politischem Hintergrund geht es auch bei der Entlassung des Chefs des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Walentin Naliwajtschenko. Sie wurde am Donnerstag vom Parlament mit knapper Mehrheit bestätigt. Teile der Maidan-Koalition, insbesondere die Abgeordneten der Klitschko-Partei UDAR, stimmten allerdings dagegen oder enthielten sich. Naliwajtschenko hatte vor einigen Tagen heftige Angriffe gegen die dem Präsidenten unterstellte Generalstaatsanwaltschaft gerichtet. Sie arbeite »wie ein Verbrechersyndikat« und stehe mit dem derzeit in Österreich lebenden Oligarchen Dmitri Firtasch in Verbindung. Poroschenko revanchierte sich mit dem Vorwurf, Naliwajtschenko stecke selbst mit Firtasch und Kolomojski unter einer Decke. Auffällig war seine Versicherung in einer Fraktionssitzung seiner Partei, er habe die Entlassung Naliwajtschenkos mit den »ausländischen Partnern« abgestimmt, die diese Entscheidung lange Zeit »nicht verstanden« hätten. ...
Unterdessen gehen die Kiewer Behörden nach bewährter Methode gegen ein kritisches Medium vor. Angebliche Steuerfahnder legten die Zentrale der Medienholding Westi in Kiew lahm und beschlagnahmten Rechner. Sie konnten allerdings weder einen Durchsuchungsbefehl vorweisen, noch hatten sie Dienstausweise dabei. Westi ist eines der wenigen ukrainischen Medien, das sich dem Druck zur Gleichschaltung in der Berichterstattung über den Krieg in der Ostukraine zu entziehen versucht." (junge Welt, 19.6.15)
• Sanktionen gegen Russland schaden der europäischen Wirtschaft – EU hält trotzdem weiter daran fest
"Die Wirtschaftskrise in Russland wird voraussichtlich weitaus schlimmere Konsequenzen für Westeuropa haben als bislang erwartet. Nach einer Berechnung des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung Wifo sind europaweit langfristig mehr als zwei Millionen Arbeitsplätze und bis zu 100 Milliarden Franken an Wertschöpfung in Gefahr.Die Wissenschaftler gehen in ihrer Studie von einem Worst-Case-Szenario aus: «Die Exportausfälle, die wir im Herbst vergangenen Jahres schlimmstenfalls angenommen hatten, sind inzwischen Realität geworden», sagt Oliver Fritz, einer von drei Autoren der Studie. Diese wurde für die Leading European Newspaper Alliance (Lena) angefertigt, an der auch der TA beteiligt ist. «Verändert sich die Lage nicht grundsätzlich, wird unser besonders pessimistisches Szenario eintreten.» ...
Ökonom Fritz verweist darauf, dass es unmöglich sei, die Wirkung der Sanktionen vom sinkenden Ölpreis, der Russland ebenfalls schadet, und vom Rubelverfall abzutrennen. «Wir betrachten die russischen Importe als Ganzes», sagt Fritz. «Dabei gehen wir fest davon aus, dass die Sanktionen einen erheblichen negativen Einfluss haben, wenn wir auch die Gegenreaktion Russlands berücksichtigen.» Die Regierung Putin hatte letzten August ein Importverbot für Lebensmittel aus dem Westen verhängt.
Die EU-Botschafter haben sich am Mittwoch darauf geeinigt, die Sanktionen gegen Russland um sechs Monate bis Ende Januar 2016 zu verlängern. Eine formelle Entscheidung der Aussenminister soll nächste Woche folgen. In Brüssel ist offiziell keine Stellungnahme zu den Folgen der Sanktionen in Europa zu erhalten. Hinter den Kulissen ist zu erfahren, dass die EU-Kommission die Auswirkungen der Sanktionen als «relativ klein» und «handhabbar» taxiert.
Von der Wissenschaft wird das Monitoring der Sanktionen kritisiert: «Die EU hat keine Vergleichsmassstäbe oder Modelle, um die Effektivität der Sanktionen zu bemessen», sagt Borja Guijarro-Usobiaga, der an der London School of Economics zu dem Thema promoviert. ..." (Tages-Anzeiger online, 18.6.15)
"Wladimir Putin hat stets gewarnt, dass die Sanktionen gegen Russland Europa selbst schaden. Die EU bestreitet das. Ökonomen haben jetzt errechnet, wie teuer die Krise wird – vor allem für Deutschland.
... Mit Spannung wird in diesem Zusammenhang der Auftritt des russischen Präsidenten Wladimir Putin an diesem Freitag auf dem Internationalen St. Petersburger Wirtschaftsforum erwartet. Zum Auftakt des Gipfels gaben die Konzerne E.on und Siemens spektakuläre Milliardengeschäfte bekannt.
Putin wird sich in seinen Warnungen bestätigt sehen, dass die Handelsbeschränkungen schwere Folgen für die Volkswirtschaften der EU haben werden – zumal Russland im August vergangenen Jahres ebenfalls mit Sanktionen konterte. Allein in Deutschland stehen den Berechnungen des Wifo zufolge mittelfristig knapp eine halbe Million Arbeitsplätze und rund 27 Milliarden Euro an Wertschöpfung auf dem Spiel.
Ändert sich an den Rahmendaten aus dem ersten Quartal 2015 nichts, könnte die andauernde Krise Deutschland in den nächsten Jahren etwas mehr als einen Prozentpunkt an Wirtschaftsleistung kosten, hat das Wifo errechnet.
Keine andere große europäische Volkswirtschaft wäre so stark betroffen. Italien würde demnach etwas mehr als 200.000 Arbeitsplätze und 0,9 Prozent der Wirtschaftskraft verlieren, in Frankreich wären es knapp 150.000 Arbeitsplätze und 0,5 Prozent.
Die Annahmen und Schlussfolgerungen aus der Wifo-Studie sind damit andere als die im neuesten vertraulichen Sanktionsbericht der Europäischen Kommission, der in Diplomatenkreisen kursiert. Demnach kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass Auswirkungen der Handelsbeschränkungen für die europäische Wirtschaft "relativ klein und handhabbar" seien – zumal Unternehmen einen Teil der Waren nun in andere Länder verkaufen, etwa auch im Agrarsektor.
Die Kommission zeigte sich Ende Mai sogar zuversichtlich, dass die bestehenden negativen Auswirkungen der Handelsbeschränkungen sich nun wieder verringern. ...
Wenig zuversichtlich ist der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes: "Das erste Quartal 2015 ist ein guter Gradmesser für die Beurteilung der Lage. Bis dahin waren wir seit dem Frühjahr 2014 im Sinkflug. Jetzt könnte der Boden erreicht sein. Genau wissen wir es aber noch nicht."
Noch sei die Situation beherrschbar, sagt Cordes, der schon früher als Vorstandschef des Großhändlers Metro enge Verbindungen nach Russland pflegte. "Aber wenn diese Entwicklung länger andauert – sagen wir noch ein Jahr –, dann werden die deutsch-russischen Beziehungen schweren Schaden nehmen."
Der Vorsitzende des Ostausschusses ist vor allem darüber besorgt, dass Konkurrenten aus China oder anderen Länder in die Bresche springen und sich bewähren. "Wir hören immer öfter: 'So viel schlechter als die Deutschen sind die Chinesen auch nicht.' Das ist besorgniserregend." ..." (Die Welt online, 19.6.15)
"Die EU-Staaten haben sich auf eine Verlängerung der wegen der Ukraine-Krise verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland verständigt. Die Botschafter der 28 EU-Mitglieder hätten einen «Konsens» zu einem Text gefunden, durch den die Strafmassnahmen bis Ende Januar 2016 verlängert würden, teilten EU-Vertreter in Brüssel mit. Der Beschluss könne in den kommenden Tagen formell angenommen werden. Die Sanktionen waren seit dem Sommer vergangenen Jahres gegen Russland verhängt worden und galten zunächst für ein Jahr.
«Das ist die Umsetzung der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs, die im März getroffen wurde», hiess es in Brüssel. Damit sollten die Sanktionen an Termine angepasst werden, die im Friedensabkommen von Minsk vorgesehen sind. So bleibe noch Zeit, die Umsetzung von Minsk zu bewerten, bevor erneut entschieden werden müsse.
Ein Sprecher von Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte in Berlin, dass eine Verlängerung der Sanktionen auf «einem der nächsten Räte» der EU-Staaten als Beschluss ohne Diskussion geplant sei. Der Beschluss stehe «unmittelbar bevor».
Die EU hatte Protagonisten der Ukraine-Krise zunächst mit Reise- und Vermögenssperren belegt. Der mutmassliche Abschuss des Passagierflugzeugs MH17 löste eine deutliche Verschärfung der Sanktionen aus. Die EU verhängte Ende Juli 2014 erstmals Wirtschaftssanktionen, die dann im September nochmals verschärft wurden. ..." (Tages-Anzeiger online, 17.6.15)
Zur Erinnerung: Eine Schuld Russland am mutmaßlichen MH17-Abschuss ist bis heute durch nichts er- und bewiesen ...
• Putin und die 40 Atomraketen
"Für die westliche Öffentlichkeit ist die Sache klar. Russland hat sich durch seine Mitteilung, in diesem Jahr 40 neue Interkontinentalraketen in Dienst zu stellen, wieder einmal ins politische Abseits manövriert. Wer rüstet auf? Wer ist also eine Gefahr für den Weltfrieden und muss »eingedämmt« und »abgeschreckt« werden?
Ganz so einfach ist die Sache freilich nicht. Putins Raketenankündigung ist zunächst einmal eine asymmetrische Reaktion auf die jüngsten Absichtserklärungen der USA, konventionelle schwere Waffen in Osteuropa – also, es darf daran erinnert werden, vor Russlands Haustür – zu stationieren. Asymmetrisch insofern, als sie der NATO die Mitteilung sendet, sie möge nicht glauben, einen von vorgeschobenen Basen etwa im Baltikum aus vorgetragenen Angriff gegen Russland im Wege eines konventionell geführten Blitzkriegs gewinnen zu können. Was wie das primitive Schwingen des großen Knüppels aussieht, ist in Wahrheit eine Warnung: Wenn ihr euch mit uns anlegt, bekommt ihr es mit unserem ganzen Arsenal zu tun – auch dem einzigen, was die USA nach wie vor in einem gewissen Maße respektieren, den russischen Atomwaffen. ...
Wladimir Putin hat vor ein paar Tagen darauf hingewiesen, dass die Militärausgaben der NATO die russischen um das Zehnfache überstiegen. US-Panzerfahrzeuge kurvten im Frühjahr durch die estnische Grenzstadt Narva, 150 Kilometer von St. Petersburg, nicht umgekehrt. Es waren die USA, die unter George W. Bush mehrere in den 1970er Jahren abgeschlossene Rüstungskontrollabkommen haben auslaufen lassen, was ihnen Putin schon in seiner berühmten Rede vor der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 als destabilisierend vorgeworfen hat. Ein zentraler Begriff in der Rüstungskontrolle ist der der Berechenbarkeit. Berechenbarkeit entspricht – grob übertragen – einem Zustand, in dem sich beide Seiten belauern, aber nicht beschießen. Will jemand sich unberechenbar machen, wird es gefährlich. Insofern ist Putins Ankündigung die Mitteilung, in einem Punkt berechenbar zu bleiben: Glaubt bei der NATO nicht, wir ließen uns kleinkriegen.
Dass das alles nicht schön ist, steht auf einem anderen Blatt." (Reinhard Lauterbach in junge Welt, 18.6.15)
"Neue Provokation aus den USA: Washington will schwere Waffen in die Nachbarstaaten Russlands verlegen und lässt die NATO immer mehr Militärmanöver starten. Moskau antwortet mit der Anschaffung neuer Interkontinentalraketen – und ist wieder einmal der Buhmann, der an der Rüstungsspirale dreht. ...
Die deutsche Nachrichtenagentur dpa verklärt das Aufrüstungsvorhaben im Osten wie folgt: "Die russische Aggression auf der Krim und in der Ostukraine zwingt die NATO zu neuen Überlegungen. Dazu gehören Schritte, die bisher vermieden wurden, um Moskau nicht zu provozieren."
Russland lässt die US-Provokation nicht unbeantwortet. Die geplante Aufrüstung an der Grenze sei die aggressivste Maßnahme der USA und der NATO seit Ende des Kalten Krieges, heißt es in Moskau. "Russland wird nichts anderes übrig bleiben als seine Truppen und Streitkräfte an der westlichen Flanke zu verstärken", erklärt General Jakubow, Sprecher des Verteidigungsministeriums.
Der NATO-Oberbefehlshaber in Europa, US-General Philip M. Breedlove, berüchtigt für seine antirussische Scharfmacherei im westlichen Militärpakt, erklärt seinerseits die Moskauer Reaktion auf Washingtons Provokation zum Problem: Europa befinde sich in einer "neuen und veränderten und schwierigen" Sicherheitslage. Russland versuche, die Regeln und Grundsätze im Osten zu ändern, die jahrzehntelang das Fundament der europäischen Sicherheit gewesen seien, behauptet Breedlove beim Truppenbesuch in Litauen – offensichtlich vergessen, dass dieses Land jahrzehntelang nicht Mitglied der NATO war.
Doch nicht Breedloves Aufrüstungsappell an die Europäer sorgt für Schlagzeilen, sondern die Reaktion Russlands auf derlei vorhaben. Präsident Wladimir Putin hat bei der Eröffnung der Militärmesse in Kubinka bei Moskau eine Antwort auf die US-Raketenabwehrpläne angekündigt. Bis zum Jahresende sollen mehr als 40 neue Interkontinentalraketen angeschafft werden. Die können auch mit Atomsprengköpfen bestückt werden. Vor allem aber sind die Raketen fähig, "alle, selbst die technisch am weitesten entwickelten Luftabwehrsysteme zu durchbrechen".
"Neuer Putin-Hammer! Russland baut sein Atomwaffenarsenal aus«, schlagzeilt etwa das auflagenstarke Boulevardblatt "Bild". Ins gleiche Horn bläst der Spiegel: "Putin stockt sein Atomwaffenarsenal auf."
Das ist nicht ganz falsch, gibt aber die Realität aber eben auch nur wie gehabt durch die antirussische Brille wider.
Das Absurde: Beide Medien zitieren in ihren Berichten den jüngsten Report des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI. Diesem zufolge hat Russland die Zahl seiner Nuklearwaffen im Vergleich der Jahre 2014 und 2015 um 500, nämlich von 8.000 auf 7.500 reduziert. Die Zahl der einsatzbereiten Sprengköpfe ist den Angaben zufolge von 1.600 auf 1.780 Stück gestiegen.
Im Vergleich dazu die USA: Bei den Vereinigten Staaten ist das Atomwaffenarsenal nur um 40 Stück geschrumpft, von 7.300 auf 7.260 Stück. Die Einsatzbereiten Waffen aber sind von 1.900 auf 2.080 gestiegen. Vom Umfang her ist das absolut identisch mit dem in Russland. In absoluten Zahlen sind die USA immer noch an der Spitze.
Bestenfalls könnte man also titeln: "Aufholen ohne einzuholen: Putin stockt Atomwaffenarsenal auf. Obama hat aber immer noch mehr." ..." (Rüdiger Göpel in Sputnik, 17.6.15)
"... Indes: So neu war Putins Ankündigung nicht. Das dürfte sowohl den anwesenden Militärs bewusst gewesen sein als auch aufmerksamen Beobachtern bei der Nato. Bereits seit fünf Jahren ist Russland dabei, die Bewaffnung seiner Armee zu modernisieren. Noch 2010 galten 90 Prozent der Waffen in der russischen Armee als veraltet. 720 Milliarden Dollar lässt es sich der Staat kosten, um bis 2020 geplante 70 Prozent seiner Waffen auf den neuesten Stand zu bringen. Ein Drittel des Budgets ist für die Nuklearstreitkräfte vorgesehen; hier ist Russland etwa gleich stark wie die USA.
Die Logik der atomaren Abschreckung ist eine andere als die der konventionellen Kriegsführung: Das Gleichgewicht des Schreckens während des Kalten Krieges bedeutete, dass ein Angriff mit Nuklearwaffen automatisch die Vernichtung des Angreifers zur Folge haben wird. Diese Logik würde von einem wirksamen Abwehrschirm ausgeschaltet: Wer durch den Schirm geschützt ist, könnte einen atomaren Erstschlag führen. Ob der von der Nato geplante Schutzschild für Osteuropa tatsächlich vor Angriffen aus dem Iran schützen sollte, wie Brüssel stets beteuerte, ist daher zweitrangig – er würde die Nato erstschlagfähig machen und damit Russland seinen einzigen Trumpf im internationalen Machtspiel aus der Hand nehmen. ...
Russland experimentiere seit einigen Jahren mit neuen Interkontinentalraketen, weil die alten Waffensysteme das Ende ihrer Laufzeit erreichten, sagt Joachim Krause, der das Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel leitet. «Das klingt alles ganz gewaltig, weist aber nüchtern gesehen darauf hin, dass in Russland grosse Unsicherheiten bestehen bezüglich der Begehbarkeit unterschiedlicher technologischer Wege.» Die Amerikaner modernisierten ihre existierenden Raketen, «die Russen erfinden immer neue, von denen nur wenige dann auch tatsächlich das einhalten können, was sie versprechen». Krause rät daher zu Gelassenheit. ...
Bedrohlicher als die Technik ist die Rhetorik. Nie in der Zeit des Kalten Krieges sei so leichtfertig über Kernwaffen gesprochen worden wie derzeit in Russland, kritisiert der Moskauer Militärexperte Alexander Golz. Er bezweifelt, dass das Land überhaupt in der Lage ist, so viele Raketen neuen Typs in so kurzer Zeit zu produzieren: «Laut offiziellen Angaben hat Russland seit 2006 nur 60 Iskander-Raketen produziert», schrieb er in einem Beitrag für die «Moscow Times». Wie sollten dann 40 Raketen eines neuen Typs in einem Jahr fertiggestellt werden? ..." (Tages-Anzeiger online, 17.6.15)
• NATO verschärft Spannungen mit Russland
"Die NATO-Pläne zur Stationierung schwerer Kriegstechnik in Osteuropa und Moskaus Reaktion, seinen Atomwaffenbestand erweitern zu wollen, haben die vom Westen forcierten Spannungen mit Russland weiter verschärft. Moskau fürchte um seine Sicherheit, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch. Der Präsident hatte am Dienstag angekündigt, in diesem Jahr mindestens 40 neue atomwaffenfähige Interkontinentalraketen zu beschaffen. Nun droht die NATO mit weiteren eigenen Muskelspielen. US-Außenminister John Kerry warnte Russland vor einem Rückfall in die Zeit des Kalten Krieges. »Das nukleare Säbelrasseln Russlands ist ungerechtfertigt, destabilisierend, und es ist gefährlich«, erklärte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Brüssel und fügte hinzu: »Wir antworten.« Die NATO erhöhe ihre Präsenz im östlichen Teil der Bündnisgebietes, so der Chef der westlichen Allianz. Peskow verurteilte Stoltenbergs Drohungen. Putin habe klargemacht, dass Russland anders als die NATO keine Truppen an seine Grenze verlege. Die NATO aber stationiere Kriegstechnik in Russlands Nähe und wolle damit das strategische Kräftegleichgewicht ändern. Russland reagiere auf mögliche Bedrohungen, nicht mehr, sagte Putins Berater Juri Uschakow. »Wir sind gegen ein Wettrüsten, denn dies würde unsere eigene Wirtschaft schwächen«, betonte er.
Putins Aufrüstung sei »unnötig und sicher kein Beitrag zu Stabilität und Entspannung in Europa«, erklärte Außenminister Frank-Walter Steinmeier laut Spiegel online. Demnach warnte er davor, »in eine beschleunigte Eskalationsspirale der Worte und dann auch der Taten einzutreten«. Er forderte von Russland eine konstruktive Haltung.
Zur Besonnenheit mahnte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. »Ich rate beiden Seiten, sowohl rhetorisch wie auch inhaltlich nicht auf-, sondern abzurüsten«, sagte er im Deutschlandfunk. »Was wir hier erleben – und nicht erst seit gestern –, sind militärische Muskelspiele verschiedenster Art, nicht nur auf russischer Seite.« Er riet der NATO, auf Russland zuzugehen. ..." (junge Welt, 18.6.15)
• Langfristig deutsche Hinwendung zu Moskau?
"Nach Einschätzung des Schweizer Militärexperten Albert Stahel steht Europa in der Konfrontation mit Russland vor einem Problem: Die USA seien nicht mehr stark genug, um uns zu schützen. Er hält deshalb eine Hinwendung Deutschlands zu Putin als Schutzherrn für möglich – und spricht gar von einem Kniefall.
Es ist eine neue, beängstigende Drohgebärde: Russland will sein Atomwaffenarsenal aufstocken. Mehr als 40 neue Interkontinentalraketen plant Präsident Wladimir Putin bis Ende des Jahres anzuschaffen. „Putin spielt mit Nuklearwaffen“, sagt Militärexperte Albert A. Stahel zu FOCUS Online. „Es ist wie zu Chruschtschows Zeiten.“Doch anders als zu Zeiten des Kalten Krieges haben die USA den russischen Muskelspielen nach Ansicht des Schweizer Professors heute weniger entgegenzusetzen: „Die Amerikaner machen sozusagen business as usual, während die Russen richtig aufrüsten - sowohl bei den Atomwaffen als auch bei den konventionellen Streitkräften“, so der Leiter des Instituts für Strategische Studien in Wädenswil.
Zu einer wirkungsvollen Abschreckung Russlands in Europa sind die USA laut Stahel derzeit nicht in der Lage: „Dafür fehlen der amerikanischen Regierung die finanziellen Mittel und der politische Rückhalt in der Bevölkerung.“ Aber was würde es für Europa bedeuten, wenn man sich in der aktuellen Konfrontation mit Putin nicht mehr auf die Schutzmacht USA verlassen kann?
Der Schweizer Professor hält es durchaus für möglich, dass dies auf lange Sicht zu etwas führen könnte, was in der aktuellen Situation kaum denkbar scheint: zu einer Hinwendung Deutschlands oder Europas hin zu Russland. „Ein sogenannter Kotau, also eine Verbeugung vor Putin, ist eine mögliche Antwort auf die veränderte Sicherheitslage in Europa“, sagt Stahel. ...
„Sobald Deutschland seine Interessen als Staat gefährdet sieht, könnte das einen Kurswechsel bewirken“, sagt der Experte. Und er ist überzeugt, dass dieser Gedanke auch in Berlin nicht neu ist: „Was die Politiker öffentlich sagen, ist das eine, aber im Hintergrund werden alle Optionen durchgespielt - deshalb bin ich mir sicher, dass diese Überlegung in Regierungskreisen existiert.“
Wie schnell eine solche Option ernsthaft auf den Tisch kommen könnte, hänge davon ab, wie sich die Lage in der Ukraine entwickelt, sagt Stahel: „Das kann in einem oder in fünf Jahren sein, aber die Überlegungen sind da.“
Deutschland spielt nach der Überzeugung des Schweizers eine Schlüsselrolle in der Konfrontation zwischen den USA und Russland: „Sowohl für Russland als auch für die USA ist es Deutschland, das in Europa zählt. Der Rest ist für die Großmächte letztlich nur Beiwerk“, sagt Stahel. ..." (Focus online, 16.6.15)
• Kiew will russischen Kredit nicht zurückzahlen
"In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko einen russischen Kredit im Jahr 2013 in Höhe von drei Milliarden US-Dollar als „Bestechungsgeld“ für seinen aus dem Amt „verdrängten“ Vorgänger Wiktor Janukowytsch bezeichnet, und damit die rechtliche Verpflichtung zur Rückzahlung in Frage gestellt. Darauf reagierte der russische Ministerpräsident Dimitri Medwedew mit der Aussage: „Wenn der 3-Milliarden-Kredit ein Schmiergeld war, wie Herr Poroschenko sagt, dann sind die Milliarden des IWF schwerer Diebstahl.“
Poroschenko hatte in dem Interview mit Bloomberg TV argumentiert, dass der Kredit im Austausch gegen die Ablehnung des Assoziierungsabkommens mit der EU vergegeben wurde und somit „Schmiergeld“ sei. Russland forderte daraufhin eine Klarstellung von Seiten der ukrainischen Regierung.
„Zunächst erwarten wir eine Erklärung darüber, ob die jetzigen ukrainischen Behörden vorhaben, ihren Status als Nachfolger bezüglich der Verbindlichkeiten des Landes nachzukommen, was internationale und, vornehmlich für uns, finanzielle und andere Verpflichtungen Russland gegenüber beinhaltet,“ sagte der Kremlsprecher Dmitri Peskow gegenüber der Presse in Moskau und führte weiter aus: „Wenn wir von der Legitimität der aktuellen Regierung in der Ukraine sprechen, ist die Frage, ob das Prinzip der Rechtsnachfolge hinterfragt wird. Hält die Ukraine ihre internationalen Verpflichtungen ein oder lehnt sie sie ab? Wir haben immer noch keine Antwort auf diese Frage, und ganz offen gesagt, weiß ich nicht, ob die Aussage von Präsident Poroschenko schon als Antwort gewertet werden kann. ..." (RT deutsch, 16.5.15)
• US-Publizist: Washington und NATO wollen Russland umstellen
"Die
USA und die NATO planen nach Ansicht eines ehemaligen Mitarbeiters des
US-Außenministeriums, Russland „von allen Seiten“ zu umstellen. „Deshalb
wollen sie die Weltgemeinschaft davon überzeugen, dass Russland die
größte Bedrohung für die Welt darstellt“, sagte der Publizist William
Blum am Montag dem lettischen Radiosender Baltkom.
„Dabei handelt es sich nur um einen der Schritte der USA und der NATO, Russland zu umzingeln. Die Vereinigten Staaten wollen, dass die Welt daran glaubt, dass von Russland die größte Gefahr ausgeht. Aber das ist nichts anderes als Propaganda, denn die größte Gefahr geht von den USA und der NATO aus“, sagte der als Kritiker der US-Außenpolitik bekannte 82-jährige Blum.
„Wie würden die USA reagieren, wenn Russland Kampftechnik in Mexiko oder in Kanada stationiert hätte? Sie wären in den Krieg gezogen. Aber Washington rechnet damit, dass Russland seine Umzingelung stillschweigend hinnehmen würde“, sagte Blum. ..." (Sputnik, 15.6.15)
„Dabei handelt es sich nur um einen der Schritte der USA und der NATO, Russland zu umzingeln. Die Vereinigten Staaten wollen, dass die Welt daran glaubt, dass von Russland die größte Gefahr ausgeht. Aber das ist nichts anderes als Propaganda, denn die größte Gefahr geht von den USA und der NATO aus“, sagte der als Kritiker der US-Außenpolitik bekannte 82-jährige Blum.
„Wie würden die USA reagieren, wenn Russland Kampftechnik in Mexiko oder in Kanada stationiert hätte? Sie wären in den Krieg gezogen. Aber Washington rechnet damit, dass Russland seine Umzingelung stillschweigend hinnehmen würde“, sagte Blum. ..." (Sputnik, 15.6.15)
"ZEIT ONLINE: Herr Stokes, durch Ihre Studie wissen wir, dass es gravierende Unterschiede im öffentlichen Meinungsbild zwischen der US-amerikanischen und deutschen Bevölkerung in Bezug auf den Umgang mit Russland gibt. Was sind die Gründe dafür?
Bruce Stokes: Die Geschichte, die Wirtschaft und die Geografie. Die Deutschen haben eine lange Geschichte mit Russland. Wenn der Kalte Krieg in einen richtigen Krieg gemündet wäre, hätte Deutschland die ersten Opfer zu verbuchen gehabt. Das hilft zu erklären, warum meist ältere Deutsche davon abgeneigt sind, eine Unterstützung der Nato-Alliierten in Betracht zu ziehen, wenn es zu einem militärischen Konflikt mit Russland kommen würde.
Deutschland hat außerdem weitreichendere Wirtschaftsbeziehungen zu Russland als die Vereinigten Staaten. Das erklärt womöglich, warum 29 Prozent der Deutschen die Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland verringern möchten.
ZEIT ONLINE: Und was hat es mit der Geografie auf sich?
Stokes: Die Deutschen im ehemaligen Osten sympathisieren viel eher mit den Russen als ihre Landsleute im Westen. Sie würden im Fall eines Konflikts zwischen einem Nato-Verbündeten und Russland lieber nicht einschreiten.
... Die amerikanische Elite sieht die Merkel-Regierung als standhaften Verbündeten an. Trotzdem ist sie über die öffentliche Meinung der Deutschen sehr besorgt. Ich denke, dass unsere Studie ein Weckruf für manche in den USA ist, die bisher die öffentliche Meinung der Deutschen außer Acht gelassen haben.
ZEIT ONLINE: Wie steht die deutsche Bevölkerung zur Politik Russlands?
Stokes: 70 Prozent der Deutschen haben gemäß unserer Erhebungen ein negatives Bild von Russland. Im Jahre 2010 waren es lediglich 45 Prozent. Demnach haben die Deutschen in den letzten Jahren eine kritischere Haltung gegenüber Russland eingenommen. Aber mittlerweile hat diese Haltung in einen entgegengesetzten Trend umgeschlagen. Denn im Jahre 2014 lagen wir noch bei 79 Prozent.
ZEIT ONLINE: Im Gegensatz dazu sehen mehr als 62 Prozent der Deutschen die Vereinigten Staaten als einen zuverlässigen Bündnispartner an.
Stokes: Das stimmt, aber nur ungefähr die Hälfte sympathisiert mit den Vereinigten Staaten, was unser Gutachten aus dem Jahre 2014 offenbart. Die Sympathie für die Vereinigten Staaten hat in Deutschland in den vergangenen Jahren schneller abgenommen als in den anderen großen europäischen Staaten. ...
ZEIT ONLINE: Spielen bei diesen Positionen die Erfahrungen aus den Weltkriegen eine Rolle?
Stokes: Das sind eher Konsequenzen des Kalten Krieges. Aber natürlich wird es auch der Nachklang der Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg sein. Die Deutschen möchten nicht, dass sich dieser Horror jemals wiederholt." (Zeit online, 15.6.15)
• Minsk II in Gefahr
"Der Waffenstillstand für den ukrainischen Bürgerkrieg wird immer brüchiger. Die Regierung in Kiew sprach am Sonntag von 109 Verletzungen der Feuerpause durch die Aufständischen im Donbass seit Samstag, diese nannten sogar die Zahl von 185 Artillerie- und Granatwerferangriffen durch die Regierungstruppen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) kommt offenbar mit dem Zählen kaum noch nach. Ihre Beobachter klagen darüber, dass beide Konfliktparteien ihre Bewegungsfreiheit immer stärker einschränken. Auch der Rückzug der schweren Waffen von der im Februar erreichten Frontlinie ist offenbar relativ. Auf seiten der Regierungstruppen notierten die OSZE-Beobachter sechs Fälle, in denen Geschütze und Raketenwerfer bewegt worden waren, auf seiten der Aufständischen fünf.
Der Beschuss der Städte im jeweiligen Hinterland fordert auf beiden Seiten Opfer unter der Zivilbevölkerung. Im Brennpunkt ukrainischer Artillerieangriffe steht insbesondere immer wieder die von etwa 300.000 Menschen bewohnte Stadt Gorlowka nördlich von Donezk. Dort kamen letzte Woche eine Frau und ihre kleine Tochter bei Angriffen ums Leben. Anwohner berichteten, dass eine Patrouille der OSZE von den verzweifelten Bewohnern tätlich angegriffen worden sei, weil diese die Organisation für die Nichteinhaltung des Waffenstillstands verantwortlich machten.
In Odessa besetzten unterdessen etwa 100 Aktivisten des »Automaidan« und des »Rechten Sektors« das Gebäude der Regionalorganisation der Kommunistischen Partei der Ukraine. Sie verbrannten alles, was sie dort an Accessoires mit Symbolen wie Hammer und Sichel vorfanden, und zogen wieder ab. Für den Sonntag kündigte sich ein weiterer Konflikt in Odessa an: Aktivisten des »Antimaidan« wollten eine Fotogalerie mit Bildern der Opfer des Pogroms vom 2. Mai 2014 wiederaufstellen, nachdem der Stadtrat die Gründung einer Gedenkstätte beschlossen hatte. Anhänger des »Rechten Sektors« kündigten an, dies nicht zuzulassen. In Odessa kommt es öfter zu kleineren Anschlägen auf Stützpunkte der Rechten, etwa Läden mit »nationaler Symbolik« oder »patriotische« Plakatwände. ..." (junge Welt, 15.6.15)
"Die OSZE-Beobachter im Donbass sind um ihren Job nicht zu beneiden. Ihre Berichte verzeichnen auf buchhalterische Weise, wer wo wie oft geschossen und das Abkommen von Minsk verletzt hat. Das Elend der OSZE beruht darauf, dass ihr »Z« für »Zusammenarbeit« steht. Wo kein Wille zur Kooperation, kann die OSZE nur ihr eigenes Scheitern protokollieren.
Die Waffenstillstandsverletzungen sind dabei nur die Oberfläche des Fehlschlags von Minsk II. Entscheidend sind die politischen Aspekte. Jede Seite pickt sich das heraus, was ihr passt. Kiew die Verpflichtung, der Ukraine die Kontrolle über ihre Grenze zu Russland zurückzugeben, was die Volksrepubliken sofort unhaltbar machen würde. Russland betont dagegen die Verpflichtung Kiews, sich zuvor mit den Vertretern der Volksrepubliken auf eine Verfassungsreform zu einigen. Kiew will alles und das sofort, Russland verweist darauf, dass für die volle Umsetzung des Abkommens eine Frist bis zum Jahresende gesetzt ist. Die Aufständischen spielen ihr eigenes Spiel: Anfang letzter Woche unterbreiteten die Volksrepubliken der Ukraine Vorschläge zu einer weitgehenden Regionalisierung des Landes; unter dieser Voraussetzung seien sie bereit, in den ukrainischen Staatsverband zurückzukehren. Der Vorschlag wurde in Kiew alsbald zurückgewiesen: Er stelle nicht die Einheit des Landes wieder her, sondern lasse einen rechtlichen Flickenteppich befürchten. Das mag schon sein; aber auf Ausgangspositionen zu beharren, ist keine Politik, sondern Starrsinn. Wieder einen Tag später erklärten die Autoren des Kompromissvorschlags vom Montag, er sei nicht mehr aktuell, und am liebsten würden sich die Volksrepubliken ohnehin Russland anschließen. ..." (Reinhard Lauterbach in junge Welt, 15.6.15)
• Lügner und Propagandisten in deutschen Medien entlarvt
"Russia Insider ist ein junges, crowdfinanziertes News-Portal, das sich zum Ziel gesetzt hat, die systematischen Lügen und Desinformation der anglo-amerikanisch-dominierten Presse aufzudecken und ein informelles Gegengewicht zu setzen.
Es wurde 2014 von in Russland lebenden und ursprünglich aus dem Westen stammenden Auswanderern gegründet, die genug hatten vom Russland-Bashing der westlichen Medien. Gründer Charles Bausman erläutert im RT-Interview die Motivation und Zielsetzung.
In einem aktuellen Artikel, der den Start einer Serie über “die übelsten deutschen Medienlügner” darstellt, beschäftigt sich Autor Mihajlo Doknic mit dem SPIEGEL-Hetzer Benjamin Bidder und einer Auswahl seiner Machwerke. ..." (Propagandaschau, 11.6.15)
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→ alternative Presseschau aus ukrainischen, ostukrainischen und russischen Quellen
→ die täglichen Berichte der OSZE-Beobachtermission in der Ukraine
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