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Donnerstag, 14. Februar 2013

Das zynische Spiel mit den Opferzahlen

Syrien: Laut UNO ist die Zahl der Toten durch den Krieg auf fast 70.000 gestiegen. Das wird genutzt, um ein direktes Eingreifen zu fordern, auch wenn die Zahlen unsicher sind.

"Nur die Flüchtlinge und die Toten dieses Krieges in und gegen Syrien scheinen nützlich zu sein. Sie dienen als Propagandamunition gegen Assad, der für all das verantwortlich gemacht wird." Das habe ich am 11. Februar 2013 geschrieben. Einen Tag später kam die traurige Bestätigung: "Fast zwei Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs in Syrien sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen nahezu 70.000 Menschen ums Leben gekommen", meldete der Schweizer Tages-Anzeiger am 12. Februar 2013. Der Zeitung zufolge ist für die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, klar, wer Schuld an den Opfern und ihrer hohen Zahl hat. "Sie rief den Sicherheitsrat erneut dazu auf, die syrische Regierung vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen." Ähnlich ist es auch von den bundesdeutschen Mainstreammedien wiedergegeben worden, was nicht überraschend ist. Pillay beklagte den Meldungen nach die Untätigkeit des UN-Sicherheitsrates, was eher wie eine Aufforderung klang, endlich direkt in Syrien einzugreifen anstatt alle Möglichkeiten für eine friedliche Lösung zu nutzen.

Einige Tage zuvor hatte Joachim Guilliard in der jungen Welt vom 6. Februar 2013 vor einem "frisierten Body Count" gewarnt.  Da die oben erwähnten und ähnliche Meldungen fast überall zu lesen, zu hören und zu sehen sind, Zweifel daran aber kaum, zitiere ich etwas ausführlicher aus Guilliards Beitrag. Er schrieb von einem "zynischen Spiel", bei dem die Bestimmung der Opferzahlen im syrischen Bürgerkrieg als Interventionspropaganda des Westens diene. Guilliard gehört zu den Autoren des des IPPNW-Reports "Body Count - Opferzahlen nach zehn Jahren Krieg gegen den Terror". "Verläßliche Untersuchungen über die Zahl der infolge des Aufstands getöteten Menschen gibt es im syrischen Falle so wenig wie in den meisten anderen blutigen Konflikten", stellt er in dem Zeitungsbeitrag fest. Selbst die von der UNO gemeldeten Zahlen würden "bei näherem Hinsehen größtenteils nur auf Propaganda" basieren. "Ziel der meisten Veröffentlichungen von Opferzahlen ist auch nicht die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Leid der Syrer und die Notwendigkeit, die von außen geschürte Eskalation zu stoppen. Indem stets der Eindruck erweckt wird, es handele sich bei den gemeldeten Toten um unbewaffnete Zivilisten, die vorwiegend der Regierungsgewalt zum Opfer fielen, dienen die Opferzahlen vor allem dem Zweck, die Forderung nach einem Umsturz zu unterfüttern und der Forderung nach einer massiveren Intervention Nachdruck zu verleihen."

Guilliard meldet Zweifel an den Ergebnissen einer im Auftrag des UN-Kommissariats für Menschenrechte durchgeführten Untersuchung zu den Opfern in Syrien an. Dagegen würden beispielsweise systematische Studien zu den Kriegsopfern in Afghanistan beispielsweise ebenso fehlen wie zu denen in Somalia und zum US-"Krieg gegen den Terror" in Pakistan und Jemen. "Wie viele Menschen in Libyen dem vom UN-Sicherheitsrat legitimierten Krieg »zum Schutz der Zivilbevölkerung« zum Opfer fielen, wollte die UNO bisher ebenfalls nicht genau wissen." Im Irak seien UN-Organisationen erst nach den Ergebnissen zweier unabhängiger Studien über die Anzahl der durch Krieg und Besatzung getöteten Iraker aktiv geworden. Die ermittelten Zahlen seien "für die Besatzer absolut unverdaulich" gewesen, was zu einem "erbitterten Streit über das wahre Ausmaß des Blutzolls, den die verbrecherische Zerschlagung des Staates forderte", geführt habe.

UN-Kommissarin Pillay blende bei ihrer einseitigen Schuldzuweisung an die syrische Regierung "einmal mehr die frühe Gewalt bewaffneter Regierungsgegner aus, die von Beginn der Proteste an dafür sorgte, daß die Auseinandersetzungen rasch eskalierten und in einen bewaffneten Aufstand übergingen". Sie ignoriere "geflissentlich die Bewaffnung und sonstige Unterstützung der Aufständischen durch NATO-Mächte und Golfmonarchen, ohne die es den mörderischen Krieg nicht gäbe". Guilliard kritisiert den großzügigen Umgang mit den syrischen Opferzahlen. Die im Auftrag der UNO durchgeführte Untersuchung sei nicht wie beispielsweise die im Irak vor Ort durchgeführt und stattdessen seien die Angaben verschiedener Organisationen zusammengezählt worden. Diese beruhten "fast ausschließlich auf den Angaben oppositioneller Aktivisten", die selbst vom privaten US-amerikanische Nachrichtendienst Stratfor als zumeist "stark übertrieben oder schlicht unwahr" eingeschätzt würden. "Die Beobachtermission der Arabischen Liga kam zum selben Schluß, und auch der NATO-nahe Think Tank International Crisis Group berichtet über die Erfahrung, daß zahlreiche Berichte über Gewaltmaßnahmen der Regierung frei erfunden waren."

Aus den großen Zweifeln an der Datenbasis der neuen UNO-Schätzung über die syrischen Kriegsopfer folge "allerdings nicht zwangsläufig, daß sie überhöht ist", so Guilliard. Sie sei aber im Gegensatz zum "Iraq Body Count"-Projekt "nur wenig mehr als Spekulation". Nur eine repräsentative Untersuchung könne für Syrien eine verläßliche Schätzung liefern – "nicht nur über die Zahl der Todesfälle, sondern auch darüber, wer in welchem Maß dafür verantwortlich ist." Ein großer Teil der getöteten Zivilisten in Syrien gingen auf das Konto von Aufständischen und auf das der ethnisch-konfessionellen Gewalt, was die Zahl möglicher Opfer von Sicherheitskräften sehr relativiere. "Betrachtet man zudem die relativ hohen Verluste der Regierungskräfte und vergleicht sie mit denen der britischen und US-amerikanischen Truppen im Irak oder die der NATO in Afghanistan, so scheinen die Versicherungen der syrischen Armee, sie würde mit großer Rücksicht gegenüber der Zivilbevölkerung vorgehen, keineswegs substanzlos. Zumindest scheint sie wesentlich mehr Rücksicht zu nehmen als die Besatzer im Zweistromland und am Hindukusch."

Das Vorgehen des UN-Kommissariats für Menschenrechte und seiner Chefin Pillay zeige einmal mehr, daß im Westen mit zweierlei Maß gemessen wird, stellt Guilliard fest. "Im Falle Libyens endeten die Meldungen über die Zahl der Opfer schlagartig mit den ersten NATO-Bomben, die auf das Land niedergingen. In Syrien beobachten wir nun seit fast zwei Jahren dasselbe zynische, interessengeleitete Spiel mit Opferzahlen, wie es mit wechselndem Vorzeichen überall dort gespielt wird, wo der Westen direkt oder indirekt involviert ist." Die UNO unternehme in den Fällen, wo westliche Staaten verantwortlich gemacht werden könnten, keine Anstrengungen, dem Herunterspielen der Opferzahlen etwas entgegensetzen. Dagegen gebe es Interesse an hohen Opferzahlen in Syrien – bis der Wunsch nach einem direkten Eingreifen erfüllt wird.

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