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Donnerstag, 17. September 2015

Kriegslügen und Präsidentenangst (Teil 2)

Zwei ehemalige hochrangige CIA-Mitarbeiter stellten sich am 16. September in Berlin der Frage: „Wie werden heute Kriege gemacht?“ - Zweiter Teil des Berichtes

Hier geht es zum ersten Teil des Berichtes

Die beiden Ex-Nachrichtendienstler nannten Syrien als weiteres Beispiel. Der mutmaßliche Chemiewaffeneinsatz bei Damaskus im August 2013 sollte als Anlass für die vorbereitete US-Intervention dienen, nachdem US-Präsident Obama einen solchen Fall als „rote Linie“ bezeichnet hatte. Doch eine Analyse der Geheimdienste habe ergeben, dass das verwendete Sarin nicht aus den Beständen der syrischen Armee stammte, sondern gewissermaßen selbstproduziert war. Obama sei daraufhin gewarnt worden, dass er zum Angriffsbefehl provoziert werden sollte und dafür belogen wurde. Die entsprechenden Lügen habe auch US-Außenminister John Kerry mehrfach wiederholt, erinnerte McGovern. Das habe Obama auch der russische Präsident Wladimir Putin erklärt, der dann seinem US-Kollegen geholfen habe, einen Ausweg zu finden. Geheimdienstanalysen würden von den Politikern und den Militärs „umgedreht“, meinten McGovern und Murray in Berlin. Die ehemalige CIA-Analytikerin berichtete, dass sie in ihrer aktiven Dienstzeit erlebte, wie 2010 Warnungen, dass die Gewalt im Irak wieder zunehme, von hohen US-Militärs abgewiesen wurden. Diese hätten nur ihre vorgefertigte Meinung über einen vermeintlichen Erfolg der USA im Irak bestätigt haben wollen. „Der US-Präsident erhielt so falsche Information“, sagte Murray und fragte: „Welche Informationen bekommt der deutsche BND von uns?“

McGovern warnte wie bereits bei seinem Besuch am 15. September 2014 am gleichen Ort vor der antirussischen Hetze in Folge des Ukraine-Konfliktes. „Die russische Bedrohung ist erfunden“, stellte er klar und verwies darauf, dass Russlands Reaktionen eine Folge des von den USA und der EU geförderten Putsches in Kiew im Februar 2014 seien. Mit Blick auf die gegenwärtigen Debatten zu Syrien sagte der ehemalige CIA-Chefanalytiker für die UdSSR und Russland, das die russischen Reaktionen vernünftig seien angesichts der Versuche, den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu stürzen. „Wollen wir denn, dass der IS regiert?“ Er habe nie gedacht, dass er eines Tages feststellen werde: „Was uns lange fehlte, war die russische Abschreckung.“ Hätte es sie damals gegeben, hätten die USA den Irak nicht angegriffen. „Die Russen erstarken wieder. Und in seinen besten Momenten weiß Obama das.“ McGovern zeigte sich sicher: „Die Russen halten uns auf – und das ist gut für uns.“

Die Analytiker in den militärischen Nachrichtendiensten der USA hätten derzeit große Probleme mit ihren Vorgesetzten, wußte McGovern zu berichten. Die Generäle wollten Erfolge und den kommenden Sieg im Drohnenkrieg gegen den Islamischen Staat melden. Doch die Analytiker hätten festgestellt, dass der Krieg mit Hilfe der Drohnen den islamistischen Extremisten zunehmend Zulauf verschaffe. Weil das verfälscht werde, hätten sich unlängst 50 Analytiker mit einer Beschwerde an das Pentagon gewandt. McGovern, der sich mehrfach kritisch über die Rolle der Medien äußerte, wies daraufhin, dass auch in dem Fall die US-Mainstream-Medien die Sache verschweigen bzw. nur bringen würden, was das Pentagon dazu sagt. Doch wenn der Krieg gegen den IS nicht gut laufe, aber fortgesetzt werde, bekämen die US-Generäle so ihren eigenen 30jährigen Krieg, von dem sie bereits reden würden, ohne jedes Gefühl für Geschichte. Der kontraproduktive Drohnenkrieg führe zu immer mehr Islamisten, was wiederum den Krieg verlängere. Der ehemalige CIA-Analytiker verwies auf die zentrale Rolle der US-Basis im deutschen Ramstein für den Drohnenkrieg, ohne die er nicht durchführbar sei: „Ramstein ist zentral dafür.“ McGovern forderte die deutsche Friedensbewegung auf, Widerstand dagegen zu leisten: „Sie haben hier die Mittel, sich zu wehren.“ Es gehe nicht nur darum, dass die Bundesrepublik 70 Jahre nach Kriegsende sich unabhängiger von den USA machen müsse und aus deren Vormundschaft befreien. Der frühere CIA-Analytiker warnte: „Wenn im Nahen Osten bekannt wird, wie zentral Ramstein für den verhassten Drohnenkrieg ist, gibt es hier eine tatsächliche Terrorgefahr.“ „Stoppt das!“, forderte McGovern seine Zuhörer auf.

Psychopathische Mentalität der Kriegstreiber


Er sprach auch davon, dass den sogenannten Drohnen-Piloten, die per Joystick töten, die menschliche Dimension ihre Tuns bewusst gemacht werden müsse. Über diese werde fast nie von jenen nachgedacht und gesprochen, die Kriege anzetteln und befehlen. Die ehemalige CIA-Analytikerin Murray bestätigte das mit einem Beispiel aus dem November 2002. Damals habe sie an einer mehrtätigen Kriegsplanungsübung des US-Militärs teilgenommen, bei dem es um die Folgen einer möglichen Invasion im Irak gegangen sei, sowohl militärische, politische und wirtschaftliche. Am letzten Tag habe sie am Rand neben einem Mann gesessen, der seine Frau, eine Wissenschaftlerin, begleitet hatte. Er sei US-Bürger gewesen, aber irakischer Herkunft. Murray habe bemerkt, dass er Tränen in den Augen hatte, während die Kriegssimulation weiterlief. Als sie ihn besorgt ansprach, habe er ihr erklärt, dass bei dieser Veranstaltung über alle möglichen Folgen eines Krieges diskutiert werde, aber über eine nicht: Die Folgen für die Millionen Menschen im Irak, von denen viele sterben werden. „Da habe ich mich geschämt, dass ich an diesem Kriegsspiel beteiligt bin“, berichtete die ehemalige CIA-Mitarbeiterin. Sie sprach von einer psychopathischen Mentalität, mit der die Verantwortlichen Kriege planen und dabei nur an wirtschaftliche, politische und militärischen Interessen sowie an die Profite für die Rüstungskonzerne denken.

Vor dieser Herzlosigkeit, der fehlenden Empathie warnte auch McGovern in Berlin. Er erinnerte an Albrecht Haushofer, der kurz vor Kriegsende 1945 von den deutschen Faschisten wegen seiner Verbindung zu den Attentätern vom 20. Juli hingerichtet wurde. Dieser hat im Gefängnis Moabit Sonette geschrieben, von denen eines den Titel „Schuld“ trägt, an dessen Ende es heißt:
…ich kannte früh des Jammers ganze Bahn –
ich hab gewarnt – nicht hart genug und klar!
Und heute weiß ich, was ich schuldig war .
McGovern trug es frei auf Deutsch vor und erinnerte an die Warnung von Martin Luther King, dass es oft zu spät sein kann, etwas zu tun. „Wenn der Drohnenkrieg mehr Terrorangriffe erzeugt, kommt es auch hier zu einer solchen Unterdrückung, wie wir sie in den USA erleben.“ Murray ergänzte später in der Diskussion mit dem Publikum, dass sie, nachdem sie den Film „Das Leben der anderen“ gesehen hatte, wisse: „Wir haben heute einen Stasi-Staat in den USA.“ Auf die Frage nach möglichen Repressalien und Überwachung, wenn sie nach ihren Vorträgen zurückkommen, sagte sie: „Jeder von uns wird überwacht.“ Murray hofft auf Whistleblower auch aus Deutschland. Um die Wahrheit zu sagen wie Edward Snowden, Chelsea Manning oder Ray McGovern müssten jene ihre „Comfort-Zone“ verlassen. Ihr Kollege wiederholte, was er bereits vor einem Jahr sagte: Wer Widerstand leiste, sollte nicht zuerst fragen, ob er Erfolg haben werde. Es sei wichtiger zu handeln, etwas zu tun, gemeinsam mit anderen. Ob es erfolgreich sei, sei zweitrangig und werde sich dann zeigen. Die deutsche Kampagne gegen den Drohnenkrieg von der US-Basis Ramstein sei wichtig und ein gutes Beispiel dafür, was möglich ist, betonten die beiden ehemaligen CIA-Mitarbeiter. Moderatorin Elsa Rassbach, selber von der Kampagne “Stoppt den US-Drohnen-Krieg via Ramstein”, hatte diese zu Beginn des Abends kurz vorgestellt.

Die Veranstaltung wurde von KenFM aufgezeichnet und wird dort sicher bald nachzuschauen sein. Weltnetz.tv führte ein Interview mit McGovern und Murray und wird dieses ebenfalls in Kürze online veröffentlichen.

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