Politiker und ehemalige Diplomaten der Bundesrepublik warnen vor den
Folgen der antirussischen Politik des Westen und fordern eine Korrektur
Der SPD-Politiker Matthias Platzeck meint, „die Partnerschaft mit Russland nützt uns allen – in Deutschland und in Europa.“
Er fordert deshalb, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die
gegenwärtige Krise in den Beziehungen mit Russland zu überwinden. Der
frühere SPD-Vorsitzende und heutige Vorstandsvorsitzende des
Deutsch-Russischen Forums spricht sich in einem Beitrag in der Zeitschrift WeltTrends, Ausgabe 115 (Mai 2016) für eine Wiederannäherung an Russland aus.
„Das Klima zwischen Deutschland und Russland ist deutlich rauer geworden und das gegenseitige Misstrauen gewachsen“, stellt Platzeck fest und fügt hinzu: „Eine Verständigung ist nicht in Sicht.“ Davon zeuge u.a. der „vorwurfsvolle, bisweilen feindselige Ton“
in den Berichten der Medien beider Länder. Der SPD-Politiker macht
Distanz und Sprachlosigkeit zwischen der Bundesrepublik und Russland
aus. Diese würden bestehende Vorurteile und Ängste verstärken und
Missverständnisse entstehen lassen. Vertrauen sei verloren gegangen und
Stabilität und Sicherheit in Europa gefährdet.
Platzeck schreibt, dass eine Wiederannäherung an Russland „den politischen und wirtschaftlichen Interessen beider Seiten entgegen“
komme. Das könne nur durch einen intensivierten Dialog auf allen
Kanälen erreicht werden, durch ständigen direkten Kontakt und indem
Russland „auch bei europäischen Diskussionen häufiger mit am Tisch sitzen“
müsse. Wenn das vom SPD-Politiker als notwendig beschrieben wird, zeigt
es zugleich, auf welchem schlechten Stand die Beziehungen zwischen der
Bundesrepublik und Russland gesunken sind. „Sanktionen sind so gut wie nie ein wirksames Mittel der Politik“, mahnt Platzeck an und verweist darauf, dass sie nicht den erhofften Effekt haben. „Im Gegenteil: Russland zieht sich immer mehr zurück, wird nationalistischer und feindlicher.“
Er warnt vor einer wirtschaftlichen oder politischen Destabilisierung
Russlands, die niemand in Deutschland und Europa wollen könne. „Zerfallsprozesse
auf dem Territorium der zweitgrößten Atommacht der Erde, in einem Land,
das sich über 10 Zeitzonen erstreckt und 80 Völkerschaften vereint,
sind ein Szenario, das man sich nicht einmal vorstellen möchte.“
Platzeck
verweist auf die wirtschaftlichen Interessen beider Seiten und die
positive Wirkung intensiver Wirtschaftskontakte. Er erinnert an die
zahlreichen globalen Probleme, die „ohne oder gar gegen Russland“ nicht zu lösen seien. Ein Beispiel sei Syrien, das zum Testfall dazu werden könne, „wie man Probleme der Welt mit Russland gemeinsam angeht und löst“.
Der Hinweis auf den feinen, aber wichtigen Unterschied, dass Russland
das Problem Syrien nicht geschaffen hat, dafür jene, die nun mit Moskau
angeblich einen Ausweg suchen, fehlt allerdings in Platzecks kurzem
WeltTrends-Text.
Das gilt auch für den Konflikt in und um die
Ukraine. Da wird der ehemalige Diplomat und Botschafter Frank Elbe in
Ausgabe 5/2016 der Zeitschrift Cicero deutlicher. Darin fordert
er ebenfalls auf, die Spaltung zwischen Europa und Russland zu
überwinden und wieder mit Russland zu kooperieren (siehe auch "Diplomat fordert Realismus statt Sanktionen"). Er erinnert an eine
Aussage des US-Journalisten Tom Friedman, der 2008 feststellte, dass der
Kalte Krieg für Russland vorbei sei, „aber nicht für uns“. „In der Russlandkrise haben Politik, Diplomatie, aber auch Medien und Gesellschaft versagt“,
stellt der ehemalige Diplomat und Mitarbeiter von Hans-Dietrich
Genscher fest. Das habe nicht erst mit der Ukraine-Krise begonnen,
sondern schon vor 20 Jahren. Die westliche Politik sei ihren eigenen
Prinzipien nicht treu geblieben und missachte in der Außenpolitik „die faktisch noch immer bestehenden realpolitischen Gesetzmäßigkeiten“. „Wie
von Blindheit geschlagen, fehlt der aktuellen westlichen Politik der
Respekt vor den Gefahren einer möglichen nuklearen Konfrontation.“ Russland und die USA hielten sich noch immer mit der Strategie der „gesicherten gegenseitigen Vernichtung“
gegenseitig in Schach, erinnert der Ex-Diplomat. Die zu Grunde liegende
Annahme, dass sich die Beteiligten immer rational verhalten, könne „nicht wirklich als gesichert angesehen werden“. „Gesichert ist nur die totale Zerstörung, wenn die Parteien sich irrational verhalten.“
Elbe
schreibt, dass das Beispiel der Kuba-Krise 1962 gelehrt habe, den
Abstand zwischen dem Knopf für den Nuklearschlag und den abdrückenden
Daumen möglichst groß zu halten. Dieser „wahre Kern der Entspannungspolitik“ sei aber in den letzten Jahren zunehmend missachtet worden. John F. Kennedys Management der Kuba-Krise sei dagegen „hohe Staatskunst“ gewesen. Der damalige US-Präsident habe beherzigt, was der britische Militärhistoriker Lidell Hart geraten habe: „Stell dich in seine Schuhe, um die Dinge durch seine Augen zu sehen.“ Der Ex-Diplomat stellt in Cicero fest: „Im heutigen Umgang mit Russland gehört solcherlei Empathie nicht mehr zu unserem politischen Vokabular.“
US-Präsident Barack Obama habe sich stattdessen am Ende seiner ersten
Amtszeit von seiner auf Ausgleich auch mit Russland bedachten Politik
verabschiedet „– ohne weitere Erklärung und ohne Konsultation mit Amerikas Verbündeten“. Stattdessen habe der Neokonservatismus erneut Einfluss auf die US-Politik gewonnen und genommen, der „unerschütterlich“ von der Vormachtstellung der vereinigten Staaten ausgehe.
Das sei unter anderem im Fall Ukraine deutlich geworden. Elbe schreibt, der „zielstrebige Plan der Administration“
habe vorgesehen, „den von ihr aufgebauten Kandidaten Jazenjuk durch
einen Putsch in das Amt des ukrainischen Ministerpräsidenten zu hieven,
den amtierenden Staatspräsidenten Janukowitsch zu verjagen und
schließlich – wenn möglich – einen Regimewechsel in Russland zu
versuchen.“ Das habe Obama selbst gegenüber CNN eingeräumt (siehe u.a. "Obama bestätigt US-geführten Putsch in Kiew"), so der Ex-Diplomat. „Den ‚change of regime‘ pfiffen gegen Ende 2014 in Washington die Spatzen von den Dächern.“
Aufgrund der von der US-Politik nicht einkalkulierten entschiedenen
russländischen Reaktion sei die „Operation Ukraine“ aber zum Fiasko
geworden. Elbe zählt die Rückkehr der Krim zu Russland dazu, für ihn
auch eine Annexion, und schreibt: „Der Westen darf sich aber nicht
so auf die Einverleibung der Krim fixieren, als hätte es keine
schwärende Vorgeschichte der Krise und keine amerikanische Einmischung
in die inneren Angelegenheiten der Ukraine gegeben.“ Die
US-Administration trage die Hauptverantwortung für den Konflikt. Dagegen
seien die frühen und mehrfachen Warnungen aus Moskau ignoriert worden, „dass mit der Integration der Ukraine in die westliche Einflusssphäre eine rote Linie überschritten werden würde“.
Elbe
fragt sich, ob es schlimm gewesen wäre, die Sorgen Russland angesichts
der Einkreisungspolitik des Westens ernst zu nehmen. Er fragt auch, „wie die USA in Putins Lage gehandelt hätten“.
Und erinnert an den Klassiker der „roten Linien“, die die USA 1962
angesichts sowjetischer Raketen auf Kuba zog. Der Ex-Botschafter fordert
von der Diplomatie, die heutige Krise zu lösen. Dazu gehöre, „Russland
wieder seinen Platz in der euroatlantischen Gemeinschaft einzuräumen
und ein neues multipolares und globalisiertes Gleichgewicht zu schaffen“. Für den Westen gebe es keine Sicherheit ohne Russland. Niemand könne diese „Großmacht mit enormen wirtschaftlichen Ressourcen“
ohne Nachteile für sich selbst ignorieren, warnt Elbe. Er erinnert auch
daran, dass der russländische Präsident Wladimir Putin in Russland zu
den „Westlern“ gehöre, und fordert, dessen europäische Orientierung zu
nutzen. Eine wirtschaftliche Zusammenarbeit des Westens, einschließlich
der USA, würde allen Beteiligten nutzen.
Der Ex-Diplomat stellt aber auch klar, dass die USA die Europäer nicht davon abhalten könnten, diesen Weg „unter Umständen auch allein zu gehen“. Er sei sich nicht sicher, „ob die USA und Europa in ihren außenpolitischen Zielen noch übereinstimmen“.
In Washington gebe es kein Interesse an einem starken Europa, das
intensiv wirtschaftlich mit Russland zusammenarbeitet. Er verweist auf
Stratfor-Gründer George Friedman, der das klar benannte (siehe u.a. Nachrichtenmosaik Ukraine extra 3 vom 18.3.15).
Elbe hält Friedman zwar für einen Spinner, ist aber besorgt, dass
dessen Vorstellungen von zerstörten Beziehungen zwischen Russland und
Deutschland und einem gespaltenen Europa „sich mit vielem deckt, was in den USA gegenwärtig gedacht und getan wird“.
Elbe verweist dabei auf die militärischen Alleingänge der USA an der
Nato-Ostflanke. US-Militärs würden solche Schritte auch ohne politischen
Konsens in dem Kriegsbündnis gehen, was für den Ex-Botschafter ein „Angriff auf die politische Souveränität der Nato“ ist. Am Ende seines Beitrages stellt er klar: „Europa ist aber kein Vorhof der USA. Es ist unser Kontinent.“
Ich
sehe keinen Grund, Platzeck und Elbe zu widersprechen. Die Frage ist
nur, wer von den aktiven Politikern hierzulande und im westlichen Lager
hört auf diese und andere Stimmen der Vernunft.
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