"Es hat nie einen gerechten, nie einen
ehrenhaften Krieg gegeben – seitens des Anstifters. ... diese Regel wird
in keinem halben Dutzend Fällen umgestoßen werden. Die lärmende kleine
Handvoll wird – wie üblich – nach Krieg schreien. Die Kanzel ist –
behutsam und vorsichtig – zunächst dagegen; die große, breite,
stumpfsinnige Masse des Volkes reibt sich verschlafen die Augen und
versucht herauszukriegen, warum es Krieg geben soll, und erklärt ernst
und empört: 'Das ist ungerecht und unehrenhaft, und es besteht keine
Notwendigkeit dazu.' Da schreit die Handvoll lauter. Einige wenige
gerechte Männer auf der anderen Seite treten in Wort und Schrift mit
vernünftigen Argumenten gegen den Krieg auf, und anfangs hört man sie an
und spendet ihnen Beifall; aber das hält nicht lange an; jene anderen
überschreien sie, und bald schmelzen die Massen der Kriegsgegner
zusammen und werden unbeliebt. Nicht lange, und du siehst folgendes
sonderbare Bild: Die Redner werden mit Steinwürfen von der Tribüne
gejagt, und die freie Rede wird von Horden wütender Leute abgewürgt, die
im tiefsten Herzen – wie bisher – mit diesen gesteinigten Rednern noch
immer einer Meinung sind, es aber nicht auszusprechen wagen. Und jetzt
nimmt die ganze Nation – die Kanzel wie alle anderen – den Ruf nach Krieg auf und brüllt sich heiser und schlägt jeden ehrlichen Mann
zusammen, der den Mund aufzumachen wagt; und bald tut sich kein solcher
Mund mehr auf. Als nächstes denken sich die Statsmänner billige Lügen
aus, mit denen sie die Schuld dem angegriffenen Volk zuschieben, und
jedermann ist froh über diese Verdrehungen, die das Gewissen
beschwichtigen, und studiert sie fleißig und weigert sich, auch nur zu
prüfen, was sie widerlegen könnte; und so redet man sich nach und nach
selber ein, der Krieg sei gerecht, und dankt Gott für den ruhigeren
Schlaf, dessen man sich nach diesem Vorgang grotesker Selbsttäuschung
erfreut."
Mark Twain in "Der geheimnisvolle Fremde" (deutsch von Ana Maria Brock), in: Mark Twain "Der Prinz und der Bettelknabe/Der geheimnisvolle Fremde" Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1984; S. 337
Mark Twain in "Der geheimnisvolle Fremde" (deutsch von Ana Maria Brock), in: Mark Twain "Der Prinz und der Bettelknabe/Der geheimnisvolle Fremde" Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1984; S. 337
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