Der Tod Gaddafis ist ein Sieg. Ein Sieg für diejenigen, die ihn seit etwa 40
Jahren hassten, weil er gemeinsam mit den anderen Offizieren sie einst
verjagte: Der damalige libysche König und sein Clan, die westlichen Staaten,
allen voran Großbritannien und die USA, und ihre Konzerne, die endlich wieder
ungestört auf das libysche Öl zugreifen können, ohne von dem Profit all zu viel
an den libyschen Staat abgegeben zu müssen. Sie alle können ausgiebig feiern.
Wer mehr wissen will, wie sehr die westlichen Staaten Gaddafi gehasst haben,
weil er ihnen etwas weggenommen hatte und versuchte, ihre politischen Spiele in
Arabien und Afrika zu stören, der sollte den interessanten Beitrag "Ewiges
Vergelten - Der amerikanisch-libysche Dauerkonflikt" in
der Luftfahrtzeitschrift Fliegerrevue extra 34 lesen. Der Beitrag ist nicht
online, nur der Vorspann, in dem es u.a. heißt:
"Tatsächlich führten die USA – aber auch Frankreich – schon davor [vor
1986] größere Militäroperationen durch, die kaum ins öffentliche Bewusstsein
gelangten. Das Bombardement gegen die libysche Hauptstadt [1986] war nur eine
Episode in dem endlosen Krieg der Vergeltungen."
Sicher ist Gaddafis Tod auch das symobilische Ende von Angst und
Unterdrückung für diejenigen in Libyen, die aus verschiedenen Gründen darunter
zu leiden hatten. Aber wäre es doch nur so einfach, dass der Tyrannenmord
jegliche Unterdrückung beseitigt ... Was geschieht mit denen, die sich gegen
die neuen libyschen Machthaber stellen und aus verschiedenen Gründen Widerstand
leisten? Werdern sie entsprechend der UN-Menschenrechtscharta behandelt? Könnte
ja sein, aber ich habe da so meine Zweifel, die auch vom Tod Gaddafis und dem Umgang mit dem
Toten sowie den Berichten, wie die "Rebellen" mit ihren Gegnern
umgehen, genährt werden.
Wenn jetzt alles gut und besser und schöner werden sollte für die Menschen
in Libyen, dann würde mich das freuen. Schauen wir einfach mal in ein paar
Jahren, wie sich in Libyen die soziale Situation entwickelt hat, ob die hohe
Jugendarbeitslosigkeit abgebaut wurde, ob allen das Bildungs- und
Gesundheitssystem zugute kommt, wie es aussieht mit der Situation der Frauen,
ob der auf dem Öl basierende Reichtum des Landes auch seinen Bürgern zu gute
kommt und vor allem, ob sich eine lebendige Demokratie entwickelt hat, in der
Widerspruch als Triebkraft der Entwicklung genutzt und nicht unterdrückt wird.
Ich bin da ehrlich gesagt ziemlich skeptisch, angesichts der NATO-Paten für
diese libysche "Revolution" ...
Gaddafis Tod mit aktiver Hilfe der NATO ist auch ein Zeichen für all jene,
die sich den Interessen des Westens und seiner Konzerne immer noch in den Weg
stellen, die noch nicht begriffen haben, dass seit 1989 ein weltgeschichtliches
Rollback läuft, bei dem jegliche Versuche einer Alternative zum westlichen
Kapitalismus von der Landkarte radiert werden ... Wer nicht ausradiert werden
will, wird aufrüsten müssen und wird seine Macht auch nach innen verstärken. Zu
beobachten bleibt, wer als nächstes dran ist: Syrien, Iran, Kuba, Nordkorea ...
Manches Mal wird sich die Sache von allein erledigen, schon allein weil
beispielsweise ganz objektiv eine kleine Insel sich nicht auf Dauer widersetzen
und einen anderen Weg gehen kann. Manches Mal wird Geld helfen, manches mal
muss mit anderen Mitteln nachgeholfen werden, notfalls wird die NATO wieder
losgeschickt, vielleicht reichen da ja auch die Drohnen ... John Perkins hat die Stufen und Varianten in
seinem Buch "Bekenntnisse eines Economic Hitman" aus eigener Kenntnis
beschrieben. Bleibt die Frage: Ist jeglicher Versuch einer Alternative zum
westlichen Modell des Kapitalismus zum Scheitern verurteilt?
Was mich in dem Zusammenhang erschreckt und bewegt, ist auch, dass sich am
Beispiel des NATO-Krieges gegen Libyen und Gaddafi zeigt, wie Krieg inzwischen
wieder als Mittel der Politik akzeptiert ist. Und wie die meisten Medien und
Journalisten da unkritisch mitmachen, egal ob öffentlich-rechtlich oder privat,
ob audiovisuell oder gedruckt. Nur ein Beispiel dafür bei sueddeutsche.de von
Marko Winter: "Die Nato hat in Libyen alles richtig gemacht. Sie hat den
Verdacht widerlegt, bei dem Einsatz von imperialen Interessen getrieben zu sein
und erfolgreich mit den arabischen Ländern zusammengearbeitet" Bei der
NATO-Propaganda-Abteilung und den PR-Abteilungen der Rüstungskonzerne dürften
die Sektkorken jedes Mal knallen, wenn ihnen solche Ergüsse journalistischer
Naivität, solche Kapitulationsbekundungen der angeblich so kritischen Medien
auf den Tisch oder Bildschirm kommen. Aber nicht nur die Rolle der Medien dabei
erschreckt mich, sondern überhaupt der Umgang mit Krieg und Militär in der
Gesellschaft. Zwar freuen sich die meisten über die abgeschaffte Wehrpflicht
und nur noch wenige wollen freiwillig zur Bundeswehr, was auch gut ist. Aber
Krieg für Menschenrechte, na das muss dann aber doch sein ... Noch wundert sich
ZEIT-Schreiber Bernd Ulrich, "Warum die Deutschen keine ernste Debatte zum Krieg
führen". Aber er wundert sich nicht etwa, weil von deutschem Boden nie
wieder Krieg ausgehen sollte und doch längst wieder ausgeht. Nein, den
Möchtegern-Intellektuellen treibt die Sorge an "Unsere Soldaten schicken
wir möglichst nirgends mehr hin, unsere Waffen möglichst überallhin! Der
Mehrheit den Pazifismus, der Rüstungsindustrie den Profit!". Nicht etwa,
dass er gegen die Rüstungsexporte ist, nein, er will endlich die Soldaten dazu
mitschicken in die Krisengebiete der Welt. Weil es ja um Verantwortung geht ...
Diese Propaganda wirkt längst auch bei der Partei Die Linke, wo
Möchtegern-Vordenker wie Andre Brie und Möchtegern-Realpolitiker wie Stefan
Liebich meinen, dass nichts gegen Kampfeinsätze zu sagen sei, wenn es nur die
UNO macht, für Frieden, Menschenrechte und Demokratie. Und das nach dem Krieg
der NATO gegen Libyen, bei dem die UNO als politisches Schutzschild missbraucht
wurde ... Ist es Dummheit, Naivität oder einfach nur das Dabeiseinwollen, das
Dazugehörenwollen? Ach was wäre es für eine wunderbare Welt, wenn die sozialen
und ideellen Menschenrechte aller Erdenbürger wichtiger wären als die Profit-
und Machtinteressen einiger Weniger, von Einzelnen mit Geld und Einfluss und
ihren Netzwerken ... All jenen, die warum auch immer eventuell glauben, dass
seit 1989 ein solches Zeitalter angebrochen sei, sei unter anderem die Lektüre
der dicken Dokumentensammlung "Europastrategien des deutschen Kapitals
1900 bis 1945" von Reinhard Opitz empfohlen. Darin findet sich auch
Erhellendes zum Thema Krieg für Menschenrechte. Unter anderem die 1918 von
Prinz Max von Baden verfasste "Denkschrift über den ethischen
Imperialismus", in der er u.a. schrieb, für einen Krieg "müssen wir
allgemeine Menschheitsziele in unseren nationalen Willen aufnehmen".
Das alles und noch manch anderes geht mir durch den Kopf angesichts der Nachrichten aus Libyen. Aber bevor es jetzt zu sehr ausufert und eben weil es nichts ändert, höre ich einfach an dieser Stelle auf.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen