Ackeret berichtet in seinem Beitrag vom 13. Dezember 2016
über die Warnungen deutscher „Sicherheitsbehörden“ vor mutmaßlichen russischen
Hackerangriffen im Zusammenhang mit dem Bundestagswahlkampf 2017. „Die Gefahr
der Desinformation wurde lange unterschätzt.“, stellte er fest und den
russischen Außenminister vermeintlich bloß: „Russlands Aussenminister Sergei
Lawrow konterte mit einem Beispiel aus dem russischen Baukasten für
Desinformation: Er behauptete dreist, Bundeskanzlerin Merkel habe das bereits
als Unsinn bezeichnet – das Gegenteil ist der Fall.“ Daraufhin habe ich
versucht herauszufinden, wann wer was gesagt hat. Hatte doch auch Spiegel
online in einem Beitrag vom 13. Dezember 2016
über „angebliche russische Propagandaaktionen“ behauptet: „Russlands
Außenminister Sergej Lawrow wies in der vergangenen Woche alle Vorwürfe zurück
- und lieferte dabei einen Beleg, wie russische Desinformation funktioniert.
Lawrow behauptete, Merkel habe die Anschuldigungen öffentlich als ‚Unsinn und
Quatsch‘ bezeichnet. Wann und wo Merkel das gesagt haben soll, verriet Lawrow
nicht.“ Eine Sprecherin Merkels habe dazu am 12. Dezember 2016 gesagt, die
Kanzlerin habe "nicht die Absicht, eine solche Äußerung zu
kommentieren".
Fangen wir mit der vermeintlichen Äußerung von Angela Merkel
an, auf die sich Lawrow als „Meister der Desinformation“ anscheinend berief. „Auf
welche Äußerungen der Kanzlerin sich Lawrow bezog, blieb unklar“, schrieb die
österreichische Zeitung Der Standard in ihrer Onlineausgabe am 9. Dezember 2016.
„Merkel hatte im November vielmehr erklärt, sie könne russische Versuche der
Einflussnahme auf die Bundestagswahl durch Cyber-Attacken und
Desinformationskampagnen nicht ausschließen.“ Die Bundeskanzlerdarstellerin
soll das auf einer Pressekonferenz zum Besuch der norwegischen Ministerpräsidentin
Erna Solberg am 8. November gesagt haben. Laut Wiedergabe der Äußerungen dabei durch die Bundesregierung auf deren Website wurde Merkel gefragt: „Frau Bundeskanzlerin, erwarten Sie, dass Russland auch
hier in den Wahlkampf eingreifen wird?“ Ihre norwegische Amtskollegin sollte
darauf antworten: „Sehen Sie, dass Russland auch bei Ihnen intern in die
Politik des Landes eingreift?“
„Wir wissen ja, dass wir auch heute zum Teil schon mit
Meldungen aus Russland beziehungsweise durchaus auch Angriffen von
Internetvertretern, die russischen Ursprungs sind, oder mit Meldungen, bei
denen wir uns zum Teil auch mit falschen Informationen auseinandersetzen
müssen, zu tun haben. Das zu tun, ist eine tägliche Aufgabe für uns. Deshalb
kann es auch sein, dass das im Wahlkampf eine Rolle spielt“, so die etwas unklare
Antwort von Merkel. Und Solberg fügte hinzu: „Wir in Norwegen erleben
natürlich, wie alle anderen Länder, Cyberaktivitäten von verschiedenen Ländern
und auch von Russland. Es gibt aber keinen Grund oder keine Anzeichen für uns,
zu glauben, dass es systematische Eingriffe von russischer Seite gibt, um dort
einzuwirken.“ Es gebe eine „recht offene Zusammenarbeit mit den russischen
Behörden“, so die norwegische Ministerpräsidentin anders als ihre deutsche
Amtskollegin. Und: „Natürlich gibt es einzelne Angelegenheiten, in denen wir
sehen, dass man versucht, Aufmerksamkeit für bestimmte Standpunkte zu erlangen.
Wir handhaben das aber auf eine gute Weise, und in Norwegen wäre es, glaube
ich, diskreditierend, wenn man einen russischen Link sehen würde. Insofern
glaube ich nicht, dass man damit in Norwegen so viel erreichen würde.“ Ich
finde die norwegische Antwort interessant angesichts der Unterschiede zur
deutschen Sicht.
Cyberhysterie als Ablenkung vom realen Cyberwar
Was hatte nun der russische Außenminister Sergej Lawrow dazu
gesagt, wie hat er Merkel wiedergegeben? Er antwortete während einer Pressekonferenzam 9. Dezember 2016 während des OSZE-Gipfels in Hamburg auf eine Frage zu den
deutschen Behauptungen, Russland wolle die Bundesregierung durch Propaganda destabilisieren
und unterstütze dazu extremistische Gruppen, laut der Wiedergabe durch die Website des russischen Außenministeriums:
„По-моему, уже даже канцлер Германии А.Меркель публично комментировала эти
бредни, назвала их бреднями. Здесь я уже ничего не могу добавить.“ Übersetzt: „Meines
Erachtens nach hat sogar schon die deutsche Kanzlerin Angela Merkel öffentlich diese
Phantastereien kommentiert, sie als Phantastereien bezeichnet. Hier kann ich
nichts hinzufügen.“ Die englische Wiedergabe von Lawrows Aussage kann ebenfalls
beim russischen Außenministerium nachgelesen werden.
Meines Erachtens nach hat nicht nur Lawrow nicht korrekt wiedergegeben, was
Merkel einen Moment vorher zu angeblichen russischen Hackerangriffen auf die
bundesdeutsche Politik sagte. Wer seine Worte nachliest oder -hört, ob im
russischen Original oder in der Übersetzung, kommt nicht umhin festzustellen,
dass auch der russische Außenminister nicht korrekt wiedergegeben wurde. So
u.a. vom österreichischen Standard am 9. November, der das so tat: "‘Bundeskanzlerin
Angela Merkel hat diese Vorwürfe öffentlich als Unsinn und Quatsch zurückgewiesen‘,
sagte Lawrow am Freitag am Rande eines OSZE-Außenministertreffens in Hamburg.“ Lawrow
hat keinesfalls wie auch von Spiegel online geschrieben, „behauptet“, was Merkel
gesagt haben soll. Er hat ganz wörtlich nur seine Meinung wiedergegeben, nicht mehr und nicht weniger, aber keine
Tatsachenbehauptung aufgestellt. Als solche wurden seine Worte aber bis heute
u.a. von deutschsprachigen Medien wiedergegeben.
Und was den „Cyberwar“ angeht, da haben die entsprechenden staatlichen Stellen in Russland eventuell anderes zu tun, als zu versuchen, den bundesdeutschen Wahlkampf aufzumischen: Hacker des US-Militärs seien in wichtige elektronische Infrastrukturen Russlands, bis hinein in die des Kreml, eingedrungen, meldete NBC News am 4. November 2016. Das sei geschehen, um diese Strukturen „verwundbar“ zu machen für den Fall eines US-Cyberwar-Angriffes auf Russland. Ein solcher werde angeblich nur als „aktive Verteidigung“ erfolgen, wenn „zurückgeschlagen“ werden müsse, falls Russland die US-Wahl störe, wurde dazu erklärt. Der Sender berief sich auf einen hochrangigen Geheimdienstmitarbeiter und geheime Dokumente. Zitiert wurden US-Militärs, denen zufolge die USA die am weitesten entwickelten Cyberwaffen hätten. Es handelt sich aus meiner Sicht um die alte, aber bewährte Strategie: Das potenzielle Kriegsziel wird als Aggressor hingestellt und alle eigenen Kriegsvorbereitungen werden als angebliche Verteidigungsmaßnahmen dargestellt. Und die Menschen lassen sich entsprechend manipulieren und in Angst versetzen, notfalls auch mit einem ungenauen Lawrow-Zitat. Die von der NZZ gemeldete „Deutsche Angst vor Manipulation“ wird genau von jenen geschürt, die seit langem das tun, was sie anderen vorwerfen.
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