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Freitag, 31. Januar 2020

Serie DDR 1989/90: „Und die Leute haben getobt“ – Musiker Tino Eisbrenner über die DDR 1989

Von Tilo Gräser

Ruhm und Gängelung durch Parteifunktionäre: Das haben in der DDR Schauspieler, Musiker und Sportler erlebt. Das Ende des Landes hat für beinahe alle ehemaligen DDR-Stars mehr als nur den Verlust von Ruhm bedeutet. Der in der DDR bekannte Musiker Tino Eisbrenner hat gegenüber Sputnik von „seiner“ DDR 1989 erzählt und wie er sie heute sieht.

Das Lied „Kleine weiße Friedenstaube“ ist heute nur noch selten zu hören. Dieses Lied aus der DDR wird auch an ostdeutschen Schulen den Kindern kaum noch beigebracht. Liedermacher Tino Eisbrenner wollte das ändern, als er für ein paar Jahre an einer Schule in Mecklenburg-Vorpommern als Musiklehrer arbeitete. Doch manche Eltern wollten das „Kommunistenlied“ nicht, berichtete Eisbrenner kürzlich bei einem Auftritt im Russischen Haus in Berlin.

Das Friedenslied gehört für den Sänger und Liedermacher zu dem, was des Bewahrens wert ist von dem vor 30 Jahren untergangenen Land. „Gelebte Kindheit und Jugend“ sei es für ihn gewesen, sagte er im Sputnik-Gespräch rückblickend. Er habe mit dem eigenen, zunehmenden Bewusstwerden in der DDR versucht, „eine Gesellschaft mitzugestalten, die eine funktionierende Alternative zum kapitalistischen Prinzip sein könnte“, fügte Eisbrenner hinzu.

„Ich zählte zu denen, die prosozialistisch eingestellt waren: und genau deshalb hatte ich immer wieder Streit mit denen, die an den Hebeln saßen. Ich habe immer an meine künstlerische Verantwortung geglaubt, dieses System zu stärken, indem ich es konstruktiv kritisiere, ohne dass die Funktionäre sich vorgeführt vorkämen. Das ist zu selten gelungen.“

Ein Star in der DDR


Eisbrenner wurde mit seiner damaligen Band „Jessica“ und dem Lied „Ich beobachte Dich“ 1984 über Nacht zum Star in der DDR. Markenzeichen des Sängers war neben seiner Stimme seine rote Mütze. Die Bandmitglieder kannten sich aus der Schulzeit und spielten seit damals zusammen, erinnerte sich der heute 56-Jährige. Die britische Band „The Police“ war ihr hörbares Vorbild. 1984 sei ein britisches TV-Team auf sie in Ostberlin aufmerksam geworden, nachdem es im Westteil die Band „Die Ärzte“ als Newcomer entdeckt hatte. „Jessica“ sollte in dem TV-Bericht das Ost-Gegenstück sein, so Eisbrenner.

Darüber sei das DDR-Fernsehen informiert und gleichzeitig damit beauftragt worden, die Band noch vor dem britischen TV zu bringen. Als „Jessica“ dann in England zu sehen war, war die Band mit „Ich beobachte Dich“ zuhause bereits auf der Überholspur. 1985 und 1986 laut Zeitungsumfrage die beliebteste Nachwuchsband der DDR, kam mit Veröffentlichung ihrer ersten und einzigen LP „Spieler“ das Aus wegen des Armeedienstes zweier Bandmitglieder. Sie fanden nie wieder zusammen, zumal es kurze Zeit später das ganze Land, in dem sie ihre gemeinsame musikalische Größe entwickelt hatten, nicht mehr gab.

Die Kulturfunktionäre der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) hätten die jungen Musiker „ein bisschen erziehen wollen“. Die Band sei für die Funktionäre nicht richtig einzuordnen gewesen, weil sie sich immer wieder Vorgaben verweigerte.

Gängelei durch Funktionäre


Die „Erziehung“ sei unter anderem mit Hilfe der Einberufung der Anfang Zwanzigjährigen zum Wehrdienst versucht worden, berichtete der Sänger. „Das hat man sich ausgerechnet einfallen lassen, als 1986 unsere erste Platte da war und wir eine überdimensionale Tour gemacht hatten, mit 90 Konzerten an 100 Tagen.“ In dem Moment der Begeisterung darüber sei für zwei der Musiker der Einberufungsbefehl gekommen.

Die Band habe in den folgenden anderthalb Jahren pausiert. Doch kaum zurück, sollte der Keyboarder seinen dreimonatigen Reservistendienst bei der NVA (Nationale Volksarmee) antreten, erinnerte sich Eisbrenner. Für ihn sei damals klar gewesen, dass dahinter Absicht eines „Schlaumeiers“ steckte. Er habe bei der staatlichen Kulturbehörde, dem „Komitee für Unterhaltungskunst“, protestiert. Dort gab es, erinnert sich Eisbrenner, einen eigenen Beauftragten, der sich um die Fragen des Wehrdienstes von Künstlern kümmerte.

Dass sich auf seinen Protest hin zwei Mitarbeiter vom Ministerium für Staatssicherheit mit ihm unterhielten, hatte für den Sänger nichts Einschüchterndes. Er habe denen gesagt: „Wenn Ihr die Leute, die eigentlich auf Eurer Seite sind und versuchen mitzugestalten, die Eure schillernden Figuren sind, wenn ihr die – wie Manfred Krug und andere – vergrault, dann wird der Sozialismus krachen gehen.“

„Es gab auch die andere DDR“


Die Einberufung zum Reservistendienst für den Keyboarder sei daraufhin zurückgezogen worden, beschrieb Eisbrenner die für ihn erstaunliche Reaktion. „Wir konnten plötzlich wieder tun, wie wir wollten – nur, dass dann die DDR verlorenging.“ Diese kleine Geschichte ist für ihn eines der Beispiele dafür, dass es „auch die andere DDR gab, wo man sich behaupten und was erreichen konnte“.

Rückblickend meinte der Musiker: „Die Dummheit konnte auf allen Seiten sitzen oder auch nur auf einer. Davon hing vieles ab.“ Deshalb weigere er sich, von „dem System DDR“ zu sprechen. Da sei noch viel zu erreichen gewesen, wie die „sanfte Revolution“ 1989 gezeigt habe und auch die Tatsache, dass es damals keinen Schießbefehl gegen die Demonstranten gab.

Eisbrenner bedauert, dass auch zum 30-jährigen Jubiläum der Ereignisse von 1989 wieder nur die „Schreckensgeschichten“ aus der DDR erzählt werden. „Da muss ich immer gegenhalten“, stellt er klar. „Die Sieger schreiben immer die Geschichte“, das sei ihm klar. „So wird seit 30 Jahren die DDR-Geschichte in erster Linie als die eines ‚Unrechtsstaates‘ erzählt.“

„Revolution auf der Bühne“


Nach der „Wende“ 1989/90, als in dem untergegangenen Land niemand mehr die eigenen Bands hören wollte, habe er sich mit zwei der früheren Bandkollegen weiter „durchgebissen“. Zuvor hatte der Musiker sich noch mit anderen in der „Sektion Rock“ des „Komitees für Unterhaltungskunst“, „eine Art Gewerkschaft“ für Musiker, für gesellschaftliche Veränderungen eingesetzt. Davon kündete die Resolution der Rockmusiker und Liedermacher vom 18. September 1989.

Eisbrenner war in der Leitung der „Sektion Rock“ und erlebte dort, nach seinen Worten, dass ältere Musiker von den gestandenen Bands, wie City, Silly oder Elektra den Ton angaben. „Es war wie eine Leitung der Leitung, und die meisten Entscheidungen wurden ohne uns, die Jüngeren, gefällt.“ So sei auch die Resolution entstanden. Am Ende sei aus dem Gremium „eine Institution geworden, die nur noch dafür sorgte, dass nach dem Mauerfall, die „richtigen Bands“ auf der Startrampe Richtung Westen ganz vorn saßen“. Der Sänger meinte rückblickend: „Die haben eigentlich alle in erster Linie versucht, ihr Schäfchen ins Trockene zu kriegen.“

Er sei skeptisch gegenüber der „Revolution auf der Bühne“ mit Hilfe der bei Konzerten verlesenen Resolution gewesen, erzählte Eisbrenner. „Die Leute rannten in die Rockkonzerte, weil sie wussten, da wird was gesagt, was offiziell nicht erwünscht war. Das war mir zu plakativ und zu durchsichtig. Und zu viele Kollegen machten mit dem Verlesen der Resolution ihr Geschäft, ohne genug Herz und Hirn zu haben, um zu wissen, worum es in Zukunft gehen musste und würde.“ Bei gemeinsamen Auftritten mit der Band „Die Zöllner“ im Oktober 1989 habe er sich geweigert, die Resolution vorzutragen. Was zu sagen gewesen sei, habe er auch ohne Papier vorgetragen. „Ich habe sogar Brecht und Lenin zitiert. Und die Leute haben getobt“, erinnerte sich der Sänger.

Bei Maueröffnung in Nicaragua


Als „großes Wirrwarr“ beschrieb er die Situation vor 30 Jahren. Er habe damals, „nicht wissend, dass in der Zeit die Mauer fallen wird“, ein Angebot zu Auftritten in Nicaragua angenommen. Anfang November 1989 sei er in das mittelamerikanische Land geflogen, trotz des von den USA angezettelten Bürgerkrieges dort.

Von der Maueröffnung am Abend des 9. November 1989 habe er in Nicaragua erfahren, schilderte der Sänger sein damaliges Erlebnis mit dem historischen Ereignis. Die Nicaraguaner hätten ihm die Berichte darüber im mexikanischen TV gezeigt. Er habe anfangs gedacht, dass das nicht echt sein könne, dass es sich um ein Fake handele.

Er sei Tage später mit Hoffnungen zurück in die DDR gekommen, weil er nicht glaubte, dass mit der offenen Grenze die Existenz des Landes endet. „Ich kam wieder mit tausend Ideen, wie man Sozialismus besser machen könnte. Die Sandinisten haben keine schlechte Variante davon gehabt. Aber hier war nichts mehr, niemanden hat das noch interessiert.“

Neue Freiräume und Absage an Altes


Der Weg in den Untergang begann in der DDR schon ab Mitte der 1980er Jahre, sagte Eisbrenner auf eine entsprechende Frage. Das habe sich auch in der Musikszene gezeigt, als neue Richtungen wie Punk auftauchten und neue, „andere“ Bands als die etablierten, wie „AG Geige“ oder „Feeling B“ die Bühnen und Kulturhäuser eroberten. In dieser Zeit seien auch Freiräume entstanden, die vorher nicht möglich waren. „Wäre das analysiert worden, wäre da schon zu sehen gewesen, dass da ein Damm bricht, der nicht mehr zu reparieren ist.“

Der Musiker fügte hinzu: „Wir dachten, jetzt machen wir es besser, jetzt kriegen wir eine bessere DDR hin. Jetzt setzen wir durch, was die ganze Zeit fehlte: Reisefreiheit und Meinungsfreiheit. Der Ruf nach den Unangepassten wurde lauter. Mitläufer wurden an den Rand geschoben.“

1989 sei geprägt gewesen vom verzweifelten Festhalten an den bisherigen Regeln und Vorgaben bei gleichzeitiger Kopflosigkeit auf der einen Seite, der bisher dominierenden SED. Auf der anderen Seite hätten sich die Menschen in der DDR neue Freiheiten erobert und seien mutig geworden.
Eisbrenner erinnerte sich an die internationalen Konzerte ab Mitte der 1980er Jahre, oft organisiert von der Freien Deutschen Jugend (FDJ), der staatlichen Jugendorganisation. Zu internationalen Stars wie James Brown, „The Wailers“, Bryan Adams und anderen seien DDR-Bands auf die Bühne gestellt worden, die dann aber in Einzelfällen vom Publikum ausgepfiffen und mit Tomaten beworfen wurden.

„Kulturverlust ohne Ende“


Das Auflösen der DDR sieht er seit langem als „ein einziges Aufgeben, immer mit der Hoffnung, dafür irgendetwas wiederzukriegen. Wir haben unseren Stolz aufgegeben, unsere Ideen, unseren gemeinsamen Besitz. Das Land war erst einmal ein großer Selbstbedienungsladen für die andere Seite, in allen möglichen Bereichen.“

Es sei zu einem „Kulturverlust ohne Ende“ gekommen, beklagte Eisbrenner. „Kein Mensch hat mehr eine Ostband eingekauft, die Leute wollten das nicht mehr hören“, erinnerte sich Eisbrenner an die Folgen der offenen Grenze für die DDR-Musiker. Zum Teil hätten bei den Radiosendern Werbekunden erfolgreich dagegen protestiert, wenn Lieder von DDR-Bands gespielt wurden.

Er habe damals versucht, die Vorgänge zu verstehen und viel über die historischen Ursachen des DDR-Untergangs zu lesen. Die Suche nach neuen Wegen, auch in der Musik, habe ihn in der Folge zu den Indianern in Nord- und Südamerika gebracht. Das habe ihm geholfen, den Verlust der DDR, des Landes seiner Kindheit und Jugend, zu verarbeiten. Gleichzeitig sei es ihm so gelungen, für sich selbst neue Perspektiven zu finden und nicht den alten Zeiten, in denen er ein DDR-Star war, nachzutrauern.

„Wir brauchen Alternativen“


Er habe nicht aufgegeben, sich für eine bessere Gesellschaft einzusetzen, „aber nicht nur mit dem Korsett DDR“. „Aber da ist ja mit gutem Grund was Anderes versucht worden“, erinnerte der Sänger an die geschichtlichen Ursachen, wie es überhaupt vor 70 Jahren zu dem zweiten deutschen Staat kam. Die Idee des Kommunismus, einer Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft, sei nicht vom Tisch. „Die Idee ist nicht gleichzusetzen mit der DDR“, betonte er.

„Der Kapitalismus wird uns immer weiter zerstören, wenn man den so weitermachen lässt“, so sein Motiv. „Der hat sich ja verschärft, seitdem ihm der Sozialismus als Gegenkraft nicht mehr gegenübersteht. Das bringt uns immer wieder an den Rand des Abgrundes. Wir brauchen Alternativen und Menschlichkeit.“

Der nachdenkliche Sänger glaubt, „dass jene, die die DDR kennengelernt haben und einschätzen können, wo die Fehler und wo die Errungenschaften waren, aufstehen und Angebote machen und sagen müssen: Da gab es schon einmal eine andere Idee.“ Das sei notwendig, „in ganz kleinen Sachen, im Zwischenmenschlichen, aber auch in größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen“.

„Überall noch ein Stück DDR“


Mit Blick auf Ostdeutschland heute meinte der Liedermacher: „Es sind natürlich immer noch ganz viele Menschen da, die mit der DDR im Herzen leben. Sie empfinden auch weiterhin eine Skepsis zu dem, was jetzt das Heiligtum sein soll, und durchschauen, dass unsere Demokratie keine Demokratie ist, wie sie eigentlich gemeint ist – auch wenn die DDR-Demokratie auch keine solche war. Solange diese Menschen und ihre Kinder da sind, wird überall noch ein Stück DDR vorhanden sein.“

Das bedeutet für ihn nicht „Mai-Demonstrationen, auf die man gehen muss. Sondern das heißt, dass noch eine andere Idee da ist, auch eine andere Bildung.“ Es gebe immer den „Geist einer Sache“, sagte der Liedermacher. Und dieser „Geist der DDR“ sei in Ostdeutschland immer noch zu spüren.

„Er zeigt sich hier und da, in bestimmten Momenten. Ich erlebe das in Konzerten, sehe die Gesichter, merke, worauf die Leute reagieren. Wir in der DDR Aufgewachsenen sind immer noch in der Lage, zwischen den Zeilen zu lesen. Wir verstehen noch Subtext, was uns heute aber abgewöhnt wird, auch von den heutigen Deutsch-Poeten.“ Diese Fähigkeit habe in der DDR geholfen, politische Botschaften zu vermitteln, sei aber auch heute noch notwendig.

DDR-Zeit nicht verantwortlich für Rechtsruck


Er widersprach jenen, die behaupten, rechtsextreme Gewalt in Ostdeutschland und die dort aktuell hohe Zustimmung für Parteien wie die AfD sei eine Folge der DDR. „Nicht die DDR, sondern die leider erzwungene Rückkehr zu dem, was vor der DDR war, verursacht den Rechtsruck in unserer Gesellschaft. Durch die Politik der letzten 30 Jahre sind wir an vielen Punkten dahin zurückgekommen, wo die DDR nicht war. Soziale Ausgrenzung bis hin zu Armut und der Zeigefinger auf die noch Schwächeren. Das hatte die DDR abgeschafft.“

Es habe Einiges aus der DDR gegeben, was erhaltenswert gewesen wäre, so Eisbrenner. Für ihn zählt das Verhältnis zur Sowjetunion bzw. Russland dazu. „Das ist in den 90er Jahren abgebrochen worden, weil wir glaubten, das brauchen wir nicht mir, wir haben ja jetzt den American Way of Life.“

Russland als Teil der Heimat


In den letzten Jahren hat der Liedermacher, der als Kind lange Zeit in Bulgarien lebte, Russland mit seiner Kultur für sich neu entdeckt. Das Land sei „ein Teil meiner inneren Heimat geworden“, sagte er im März dieses Jahres in einem Interview mit der „Moskauer Deutschen Zeitung“. „Für mich hat Heimat auch viel mit Russland zu tun, weil in meinem Leben der slawische beziehungsweise russische Einfluss eine Rolle gespielt hat – und zwar eine gute.“

Eisbrenner schreibt und singt weiter. In seinen Büchern und Liedern, solo oder mit Musikerkollegen aufgenommen und bei Konzerten gespielt, ist zu lesen und zu hören, was ihn bewegt. Davon kündet auch sein jüngstes Buch „Das Lied vom Frieden“, das kürzlich im Nora-Verlag in einer deutsch-russischen Ausgabe „Песня о мире – Das Lied vom Frieden“ erschienen ist.

zuerst veröffentlicht am 25.5.2019 auf sputniknews.com

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